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Das zerbrochene Spiegelbild
DAS ZERBROCHENE SPIEGELBILD
Eine hauchdünne Glasscheibe umgibt mich. In ihr sehe ich tausendfach mein Spiegelbild. Ich schlendere der Scheibe entlang, zusammen mit meinem reflektierten Ich. Allmählich bohrt sich Dunkelheit in meinen Körper und lässt mich erblinden. Erbarmungslos langsam. Zitternd bleibe ich stehen und warte. Warte darauf, was geschehen wird.
Ich spüre, wie die Stille hastlos in mir fliesst und leere Spuren hinterlässt. Leere Spuren. Sonst nichts.
Von Panik ergriffen taste ich nach der Glasscheibe. Sie fühlt sich kalt an, wie ein Stück Eisen. HILFE, ICH BIN GEFANGEN!, schiesst es mir plötzlich durch den Kopf. HILFE! Ich hämmere mit beiden Fäusten auf die hauchdünne Glasscheibe ein. Sie vibriert ganz leicht. HILFE! KANN MICH DENN KEINER HÖREN? Verzweifelt hole ich mit aller Kraft aus und donnere meine rechte Faust mit voller Wucht ins Glas. Ein dumpfer Schmerz im Handgelenk lässt mich aufschreien. Die Scheibe allerdings scheint aus Beton zu sein! ICH WILL HIER RAUS!, dröhnt es in meinem Kopf. Wieso-wieso-wieso?, hallt es zurück. Hm, vielleicht, weil ich diese dunkle Leere nicht ertragen kann. Ich schliesse die Augen und versuche, mir Tageslicht vorzustellen. Stattdessen scheint die Dunkelheit noch intensivere Töne anzunehmen. Farbtöne, die ich bisher noch nirgendwo gesehen habe. Erschrocken öffne ich die Augen. Da! Weit entfernt sehe ich ein kleines Licht! Hastig stolpere ich ihm entgegen. Doch es scheint immer schwächer zu werden, je näher ich ihm komme. Ich beschleunige meine Schritte, fange an zu laufen. Immer schneller. Rede mir ein, die Lichtquelle irgendwann zu erreichen. Je sicherer ich mir dessen bin, desto mehr beeile ich mich.
Plötzlich erlischt der Schimmer. Verdutzt bleibe ich stehen. Erst jetzt bemerke ich, wie mein Puls rast und die Lungen bei jedem Atemzug schmerzen. WO IST DAS LICHT? ICH – ICH BIN VERLOREN OHNE ES! V-E-R-L-O-R-E-N!
Ich will schreien, doch meine Stimme verliert sich in der Dunkelheit.
Ich will weinen, doch die Stille hat meine Tränen bereits aufgefressen.
Unerwartet wird es ein klein wenig heller um mich herum – ins Schwarze mischt sich ein dunkler Blauton. Ich blicke mich um. Die Glasscheibe ist noch nicht zerbrochen. Und mein Spiegelbild blickt mich höhnisch an. Ich will es nicht sehen. Nein, ich will es nicht! Ertrage mich einfach nicht mehr länger um mich herum. Mein Blick sinkt zu Boden. Dabei entdecke ich einen schmalen Rotstreifen. Ich folge ihm und sehe einen kleinen Riss in der Glaswand, durch den das neblige Rot hineinströmt.
Dicht vor der Glasscheibe bleibe ich stehen und berühre mit den Fingerspitzen vorsichtig die kleine Spalte. Sofort bröckeln kleine Glassplitter unter dem sanften Druck meiner Finger ab. Erstaunt ziehe ich die Hand zurück. Dann presse ich die ganze Handfläche erneut auf die dünne Oberfläche. Klirren von Glas ist zu hören. Die rötliche Lichtquelle wird immer intensiver, je mehr Glas unter meinem Druck zerspringt.
Als das Loch gross genug zum Durchschlüpfen ist, bücke ich mich. Im selben Moment fängt der Boden unter meinen Füssen zu beben an. Risse bilden sich. Sie werden binnen Bruchteilen von Sekunden grösser. Kleine Abgründe entstehen, die immer tiefer werden. Gelähmt vor Überraschung bleibe ich in geduckter Haltung direkt unter der Glasscheibenmauer stehen. Plötzlich verliere ich den Halt unter den Füssen und kippe nach vorne. Im letzten Moment kann ich mich am Abgrund festhalten. Er hält meinem Gewicht stand. Doch wie lange noch? HILFE!, kreische ich. Mein Spiegelbild schreit zerbrochen am Boden mit.
* * *
Hi zusammen! Würde mich sehr interessieren, was ihr von diesem Text haltet...
Liebe Grüsse