Deep Sea Girl
Deep Sea Girl
Ich bin vor kurzem auf eine Sage getroffen, die sagt, dass, wenn jemand an einer klaren Vollmondnacht am Pazifischen Ozean an einem Strand entlanggeht, dieser Gesang hört. Sucht dieser jedoch nach dem Ursprung, findet er ihn nicht. Schon viele Leute haben davon berichtet. Es soll ein trauriges Lied sein, gesungen von einem Mädchen mit wunderschöner, sanfter Stimme. Genau das hat mich fasziniert. Es ist fast ein Wunder, dass meine Mam es mir erlaubt hat.
Doch jetzt steh ich hier am Strand von Miami, in einer klaren Vollmondnacht, kurz vor Mitternacht. Ich schaute hinauf gen Himmel, sah mir die leuchtenden Sterne und den Mond an. Und dann fing es an.
Es war eine bezaubernde Melodie, gesungen von einer sehr sanften, aber traurigen Stimme.
„Wo ist das Licht, wo ist die Sonne?
Nichts davon gerät zu mir hinab.
Wo ist der Mond, wo sind die Sterne?
Kann wirklich niemand mehr mir helfen?
Es ist wie verflucht,
hier zu hocken und nichts zu tun.
Mein Leben das fließt so leicht dahin.
Will niemand mir helfen?
Kann niemand mich hören?
Wenn ja, dann bitte sprich zu mir,
denn die Wellen werden tragen deine Worte zu mir.“
Es klang wie ein Hilferuf, nur dass ich nirgendwo jemanden sehe. Und deshalb antwortete ich.
„Hallo? Kannst du mich hören?“
„Ja. Ich höre dich. Aber das ist egal. Wir haben keine Zeit! Wenn die ersten Sonnenstrahlen aufs mehr fallen, so ist der Zauber verflogen.“
Zauber? Das kann nicht sein! „Wo bist du? Wer bist du?“
Die Antwort kam prompt. „Mein Name ist Mirja. Und ich bin in der tiefsten Stelle im Meer gefangen. Du musst mir helfen! Ich will nicht mehr hier bleiben!“
„Gut. Ich werde dir helfen.“
Ein Seufzen ertönte. „Ich danke dir.“
„Schön. Und wie kann ich dir helfen?“
„Fang das Licht mit deinen Worten und geöffnet werden sein die Pforten.“
Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Was?“
„Das ist ein Hinweis, wie man mich befreit. Ich weiß, dass es komisch klingt, aber du musst einen Satz finden, geschrieben in Stein mit goldenen Worten und die dann in der nächsten Vollmondnacht hier vortragen. Das hat jedenfalls der, der mich hier eingesperrt hat, gesagt.“
„Gut. Ich werde es schaffen. Deshalb mache ich mich gleich auf die Suche danach. Tschüss!“
Ich ging davon, während ich noch ein geschluchztes Auf Wiedersehen hörte.
Und meine Suche begann. Zuerst im Internet. Keine Spur. Dann in Bücher. Auch nicht.
Ich suchte überall und die Zeit verrann. Wie sollte ich es finden? Nirgendwo ist etwas!
Dann fiel mein Blick auf mein Lateinbuch. Fang das Licht mit deinen Worten und geöffnet werden sein die Pforten. Der Spruch kam mir plötzlich in den Sinn und dann wusste ich, was ich zu tun hatte.
In der Nacht ging ich zum Strand und schon bald ertönte Mirjas Stimme.
„Hast du es gelöst?“
„Ja.“
„Gut. Sag es auf.“
“Haec lux excipit,
redimentes et ego ipse fores.
Benedictus Deus lucis,
Vastabat cuncta tenebris. »
Nachdem der Hall des letzten Wortes verklungen war, fing das Meer an zu tosen. Es stürmte und der Wind zerrte an meinen Klamotten, während ich sah, wie eine Lichtkugel aus dem Meer emporschoss und vor mir wie Seifenblasen zerplatzte, weshalb ich meine Augen schließen musste. Als ich sie wieder öffnete stand vor mir ein Mädchen mit dunkelblauen, bis zur Taille reichenden Haaren, grüne Augen wie die Blätter einer Palme. Sie hatte ein nachtschwarzes Kleid an und stand barfuss vor mir.
„Danke, dass du mich gerettet hast.“
Ich war erstaunt. „Mirja?“
„Ja. Und wer bist du?“
Ich wurde rot. „Mist! Hab vergessen mich vorzustellen! Ich bin Neal.“
Mirja lachte. „Es ist schön, endlich frei zu sein.“
Ich grinste. „Ja. Ist es immer.“
„Kann ich bei dir bleiben? Immerhin bin ich seit über hundert Jahren nicht mehr hier gewesen.“
„Klar. Ich helfe dir. Aber jetzt sollten wir erst mal ins Hotel gehen.“
„Ja.“ Sie lächelte.
Drei Jahre später ging Mirja mit ihrem Freund hinaus in die Welt und man hörte nie wieder von dem singenden Mädchen vom Meer.
Ende