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Das zerzauste Haar
Es war einmal ein kleines Mädchen mit Namen Alfonsine. Es war ein hübsches kleines Mädchen, nur hatte es ständig zerzauste Haare.
„Wie ist das nur möglich?“, fragte sich ihre Mutter besorgt und begann ihre Tochter zu beobachten.
Das kleine Mädchen saß im Sportwagen, und wenn keiner zuschaute, drehte es sich um, schaute in alle Himmelsrichtungen und versuchte, aus dem Sportwagen auszusteigen.
Wenn es mit den Puppen, Bärchen und Autos alleine war, spielte es oft „ein großes Fest“. Was war ein großes Fest für Alfonsine? Ganz einfach. Sie ließ die Puppen tanzen. Die Bären machten Musik. Die Spielautos wurden als Festschmuck aufgetürmt. Und als Höhepunkt der Feier machte Alfonsine eine große Fahrt mit ihren Puppen und Bären, nahm sie alle in ihre Arme, hob sie in die Luft wie ein Flugzeug, rollte sich mit ihnen auf dem Boden wie in einer Achterbahn und warf sie in die Badewanne, damit alle schwimmen konnten.
Als sie Wasser in die Badewanne einlassen wollte, rief ihre Mutter: „Jetzt ist aber gut!“
Und sie verbot ihrer Tochter, sich immer die Haare zu zerzausen und auf dem Boden zu werfen. Ausserdem sollte sie fragen, wenn sie Wasser in die Badewanne einlassen wollte.
Alfonsine war sauer, sagte aber nichts.
Und wenn ihre Mama nicht zusah, ließ sie ihren Bär auf dem Dreirad durch den Garten fahren, durch die Hecken, unter den Bäumen durch und an Mamas duftenden Blumenbeeten vorbei.
Am Abend hatte Alfonsine wieder zerzauste Haare.
„So geht das nicht weiter“, dachte sich ihre Mutter und kaufte sich einen großen Kamm. Er war wirklich sehr groß, aber Alfonsines Mutter wollte sicher gehen, dass sie ihre Tochter nicht mehr mit zerzausten Haaren sehen musste.
Und sie kämmte ihre Tochter. Alfonsine mochte das nicht. Aber tatsächlich hatte sie jetzt schöne, glatte Haare.
„Jetzt habe ich eine hübsche Tochter“, sagte ihre Mama.
Alfonsine sagte nichts, weil sie beleidigt war.
Und so verging Jahr um Jahr.
Jedes Mal wenn Alfonsine mit zerzausten Haaren nach Hause kam, sagte ihre Mutter: „Ich muss dich kämmen.“
„Ich will aber nicht."
„Du hast keine Wahl“, erklärte ihre Mutter und holte wieder den großen Kamm heraus.
„Ich mag dich nicht“, rief Alfonsine wütend.
„Das sagt man aber nicht zu seiner Mutter.“
„Ich mag dich nicht“, wiederholte Alfonsine noch wütender.
Aber ihre Mutter hörte nicht auf sie und kämmte sie weiter.
Alfonsine wurde älter. Und eines Tages entschied ihre Mutter: „Du musst dich jetzt selbst kämmen.“
„Ich will nicht.“
„Dann hast du aber zerzauste Haare.“
„Na und?“
„Willst du ganz hässlich sein?“
„Egal.“
„Was willst du mir beweisen?“
„Nichts.“
Alfonsine und ihre Mutter sprachen immer weniger miteinander.
Eines Tages bemerkte ihre Mutter, dass ihre Tochter ganz rote Haare auf der rechten Kopfseite hatte.
„Hast du dir die Haare gefärbt?“
„Na und?“
„Das ist aber nicht schön.“
„Heute Nachmittag färbe ich sie mir die andere Seite blau.“
„Das tust du nicht.“
„Das tu ich doch.“
„Nein.“
„Doch.“
Alfonsine bekam Hausarrest und durfte nicht zu ihren Freunden. Doch als ihre Eltern sie nach draußen ließen, ging sie zu ihren Freunden und färbte sich die Haare blau, so wie sie angedroht hatte.
Alfonsine wurde zu einem Punk, einmal mit grünem, mal rosa, mal gelbem Haar. Nie benutzte sie einen Kamm. Sie hatte ganz zerzauste Haare. Aber trotzdem mochten ihre Freunde sie gern. Denn Alfonsine war eine gute Freundin. Und darüber hinaus war sie auch der schönste Punk der ganzen Stadt.
Ihre Mama war ganz traurig, konnte aber nichts machen.
Alfonsine zog von Zuhause aus und gründete eine Wohngemeinschaft mit einem Jungen aus der Universität.
Dann – schneller als sie gedacht hatte – wurde Alfonsine selbst zur Mama. Sie freute sich riesig, denn ihr Baby war ein ganz süßes kleines Mädchen.
Und Alfonsine versprach sich, ihrer Tochter das beste Leben geben zu wollen, das sie sich vorstellen konnte. Und sie konzentrierte sich ganz feste darauf. Und wollte nichts falsch machen.
Sie nahm sich viel Zeit für ihre Tochter, doch die hatte ständig zerzauste Haare.
„Wie ist das nur möglich?“, fragte sich Alfonsine besorgt und begann ihre Tochter zu beobachten …
Und die Moral von der Geschicht:
Einen rebellischen Geist
- das stimmt ja meist –
dressiert man nicht.