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Deinetwegen fühlen
Deinetwegen fühlen
Trotz allem muss ich Dir dankbar sein. Denke ich. Es mag seltsam klingen. Nach diesen Stunden. Nach dem, was Du getan hast. Du immer tust. Und Du weißt, dass es so ist. Du glaubst jetzt, dass ich Dich hasse. Hoffst vielleicht, dass ich Dich nur verachte. Aber verstehen kannst Du nicht, dass ich Dir dankbar bin. Ich habe es selbst kaum verstanden. Habe Jahre gebraucht.
Aber heute weiß ich, warum Du es bist, dem ich dankbar bin. Die blauen Flecken werden heilen. Bevor wir uns wiedersehen, werde ich wieder makellos sein. Die Striemen werden in ein paar Stunden nachlassen und dann wird man nichts mehr sehen. Du wirst mich nicht mehr ansehen, wenn Du gleich das Zimmer verlässt. Wirst die Tür hinter Dir schließen. Wirst gehen, dies Mal wie jedes Mal. Und wenn Du wiederkommst, dann werde ich Deine Süße sein. Die, nach der Du schon so lange gesucht hast.
Du wirst mich in ein teures Kleid stecken. Eines, das Du auf mein Bett wirfst, wenn Du reinkommst Und Du wirst erwarten, dass ich es trage, dass ich strahle und an Deiner Seite im Rampenlicht stehe.
Das ist der Moment, in dem Du verstehst, in dem Du erwartest, dass ich Dich bewundere, dass ich Dir dankbar bin. Dass ich bei Dir sein will. Dann bist Du es, zu dem man aufsieht. Zu dem sie alle aufsehen. Und ich bin es, der sie es neiden, neben Dir zu stehen und zu strahlen.
In diesen Momenten fühle ich mich, als könnte die Welt in Scherben brechen, und nichts würde sich ändern. Ich fühle den fremden Stoff des Kleides auf meiner Haut und frage mich, warum ich ihn trage. Ich fühle das Licht, auf uns gerichtet, damit alle uns sehen. Und ich frage mich, wann sie mich erkennen werden. Unter dem fremden Kleid. Wann sie sehen, wer ich bin. Wann sie beginnen, zu erkennen und ich beginne, zu zerfließen. In Deinen Kleidern fühle ich mich nackt. Aber Du bringst sie und ich trage sie. Du willst, dass ich neben Dir glücklich bin und ich trage auch das.
Mein Leben ist so. Nie anders gewesen. Papas kleines Mädchen. Immer im Rampenlicht. Niemals sie selbst. Von allen beneidet, nackt da oben. Und jetzt bist es eben Du, der mich neben sich will, und ich fühle mich zuhause, auf eine Art, die mich zweifeln lässt. An mir und meinem Leben. Aber ich fühle und darauf kommt es an.
Ich lasse mich von den Scheinwerfern blenden, greife nach einem Drink. Sie haben reichlich davon. Immer. Leute wie Du und Leute wie ich trinken. Aus ihren eigenen Gründen. Jeder für sich an diesen Abenden.
In diesem Leben denkst Du, dass ich Dich bewundere. Denkst Du, dass ich zu Dir aufsehe. Weil ich Dir nicht sage, dass ich dich ansehe, um mich selbst nicht zu sehen. So wie schon immer. Papas kleines Mädchen. In einer neuen Rolle, in einem neuen Leben. In Deinem. Dem Leben, das ich verachte.
Dann, wenn wir nach Hause gehen, immer zu mir, obwohl es klein ist, viel zu klein, dann bist Du ein anderer Mensch. Kannst gehen, danach und brauchst mich nicht mehr anzusehen. Dann lege ich das Kleid ab und Du legst Dein Ich ab, das von den Scheinwerfern müde ist. Dann sehe ich jeden Drink in Deinen Augen. In den Augen eines alten Mannes, mit nicht mal vierzig Jahren.
Ich will nichts, als mich unter der Decke verkriechen. Will unsichtbar bis morgen warten. Im Dunkeln. Aber ich weiß auch, was Du erwartest. Und ich weiß, dass auch ich es erwarte. Denn es ist unvermeidlich. Du wirst sein wie immer. Es wird sein wie immer. Erst beginnt es, wie es sein soll. Dann verlierst Du die Geduld. Mit dem Leben. Mit der Müdigkeit. Mit Dir selbst.
Aber trotz allem bin ich Dir dankbar. Ich muss Dir dankbar sein. Denn in diesen Momenten kenne ich mich. Dann, allein dann, fühle ich etwas. Den Schmerz. Mit jedem Striemen ein wenig mehr. Ich spüre den Körper, der eben noch nackt im Licht stand, nicht ich war. Spüre, dass er zu mir gehört. Deshalb bin ich Dir dankbar.
Ich weiß, dass Du es nicht so meinst, dass Du es bereust. Hinterher. Und ich kann Dir nicht sagen, dass ich es nicht nur stumm ertrage, sondern es sogar fühle. Denn weder kennst Du mich, noch könnest Du verstehen, was in mir vorgeht. Denn ich selbst habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass ich nur mit Dir wieder leben kann. Nicht mehr stumpf, sondern lebend. Auf meine Weise. Ich zahle den Preis. Bin Deine Süße, trage die Kleider und ertrage die Nacht. Denn trotz allem bin ich Dir dankbar. Du weißt es nicht, aber zum ersten Mal seit all den Jahren ist jemand mir nahe. Kann ich mich fühlen. In Deiner Nähe.