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Delirium

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09.09.2002
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Delirium

Ich setzte die Flasche ab. Ich sollte meinen Platz verlassen, jetzt, wo die Feuchtigkeit langsam an einem hoch kroch. In meinem Kopf kroch ebenfalls der Nebel empor. Langsam noch, aber bald wäre es mir egal wo ich schliefe, ob hier unter der Brücke oder dort, wo es trocken auch während der Nacht bliebe.

Es fiel mir nicht leicht, diesen Platz zu verlassen, der mir schon zwei Tage und Nächte eine Heimat war. Es sollte kälter werden. Meine Trinkgenossen ließen mich schon gestern allein, aber sie hatten auch kein Flüssigbrot mehr.

Ich erhob mich, kletterte die Stufen hinauf und sortierte oben auf der Bank meine Habe in den Rucksack. Es war nicht viel. Die Mütze saß auf meinem Kopf, die Flasche blieb sowieso in meiner Hand und im Rucksack war noch etwas Brot. Nun kam noch der Schlafsack hinein. Den Karton ließ ich unter der Brücke. Vielleicht konnte ihn noch ein anderer armer Pennbruder gebrauchen.

Noch einen kräftiger Schluck aus der Flasche und dann ab in Richtung Gärten.

Die Kleingartenanlage war leider schon viel zu gut abgesichert. Dicke, feste Zäune umgaben sie. Da war von vorne kein Zugang möglich. Meine Schritte waren schon leicht unsicher. Ob ich es noch bis dort schaffen würde, war nicht sicher. Ich stolperte über die Bahnschienen, die vom Güterbahnhof herkamen.

Das wär’s! Der Güterbahnhof, ein Güterwaggon! Ich änderte meine Richtung. Es wäre weniger anstrengend in einen Waggon zu steigen und ich suchte immer den Weg des geringsten Widerstandes. Donnerwetter! Meine Füße hielten wie von allein direkt vor einem Waggon, den zu öffnen nur ein kleines Problem war.

Es roch etwas eigenartig darin und es gab keinerlei Lichteinfall, aber das war schon OK. so. Ich tastete mich vorwärts, nachdem ich die Türe sorgfältig zugezogen hatte, stolperte über irgendetwas und suchte die wärmste Ecke, packte meinen Schlafsack aus, nahm noch einen kräftigen Schluck aus der Flasche, aß mein Brot dabei und schloss die Augen, um zu schlafen.

Irgendwann in der Nacht weckte mich ein knallendes Geräusch auf. Es gab einen Ruck und ich hatte das Gefühl, dass unter mir der Boden schwankte. Bevor ich mich recht erinnern konnte wo ich mich befand, lullte mich das monotone gleichmäßige Rattern von fahrenden Rädern wieder ein. Dieses Geräusch gab mir ein Gefühl der Geborgenheit und ich schlief tief und fest und wachte erst auf, als durch die Ritzen des Waggons schon die Sonne schien.

Ich zwinkerte und erkannte plötzlich meine Umgebung. Hohe Kisten füllten den ganzen Laderaum des Waggons aus. Wie war das möglich? Wie waren die Kisten so unbemerkt hereingekommen? Der Waggon war wohl an die Lok angehängt worden und der Zug fuhr mit hoher Geschwindigkeit über die Schienen.

Ich stellte mich auf die Beine und reckte mich. Dann begann ich mich für die Kisten zu interessieren. Mit meinem Taschenmesser öffnete ich seitlich einen Verschluss. Unter der Verpackung aus Holz befand sich noch eine aus Pappe. Nachdem ich auch diese eingeritzt hatte, traute ich meinen Augen nicht. Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Das Paradies!
Ich befand mich im Paradies. Ein Paradies ganz für mich allein. Es war herrlich! Der ganze Waggon voller Flaschen und ich mittendrin! Ich nahm mir vor, den ersten Schluck des Tages aus eine von diesen Flaschen zu trinken.

Ich arbeitete wie wild, denn es war nicht einfach eine Flasche aus diesen bis unter die Decke gestapelten Kisten herauszubekommen. Schließlich hatte ich keine Leiter und von der Seite kam man schwerlich an die Flaschen heran.

Endlich gelang es mir dann doch. Mir zitterten schon die Hände. Es war nach wie vor zu dunkel, um die Etiketten auf den Flaschen lesen zu können, aber ich war so glücklich, wie schon lange nicht mehr in meinem Leben.

Nachdem ich die erste Flasche in der Hand hielt, sie geöffnet und einen kräftigen Schluck genommen hatte, war ich nicht mehr allein im Waggon. Es luden sich sämtliche Mitbewohner zum Trinken ein, so als hätten sie nur darauf gewartet, dass ihnen einer die Kisten öffnet.

Eigentlich wollte ich nichts von den Getränken abgeben, deswegen gab ich den Ratten das restliche Brot. Mir schmeckte der Wein oder was immer es auch war; ich hatte so etwas noch nie getrunken. Es roch wohl etwas eigenartig, aber ich fühlte mich davon ausgezeichnet und wir schwebten davon durch den Raum.

Die hübschen Mädchen nahmen mich in den Arm, küssten mich und was ich schon lange nicht mehr kannte, sie streichelten mich und kuschelten sich an mich. Es störte sie nicht, dass ich mich schon eine Ewigkeit nicht mehr rasiert hatte, geschweige denn gebadet oder geduscht.

Am Boden lagen dunkle Gestalten, die unflätige Lieder sangen. Wie konnten diese Schönheiten es nur mit denen aushalten?

Die weiblichen Wesen redeten nicht, ihre Sprache waren Streicheleinheiten. Sie tranken auch nicht. Es war wunderschön bei ihnen. Die Fahrt hätte noch ewig so weitergehen können, aber leider hielt plötzlich der Zug und die Waggontüre wurde aufgerissen. Ich schaute mich nach meinen Reisebegleitern um, doch sie waren fort.

Es öffnete sich das Verdeck und hereingelassen wurde ein Kran. Zwei Arbeiter erschienen, um die Gurte des Krans unter die Paletten zu befestigen und die Getränke mit dessen Hilfe hinauszubefördern.

Ich rief nach meinen Schönheiten, aber sie schienen verschwunden, wollte noch ein paar Flaschen sichern, aber es war zu spät. Die geöffnete Kiste schwebte schon unerreichbar über mir.

Es war nach langer Zeit das erstemal, dass ich nicht zuerst an die Flasche dachte. Ich überlegte, was zu tun sei. Würde ich den Waggon verlassen, würde ich diese liebevollen Geschöpfe sicher nicht wiedersehen. Ich hätte sie so gern noch einmal in den Arm genommen.

Die Arbeiter hatten den Waggon verlassen, um draußen eine Zigarette zu rauchen. Das Tor stand noch auf und ich konnte jetzt alles genau überschauen. Ich suchte nach den Mädchen, rief Sie „Engel“, doch es war keine Spur, auch nicht die geringste von ihnen zu sehen. Auch nicht von den unflätigen Männern.

Dann fand ich plötzlich eine Flasche und las das Etikett auf ihr : G I F T . Ich bekam einen Riesenschrecken. War ich vielleicht schon tot? Wie konnte ich das herausfinden? Die Arbeiter! Warum hatten sie mich nicht längst entdeckt?


Ich schlug die Augen auf und erwachte. Ich lag in einem Bett, wie schon lange nicht mehr. Eine Schwester kam herein und lächelte mich an. Ich fragte sie, ob sie ein Engel sei, sie schien mich nicht zu verstehen. Redete sie vielleicht auch nicht? Ich musste das herausfinden!

Ich wollte das Bett verlassen, doch sie drückte mich in die Kissen zurück. Nein! Das war kein Engel! Ich war auf der Erde, das war mir jetzt klar! Sie lief aus dem Raum, um sofort mit einem Arzt wiederzukommen. Er sprach französisch, was ich aber leider nicht verstand. Ich machte den Mund auf und fragte: „Wo bin ich?“

Er erklärte mir in deutscher Sprache, dass ich in Marseille sei und fast an einer Vergiftung gestorben wäre. Ich hätte wohl einen guten Schutzengel gehabt. Er wollte noch wissen, was ich getrunken hätte, aber das konnte ich ihm auch nicht sagen.

 

Hi Jule,

einer der ersten Beiträge der reingestellt wurde und einer der letzten, der einen Kommentar bekommt. Ich glaube auch den Grund dafür zu erkennen: Deine Geschichte ist zu langatmig und zu realistisch, sprich: nicht surreal.

Die Gelegenheit dem Leser surreale Elemente bewußt zu machen, läßt du verstreichen, indem du schnell darüber hinweg gehst (die weiblichen Wesen, die dunklen Gestalten). Dann läßt du das Ganze als Traumerlebnis enden und zerstörst dadurch den letzten Hauch Surrealismus, wenn er denn überhaupt entstanden war. Es ist sicher richtig, dass der Surrealismus das Traumhafte in den Vordergrund stellt, nicht aber den Traum selbst. Das hast du wohl verwechselt.
Wenn du alles als Traum darstellst nimmst du allem das Surreale, denn das Surreale ist im Traum "normal". Rate dir, die Geschichte so zu umzuschreiben, dass unlogische Dinge, die du geschehen läßt nichts mit einem Traum zu tun haben. Stell die Unlogik als selbstverständlich dar, und Selbstverständliches braucht nicht erklärt werden.
Wäre schön, wenn dann noch irgendwo eine Aussage stecken würde. :D

Gruß vom querkopp

 

Hallo querkopp
danke fürs lesen,
es ist eine ältere Geschichte von mir, doch ich hatte sie nicht überarbeitet. Will sehn, was ich in deinem Sinne ändern kann-
liebe Grüße
Jule

 

Hallo Jule!

Fast hätte ich Deine Geschichte surreal lesen können - das heißt, ich hab es bis zum Ende im Krankenhaus. Da paßt es dann nicht mehr.

Ich denke, Dein Protagonist erlebt den Mittelteil der Geschichte nur im Rausch. Sein Unterbewußtsein zeigt ihm, daß er sich auf dem falschen Weg befindet, er in diesem Zug nichts verloren hat und Alkohol Gift ist, er seine Träume, die Liebe betreffend nie erfüllen wird können.
Tatsächlich aber war er nur etwas stark betrunken und fast an Alkoholvergiftung gestorben. Und das kommt nicht raus, am Schluß, da glaubt man, daß er tatsächlich Gift getrunken hat.

Vielleicht interpretiere ich das aber auch nur hinein und Du meintest es so, wie es oberflächlich gelesen da steht - dann wäre meine Interpretation vielleicht ein Ansatz, sie mit wenigen Änderungen doch noch surreal zu machen...

Alles liebe
Susi

 

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