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Den Blick auf die Türklinke gerichtet

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22.06.2003
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Den Blick auf die Türklinke gerichtet

Hat sie sich bewegt?
Starr hing der Blick des alten Mannes an der Türklinge.
Ich könnte wetten, dass sie sich bewegt hat!
Er wusste, das etwas in sein Zimmer kommen wollte, um ihn zu holen. Doch er war noch nicht bereit, diese Welt zu verlassen. Er klammerte sich an sein Leben, wie er sich nun mal an alles klammerte, was ihm gehörte. Seit er Kind war und das war schon lange her.
Wer würde schliesslich die Türe öffnen? Ein Kind der Hölle, ein Todesengel oder der Sensenmann?
Sein Zimmer bot ihm eine gewisse Sicherheit und in seinem Bett fühlte er sich nach wie vor ziemlich geborgen. Aber die Türe war nicht abgeschlossen. Sie war nie abgeschlossen. Es konnte kommen, wer wollte. Es mussten nicht eingeladene Gäste sein. In seinem Alter war er normalerweise froh, wenn er besucht wurde.
Die scharfen, blauen Augen in seinem von Falten durchzogenen Gesicht, sahen aus wie zwei Flecken Wasser in einem ausgetrockneten, verwüsteten Gebiet. Keine Sekunde wagte er, von der Türklinke wegzusehen. Als er blinzelte – schnell, um keine Bewegung zu verpassen – zog sich der Ring um seine Augen kurz zusammen. Er war müde und schien die letzten paar Tage nicht geschlafen zu haben. Seit mehreren Tagen befürchtete er den letzten Besuch.
Die Türklinke hat sich bewegt und sie wird sich nochmals bewegen. Jemand wird in mein Zimmer kommen und wird mich aus dem Bett zerren, weil ich zu lange hiergeblieben bin. Aber ich werde nicht freiwillig gehen. Ich werde um mich schlagen, wie ein Kind, das eine unverdiente Strafe hinnehmen muss, oder wie eine Frau, die vergewaltigt wird.

Der Mann hatte furchtbare Angst, die sich besonders an seinem halb geöffneten Mund offenbarte. Ein paar wenige Zähne zierten noch Ober- und Unterkiefer, mehrmals hatte er sich auf die Lippe gebissen, denn sie blutete leicht und war an mehreren Orten aufgeschwollen. Seine Hände krallten sich um die Decke und drückten diese fest an ihn. Das weisse Haar glänzte wie die verschwitzte, alte und runzelige Stirn.
Etwas wartete hinter der Türe, trachtete nach seinem Leben.
Aber weshalb tritt es nicht ein? Will es mich vorerst verrückt machen?
Langsam liess der alte Mann seine zitternde, alte Hand, auf der die Venen und Arterien ein dichtes Netz bildeten, über den Bettrand fallen. Finger vor Finger tastete er sich über den erreichbaren Boden, wobei er sich sonst keinen Zentimeter rührte.
Wahrscheinlich wird das ohnehin mein Sterbebett sein, aber...
Seine knöcherige Hand glitt über ein Stück Papier und fand den gesuchten Griff.
ich werde mich wehren! Er hob das gefundene Messer auf und lächelte für den Bruchteil einer Sekunde. Dann sah er, dass die Türklinke sich bewegte. Er zuckte zusammen, versteckte das Messer unter der Decke.
Die Türklinke fiel wieder zurück, ohne, dass jemand oder etwas das Zimmer betrat. Der Alte atmete erleichtert aus und blinzelte hastig. Dann nahm er sich zusammen und schrie die Gestalt hinter der Türe an:
„Hast du etwa Angst? Ich dachte, ...du wolltest mich verabschieden! Komm, ich warte!“ Es tönte vielmehr wie ein hoffnungsloses Kreischen.
Diesmal war der alte Mann gefasst und doch fuhr er zusammen, als die Klinke abermals hinunterging. Fast bereute er seine Worte. Wie ein Kind, das nachts im Halbschlaf von einer Mücke geplagt wird, riss er die Decke über seinen Kopf. Der Griff um das Messer verfestigte sich, aber würde es ihm überhaupt etwas bringen? Er wusste nicht wie sein letzter Besucher aussah und wollte es auch nicht unbedingt wissen, aber falls er nun doch eine Sense trug?
Zack und er war Vergangenheit.
Unter der Decke verkrochen, hörte der Alte die knarrende Türe, kurz darauf Schritte, in seinem Zimmer. Sie näherten sich seinem Bett.
In der Mitte des Zimmers etwa, verstummten sie kurz.
Der Zusammengekauerte unter der Bettdecke zuckte. War dies das Ende? Der Besucher befand sich noch ausser Reichweite für ihn, aber noch zwei, drei Meter und...
Axt, Peitsche, Sense? Oder welche Qualen muss ich erleiden? glühende Kohlen vielleicht? Verdammt! Das habe ich nicht verdient, werde mich wehren, wehren bis zum Ende!
Er biss die wenigen Zähne, die er hatte, fest zusammen.
Der letzte Besucher setzte seinen Gang fort.
Noch etwa fünf Schritte und es ist soweit.

Nun stand der Besucher vor dem Bett. Er wollte gerade nach der Decke greifen, aber der Alte kam ihm zuvor. Die linke Hand schoss hervor und rammte ein Messer in die Brust des anderen. Dieser setzte gerade zum Schrei an, doch schon stiess das Messer erneut zu. Der Schrei verklang, noch bevor er richtig entstanden war.

Jemand anderes schrie an der Tür. Zwei Namen wurden genannt.
Der Greis kannte diese Stimme. Es war sein Neffe. Er hob die Decke. Langsam glitt sein nicht mehr so scharfer Blick nach links. Ein heftiger Schlag durchfuhr ihn, als er seinen Sohn neben dem Bett erkannte. Seine Arme erschlafften. Seine linke Hand löste sich und ein blutverschmierter Brieföffner fiel zu Boden.

 

Hi Van Horebeke!

Ich fand die Geschichte ganz ordentlich, aber noch verbesserungsfähig.

Ein Problem ist natürlich die Vorhersehbarkeit - man erwartet schon, dass sich kein Monster o.ä., sondern ein Mensch der nichts Böses will, dem Alten nähert und so ist man am Ende nicht überrascht, dass es seinen Sohn getroffen hat.

Der Text bietet meiner Meinung nach aber Potential. Mich störte ein wenig, dass mir nicht ganz klar war, warum der alte Mann sich überhaupt bedroht fühlt. Wo befindet er sich - bei sich zuhause, oder in einem Pflegeheim? Seit wann empfindet er so paranoid - erst ab diesem Moment oder hat er schon früher geglaubt dass ihn jemand "holen" kommt? Da fehlt mir der Hintergrund.

Ich könnte mir z.B. gut vorstellen, dass der Mann davon überzeugt ist dass ihn jemand gefangen hält. Dass er entführt wurde, oder etwas in der Art und das er jetzt endlich seinen Geiselnehmer angreifen und sich wehren will. Das kann man so darstellen, dass der Leser ihm tatsächlich glaubt dass ihn da jemand gefangen hält. Und wenn er dann zugestoßen hat könnten mehrere Menschen in weißen Kitteln hereingelaufen kommen, so das der Leser checkt: Der Alte befindet sich in Wahrheit in einem Pflegeheim weil er offenbar geistig verwirrt ist und seine eigenen Verwandten nicht mehr erkennt.

Das wäre jetzt eine Variante, die mir besser gefiele, weil es mM nach einen besseren Rahmen bieten würde - es wäre im Nachhinein logisch, dass der Mann sich so bedroht fühlte.
Aber das ist natürlich nur ein Vorschlag von mir, der mir halt spontan einfiel. :-)

Seine knöchige Hand zog über ein Stück Papier
Zum Einen: "knöchig" gibt es meines Wissens gar nicht, stattdessen müsste es "knöcherig" heißen.
Und zum Anderen gefällt mir der Ausdruck "die Hand zog über ein Stück Papier" nicht so gut ... eher, dass sie darüber glitt.

Ach so:

Der clevere Leser merkt auch so, dass die Geschichte nicht weitergeht, denke ich. :D

Ginny

 

Hallo, Van Horebeke!

Schon ein bisschen märchenhaft, den Tod durch die Türe kommend zu erwarten, oder? Aber in Geschichten ist ja alles möglich, und so hab ich richtig mitgefiebert, wer denn dan nun durch die Tür kommen wird.
Na ja, am Ende ists dann der eigene Sohn, das ist schon ziemlich übel. Trotzdem hat es mich irgendwie kalt gelassen. Weil es letztlich ja doch wieder logisch war. Der Tod und der Teufel kommen nicht durch die Tür, dafür aber Familienangehörige, Diener, der Arzt...
Die Geschichte wäre wesentlich besser, wenn da tatsächlich ein anscheuliches Monster reinkommt, mit dem er sich einen Kampf liefert und es besiegt, und am Ende dann aus einer anderen Perspektive erzählt wird: Verwirrter Greis ersticht eigenen Sohn mit Brieföffner.
Ist natürlich nur so eine Idee von mir, hihi.

Die scharfen, blauen Augen in seinem von Falten durchzogenen Gesicht, sahen aus wie zwei Flecken Wasser in einem ausgetrockneten, verwüsteten Gebiet.
Der Satz war ein richtiges Kunstwerk!
Ein paar wenige Zähne zierten noch Ober- und Unterkiefer,
Das Wort "zierten" klingt, als wolltest du dich über den Mann lustig machen.
Zack und er war Vergangenheit.
"Zack" klingt irgendwie komisch hier.

Liebe Grüsse
Arry

 

Hi und guten Abend,

wie Ginny find ich auch, dass die Idee für mehr reicht. Nur hat mir die Umsetzung nicht besonders gefallen, weil man schon ungefähr ahnt, was passieren wird. Ein bisschen mehr Länge (mit Hintergrund und Spannungsaufbau hätten auch nicht geschadet. Ein paar Sachen sind mir aufgefallen:

"...seit er Kind war, und das war schon lange her." Ist an sich überflüssig, weil du vorher schon schreibst, dass der Mann alt ist. Komma fehlt hier mein ich auch.

"...die Lippe an mehreren Orten aufgeschwollen."
Hier ist "Stellen" doch richtiger.

"Der Zusammengekauerte unter der Bettdecke zuckte."
Klingt nicht gut, eher vielleicht "Er kauerte unter seiner Bettdecke und zuckte zusammen."

Gruß und gute Nacht
Peter

 

Hallo Ginny, Arry, ProgMan, Peterchen!

Besten Dank fürs kommentieren und für die Vorschläge.
Ich weiss jetzt noch nicht richtig, was ich machen werde. Wahrscheinlich werde ich diese Version nur ein bisschen abändern(weil sie mir selbst so gefällt) und eine zweite Version schreiben, in der ich die Hintergründe mehr erwähne, den Schluss à la Ginny oder Arry ausbaue und gegen die Vorhersehbarkeit kämpfe. Letztere nennt man bisweilen auch das KG.de-Syndrom; ein Virus oder so veranlasst stehts, dass sich der geübte KG.de Leser hier im Gegensatz zu den durchschnittlichen nicht austricksen lässt und während dem Lesen jeden möglichen Schluss in Erwägung zieht, um ihn danach vorhergesehen zu haben...*g*:D

Ou... knöchig, hab gedacht, dass das ein bisschen komisch klingt. Werde sämtliche Fehler bald korrigieren!

Der clevere Leser merkt auch so, dass die Geschichte nicht weitergeht, denke ich.
Ach ja!? Dann hab ich euch unterschätzt...:D

Beste Grüsse Van

 

Hallo Van Horebeke

Die Geschichte ist an sich sehr gut, wobei ich sagen muss, dass der Plot ein wenig vorhersehbar ist, ich wusste dass kein monster kommt, dachte aber, dass der alte Mann einen Anfall bekommt als sich die Türe öffnete und stirbt

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi. Böse Falle. Klingt ziemlich realistisch, was da so passiert in der Geschichte. Der ganz normale Horror: Demenz. Die Situation ist fast wie früher beim Verstecken unter der Bettdecke, wenn man schlecht geträumt hatte, und sich nicht traute nachzusehen ob das Monster wieder weg war. (Armer alter Mann. Es wird ihm das Herz brechen.)
Die Story ist gut zu lesen, stilistisch rund und unbedenklich weiterzuempfehlen.
MfG.Alex

 

Hallo Dowd, Alex!

Besten Dank fürs Lesen und kritisieren...
Schreibe nun doch schon eine Antwort, obwohl ich mit der erwähnten Zweitversion noch nicht so weit bin(was nicht heissen soll, dass ich sie vergessen habe, war in letzter Zeit nunmal ein bisschen schreibfaul).

@Dowd: Ich hoffe, die Vorhersehbarkeit wird in der zweiten Version dann keinen Platz mehr finden... Freut mich, dass dir die Geschichte an sich gefällt

@Alex:
Zitat: (Armer alter Mann. Es wird ihm das Herz brechen.)
ich glaube, die Zukunftsform ist an dieser Stelle unnötig... *g* ,der Mann ist am Schluss mindestens im Koma
Merci für das Lob.

Beste Grüsse Van
(..der sich hoffentlich bald mit der Zweitversion melden wird, der aber lieber neue Geschichten schreibt.)

 

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