Was ist neu

deliverance?

Mitglied
Beitritt
14.08.2003
Beiträge
2

deliverance?

Es war nicht so wie er es sich vorgestellt hatte. Weder lodernde Feuer, noch kleine, rote Dämonen waren hier. Dennoch wusste er genau, dies hier war die Hölle. Vielleicht nicht die Hölle die ein Christ als solche bezeichnet hätte. Aber das änderte nichts an der Tatsache. Warum war er hier? Er wusste es nicht. Auch nicht woher er wusste das dies die Hölle war. Dieser metallene Gang hätte besser auf ein Raumschiff in einem Science-Fiction-Film gepasst. Der Boden war seltsam. Irgendeine undefinierbare Mischung aus einem soliden Metallboden und einem Gitter. Und er war heiß. Entsetzlich heiß. Er hatte das Gefühl, das dieser Boden ihm die Füße wegbrennen müsste. Aber seine Beine versagten ihm nicht den Dienst. Auch fühlte er den Schmerz nicht wirklich. In seinem Bewusstsein war nur die Gewissheit, unerträgliche Schmerzen zu haben. Das war, soweit er es beurteilen konnte, noch schlimmer als die Schmerzen tatsächlich zu ertragen.
"Hier entlang"
Ja, da war jemand bei ihm. Er sah nach rechts. Der Mann stand ruhig da, und wies auf einen Raum ein paar Meter den Gang entlang. Er ging darauf zu, und wie selbstverständlich begleitete ihn der Mann. Als Ian den Raum betrat waren schlagartig auch die Hitze und der Schmerz verschwunden. Er bemerkte es nicht einmal Bewusst. Es war ein seltsamer Raum.
Vom Eingang weg nach links führte ein schmaler Steg aus Metall auf eine ebensolche Plattform. Ansonsten schien der Raum geflutet mit einer Art grünlichem Wasser, aber Ian wusste, dass es an einem Ort wie diesem sicher kein Wasser war. Auf der Plattform wartete jemand, den Ian als Teufel bezeichnen würde, wenn er nicht aus einer spontanen Eingebung wüsste, dass das falsch wäre. Er war zwar der Herrscher dieses Ortes, aber die Bezeichnung Teufel würde ihm unrecht tun. Vielleicht weil er die Erscheinung eines völlig normalen jungen Mannes hatte. Auch hatte Ian das starke Gefühl das dieses Wesen nicht böse war, wie man es von einem Teufel erwarten konnte. Er sah Ian nur kurz an, ohne erkennbare Emotion. Dann deutete er auf die Frau neben sich, und verschwand. Gleichzeitig stand er neben ihm und reichte ihm etwas, das man als eine Art Messer bezeichnen konnte.
"Tu es."
Er sagte diese zwei Worte in einem solch ruhigen und selbstsicheren Tonfall, den nur eine Wesenheit wie er zu verwenden vermochte. Ian kannte die Frau. Er wusste wer sie war, und warum sie hier war. Warum sie es war die er töten sollte. Aber er konnte sich dieses Wissen nicht ins Bewusstsein rufen. Es schien sich völlig seinem Zugriff zu entziehen. Ian zögerte.
„Tu es. Ich verspreche dir nicht, dass du diesen Ort dann verlassen kannst. Du wirst keinen Frieden finden. Doch es wird für dich leichter zu ertragen sein.“
Ian stieß der Frau das Messer mit einer kräftigen Bewegung in die Brust. Die Wunde war größer als er erwartet hatte, aber sie blutete nicht. Auch schien die Frau keine Schmerzen zu empfinden. Aber er sah wie das Leben langsam aus ihren Augen wich, während sie zu Boden sank. Um Ian versank alles in Dunkelheit.


Sylvia saß ruhig, mit angezogenen Beinen auf der gemütlichen wirkenden Couch. Mit einer langsamen, völlig ohne Eile ausgeführten Bewegung nahm sie einen Zug von ihrer Zigarette. Es war so ruhig in dem Raum, das man das leise Knistern des verbrennenden Tabaks hören konnte.
"Da bist du ja.", sagte sie ruhig und freundlich. Ian, der den Raum gerade betreten hatte, setzte sich zu ihr. Er war oft in diesem Raum. Trotz seiner weißen, sterilen Wände, und der kärglichen Einrichtung, die im Wesentlichen aus ein zwei recht gemütlichen Couchen und einem Holztisch bestand, strahlte er Ruhe aus. Vielleicht war es auch eher Sylvias Gesellschaft, die diese Ruhe ausstrahlte. Er sah sie wieder an. "Du kommst spät heute. Wo warst du?" Es war keinerlei Vorwurf in ihrer Stimme. Nur ehrliches Interesse.
"Ich hatte eine...... üble Nacht.", antwortete Ian leise. Sanft nahm sie ihn in ihre Arme.
"Du siehst immer noch müde aus. Möchtest du darüber reden?". Ian wollte darüber reden, aber nicht gerade jetzt. So schwieg er, und sie verstand. Er zündete sich eine Zigarette an.
"Wie geht es dir?", fragte er sie. Das war keine Floskel. So etwas gab es zwischen ihnen nicht.
"Eigentlich ganz gut", antwortete sie, und nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. "Ich bin nur etwas nervös. Weis nicht warum."
"Das freut mich"
Beiden war nicht nach reden zumute. Ian fand, dass es etwas Besonderes war jemanden zu finden, mit dem man einfach eine Zeitlang schweigen konnte, ohne ein unangenehmes Gefühl zu bekommen. Ian und Sylvia konnten das. Vom ersten Moment an gab es keine Masken, keine Lügen, und kein Schauspiel zwischen ihnen. Was sie verband konnte von Nichts und Niemandem zerstört werden. Sie waren zwei verlorene Seelen, die in der Dunkelheit nach etwas Halt gesucht hatten. Und sie hatten sich gefunden.

Er war, soweit er das beurteilen konnte, mitten im Nichts. Der Untergrund, auf dem er stand war fest, aber von ebensolch wesenloser Schwärze wie die gesamte Umgebung. Ian konnte nicht sagen wo der Boden aufhörte und der Horizont begann. Noch nicht einmal ob es einen Horizont gab, oder er in einem Raum war. Oder ob der Boden überhaupt irgendwo aufhörte. Trotzdem er keine Lichtquelle ausmachen konnte, war er imstande sich selbst so klar wie an einem hellen Tag in der Sonne zu sehen. Und ebenso die Frau, die ihm gegenüberstand. Es war dieselbe die er in der Hölle getötet hatte. Sie lächelte ihm zu.
"Wer bist du?", fragte er wie automatisch. Er wusste, dass er die Antwort kannte, aber wieder konnte er sie sich nicht ins Bewusstsein rufen. Ian erinnerte sich, an dem Nachmittag, den er mit Sylvia auf der Couch gelegen hatte, mit ihr über sie geredet zu haben. Aber auch Sylvia hatte nicht gewusst wer sie sein könnte. Die Frau antwortete nicht.
"Warum habe ich dich getötet?" Auch auf diese Frage hatte er mit Sylvia keine Antwort gefunden. Und auch die Frau reagierte nicht darauf. Stattdessen wies sie mit einer unendlich sanften Geste auf eine Reihe von Bildern, die hinter ihm stand. Und auch sie stand plötzlich bei den Bildern, als er sich umdrehte.
Das Erste zeigte eine dunkelgraue Fläche, auf der in hellgrauen Buchstaben die Worte "Kiss from a rose on the grey" standen, und darunter eine rote Rose, die in wahrhaft strahlenden Farben gemalt war.
Das zweite zeigte ihn selbst. Er kniete, seine Hände waren gefesselt, und die Lippen zusammengenäht. In seinen Augen war ein Ausdruck der ihn erschreckte. So mussten jemandes Augen aussehen, der gerade von irgendwas innerlich zerrissen wurde.
Auf dem dritten war nur ein Auge in Nahaufnahme zu sehen. Es war blicklos, irgendwie kalt. Als ob der Lebensfunke darin erloschen wäre. Eine Spiegelung von einem schwarzen Nachthimmel war zu erahnen, und etwas das wie Schneeflocken aussah.
"Was bedeutet das?" Er sah die Frau hilfesuchend an. Sie blickte ihn nur traurig an. Langsam verschwanden die Bilder in der Dunkelheit. Er hatte gerade noch Zeit seine Frage zu wiederholen, bevor zuerst die Frau, und dann auch er von der Dunkelheit verschlungen wurden.

Diesmal war es an Ian, auf Sylvia zu warten. Unruhig lag er auf einer Couch, und versuchte die Symbole der Bilder zu entschlüsseln. Irgendwie wollte es ihm nicht gelingen. Stattdessen dachte er plötzlich über Sylvia nach. In Gedanken betrachtete er sie. Sie war schön. Vielmehr war sie schön, und so wie er dieses Wort gebrauchte, bedeutete es so viel mehr. Zweifelsohne war sie attraktiv. Aber was für ihn viel wichtiger war, ihr Bewusstsein war schön. Er konnte nicht in Worte fassen, was ein schönes Bewusstsein ausmachte. Aber man fühlte so etwas. Äußerlich schöne Menschen gab es viele. Innerlich schöne Menschen waren selten. Doch Menschen die beides waren, äußerlich wie innerlich schön, die fand man fast nie. Doch nur die waren es, die er als wirklich schön bezeichnete.
Wären noch andere Menschen hier, sie würden sich schon lange fragen, warum Sylvia und er kein Paar waren. Er wusste warum. Sie liebten sich nicht. Zumindest nicht so wie sich ein Paar liebte. Er lächelte bei diesem Gedanken. Von ihr konnte er sich in den Arm nehmen lassen, ohne irgendwelche Hintergedanken. Und umgekehrt genauso. Ein tröstender Kuss auf die Stirn war genau das. Nicht mehr und nicht weniger. Ian war plötzlich unglaublich froh und dankbar darüber, dass Sylvia und er sich gefunden hatten.
"Worüber denkst du nach?"
Sylvias Stimme weckte ihn aus seinen Gedanken. Ian war sonst ein schreckhafter Mensch. Wenn unerwartete Geräusche oder gar Stimmen plötzlich in seiner Nähe ertönten, zuckte er normalerweise zusammen, spannte sich wie zur Flucht. Nicht so bei ihr. Seltsamerweise war er vor ihr noch nie erschrocken. Manchmal vermutete Ian, dass er schon beinahe instinktiv ihre Nähe spürte. Die Wahrheit war wohl eher das er ein solches Vertrauen zu ihr hatte, das jegliche irrationale Angst keine Chance hatte.
Sylvia saß neben ihm. Sie sah müde aus. Dem Zustand ihrer Zigarette nach zu Urteilen saß sie schon einige Minuten da. "Ich hab über uns nachgedacht." Sie nickte nur.
"Ich glaube ich weis, wo du warst.", sagte sie plötzlich.
"Was meinst du?"
Sylvias Blick schien nun ins Leere zu gehen. "Die Hölle. Ich glaube das ist der Ort wo dein Bewusstsein lebt." Ian sah sie verwundert an. "Deine innere Welt.", fuhr sie mit ruhiger Stimme fort, "Wo deine Seele zuhause ist."
"Es war ein Traum, Sylvia. Nicht mehr."
"Vielleicht war es eine Botschaft?" Ian erinnerte sich an den letzten Traum den er gehabt hatte. Die Frau, und die seltsamen Bilder. Er berichtete ihr davon. Sylvias Kommentar war ein leises "Hmmmm.......", und ihr darauf folgendes Schweigen lies ihn erkennen das sie darüber nachdachte.
Bald darauf konnte Ian an ihren gleichmäßigen Atemzügen erkennen, dass sie schlief. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, nahm er sich eine Zigarette, zündete sie an. Während sie in seinen Armen lag, versuchte er sich zu erinnern, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Er sah auf seine Uhr, und stellte fest dass es kurz nach elf Uhr Abends war. Es mussten um die vierzig Stunden vergangen sein, dass er aufgewacht war. Er hasste diesen Zustand, wenn er ständig wach war, aber nie wirklich. Wenn seine Gedanken es nicht zuließen, das er einschlief. Ian schloss die Augen, und dachte über die Frau aus seinen Träumen nach. Bald schweiften seine Gedanken ab, ohne das er es merkte, bis in ihm nur noch ein Gemisch aus Angst, Verzweiflung und unendlicher Erschöpfung war.
Schlafen konnte er nicht.

"Du hättest mich nicht bewachen müssen." Sylvia's Stimme lies erkennen das ihr der Schlaf wirklich gutgetan hatte. "Ich glaube kaum, dass mich Jemand im Schlaf angefallen hätte" Sie lächelte ihn an.
"Man kann nie wissen" Ian lächelte zurück. In der letzten Stunde hatte sich in ihm ein Gefühl seltsamer Ruhe breitgemacht, und er war guter Hoffnung, dass dieser Zustand anhalten würde. Sylvia sah auf Ian's Uhr.
"Es ist Morgen", stellte sie fest. Ian nickte. "Lass uns sehen, dass wir etwas zu Essen bekommen." Sylvia sah ihn auffordernd an. Er war nicht hungrig. Er hatte noch nicht einmal Appetit, oder gar Lust etwas zu essen. Aber da seine letzte Mahlzeit gut vierundzwanzig Stunden her war, dachte er sich, etwas Essbares würde ihm wahrscheinlich guttun. Oder zumindest würde es nicht schaden. Als sie den Raum verließen, sah Sylvia ihn besorgt an. Ian sah erschöpft aus. Er bewegte sich langsam und bedächtig, so als läge er Wert darauf dass jede noch so kleine Bewegung perfekt war. Doch die Wahrheit war, dass ihn jede Bewegung unglaublich viel Kraft kostete. Sein Körper war erschöpft. Und, was vielleicht noch schlimmer war, sein Geist war es ebenso. Sie fragte sich wie lange er wohl nicht geschlafen hatte. Jedem, der Ian nicht so gut kannte, wäre es vielleicht nicht aufgefallen. Aber sie kannte ihn. Und sie hatte Angst.

Lustlos nahm Ian einen Schluck Tee. Er konnte ihn nicht schmecken. Als ob seine Zunge taub wäre. Wie immer, wenn er in diesem Zustand zwischen Wachen und Schlafen gefangen war. Die Welt um ihn herum wurde zunehmend dämmrig, und unbedeutend, während er in eine innere Welt versank. Eine Welt in der ihn nur Angst und Schmerz erwarteten, in der ihm aber auch alles mehr und mehr gleichgültig wurde.
Warum ist das so?, durchzuckte es ihn plötzlich. Ian suchte nach einer Antwort, und stellte ohne besondere Überraschung fest, dass er keine hatte. Er wusste nicht mehr, warum er sich ständig ausgelaugt und leer fühlte.
"Wo bist du gerade?" Ian blickte auf. Sylvia lächelte ihn an. Ian brauchte einige Sekunden bevor im klar wurde das Sylvia's Worte ihm galten.
"Weit weg.......", antwortete er leise.
"Du solltest schlafen, Ian", sagte sie ernst.
"Du hast Recht." Er versuchte zu lächeln, aber sein Gesicht war wie eingefroren. "Wenn ich nur könnte" Er flüsterte fast, und seine Stimme hatte etwas Sonderbares. Sie klang wie die eines Menschen der um etwas flehte, ohne Hoffnung zu haben, man könnte ihn erhören. Trotzdem stand er auf. "Ich werde mich etwas hinlegen. Ist gleichgültig ob ich hier wach bin, oder in meinem Bett."
Sylvia begleitete ihn wortlos, und legte sich neben ihn. Ian sprach kein Wort mehr, aber sie wusste auch so, das er ihr dankbar war. Dankbar dafür, das sie ihn nicht allein ließ.

Traurig blickte sie ihn an. Er sah aus als ob er schliefe. Doch er tat es nicht, das wusste sie. Vorsichtig, fast als hätte sie Angst ihn zu wecken, ging sie einen Schritt näher an ihn heran. In ihre Trauer mischte sich ein dumpfes Gefühl der Hilflosigkeit. Sie fragte wieder und wieder nach dem Warum. Und fand keine Antwort. Sie erinnerte sich plötzlich an eine Party die sie vor ein paar Monaten gefeiert hatten. Sie hatte nur schnell eine Flasche Wein holen gehen wollen. Und auf dem Weg ins Haus hatte sie ihn im Dunkeln sitzen sehen. Es war ein Zufall gewesen. Irgendjemand streifte ihn kurz mit dem Schein einer Lampe. Ganz ruhig hatte er dagesessen, aber sein Blick war irgendwie seltsam leer gewesen.
Sie hatte es an diesem Abend kaum bemerkt. Aber nun erinnerte sie sich umso deutlicher daran. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, fiel ihr auf das er oft irgendwo allein in der Dunkelheit gesessen hatte. Nie hatte sich jemand ernsthaft Gedanken darüber gemacht.
Mit einem Mal bereute sie, sich nie zu ihm gesetzt zu haben. Ihn nie gefragt zu haben, warum er dort saß. Aber so sind wir Menschen, dachte sie. Was sich hinter der Maske eines Lächelns verbirgt, wollen wir gar nicht wissen. Vielleicht, so fragte sie sich, waren jene Momente, in denen sie ihn einsam im Dunkeln gesehen hatte, die einzigen gewesen, in denen sie etwas von seinem wahren Ich gesehen hatte. Schmerzlich kam ihr zu Bewusstsein das, in all den Jahren in denen sie ihn gekannt hatte, sie ihn nie wirklich kennengelernt hatte. Es hätte sie doch nur etwas Zeit gekostet. Und vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Doch dafür war es nun zu spät.

Ian hätte nicht sagen können, wie lange er schon in seinem Bett gelegen hatte. Waren es Minuten oder Stunden? Tage? Nicht das es in diesem Moment wirklich eine Rolle gespielt hätte. Aber manchmal, wenn er so auf seinem Bett lag, in diesem fensterlosen Raum, wo nicht einmal Tag oder Nacht eine Rolle spielten, hatte er Angst ewig so daliegen zu müssen. Ohne es zu merken. Er hatte nur seine Uhr. Doch er konnte nicht genug Willenskraft aufbringen, um seinen Arm zu drehen, sodaß er die Ziffern darauf ablesen konnte. Und selbst wenn, war er nicht sicher ob seine Muskeln noch die Kraft gehabt hätten, seinem Willen auch nachzukommen. Vielleicht zum tausendsten Male wunderte er sich, wie seltsam dieser Zustand doch war. Dämmrige Agonie, die endlos zu dauern schien, und in der die Worte Verzweiflung und Angst eine gänzlich neue Bedeutung bekamen. Und immer dann wenn er schon meinte seinen Verstand endgültig und unwiderruflich zu verlieren bekam er einen Moment der Ruhe geschenkt. Einen Augenblick, in dem er von wohligem Nichts durchflutet wurde, oder über irgendetwas nachdachte. So wie jetzt. Es war, so dachte er ironisch, als ob der Folterknecht eine Kaffeepause machte. Manchmal hatte er etwas Angst, dass der nächste solche Moment irgendwann einfach nicht kommen würde. Gleichzeitig aber wollte er das. Er wollte für immer in diese dämmrige Hölle gehen. Dann war es wenigstens endlich entschieden. Endlich vorbei.
"Ian. Wach auf, Ian!" Dumpf drang plötzlich eine Stimme an sein Ohr. Doch er verstand den Sinn der Worte nicht. "Ich will dich nicht verlieren, mein Freund. Nicht jetzt, und nicht so!" Es klang vertraut, und fast schon flehend. Ian fühlte eine Berührung, ohne jedoch sagen zu können, was in da Berührte. Oder wo. Dennoch holte ihn diese Berührung ein Stück in die Wirklichkeit zurück. Langsam kehrte wieder etwas Gefühl in seine Glieder zurück. Nach ein paar Sekunden - oder einer halben Ewigkeit? - hatte er sogar wieder genug Kraft um den sanften Druck zu erwidern, den Sylvias Hand auf die seine ausübte. Er konnte den Strom der Energie, die sie ihm zu geben schien, schon fast körperlich fühlen.
Vorsichtig bewegte er einen Finger nach dem Anderen, einen Fuß, dann beide. Schließlich setzte er sich auf.
"Wie spät ist es?" Sylvia sah besorgt aus, dennoch lächelte sie.
"Ich hatte Angst es wäre zu spät. Komm mit, mein Freund. Wir müssen reden."
Ian fühlte sich....... seltsam. Er wusste, dass er eigentlich völlig erschöpft sein müsste. Er konnte den Weg von seinem Bett zur Couch gar nicht geschafft haben. Eigentlich dürfte er noch nicht einmal mehr die Kraft haben, seine Tasse Tee auch nur zu halten. Und dennoch. Er saß hier. Und mit jeder Minute fühlte er sich kräftiger. "Was bedeutet die Rose?" Sylvia sah ihn forschend an. Ian deutete ein Achselzucken an. "Ich weis....." Sylvia unterbrach ihn. "Bedeutet sie vielleicht gar nichts?"
"Rosen bedeuten immer etwas.", erwiderte er ärgerlich. "Sie waren schon immer ein Symbol der Liebe. Wer eine Rose schenkt, schenkt damit zumindest Zuneigung. Warum schenken so viele Menschen Rosen, wenn sie jemanden lieben, aber nicht fähig sind es zu sagen? Die Rosen sagen an ihrer statt 'Ich liebe dich'." Ian stutzte.
Wieder war da dieses Gefühl, das er sich sein Wissen nicht ins Bewusstsein rufen konnte.
Nein. Es war anders. Dieses Mal wollte er sich nicht erinnern. Er wünschte sich, Sylvia möge aufhören ihn Dinge zu fragen, die er selbst nicht wissen wollte. Doch sein Wunsch blieb unerfüllt.
" 'Kiss from a rose on the grey'. Was sagt dir das. Denk nach, Ian."
Doch er wusste es schon, noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte. Es war eine Zeile aus einem Lied. Er erinnerte sich genau an jedes einzelne Wort, jeden Ton. An das Gefühl das er gehabt hatte, wenn er es hörte. An ihr Gesicht, dieses wunderbare Lächeln, das er immer dann gesehen hatte. Und dann sah er sie plötzlich vor sich, so deutlich und klar als wäre sie hier. Sie sah ihn traurig an. Plötzlich machte alles Sinn. Die Rose, die seine Liebe zu ihr Symbolisierte. Er selbst, gefesselt und gequält, da er ihr nicht sagen konnte, das er sie Liebte. Aus Angst, und weil er die Hoffnung verloren hatte, sie könnte in ihm vielleicht doch mehr sehen, als einen Freund. Und dann sein eigener Tod. Einsam, in der Nacht war er erfroren. So wie er es sich immer gewünscht hatte. "Ich bin Tod"
"Warum habe ich das nicht früher gemerkt? Dieser Ort. Drei Räume. Keine Fenster, keine Türen, nichts. Nur wir beide. Ich hätte es wissen müssen." Sylvia sah ihn traurig an. "Wer bist du? Ich kannte nie eine Sylvia. Dich habe ich erst hier getroffen. Bist du....... so eine Art...... Schutzengel?"
"Wenn du das sagst, Ian" Er konnte ihren Gesichtausdruck nicht deuten.
"Warum habe ich sie getötet?", fragte er plötzlich. "Und war es wirklich ein Traum?"
"Es war kein Traum, es war eine Botschaft. Vielleicht eine Erinnerung, in einer Form, die du akzeptieren würdest. Und....hast du wirklich Elle getötet?" Ian sah sie durchdringend an. "Oder war auch sie ein Symbol?"
Er wusste es, er wusste ganz genau was er getan hatte. Doch er wollte sich nicht erinnern. Ian wünschte sich, dass Sylvia aussprechen würde, was er nicht zu denken wagte. Nach ein paar Minuten des Schweigens seufzte Sylvia tief, und erfüllte seinen Wunsch.
"Sie hat deine Liebe zu ihr Symbolisiert. Das einzig schöne und gute, was in deiner Hölle noch existierte. Der hauch einer Rose in dem Grau das dein Leben war. Doch auch das Schmerzvollste. Denn als du die Hoffnung verlorst, dass sie jemals jemanden wie dich lieben könnte, hast du diese Liebe unterdrückt. Ignoriert. Bis schließlich auch dieses Gefühl starb. Und in gewisser Weise war das auch dein Untergang. Es war das letzte Gefühl das du noch hattest, weißt du? Auch wenn es seltsam klingt, aber das du nun schon wieder Angst und Verzweiflung, sogar Schmerz empfinden kannst ist ein Fortschritt. Es ist gut. Ian, es ist noch nicht zu spät!"
Ian fühlte sich besser. Er war noch weit davon entfernt wirklich zu akzeptieren was geschehen war, doch nun hatte es wenigstens jemand ausgesprochen. Er erinnerte sich auch wieder an jene Nacht an dem kleinen See im Wald. Schnee hatte leise die Landschaft bedeckt, doch der Himmel war Sternenklar gewesen. Er hatte sich einfach hingelegt, ans Seeufer. Der Kältetod war ein Angenehmer. Kälte betäubte den Körper ebenso wie den Geist. Und diese Nacht war wahrlich bitterkalt gewesen. Doch ans Sterben selbst hatte er keine Erinnerung mehr. Das einzige was er wusste war, das seine letzten Gedanken Elle gegolten hatten
In ihm kam der Wunsch hoch, sie wiederzusehen.
Plötzlich, wie aus dem Nichts, entstand an der gegenüberliegenden Wand eine Tür. Ian hatte mit einem Mal Angst.
"Was ist hinter dieser Tür?" In Ian's Stimme war fast schon ein Ausdruck von Panik.
Sylvia sah plötzlich sehr erleichtert aus.
"Du musst nur hindurchgehen, dann siehst du es selbst.", sagte sie, und ihre Stimme hatte etwas Aufforderndes.
"Habe ich diese Türe geschaffen?"
"Nein. Sie war schon immer da. Du hast dir nur nie gestattet, sie wahrzunehmen."
Er sah sich die Tür genau an, und mit jeder Sekunde wuchs seine Angst davor, sie zu öffnen. Schließlich stand er mit einem Ruck auf.
"Ich werde zuerst etwas schlafen. Morgen, wenn ich ausgeruht bin, sehen wir weiter." Er lächelte Sylvia an, und ging.
Sie blickte ihm noch lange nach. "Ich wäre schon erleichtert, “, flüsterte sie zu sich selbst, "wenn du die Tür morgen noch sehen könntest."

Langsam wandte Elle sich um. Es war Zeit, zu gehen. Noch einmal blickte sie Ian an. Er lag noch genauso da wie vorher. Wie schon letzte Woche. Und die Woche davor. Eine einzelne Träne floss ihr die Wange herab. Dann ging sie durch die Tür.
Auf dem Gang waren ein paar Schwestern, die mit einer Ärztin sprachen. Sie beachteten sie nicht. Und auch Elle beachtete sie nicht mehr. Seit Ian in der Klinik lag war sie jede Woche gekommen. Und nie hatten die Ärzte ihr etwas Neues sagen können. Von dem Tag als sie ihn im Wald gefunden hatten hatte sich sein Zustand nicht verändert.
Physischen Schaden hatte die Kälte verhindert, hatten sie gesagt, aber was mit seinem Geist war, warum er nicht aufwachen konnte -oder wollte- das wusste hier auch niemand. Sie besuchte ihn trotzdem. Man hatte ihr zwar mitgeteilt, dass er in seinem Zustand weder seine Umwelt wahrnahm, noch darauf reagierte, aber es war ihr egal. Sie glaubte fest daran, dass er zumindest ihre Nähe spürte.
Und irgendwann würde er aufwachen.
Und dann würde sie da sein.

 

Hallo GrimReaper,

zunächst herzlich willkommen auf kurzgeschichten.de :thumbsup:

Erst einmal der Reihe nach ein paar Fehler, die mir beim Lesen aufgefallen sind:

- Deine Komma-Taste klemmt wohl ;) (gleich im ersten Satz fehlt eines hinter "so"), und mit dem dass mit ss stehst Du auch auf Kriegsfuß (", dass dies die Hölle war"). Es gibt noch mehr absolut vermeidbare Fehler, meist mit s/ss/ß (er ließ, er weiß!) oder Groß/Kleinschreibung: "Ich bin Tod" nee, "ich bin tot" bitteschön! Gemeinerweise merkt das keine Rechtschreibkorrektur, das musst Du selbst können... "doch der Himmel war Sternenklar gewesen." Sternenklar ist ein Adjektiv, das schreib man klein.

- Beschreib die Dinge, insbesondere ungewöhnliche. Schreib nicht nur, dass sie seltsam sind, sondern was daran seltsam ist: "etwas, das man als eine Art Messer bezeichnen konnte. " Wie sieht das Ding aus? Beschreib es. Wenn Du es gut machst, wird der Leser selbst merken, dass es seltsam ist.

- Versuche, Abstand zu gewinnen, bevor Du Deinen Text nochmal durchliest. Dann streiche alle überflüssigen Wörter. Beispiel: "Wer bist du?", fragte er wie automatisch. Warum automatisch? Warum wie?

Nun zur inhaltlichen Kritik. Du baust die Geschichte langsam auf, und Du kommst zu einem stimmigen Ende. Im Grunde passt alles zusammen, und doch war ich (muss ich ehrlich sagen) etwas gelangweilt. Mein Gefühl ist, dass Du zu ausführlich bist, viele Dinge schreibst, mit denen man nichts anzufangen weiß. Da sind verschiedene Orte, zuerst die Hölle, die Rosen, dann Schlafentzug, dann eine Tür... Du fährst eine ganze Reihe relativ abstrakter Konstruktionen auf, die sich alle als Traumgebilde erweisen. Es ist zuviel, es ist zu langatmig. Man weiß nicht, worauf Du hinaus willst, es gibt keinen roten Faden, es geht nicht vorwärts. Ich kann Dir leider auch nicht sagen, wie Du das einfach verbessern kannst. Vermutlich liegt es an der Erzählstruktur. Vielleicht würde es helfen, wenn ein bestimmtes Motiv immer wieder auftauchen würde, vom Anfang bis zum Ende, und wenn die Zwischenspiele kompakter wären. Denn im Grunde ist die Idee ja interessant, aber unter dem Strich bleibt bei mir ein "ja und?", obwohl ich das Ende positiv auffasse und daher nicht unzufrieden damit bin. Naja, mal sehen, was die anderen sagen.

Fazit: Sprachlich brauchbar, aber sehr viele Rechtschreibfehler, inhaltlich gute Idee aber ohne Linie.

Uwe

 

Grüsse

Danke für das Willkommen, und natürlich Dank auch für die Kritik.

-
Zu dem Problem mit den Rechtschreibfehlern: Ich weiß das ich mit Rechtschreibung auf dem Kriegsfuß stehe. Tut mir leid, und geht mir selbst am Keks, aber nur kan Stress: Ich arbeite dran.

-
Das Messer hab ich in dem Fall absichtlich nicht beschrieben, da ich wollte das dem Leser von selbst ein Bild davon entsteht. Ich finde, wenn man einige (nicht zuviele natürlich!) solche Dinge einbaut ist das nicht unbedingt schlecht. Ich mag es weder wenn in einer Geschichte mir alles vorgegeben wird, noch wenn ich das selbst tue.
Aber im Grunde hast du Recht, ich werd mal sehen ob ich da Nachholbedarf hab.

-
Das hab ich mir schon gedacht das dabei leute den 'roten Faden' vermissen werden.
Und naja, im Grunde passiert ja auch nicht wirklich viel. War auch nicht so geplant.
Du hast Recht damit das ich eine Reihe abstrakter Konstruktionen aufbaue, aber alles zusammen ergibt ein einziges Großes Konstrukt, und wenn man erstmal zu Ende gelesen hat ergibt alles einen Sinn, wenn auch manchmal recht versteckt. Ich wollte den Leser dazu animieren über die Dinge nachzudenken die nicht erklärt werden.
Natürlich hab ich es da einfach, denn ich kenne ja sämtliche Hintergründe, also kann ich nicht sagen, ob ich zuviel oder zuwenig Informationen hergegeben habe, damit dem Leser das überhaupt gelingen kann (bzw. das nicht alles so klar ist das sich nachdenken nicht auszahlt)

Worum es mir aber hauptsächlich gegangen ist als ich es schrieb, sind die Sprache selbst, und die Charaktere.

Was ich mich also Frage:

-
Habe ich Fehler bei Formulierungen usw. gemacht, also "klingt" das ganze gut? Was kann ich da verbessern?

-
Sind die Charaktere glaubwürdig und Stimmig? Was kann ich da besser machen?

-
Wie sehen die Charaktere bei euch aus, wenn ihr sie euch vorstellt? Ich habe es ganz bewusst vermieden sie zu beschreiben.

 

Hallo GrimReaper!

Insgesamt finde ich die Geschichte nicht schlecht, sprachlich habe ich, von den bereits erwähnten Fehlern, auch nichts auszusetzen.

Inhaltlich sehe ich eine Aneinanderreihung phantastischer Konstruktionen, deren Sinn sich mir nicht wirklich erschließt. Die einzige Aufklärung, die ich bekomme, ist, dass sich alles im Kopf eines Komapatienten abspielt.

Der Prot selbst bleibt gestalt- und gesichtslos, Elle ist nur ein Schemen, aber sehr viel deutlicher wird auch Sylvia nicht für mich.

Was für Hintergründe haben diese Menschen? Was bindet sie aneinander?
Elle besucht Ian im Kankenhaus, aber wo ist Sylvia?
Ich denke, da bleibt einfach zu vieles unklar, als dass ich diese Geschichte wirklich als gelungen bezeichnen könnte.
Das sprachliche Talent wäre durchaus vorhanden, es scheitert meiner Meinung nach am Inhalt.

Aragorn

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom