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Den Blick auf die Türklinke gerichtet
Hat sie sich bewegt?
Starr hing der Blick des alten Mannes an der Türklinge.
Ich könnte wetten, dass sie sich bewegt hat!
Er wusste, das etwas in sein Zimmer kommen wollte, um ihn zu holen. Doch er war noch nicht bereit, diese Welt zu verlassen. Er klammerte sich an sein Leben, wie er sich nun mal an alles klammerte, was ihm gehörte. Seit er Kind war und das war schon lange her.
Wer würde schliesslich die Türe öffnen? Ein Kind der Hölle, ein Todesengel oder der Sensenmann?
Sein Zimmer bot ihm eine gewisse Sicherheit und in seinem Bett fühlte er sich nach wie vor ziemlich geborgen. Aber die Türe war nicht abgeschlossen. Sie war nie abgeschlossen. Es konnte kommen, wer wollte. Es mussten nicht eingeladene Gäste sein. In seinem Alter war er normalerweise froh, wenn er besucht wurde.
Die scharfen, blauen Augen in seinem von Falten durchzogenen Gesicht, sahen aus wie zwei Flecken Wasser in einem ausgetrockneten, verwüsteten Gebiet. Keine Sekunde wagte er, von der Türklinke wegzusehen. Als er blinzelte – schnell, um keine Bewegung zu verpassen – zog sich der Ring um seine Augen kurz zusammen. Er war müde und schien die letzten paar Tage nicht geschlafen zu haben. Seit mehreren Tagen befürchtete er den letzten Besuch.
Die Türklinke hat sich bewegt und sie wird sich nochmals bewegen. Jemand wird in mein Zimmer kommen und wird mich aus dem Bett zerren, weil ich zu lange hiergeblieben bin. Aber ich werde nicht freiwillig gehen. Ich werde um mich schlagen, wie ein Kind, das eine unverdiente Strafe hinnehmen muss, oder wie eine Frau, die vergewaltigt wird.
Der Mann hatte furchtbare Angst, die sich besonders an seinem halb geöffneten Mund offenbarte. Ein paar wenige Zähne zierten noch Ober- und Unterkiefer, mehrmals hatte er sich auf die Lippe gebissen, denn sie blutete leicht und war an mehreren Orten aufgeschwollen. Seine Hände krallten sich um die Decke und drückten diese fest an ihn. Das weisse Haar glänzte wie die verschwitzte, alte und runzelige Stirn.
Etwas wartete hinter der Türe, trachtete nach seinem Leben.
Aber weshalb tritt es nicht ein? Will es mich vorerst verrückt machen?
Langsam liess der alte Mann seine zitternde, alte Hand, auf der die Venen und Arterien ein dichtes Netz bildeten, über den Bettrand fallen. Finger vor Finger tastete er sich über den erreichbaren Boden, wobei er sich sonst keinen Zentimeter rührte.
Wahrscheinlich wird das ohnehin mein Sterbebett sein, aber...
Seine knöcherige Hand glitt über ein Stück Papier und fand den gesuchten Griff.
ich werde mich wehren! Er hob das gefundene Messer auf und lächelte für den Bruchteil einer Sekunde. Dann sah er, dass die Türklinke sich bewegte. Er zuckte zusammen, versteckte das Messer unter der Decke.
Die Türklinke fiel wieder zurück, ohne, dass jemand oder etwas das Zimmer betrat. Der Alte atmete erleichtert aus und blinzelte hastig. Dann nahm er sich zusammen und schrie die Gestalt hinter der Türe an:
„Hast du etwa Angst? Ich dachte, ...du wolltest mich verabschieden! Komm, ich warte!“ Es tönte vielmehr wie ein hoffnungsloses Kreischen.
Diesmal war der alte Mann gefasst und doch fuhr er zusammen, als die Klinke abermals hinunterging. Fast bereute er seine Worte. Wie ein Kind, das nachts im Halbschlaf von einer Mücke geplagt wird, riss er die Decke über seinen Kopf. Der Griff um das Messer verfestigte sich, aber würde es ihm überhaupt etwas bringen? Er wusste nicht wie sein letzter Besucher aussah und wollte es auch nicht unbedingt wissen, aber falls er nun doch eine Sense trug?
Zack und er war Vergangenheit.
Unter der Decke verkrochen, hörte der Alte die knarrende Türe, kurz darauf Schritte, in seinem Zimmer. Sie näherten sich seinem Bett.
In der Mitte des Zimmers etwa, verstummten sie kurz.
Der Zusammengekauerte unter der Bettdecke zuckte. War dies das Ende? Der Besucher befand sich noch ausser Reichweite für ihn, aber noch zwei, drei Meter und...
Axt, Peitsche, Sense? Oder welche Qualen muss ich erleiden? glühende Kohlen vielleicht? Verdammt! Das habe ich nicht verdient, werde mich wehren, wehren bis zum Ende!
Er biss die wenigen Zähne, die er hatte, fest zusammen.
Der letzte Besucher setzte seinen Gang fort.
Noch etwa fünf Schritte und es ist soweit.
Nun stand der Besucher vor dem Bett. Er wollte gerade nach der Decke greifen, aber der Alte kam ihm zuvor. Die linke Hand schoss hervor und rammte ein Messer in die Brust des anderen. Dieser setzte gerade zum Schrei an, doch schon stiess das Messer erneut zu. Der Schrei verklang, noch bevor er richtig entstanden war.
Jemand anderes schrie an der Tür. Zwei Namen wurden genannt.
Der Greis kannte diese Stimme. Es war sein Neffe. Er hob die Decke. Langsam glitt sein nicht mehr so scharfer Blick nach links. Ein heftiger Schlag durchfuhr ihn, als er seinen Sohn neben dem Bett erkannte. Seine Arme erschlafften. Seine linke Hand löste sich und ein blutverschmierter Brieföffner fiel zu Boden.