Daydream
Daydream
Es ist der 26. August. Irgendwie ein Tag wieder jeder andere auch. Das Wetter ist durchwachsen und ich...ich sitze hier in der Penne und muss mich mit unzähligen, unmöglichen Formeln abplagen, während sich unser Pauker ins Fäustchen lacht. Echt eine miese Sau der Typ. Die vielen Zahlen und Variablen tanzen in meinem Heft auf und ab. Zack, wieder alles durchgestrichen. So ein Mist!
Ich geb’s auf, stütze mein Kinn auf die Hand und schaue aus dem Fenster. Es regnet...na ja. Wenigstens interessanter als dieser mathematische Scheiß.
Der Regen prasselt unaufhörlich gegen die Scheibe. Draußen rennen die Rentner die Straße auf und ab um ja nicht allzu nass zu werden. Und mir...mir kommt plötzlich ein uraltes Kinderlied in den Sinn. Ich weiß nicht warum, aber ich muss grinsen und singe es in Gedanken:
„Lieber Regen falle, falle, mach mich nass!
Mit einem Regenschirm zu gehen, das macht Spaß!
Pitsche, Patsche, Pitsche, Patsche, das macht Spaß!
Pitsche, Patsche, Pitsche, Patsche, das macht Spaß!“
Ich stelle mir vor, wie ich dort draußen bin, die Straßen entlang laufe und über die Leute lache, die Angst vor dem Regenwasser haben. Es ist ein herrlich warmer Sommerregen und die Tropfen perlen geschwind von meiner Haut ab woraufhin wiederum neue Tropfen ihren Platz einnehmen. Welch ein herrliches Gefühl. Es ist wie ein magischer Bann, der mich in Richtung Wald zieht. Der Waldweg ist mit Pfützen übersäht. Mag sein, dass es total albern und kindisch ist, aber ich springe in jede einzelne der Pfützen. Unwillkürlich lache ich. So ausgelassen konnte ich schon seit gar sehr langer Zeit nicht durch den Wald gehen. Erinnerungen aus der Kindheit schleichen sich in meine Gedanken und ich höre, wie immer irgendjemand zu mir sagte: „Werde endlich erwachsen.“.
Pfeif ich drauf! Erwachsen möchte ich nicht werden. Das wollte ich noch nie...
Ein seichter Wind weht durch die Baumkronen und lässt sie durch ihr Rauschen ein Märchen erzählen.
Ich laufe immer tiefer in den Wald hinein und vergesse alles, was mich kurz zuvor noch geplagt hat. Des Waldes wohltuender Duft steigt mir in die Nase und ich atme tief ein.
Ich sehe einen seltsamen Vogel, der auf einer der riesigen Kiefern sitzt. Seine Rasse ist mir unbekannt. Das Gefieder besteht aus einer Pracht von unterschiedlichen Blautönen die zu einem verschmelzen. Er singt mir ein liebliches Lied und ich summe die Melodie leise mit. Es ist ein Lied, was ich kenne, lange Zeit aber schon nicht mehr gehört habe.
Der Regen wandelt sich in ein nichtiges Nieseln um und ich beginne den Text des Liedes vor mich hin zu singen, während ich dem Vogel folge, der von einem Baum auf den nächsten fliegt:
„In western lands beneath the sun
the flowers may rise in spring,
the trees may bud, the waters run,
the merry finches sing.
Or there maybe ‘tis cloudless night
and swaying beeches bear
the elven-stars as jewels white
amid their branching hair…”
Plötzlich verstumme ich. Es ist bereits dunkel. Wie spät mag es wohl sein? Habe ich die Zeit vergessen? Nun stehe ich hier in tiefster Finsternis. Auch der Vogel ist verschwunden, doch noch immer regnet es und meine Kleider weichen auf, bis ich bis auf die Haut durchnässt bin. Ich irre im Wald umher und werde von den vielen Schatten der Bäume misstrauisch angeblinzelt. Mich friert es und ich bekomme eine Gänsehaut, denn vor der Dunkelheit habe ich Angst...
Doch da...eine Lichtung. Ich eile dorthin und stolpere über unzählige Wurzeln. Ein paar Mal falle ich zu Boden und schürfe mir die Haut auf. Ich fühle, wie Blut von meinem Knie hinunter zum Schienbein läuft. Das Laufen schmerzt, doch ich bin noch immer auf die Lichtung fixiert.
Kaum habe ich sie erreicht, blendet mich ein grelles, jedoch angenehmes Licht. Am Himmel tanzt ein Farbenspiel gleich dem eines Regenbogens geschmückt von Abertausenden von Sternen.
Mitten in der Lichtung zeigt sich ein kleiner Teich der von Trauerweiden umgeben ist. Die langen Äste berühren sanft die Oberfläche des Wassers, welche seltsam matt schimmert. Eine durchsichtige Gestalt schwebt langsam aus dem Wasser empor. Sie erinnert mich an Elfen und Nymphen zugleich. Langsam schwebt sie auf mich zu...
Ich habe schon immer an solche Wesen geglaubt, aber nie zu träumen gewagt, dass ich tatsächlich mal eines zu Gesicht bekommen würde. Unerwartet wächst der kleine Teich in die Unendlichkeit hinaus. Wie in Trance beobachte ich, dass der Teich sich in westliche Richtung hinauszieht und sich Nebel auf ihn legt. Die Gestalt ist plötzlich ganz nahe. Sie steht in einem alten, kleinen Holzboot und hält ein langes Paddel in der durchsichtigen Hand. Nun erkenne ich...es ist eine Elfe. Allmählich nimmt sie Farbe an. Sie hat perlengleiche, fast weiße Haut. Ihr Haar ist von glänzendem Geschmeid und ihre Augen sind kaum vom Nachthimmel zu unterscheiden.
Das Boot stößt am Ufer an. Der Nebel spielt im Schilf und die Elfe wispert mit ganz leiser Stimme zu mir: „Ich kenne deine Wünsche, so komm mit mir...“ Ich weiß nicht, was mich dazu bewegt, aber ich steige in das Boot hinein. Es schwangt einen Augenblick und schon legen wir ab. Wir fahren den Teich - der nunmehr ein Fluss ist - in Richtung Westen entlang. Die Spitze des Bootes schneidet den Nebel entzwei. Wir verlassen die Lichtung.
Meine Herzschläge und das Rufen einer Eule ist nun das Einzigste, was ich höre. Wir sind nun wieder inmitten des Waldes. Es ist ein wenig unheimlich. Ich weiß nicht, ob ich Angst habe oder ob ich fasziniert bin. Ein so seltsames Gefühl durchdringt mein Herz. Nun bin ich in meinem kleinen Universum. Hier gibt es keine Lehrer und Eltern, die dir vorschreiben, was gut für dich ist. Hier bin ich mein eigener Herr. So viele Fantasiewesen zeigen sich meinen Augen. Ständig huschen flinke Feen an mir vorbei und ziehen einen bunten Lichtschweif hinter sich her. Wir nähern uns dem westlichen Ufer. Ich sehe schon die vielen Lichter. Ich höre Gesang, Musik und allerlei Gelächter. Mir scheint, als wird dort ein Fest gefeiert.
Unser Boot legt am Gestade an und ich steige vorsichtig aus. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass sowohl die Elfe, das Boot als auch der Fluss verschwunden sind. Mich wundert gar nichts mehr.
Die Musik, das Lachen und das Singen wird immer lauter, je näher ich der Feier komme. Ich sehe schon ein flammendes Feuer durch die Bäume blitzen und viele Gestalten darum sitzen.
Als ich sie alle erreiche, lachen mich Elfen an. Elfen und Zwerge, Feen und Kobolde. Allerlei lustige Gesellen die mich freundlich in ihren Kreis aufnehmen und die von Neuem ein lustiges Lied anstimmten...
Mir wird klar...Ich bin wieder zuhause...
„Der Regen scheint für dich interessanter zu sein, als mein Unterricht.“, höre ich plötzlich eine barsche Stimme erklingen und ich schrecke auf. Auf einmal bin ich wieder im Klassenraum in meiner Schule.
„Tut mir leid.“, murmle ich zerknirscht.
„Auch deine Lösungen scheinen mit Bildern gezeigt zu werden.“, sein Gesicht verzieht sich nahezu zu einer Faust, „Wir rechnen hier noch immer mit Zahlen, nicht mit Märchengestalten! Wann wirst du bloß endlich erwachsen?“
Was? Mit Zahlen? Ich schaue in mein Heft und sehe, dass ich mit meinem Kuli einen Wald gezeichnet hab. Inmitten des Waldes befindet sich ein Lagerfeuer um das viele Elfen, Zwerge, Feen und Kobolde sitzen.
Mein Bein schmerzt. Ich sehe nach, was weh tut und bemerke die Schürfwunden am gesamten Bein und sehe noch eine Blutspur, die vom Knie über das ganze Schienbein läuft. Auch mein Haar und meine Klamotten sind nass. Ich bin bis auf die Haut durchnässt...Niemandem fällt es auf...
Es ist der 26. August. Irgendwie ein sonderbarer Tag. Das Wetter treibt so einigen Schabernack und ich bin von meiner Reise zurückgekehrt. Ich bin etwas verwirrt, doch ich fühle mich gut. Denn nun weiß ich, dass alles mehr als nur Fantasie ist...
Und niemand außer mir, kennt das Geheimnis...
[ 03.05.2002, 22:36: Beitrag editiert von: Hobbit ]