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Delirium
Draußen wurde es langsam hell. Durch die nicht ganz geschlossenen Rollläden und das gekippte Fenster drang Dämmerlicht und Vogelzwitschern. Das Flackern des Fernsehers warf diffuse Schatten an die Wand.
Langsam drehte er den Kopf in Richtung Nachttisch, sah auf die Uhr : fünf Uhr achtzehn.
Zweiundvierzig Minuten bis der Wecker klingeln würde. Aber jetzt war er wach.
Seine Freundin schlief noch. Vorsichtig griff er nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Abrupt verstummte das monotone Hintergrundgeräusch. Was über den Bildschirm geflimmert war, hatte er nicht registriert.
"Was machst du da?", grummelte es.
"Hab den Fernseher ausgemacht."
Aber sie war schon wieder eingeschlafen und atmete mit halb geöffnetem Mund in ihr Kissen.
Mühsam schälte er sich von seiner Seite des Doppelbettes herunter und tappte auf Zehenspitzen Richtung Tür. Das Parkett war kalt an seinen nackten Füßen. Unwillkürlich erschauerte er und es knarzte.
Schnell schaute er zum Bett, aber sie schlief weiter. Leise setzte er seinen Weg zum Badezimmer fort, die Schlafzimmertür vorsichtig hinter sich ins Schloss ziehend.
"Vierzig Minuten noch", dachte er, als er sich auf dem Klo erleichterte. Die kalte Brille sandte ihm einen Schauer über den Rücken.
Er war in diesem seltsamen Zustand zwischen wach und schläfrig. Auf der einen Seite nicht mehr in der Lage einzuschlafen, aber andererseits zu schlaftrunken, um in die Gänge zu kommen.
Er war fertig, stand auf und betätigte die Spülung. Das Geräusch des Wassers in der Toilettenschüssel übertönte das Vogelkonzert. Schnell waren die Hände gewaschen.
"Wäre ich doch abends einmal so müde, wie ich es morgens bin", ging es ihm durch den Kopf.
Immer noch bemüht, leise zu sein, ging er in die Küche und schloss die Tür hinter sich.
Neben dem Waschbecken stand noch das Geschirr vom Vortag, da keiner mehr Lust gehabt hatte, die Spülmaschine auszuräumen.
Seufzend nahm er Filter, Kaffeepulver und schlurfte mit dem blauen Wasserfilter zur Kaffeemaschine. Klack, die Maschine begann aufzuheizen und das charakteristische Brodeln begann, wurde lauter.
Dann die Rollladen an der Balkontür hochziehen, Aschenbecher hereinholen, Zigarette anzünden und warten, dass der Kaffee durchläuft. Jeden Morgen eben dieses Ritual.
Während er die ersten Züge nahm, tief inhalierte und den Rauch langsam über den mit einem weißen Tuch bedeckten Küchentisch ausatmete, kam wieder dieses Gefühl einer traurigen Hilflosigkeit in ihm hoch.
Er wollte nicht auf die Arbeit fahren, lächeln, obwohl er lieber kotzen würde und sich wieder aufs Neue der Schikane des Chefs aussetzen.
Die Zigarette war noch nicht ganz fertig geraucht, da hörte er, wie seine Freundin ebenfalls ins Badezimmer ging.
Ein letzter Zug, Tassen aus dem Schrank und Milch aus dem Kühlschrank holen, Kaffee eingießen und warten:
"Morgen", klang es verschlafen von der Küchentür.
"Morgen", brummte er zurück.
Schweigend saßen sie da und rauchten gemeinsam, tranken immer wieder vom Kaffee.
Das Radio blieb aus, eine klebrige Stille lastete auf dem Raum.
"Ich gehe mich mal waschen"
Aufstehen, kurzer, flüchtiger Kuss, dann stand er im Bad, betrachtete sich im Spiegel.
Müde Augen sahen ihn ausdruckslos an.
Seufzend drehte er das Wasser auf, wartete auf die richtige Temperatur. Nach dem Haarewaschen noch die Zähne putzen.
Währenddessen waren die Brote geschmiert und der Kaffee in Thermoskannen abgefüllt. Sie tauschten die Plätze.
In der Küche eine schnelle, dritte Zigarette, die letzten Schlucke bereits kalten Kaffees aus der Tasse.
Im Schlafzimmer zog er sich an: Unterhose, Unterhemd, Hemd, Anzughose, Gürtel, Krawatte, Sakko. Immer in dieser Reihenfolge.
Als er in den Flur trat, kam seine Freundin bereits fertig aus dem Bad.
"Sollen wir los?", fragte sie.
Er antwortete mit einem müden Nicken und griff nach seiner Tasche.
"Wir können ja im Auto rauchen." Keine Antwort.
Erst als sie im Auto saßen und bereits losgefahren waren:
"Ich habe keine Lust."
"Ich weiß."
Morgen würde es genauso sein.