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Das Wiedersehen

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18.02.2003
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Das Wiedersehen

33 Jahre war es hergewesen, dass er durch die Straßen dieses kleinen Dorfes schritt. Damals war es Sommer, Blumen blühten an den Wegrändern, die Luft duftete nach den prachtvollen Obstbäumen, welche überall in den kleinen Gärten zu finden waren und neben süßen Früchten auch Schatten spendeten, wenn die Sonne vom Himmel brannte, als wollte sie die Erde zu einem einzigen Ganzen zusammenschmelzen.
Im Sommer brannte die Sonne jeden Tag so, bis sie abends dann langsam hinter den Hügeln verschwand, jedoch nicht ohne vorher ihr rotes Kleid über das kleine Dorf zu legen um Gute Nacht zu sagen.
Jeder Tag war wunderschön gewesen, jeder Morgen war der neue Anfang einer unendlichen Geschichte.
Ein Hauch von Liebe lag über diesem Dorf, erfüllte die Herzen der Kinder mit Heiterkeit und ließ die Alten lachen, als hätten sie ihr ganzes Leben noch vor sich.

Ein eisiger Windstoß holte ihn zurück in die Gegenwart. Er zog seinen Mantel enger um sich und steckte seine Hände in die Taschen, weil sie schon ganz blau vor Kälte waren.
Er blickte sich um.
Ein paar Meter weiter konnte er ein Schild erspähen, das bedächtig im Sturm schwankte.
Er hielt seine Arme schützend vor sein Gesicht und begab sich, mit größter Kraft gegen den Schneesturm ankämpfend, aus seinem Versteck heraus und bewegte sich mühsam auf das Schild zu. Zitternd streckte er eine Hand aus, um den verkrusteten Schnee von dem Schild zu kratzen.
Obwohl er gewusst hatte, dass auf diesem der Name der Straße stehen würde, in der damals gelebt hatte, durchlief ihn dennoch ein Schauer, als seine Finger den in das Holz eingeritzten Namen abtasteten. Angestrengt, damit er durch das Schneetreiben überhaupt etwas erkennen konnte, schaute er in die Richtung, in die das Schild zeigte.

Was hatte er denn erwartet? Das es immer noch aussah wie damals?

Er senkte den Kopf und schritt langsam die Straße hinab, bis er schließlich vor einem Haus stehen blieb, beziehungsweise vor dem, was davon noch übrig geblieben war.
Es schien, als hätte die Natur sich die Baumaterialien für dieses Haus mit den Jahren einfach zurückgeholt. Überall in der Fassade klafften Löcher, durch die zerbrochenen Scheiben sah man die Dielenbretter, die, zum Teil zersplittert, zum Teil verottet ebenfalls große Löcher bildeten.
Das Dach gleichte ebenfalls einem Sieb und würde diesem Haus sicherlich keinen Schutz vor Regenfällen bieten, was jedoch auch nicht mehr nötig war, denn wie es schien waren die Bewohner schon lange nicht mehr zu Hause gewesen.
Er wollte lieber nicht daran denken, welche Geschichte sich hinter dem gespenstischen Anblick dieses Hauses verbarg.
Damals hatten hier zwei Jungen gewohnt, bei denen er oft gewesen war, wenn seine Mutter einmal keine Zeit für ihn gehabt hatte.

Was wohl aus ihnen geworden war?

Er stapfte weiter durch den Schnee, der ihm bereits bis zu den Knien ging. Seine Hose war steif gefroren und er konnte nicht unbedingt behaupten, dass diese noch in irgendeiner Weise eine wärmende Funktion hatte.
Irgendwo hier musste es doch sein, dachte er, blieb stehen und sah sich um. Der Wind heulte ihm um die Ohren, langsam brach die Dämmerung herein, es würde sehr schnell dunkel werden, darum sammelte er noch einmal all seine Kraft. Er musste es bis Einbruch der Dunkelheit gefunden haben, sonst waren seine Chancen nicht mehr sehr groß.

„Komm uns doch mal wieder besuchen. Die anderen würden sich auch sehr freuen, dich wiederzusehen! Du fehlst uns allen sehr...“

Er hatte den Brief noch immer in der kleinen Tasche in der Innenseite seiner Jacke. Es war schon ein paar Jahre hergewesen, wie viele wusste er gar nicht genau, aber es mussten einige gewesen sein.
Er wollte schon früher kommen, aber der Krieg hatte es ihm verboten. Doch jetzt hatte er sich auf die Reise gemacht, denn er wusste, dass das Leben nicht ewig währte, weder seins noch ihres.
Und wenn es seine letzte große Reise sein sollte, so war es doch Schicksal, dass er an dem Ort sein Leben beenden sollte, an dem er es auch begonnen hatte.

Da war es. Er erkannte es sofort, auch wenn es nicht mehr annähernd wie damals aussah.
Auch an diesem Bauwerk hatte der Zahn der Zeit genagt. Das einst so frische helle Holz war dunkel geworden, Risse und Spalten waren deutlich zu erkennen.
Er berührte das Holz mit seinen steifgefrorenen Fingern, es fühlte sich mürbe an.
Er stieg auf die Veranda herauf und näherte sich der Tür, deren Glas stumpf und undurchsichtig geworden war.
Er legte die Hand auf die Klinke, spürte das eisige Metall unter seinen Fingern, die nun zitterten. Nicht vor Kälte viel mehr vor Angst, der Ungewissheit, was ihn erwarten würde. Der Brief war vor vielen Jahren abgeschickt worden, was war in der Zwischenzeit passiert?

Er drückte die Klinke herunter, was ihn viel Kraft kostete, da die Tür eindeutig zugefroren war.
Er stütze sich gegen die Tür um sie aufzubekommen.
Sie blieb standhaft.
Noch einmal nahm er all seine Kraft zusammen und stützte sich mit seinem vollen Gewicht gegen sie, sie gab nach und er trat vorsichtig ein.
Ein eigenartiger Gestank stieg ihm in die Nase, beißender als die klirrend kalte Luft, die ihn umgab. Diesen Geruch kannte er nur zu gut von den Schlachtfeldern des unerbittlichen Krieges, es war der süße Duft der Verwesung.

Es war dunkel im Haus, da die Fenster ringsherum zugeschneit waren, also suchte er mit zitternden Finger in seiner Tasche nach Streichhölzern.
Mit einem Mal fühlte er sich total geschafft, er spürte, wie sehr der Schlafmangel, der Hunger und Kälte der letzten Tage seinem Körper zu schaffen machte.
Jetzt, wo er an seinem Ziel angekommen war, fühlte er sich plötzlich furchtbar müde, seine Kraftreserven waren aufgebraucht.
Er spürte wie sein Körper drohte seine Spannung zu verlieren, er griff um sich, versuchte an etwas Halt zu finden, doch er tastete ins Leere.
Vergeblich versuchte er zu verhindern, dass seine Beine nachgaben, er sank zu Boden
und schlief ein.

Es dauerte nicht lange, bis der Schnee, der durch die offenstehende Tür hereinwehte, die leblosen Körper der Familie vollends zugedeckt hatte.

 

Servus Puddingbrumsel!

Eine großartige Geschichte. Die Beschreibung von Kleinigkeiten auf dem Weg, verbunden mit Erinnerungen, Erwartungen - wirklich gelungen.

Allein, wenn der Mensch auf seinem Weg zur Ortstafel kommt, den Schnee wegwischt; oder danach das Haus wo er als Junge zum spielen war; das beschreibst du alles mit einer Bildhaftigkeit welche auch Empfindungen aufkommen lässt. Echt Klasse!

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

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