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Deinetwegen fühlen

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08.11.2001
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Deinetwegen fühlen

Deinetwegen fühlen

Trotz allem muss ich Dir dankbar sein. Denke ich. Es mag seltsam klingen. Nach diesen Stunden. Nach dem, was Du getan hast. Du immer tust. Und Du weißt, dass es so ist. Du glaubst jetzt, dass ich Dich hasse. Hoffst vielleicht, dass ich Dich nur verachte. Aber verstehen kannst Du nicht, dass ich Dir dankbar bin. Ich habe es selbst kaum verstanden. Habe Jahre gebraucht.
Aber heute weiß ich, warum Du es bist, dem ich dankbar bin. Die blauen Flecken werden heilen. Bevor wir uns wiedersehen, werde ich wieder makellos sein. Die Striemen werden in ein paar Stunden nachlassen und dann wird man nichts mehr sehen. Du wirst mich nicht mehr ansehen, wenn Du gleich das Zimmer verlässt. Wirst die Tür hinter Dir schließen. Wirst gehen, dies Mal wie jedes Mal. Und wenn Du wiederkommst, dann werde ich Deine Süße sein. Die, nach der Du schon so lange gesucht hast.
Du wirst mich in ein teures Kleid stecken. Eines, das Du auf mein Bett wirfst, wenn Du reinkommst Und Du wirst erwarten, dass ich es trage, dass ich strahle und an Deiner Seite im Rampenlicht stehe.
Das ist der Moment, in dem Du verstehst, in dem Du erwartest, dass ich Dich bewundere, dass ich Dir dankbar bin. Dass ich bei Dir sein will. Dann bist Du es, zu dem man aufsieht. Zu dem sie alle aufsehen. Und ich bin es, der sie es neiden, neben Dir zu stehen und zu strahlen.
In diesen Momenten fühle ich mich, als könnte die Welt in Scherben brechen, und nichts würde sich ändern. Ich fühle den fremden Stoff des Kleides auf meiner Haut und frage mich, warum ich ihn trage. Ich fühle das Licht, auf uns gerichtet, damit alle uns sehen. Und ich frage mich, wann sie mich erkennen werden. Unter dem fremden Kleid. Wann sie sehen, wer ich bin. Wann sie beginnen, zu erkennen und ich beginne, zu zerfließen. In Deinen Kleidern fühle ich mich nackt. Aber Du bringst sie und ich trage sie. Du willst, dass ich neben Dir glücklich bin und ich trage auch das.
Mein Leben ist so. Nie anders gewesen. Papas kleines Mädchen. Immer im Rampenlicht. Niemals sie selbst. Von allen beneidet, nackt da oben. Und jetzt bist es eben Du, der mich neben sich will, und ich fühle mich zuhause, auf eine Art, die mich zweifeln lässt. An mir und meinem Leben. Aber ich fühle und darauf kommt es an.
Ich lasse mich von den Scheinwerfern blenden, greife nach einem Drink. Sie haben reichlich davon. Immer. Leute wie Du und Leute wie ich trinken. Aus ihren eigenen Gründen. Jeder für sich an diesen Abenden.

In diesem Leben denkst Du, dass ich Dich bewundere. Denkst Du, dass ich zu Dir aufsehe. Weil ich Dir nicht sage, dass ich dich ansehe, um mich selbst nicht zu sehen. So wie schon immer. Papas kleines Mädchen. In einer neuen Rolle, in einem neuen Leben. In Deinem. Dem Leben, das ich verachte.
Dann, wenn wir nach Hause gehen, immer zu mir, obwohl es klein ist, viel zu klein, dann bist Du ein anderer Mensch. Kannst gehen, danach und brauchst mich nicht mehr anzusehen. Dann lege ich das Kleid ab und Du legst Dein Ich ab, das von den Scheinwerfern müde ist. Dann sehe ich jeden Drink in Deinen Augen. In den Augen eines alten Mannes, mit nicht mal vierzig Jahren.
Ich will nichts, als mich unter der Decke verkriechen. Will unsichtbar bis morgen warten. Im Dunkeln. Aber ich weiß auch, was Du erwartest. Und ich weiß, dass auch ich es erwarte. Denn es ist unvermeidlich. Du wirst sein wie immer. Es wird sein wie immer. Erst beginnt es, wie es sein soll. Dann verlierst Du die Geduld. Mit dem Leben. Mit der Müdigkeit. Mit Dir selbst.
Aber trotz allem bin ich Dir dankbar. Ich muss Dir dankbar sein. Denn in diesen Momenten kenne ich mich. Dann, allein dann, fühle ich etwas. Den Schmerz. Mit jedem Striemen ein wenig mehr. Ich spüre den Körper, der eben noch nackt im Licht stand, nicht ich war. Spüre, dass er zu mir gehört. Deshalb bin ich Dir dankbar.
Ich weiß, dass Du es nicht so meinst, dass Du es bereust. Hinterher. Und ich kann Dir nicht sagen, dass ich es nicht nur stumm ertrage, sondern es sogar fühle. Denn weder kennst Du mich, noch könnest Du verstehen, was in mir vorgeht. Denn ich selbst habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass ich nur mit Dir wieder leben kann. Nicht mehr stumpf, sondern lebend. Auf meine Weise. Ich zahle den Preis. Bin Deine Süße, trage die Kleider und ertrage die Nacht. Denn trotz allem bin ich Dir dankbar. Du weißt es nicht, aber zum ersten Mal seit all den Jahren ist jemand mir nahe. Kann ich mich fühlen. In Deiner Nähe.

 

Hallo und guten Abend, arc en ciel,

wunderbare Sprache, wortgewaltige und sorfältig konzipierte Sätze, Absätze, Satzzeichen.
Ein immer wiederkehrendes Thema mit äußerster sprachlicher Eleganz aufbereitet.
Eine Meisterleistung, arc.
So MUSS die Kurzgeschichte verfasst sein!

Liebe Grüße - Aqua

 

oh ganz lieben Dank!
ich dachte, ich muß mich endlich mal zurückmelden... nach mehreren Monaten Schreib-Abstinenz ( beinahe ) und vor allem fast ohne KG.de...

Da freut es mich besonders, daß ich nicht eingerostet bin ;)

Schönen Abend noch,

Frauke

 

Hi Frauke

War schön, mal wieder was zun lesen von Dir...nein, eingerostet bist Du sicher nicht...aber es war doch wieder mehr eine (sehr eindringliche, treffende) Beschreibung einer Situation, denn eine "echte" geschichte.
was aber sehr gut rüberkam war die Frage: Sonne, oder Mond?
Selber leuchten, oder Abglanz sein?
Selber verbrennen, oder verbrannt werden?

Meines Empfindens nach gut gelungen.
Lieber Gruss:
Lord

 

Vielen lieben Dank. Ja, die ewige Frage, ob das was ich meist so schreibe "echte" Geschichten sind... naja, ich finde, das ist eben eine Form von Geschichte... diese "Situations-" oder "Gefühlsbeschreibungen" oder "Stimmungsbilder" erzählen für mich aber auch ihre Geschichten. Nur geht es eben dabei nicht um action oder "äußere" Handlungen...
Das Sonne/Mond-Bild gefällt mir... aber eigentlich war es nur der Nebenschauplatz, der sich beim Schreiben eingeschlichen hat... ;)

Lieben Gruß,
Frauke

 

Hallo arc en ciel!

Dein Text ist sehr stark, mitnehmend. Durch diese direkte Ansprche "du"-"ich" wird die Abhängikeit der Protagonistin noch deutlicher. Die gegenseitige Abhängigkeit, nicht anders können, nur in dieser "Beziehung" fühlen und leben zu können.
ganz toll für mein Empfinden.

Liebe Grüße, Anne

 

Hallo Anne!
Dank natürlich auch an Dich. Es freut mich sehr, wenn die Gefühle auf den Leser wirken... das ist meist das Ziel, wenn ich schreibe.

Lieben Gruß,
Frauke

 

Hi Frauke.

Besonder schön: du willst, daß ich neben dir glücklich bin, und ich trage auch das.
Hat viele schöne Sätze, und ist so traurig und wahr, und so klar geschrieben, ohne Selbstmitleid oder Kitsch, daß die Geschichte brutal real daherkommt.
Super.
alex.

 

hi alex!
danke auch für Dein Lob! ich freue mich immer besonders, wenn jemand mir erklärt, WAS ihm an meinen Texten gefallen hat und warum er es gut fand!

Lieben Dank,

Frauke

 

hi ac,
also nein - es ist keine von dir sogenannte "echte" geschichte. es ist von der schrift her ein brief.
der ganze text begann anfangs mit einem ziemlich dicken nebel. der leser übt sich in wahnsinnigen spekulationen.
du hast es unheimlich gut hinbekommen, den nebel langsam lichten zu lassen.
auch wenn ich deine geschichte nicht sonderlich mag, weil es eben keine "echte" geschichte ist, so bin ich trotzdem der meinung, wie die anderen kritiker auch, dass die erzählerische leistung sehr stark ist.

@ aqua:

So MUSS die Kurzgeschichte verfasst sein!

ich freue mich immer über überwundene zwänge *hehe*

bye
barde

 

Hallo arc en ciel,

eine starke Geschichte ist es, weil sie glaubwürdig ist. Sie ist nicht voyeuristisch, was bei diesem Thema leicht passieren kann, sie gibt nur die nötigen Informationen. Von der Protagonistin muß ich auf den Vater schließen, wie bei dem Yin – Yang – Symbol, bei dem durch das Weiße das Schwarze vorgegeben ist. Eine gute Mischung von Definition (des Autors) und Interpretation (des Lesers).
(Aber das ist Dir doch sicher schon alles bewußt?)
Tragisch ist die durch Not pervertierte Dankbarkeit der P., es ist wie bei Gefangenen, die ihren brutalen Wärter `lieben´, nur weil er der einzige `soziale´ Kontakt ist. Hier eröffnet sich dem Leser ein Abgrund, doch er weiß, daß er selbst sich nicht in Gefahr befindet, das löst die Anspannung...

Tschüß... Woltochinon

 

@Barde: Danke für Dein Lob! ich freue mich, wenn es so "aufgeht", daß der Nebel keine Verwirrung schafft, die das Lesen hindert, sondern welche, die neugierig macht.

Ob es sich um "klassische Geschichten" handelt, ist - meiner Meinung nach - relativ egal, ... sorry! ich meine nicht, daß es darauf nicht ankommt. Ich denke, daß es sich durchaus um Kurzgeschichten handelt, die einer der gängigen Definitionen genügen.
Nur schmeiße ich eben nicht immer mit äußerer Handlung um mich, sondern konzentriere mich eben auch gelegentlich auf das Innen... weil ich es spannender finde ;)

und ich danke Dir natürlich für Dein Lob was den Erzählstil betrifft.

@wolti: Danke auch für Dein Lob! ich habe eben einfach versucht, die Geschichte aus sich selbst heraus zu erzählen. Dabei bleibt dann - wenn ich's hinbekomme - der Voyeurismus auf der Strecke ...
freut mich, wenn es auch so wirkt und man es trotzdem noch versteht ...

Lieben Gruß,
Frauke

 

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