David Wessels Geisterhaus - Party
Binde dir doch mal deine Krawatte richtig, Bob.”
Tom Weismann legte wert auf ein gepflegtes Äußeres. Er trug einen recht teuren Smoking und hatte sich die kurzen blonden Haare nach hinten gegelt. Am Steuer des alten VW-Bullis sah er recht unpassend aus. Aber wenn er seinen Partner so ansah...
“Kann doch nicht jeder so wie aus dem Ei gepellt aussehen wie du.” Während Bob das sagte, stopfte er sich mittlerweile schon zum dritten mal sein Jeanshemd in die Hose. “Außerdem fühl’ ich mich in den Klamotten so unwohl wie ein Luder in ‘ner Burka.” Tom sah ihm ernst ins Gesicht.
“Na hier, diese Schleier im Is...” “Ich weiß, was eine Burka ist!” Toms Stimme hob sich leicht. “Ich hab mal wieder das Gefühl, du nimmst die ganze Sache hier nicht ganz Ernst.”
“Doch, doch, aber hätt’s nicht auch Jeans und Lederjacke statt so 'n feinen Fummel sein können?”
“Nein. Du weißt, dass wir nicht auffallen dürfen. Zum hundersten Mal, Geheimhaltung hat in dieser Sache äußerste Priorität.”
“Na ja aber dann... sollten wir dann nicht auch...”
“Was denn?”
“Na ja du weißt schon... Irgendwie...”
“Was denn?
“Na ja... Irgendwie wie sonn’... Pärchen aussehen oder so?”
“Wie bitte?”
“Na ja ich mein nur so... sieht doch komisch aus wenn da zwei Kerle reinkommen, was sollen wir denen denn erzählen? Hallo, wir kommen zusammen, weil wir Geister- und Dämonenjäger sind und...”
“Hmm.” Tom dachte darüber nach. “Daran habe ich wirklich noch nicht gedacht. Weißt du was, wir sagen einfach, wir wären Brüder, OK?”
“Brüder? Na ja, dass ist aber nich so gut wie...”
“Brüder oder gar nichts!”
Bob nickte eifrig: “Brüder ist klasse. Ehrlich. Super.” Zusätzlich reckte er den Daumen in die Höhe und grinste.
Nach einiger Zeit waren sie fast am Ziel. Im Hollenloch 13. Ja, das Haus kannten sie schon. Und wer wusste, was sie heute Abend so alles erleben würden?
Bob zückte sein Handy und wählte. Nach kurzer Zeit hatte er seinen Gesprächspartner: “Jo Jimmy, hier ist Bob. Na, wie läuft’s bisher für unseren neuen Lieblingsazubi?”
“Ganz gut. Bisher alles ruhig bisher. Scheint sogar ein bisschen spießig zu sein, die Party. Ist aber bisher eher Spaß als Party ist das. Also freut euch schon mal.”
“Wie Schneekönige. Asta la vista, Mann.”
“Bis gleich.”
Tom erkundigte sich bei Bob nach dem Gespräch, dann waren sie auch schon am Zielpunkt.
“Hast du auch dein Messer bei dir?” fragte Tom.
“Ja, Mutter.”
“Gut. Dann wollen wir uns mal amüsieren.”
Beide stiegen aus dem Wagen und gingen zum Haupttor. Schon von weitem hörten sie laut dröhnende Musik und Gelächter. Tom spürte einen leichten Stich im Nacken. Da war sie wieder, Mutter Nervosität. Er dachte an laute Musik, riesige Menschenmassen und ständiges Gemurmel. Sofort merkte er einen zweiten Stich. Es half nichts. Sie mussten wissen, was dort vor sich ging.
Am Tor bemerkten beide eine neue Sprechanlage. Der Name “Kurt Blutschink” hing darüber.
Bob grinste: “Über den Namen könnte ich mich immer wieder amüsieren.”
Tom drückte den Knopf. Eine freundliche Frauenstimme antwortete: “Ja bitte?”
“Guten Abend. Mein Bruder Bob und ich sind für die Party hier geladen.”
“Einen Moment.” Schließlich brummte die Anlage, dass Tor war offen.
“ ‘Wir sind für die Party geladen?’ Meine Fresse Alter, sagst du der Empfangsdame gleich auch noch, ‘sie möge unsere Mäntel zur Garderobe geleiten‘?” fragte Bob.
“Nein. Mäntel geleitet man nicht.”
Bob seufzte und klopfte an die gewaltige Haustür.
Innen erwartete sie eine Überraschung: Im Gegensatz zu ihren vorherigen Besuchen war der Hauptsaal ausgeschmückt und durch einen großen Kronleuchter hell ausgeleuchtet. Etwa einhundert Partygäste unterhielten sich, tranken, aßen vom Büffet oder tanzten. Eine Party eben.
Tom und Bob warteten eine ganze Weile am Treffpunkt, dem Büfetttisch. Das wurde langsam auffällig, einige Gäste blickten sie an, als ob se nur zum Futtern gekommen und so ganz furchtbar unerzogen wären. Schließlich griff Bob noch mal zu seinem Handy.
“Scheiße. Jimmy geht nich’ ran!”
Das beunruhigte Tom etwas: “Wenn da mal nichts passiert ist. Am besten ist, wenn du ihn suchen gehst, Bob. Ich halte so lange hier die Stellung.”
“Alles klar.” Bob ging gerade los, als er noch mal stehen blieb: “Wo soll ich denn suchen?”
“Ja, Überall. Aber pass auf, dass dich niemand dabei erwischt.”
“Mein Gott, redest du mit ‘nem zwölfjährigen oder was?” Angesäuert machte er sich auf dem Weg.
Bob graste die ersten beiden Stockwerke ab, wobei er außer einem vögelnden Pärchen niemanden vorfand. Schließlich blieb das dritte Stockwerk übrig. Bob versuchte, wie zuvor leise die erste Tür zu öffnen, doch sie war abgeschlossen. So auch bei der nächsten. Und übernächsten.
Er wollte bereits aufgeben, als ihm einfiel, dass er ja Jimmy Handynummer hatte. Flugs wählte er die Nummer, und tatsächlich, Jimmys Handy war aus dem vorletzten Zimmer im rechten Flur zu hören. “Was der wohl in einem abgeschlossenen Zimmer macht?” fragte sich Bob und klopfte. “Hallo?” Keine Antwort. “Jim, ich bin’s, Bob. Was zum Geier treibst du da?” Noch immer nichts. Bob platzte der Kragen. Er rammte die Tür mit der Schulter. Sie gab nicht nach. Ein weiterer Versuch...
Stolpernd stürzte Bob, dann sah er auf und konnte nichts mehr denken, hören, riechen fühlen. Nur sehen. In dem Zimmer, schwach beleuchtet, sah er ein altes Bett, auf dem Jimmy lag. Nur war von Jimmy unterhalb des Kopfes nur noch das Skelett übrig. Zudem hatte er im Bereich des Mundes blutige Stellen.
Bob wollte gerade aus dem Zimmer stürmen, als plötzlich zwei junge, attraktive Frauen, beide nur in Unterwäsche bekleidet, in der Tür standen. Beide hatten schulterlanges Haar, eine blond, die andere brünett, und kamen langsam auf Bob zu.
“Hallo, Süßer, willst du unserer Party beiwohnen?” sagte die Blonde und kam dicht an Bob heran. Ihr Blick war willig. Für einen kurzen Moment war er überrascht, und zwar unangenehm. Er ahnte, dass hier etwas nicht stimmen konnte, als sich das Gesicht der Blonden in eine Fratze des Grauens verwandelte. Bob stieß sie grob beiseite und rannte aus dem Zimmer. Er sah sich kurz um und erblickte nun zwei Grimassen, die einmal hübsche Frauen gewesen waren. Wie ein Wahnsinniger rannte er die Treppen hinunter. Hinter ihm Fußgetrampel. Fauchen. Dann fiel ihm plötzlich etwas ein. Bob blieb stehen, wendete sich den Monstern zu und griff in die Jackentasche. Hervor kam ein Messer mit auffälligen Verziehrungen. Es blitzte leicht. Die Bestien kamen trotzdem ohne Furcht näher.
Bob brüllte zum Angriff, als ihn einer der Monster mit Schwung (und mit einem Lächeln) die Treppe runter schubste. Bob fiel das Messer aus den Händen und landete rücklings auf dem Flurboden des 2. Stocks. Langsam näherten sie sich. Bob rappelte sich auf und entging nur knapp dem Griff eines der Bestien. Er rannte weiter die Flurtreppen herunter.
Schließlich entschloss er sich in Panik dazu, einen Kodex ihrer Firma zu brechen. Wie viele dort unten mochten noch in Wirklichkeit Monster sein? Fünfzig? Sechzig? Bob zog im Rennen sein Handy und wählte 110: “Ja, Hallo, Polizei? Bitte sofort eine Streife zum Hollenloch 13. Oder vielleicht auch...” Mit einem Mal fiel ihm das Handy aus den Händen. Eine Dämonenbraut zertrat es. Sie hatten ihn fast eingeholt.
Tom war ein sehr aufmerksamer Mensch, aber wenn über Stunden nichts passierte, ließ auch seine Konzentration nach. Selbst seine Angst hatte sich nach und nach verflüchtigt, bis die Schweißflecken unter seinen Armen das letzte Überbleibsel seiner Panik waren. Doch gerade, als er sich entspannte, wurde von den folgenden Ereignissen überrumpelt.
Zunächst sah er jemanden die Treppe hinabstürzen, schließlich noch zwei Personen. Dann brach heilloses Chaos auf. Die Gäste liefen panisch hin und her. Tom ging das alles zu schnell, als dass er viel mitbekommen hätte. Verschwommen sah er Fratzen in Fräcken, die andere Gäste bissen, kratzten, schlugen. In der Ecke erblickte er einen Mann, dessen Beine gerade von einer potthässlichen Kreatur herausgerissen wurden. Tom zog sein Messer. Auf einmal sprang ihn eins dieser Wesen an. Es hatte einen schuppigen Kopf und scharfe Zähne. Tom schüttelte ihn ab und jagte dem Monster das Messer in die Brust. Sofort zerfiel die Kreatur zu Staub.
Langsam kehrte Ruhe ein. Als Tom wieder aufblickte, sah er sich, Bob und einige weitere Gäste von etwa vierzig dieser Kreaturen umzingelt. Einer trat aus dem Kreis und stand direkt vor ihnen. Tom sah seinen eleganten Frack, jetzt etwas blutverschmiert, und teure italienische Schuhe. Er war dem Monster, dass Tom erstochen hatte, sehr ähnlich, aber deutlich größer. Das konnte nur einer sein.
“Gestatten, Blutschink, Kurt.” Es grinste und zeigte zwei Reihen scharfe Reißzähne. Seine Stimme war sonorig und schmeichelnd zugleich. Ein perfekter Anführer.
“Es freut mich, dass selbst die Herren Geisterjäger meinem Aufruf zur Party gefolgt sind, obwohl ich euch nicht eingeladen hatte. Ihr sollt das Hauptgericht sein, der krönende Höhepunkt eines gelungenen Mahls.” Wieder das Grinsen. Tom deutete es als “hungriges Grinsen”.
Doch plötzlich klopfte es an der Eingangstür: “Aufmachen, Polizei!”
Blutschink grinste weiter: “Oje, waren wir etwa zu laut? Tja, ich fürchte, dann müssen wir uns für heute zurückziehen. Gute Nacht!”
Ein blendend heller Lichtblitz erschien, dann hörten sie einen lauten Knall.. Es dauerte etwas, bis sich Tom an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte. Der Polizist rief wieder etwas durch die Tür. Tom erstarrte.
Alles, wirklich alles war weg! Kein Kronleuchter, kein Büffettisch, keine herumliegenden Leichen, einfach nichts. Auch die überlebenden Partygäste waren verblüfft. Bob kommentierte: “Mann, wenn das mal keine gute Putzkolonne ist!”
Dann brach die Polizei die Tür auf. Mit Taschenlampen suchten sie die dämmrige Eingangshalle ab und erblickten die ratlos herumstehenden Gestalten, besonders Tom, der noch sein Messer in der Hand hielt.
“Was haben sie hier in einem verlassenen Haus zu suchen?” fragte der Beamte scharf.