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- 11.02.2002
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Das Wesen
Was hab ich mir dabei nur gedacht? Vor wem muss ich mich behaupten? Es ist einfach eine dumme Idee, um die Uhrzeit über den Friedhof zu laufen. Es ist drei Uhr nachts, meine Freunde warten auf der anderen Seite des Friedhofes, um mich wieder in Empfang zu nehmen. Ich komme mir vor, wie ein kleines, dummes Kind, das gerade eine Mutprobe absolviert. Es ist totenstill hier, im wahrsten Sinne des Wortes. Nur ein leises Knacken ist aus den Gebüschen am Rande zu hören, vermutlich Tiere. Ich hoffe es. Zu allem Überfluss ist es auch noch nebelig. Das alles gleicht dem Szenario eines schlechten Films, auch mein Herzklopfen und meine zunehmende Angst sind geradezu typisch. Panisch dreh ich mich um. War da was? Was für eine Scheiß-Idee! Ich muss Ruhe bewahren. Ich rechne fest damit, dass einer meiner Freunde gleich aus dem Gebüsch springt, um mich zu erschrecken. Ich darf ihnen nicht die Möglichkeit geben, über mich zu lachen. Ruhig bleiben. Immer weiter. Schritt für Schritt.
Was war das? Da war was! Ein Stöhnen oder ein Grunzen. Ich hoffe inständig, dass es einer meiner Freunde ist.
„Oh, ich hab ja solche Angst!“ rufe ich mit einem ironischen Ton in der Stimme, obwohl ich natürlich wirklich Angst habe.
„Ist gut jetzt!“ Ein weiterer kläglicher Versuch, meine Angst zu verbergen.
Schon wieder. Ein abartiges Geräusch. Es muss eine logische Erklärung geben. Entgegen meines Gefühls im Bauch, versuche ich die Ursache des Stöhnens herauszufinden. Ich wünsche mir sehnlichst, dass es einer meiner Freunde ist, der mir Angst machen will. Ja, ich habe Angst. Es ist mir auch egal, ob sie mich auslachen. Ich will jetzt nur Gewissheit haben.
Ich gehe immer weiter. Da, da war es wieder. Ich muss mehr nach rechts.
Ich komme an einem ausgehobenen Grab an. Es ist nicht professionell ausgehoben, eher laienhaft mit einem Spaten. Oder mit den Händen. Ich benutze mein Feuerzeug, um mehr zu sehen. Das Klicken hallt über den ganzen Friedhof. Meine Augen gewöhnen sich schnell an die Helligkeit. Was liegt denn da? Ich mache ein paar Schritte auf das große, dunkle Teil zu. Verdammt, das ist ein Sarg, der auf der Seite liegt. Er ist leer. Der Deckel ist auf. Benommen bewege ich mich rückwärts vom Sarg weg, als mich das Stöhnen aus meinem Trance- Zustand herausholt. Nein, das sind nicht meine Freunde. Das ist selbst für die eine Spur zu hart. Zu dem Stöhnen gesellt sich noch ein anderes Geräusch. Es hört sich an, als ob jemand über den Boden kriecht. Äste, die leise brechen, Blätter, die rascheln, nur schnell weg hier. Ich versuche mir mit dem Feuerzeug den Weg zu leuchten.
Was ist das? Ich bleibe stehen. Die Geräusche sind ganz in meiner Nähe. Beim Laufen ist mein Feuerzeug ausgegangen. Es ist dunkel, noch dunkler als zuvor, da sich meine Augen nach der Helligkeit noch immer nicht an die Dunkelheit gewöhnt haben. –Knack-
Die Geräusche sind ganz in meiner Nähe und sie kommen immer näher. Panisch versuche ich mein Feuerzeug aus der Hosentasche zu friemeln. Warum hatte ich Idiot es auch wieder weggepackt? Na toll, es fällt mir herunter. Ich suche mit meinen Händen in der Dunkelheit herum. Die Geräusche nähern sich. Ich taste blind um mich. Ha, da ist es!
Ich stehe wieder aufrecht und plötzlich schmiegt sich etwas an meinen Beinen. Es fühlt sich an wie ein Katze, die sich an den Beinen reibt, nur ist es viel viel größer als eine Katze. Ich traue mich nicht mein Feuerzeug anzumachen. Ich stehe nur da und zittere. Zwei Minuten stehe ich regungslos da. Jetzt müsste es weg sein. Vorsichtig mache ich mein Feuerzeug an. Ich schaue nach rechts. Nichts. Vor mir. Nichts. Links von mir. Nichts. Erleichtert hole ich Luft. Da ertönt ein Geräusch hinter mir. Ich drehe mich um. Das Licht des Feuerzeuges ist leider nicht sehr ergiebig. Ich erkenne die Silhouette eines Menschen, der sich auf allen Vieren vorwärts bewegt. Ich weiß nicht warum, aber ich bewege mich auf diese Kreatur zu. Es bleibt stehen. Es verstummt. Stille. Kein Knacken, kein Rascheln, kein Stöhnen. Langsam dreht es seinen Kopf und fixiert mich. Ich sehe keine Augen, spüre die Blicke des Wesens aber wie Dolche, die mich durchbohren. Ich trete näher. Ich muss den Verstand verloren haben.
„Ha- Ha- Hallo?” frage ich naiv. Es bewegt sich auf mich zu. Es tritt immer näher in den Lichtkegel des Feuerzeuges. Langsam kann ich das Gesicht erkennen. Es weist menschliche Züge auf. Nase, Mund, Ohren, Augen, alles da. Wenige Meter noch und ich kann es klar erkennen.
Es sind keine Augen, sondern leere Augenhöhlen. Die Lippen sind vollständig entfernt. Die Haut ist grau und hängt an vielen Stellen in Fetzen herunter. Das Wesen ist in Lumpen gehüllt. Ein grauenvoller Anblick. Es schaut mich mit seinen Augenhöhlen an, hebt sogar noch den Kopf empor und hält mir die knochige, ebenso zerfetzte Hand entgegen. Mit einem abartigen Stöhnen versucht es, mir etwas zu sagen. Das ist zu viel für mich. Ich fange an zu rennen. Scheiße, weg hier, nur weg hier!
„Was ist los? Hey, Lukas, sag doch was, Lukas!!!“ Meine Freunde reden auf mich ein. Ich stammele und stottere vor mich hin. Ich brauche einen Moment Ruhe, um einen klaren Gedanken zu fassen.
„Jetzt haltet doch mal kurz eure Fressen!“ schreie ich. Stille. Kurze Zeit später beginne ich, ihnen von meinem Erlebnis zu erzählen.
„...und ich bin nur noch gerannt. Bis ich zum Glück euch gesehen hatte. Mann, ich hatte vielleicht Schiss.“ Ich beendete meine Geschichte und schaute in die Gesichter meiner Freunde. Plötzlich höre ich ein Prusten und kurz darauf ein hämisches Lachen. Oliver.
„Ey, für einen Moment hatte ich echt Angst. Geiler Witz. Hast du was genommen?“
Alle anderen lachen auch.
„Aber...aber das ist die Wahrheit! verteidige ich mich. Zwecklos.
„Wichser!“ Wutentbrannt renne ich nach Hause. Allein. Keine gute Idee. Ich habe das Gefühl jemand ist hinter mir, jemand beobachtet mich. Ich schaue mich um. Niemand. Ich gehe schneller. Da ist was, das spüre ich, da ist irgendwas.
An der Haustür angelangt, versuche ich den Haustürschlüssel aus meiner Hose zu fummeln. Voller Panik wühle ich erst in der linken, dann in der rechten Hosentasche. Nein, ich werde ihn doch wohl nicht verloren haben. Scheiße! Bei der ganzen Rennerei muss ich den Schlüssel verloren haben. Hoffentlich ist mein Bruder Boris noch nicht zu Hause. Er legt sich den Schlüssel immer in den Postkasten, damit er nicht Gefahr läuft, ihn zu verlieren. Glück gehabt. Ich schließe die Tür vorsichtig auf und lege den Schlüssel wieder in den Postkasten, nachdem ich mich vergewissert habe, dass mich keiner beobachtet.
So, jetzt schnell ins Bett. Ob ich schlafen werde, ist zweifelhaft, aber ich muss zur Ruhe kommen.
Am nächsten Morgen gehe ich hinunter in die Küche. Es ist anders als sonst. Ruhiger. Meine Eltern sitzen in der Küche. Mein Vater umarmt meine Mutter, die gerade entsetzlich weint. Auch mein Vater hat Tränen in den Augen.
„Was...?“ frage ich. Weitere Worte sind überflüssig.
„Boris.....“ sagt mein Vater. Auch er hält sich wortkarg, aber es ist unmissverständlich. Boris ist etwas passiert.
„Ist er etwa...?“ Mein Vater nickt. Boris ist tot. Mein Bruder Boris ist tot. Ich kämpfe mit den Tränen.
Es vergehen Wochen. Eine beschissene Zeit. Meine lebenslustige Mutter ist ein Wrack. Auch mein Vater hat lange nicht mehr gelacht.
Aus der Presse und aus Polizeiberichten erfahre ich von den Umständen seines Todes. Mit meinen Eltern kann ich darüber nicht reden. Auch den ganzen Papierkram muss ich erledigen.
Boris war um fünf Uhr morgens von der Disco nach Hause gegangen. Um circa Viertel nach muss er seinem Mörder begegnet sein.
Boris’ Schädel war eingeschlagen. Seine Augen aus den Höhlen entfernt. Die Zunge war herausgetrennt worden. Große Flächen seiner Haut fehlten. Außerdem war er völlig unbekleidet. Es war grauenvoll. Widerlich. Was für ein Mensch ist zu einer solchen Tat überhaupt fähig? Wie kaputt ist unsere Gesellschaft?
Ich komme nach Hause von der Schule. Ich schließe die Tür auf. Wieder ist irgendetwas anders. Es ist so unruhig bei uns im Haus. Plötzlich läuft eine schwarze kleine Kreatur auf mich zu und setzt zum Sprung an. Ich schreie.
Das erste mal seit einem Monat höre ich meine Eltern wieder lachen. Es ist ein emotionales, ehrliches Lachen, kein gequältes. Vor mir ist ein kleiner schwarzer Hund, der aufgeregt mit dem Schwanz wedelt. Jetzt kapiere ich, warum sie lachen.
„Das ist Frodi. Gefällt er dir?“
„Ja, klar.“ Sage ich und spiele ein bisschen mit ihm herum.
Meine Freunde sind mir in der schweren Zeit eine gute Stütze gewesen. Der kleine Streit von vor einem Monat ist vergessen. Mittlerweile habe ich auch kein Problem mehr, über Boris zu reden oder Friedhöfe zu betreten.
Es ist wieder einer dieser Abende wie vor einem Monat. Diesmal soll Nils über den Friedhof gehen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich damit kein Problem habe und dass es völlig OK ist. Meine Freunde freuen sich, dass ich so schnell über den Berg bin. Meine Warnungen nimmt Nils aber nicht ernst.
„Ja ja...“ Winkt er ab.
Na ja, er wird schon sehen.
Wir warten auf der anderen Seite des Friedhofes auf Nils. Eigentlich müsste er längst zurück sein.
„Lass uns losgehen und ihn suchen!“ Drängle ich.
Wir gehen los. Ich habe mir diesmal schlauerweise eine Taschenlampe mitgenommen. So leuchte ich uns den Weg, bis Oliver plötzlich stolpert.
„Aah, leuchte mal da hin, da bin ich grad drüber gestolpert.“
Ich leuchte. Ein Schuh. Nils Schuh. Ich hebe ihn hoch. Er ist schwer, ungewöhnlich schwer. Abrupt lasse ich den Schuh fallen, als mir eine warme Flüssigkeit über den Arm rinnt. Blut. Der Fuß steckt noch in dem Schuh. Oh Gott!
„NILS!!!!“ Wir schreien uns die Seele aus dem Leib. Mich überkommt das Gefühl, dass unsere Schreiaktion wenig sinnvoll ist, da ich mit einem Mal spüre, dass wir beobachtet werden. Da! Ein Geräusch. Es ist wie ein Déjà-vu.
„Ich glaube, es wäre besser, wir würden verschwinden.“ Schlage ich vor.
„Aber Nils, wo ist Nils?“
Ich traue mich nicht, ihnen meine Vermutung zu offenbaren, aber auch die anderen rechnen mit dem Schlimmsten.
„Meinst du, er ist...?“
Ich nicke.
Wir rennen. Nur weg hier. Wieder habe ich das Gefühl, verfolgt zu werden. Alles ist wie an dem Abend, an dem Boris sein Leben lassen musste. Auch der Geruch, den ich damals nur beiläufig registrierte, ist identisch. Als wäre es der Geruch des Todes.
Ich bin heil zu Hause angelangt. Ich öffne meine Zimmertür und schalte das Licht ein. Es trifft mich wie ein Schlag. Auf meinem Bett liegt ordentlich zusammengefaltet die Hose, die Boris am Abend seines Todes anhatte. Ich bin mir hundertprozentig sicher. Jemand war oder ist im Haus. Ein Scheppern. Ein Schrei. Papa!
Ich renne die Treppen herunter. Es ist nur mein Vater, der sich einen Schnaps holen wollte und im Dunkeln gegen einen Tisch gerannt war auf dem ein Glas stand.
„Tschuldigung, wenn ich dich erschreckt habe. Au, ich Trottel!“
„Ja, du hast mich erschreckt. Du...äh... Papa?“
„Was ist Lukas?“
„Ähm...nichts...Gute Nacht!“ Ich kann es ihm einfach nicht erzählen mit der Hose. Es würde ihn wie ein Beil treffen. Er würde fürchterliche Angst um Mama und mich haben. Nein, es geht nicht.
Ich gehe schlafen. Ich gehe nicht davon aus, dass sich noch jemand im Haus befindet, das spüre ich.
In der Nacht werde ich von einem eigenartigen Kratzen an meiner Tür geweckt. Ich könnte mir in die Hose machen vor Angst. Meine Bettdecke liegt zentnerschwer auf mir drauf. Was ist das?
Es wird lauter und heftiger. Gleich ist die Tür durchgekratzt. Manchmal, besonders wenn ich Angst habe, gleicht meine Fantasie immer noch der eines Kindes.
Ich muss der Sache auf den Grund gehen. Ich stehe direkt vor der Tür. Ein sonderbares Schnauben ist zu hören. Ich balle die rechte Hand zur Faust und ergreife mit der linken Hand den Türgriff. 1-2-3. Tür auf. Dunkelheit. Da unten. Was ist das? Zwei Augen funkeln mich an.
Es ist Frodi.
„Musst du mir solche Angst einjagen, Frodi?“ Ich bringe ihn in sein Körbchen.
Am nächsten Morgen gehe ich hinunter in die Küche. Wieder ein Déjà-vu. Meine Mutter weint und mein Vater tröstet sie.
Ich schaue sie fragend an.
„Dein Freund Nils wurde gefunden....“ Sagt mein Vater.
Meinen Eltern hat Nils Tod gezeigt, dass Boris’ Mörder immer noch frei herumläuft. Furchtbar. Warum wollte Nils nicht auf mich hören? Ich hätte ihn einfach nicht gehen lassen sollen. Es ist alles meine Schuld.
Den Tag verbringe ich wie in einem Wachkoma. Ich habe keine Lust, meine Freunde zu treffen. Sie sind genauso Schuld, sie hätten mir glauben müssen.
Es ist elf Uhr und ich entscheide mich, ins Bett zu gehen.
In der Nacht werde ich wieder von einem Kratzen geweckt.
„Frodi...“ Murmel ich im Halbschlaf. „Verschwinde!“
Das Kratzen hört nicht auf. Ich stehe auf, schlurfe zur Tür und öffne sie.
„Frodi, was hab ich....“ Weiter komme ich nicht mit dem Reden. Eine Hand krallt sich in meine Wade. Ich bin hellwach vom unerwarteten Schmerz. Ich schaue nach unten. Zwei Augen funkeln mich an. Ich könnte schwören, dass ich den Blick kenne. Die Hand lässt nicht locker. Es schmerzt. Ich schlage die Tür immer wieder heftigst zu und klemme so den Arm ein. Meinen Eltern möchte ich dieses Szenario lieber ersparen. Sie haben zu viel mitgemacht in der letzten Zeit. Unfassbar, dass ich Gedanken wie diese fasse, schließlich stehe ich gerade Todesängste aus.
Die Hand lässt langsam los. Die Person kriecht die Treppe hinunter. Ich renne hinterher und mache das Licht an. Oh Gott, es ist diese merkwürdige Kreatur vom Friedhof. Moment mal, das sind doch Nils’ Klamotten und woher hat das Wesen plötzlich so viel Haut? Unten angelangt dreht das Wesen seinen Kopf zu mir. Es sind Boris Augen, die mich beobachten. Eindeutig. Wahrscheinlich ist es auch noch Boris’ und Nils’ Haut. Ich stehe da wie angewurzelt.
Die Sache muss endlich ein Ende haben, bevor noch mehr Menschen sterben.
„Bleib stehen, du...du Zombie!“
Das Wesen kriecht weiter, kümmert sich nicht um mich.
Ich muss es töten, ich muss es von dieser Welt schaffen. Ich renne hinterher und trete diesem Etwas in die Seite, so dass es zusammenbricht. Keuchend liegt es am Boden. Es macht den Eindruck, als wolle es reden. Krächzen. Husten. Dann plötzlich...
„Lukas, du tust mir weh, willst du etwa das mit mir machen, was ich mit Boris tat? Auge um Auge? Ha ha.“
Ich bin schockiert und zornig zugleich. Es kann reden. Ist es ein Mensch? Es weist menschliche Züge auf, aber es wirkt doch fremdartig.
Mit voller Wucht trete ich dem Monster in sein Gesicht. So doll, dass es knackt und knirscht.
Ich höre Boris’ Stimme.
„Nein, Was habe ich ihnen getan? Bitte lassen sie mich leben, bitte!“
Das Wesen lacht und ich sehe seine Zunge. Es handelt sich wahrscheinlich um Boris’ Zunge, die ihm herausgetrennt wurde. Noch einmal donnert mein Fuß in sein Gesicht und noch mal und noch mal. Stille. Ob es tot ist?
Mit dem Fuß trete ich dem Monster in die Seite. Keine Reaktion. Ich gehe kurz in die Garage, um eine Axt zu holen. Ich will ganz sicher sein.
Als ich wieder da bin, ist es weg. Das sollte ich eigentlich aus den ganzen schlechten Horrorfilmen wissen, die ich gesehen habe, aber da das hier das wahre Leben ist, habe ich es nicht bedacht. Instinktiv gehe ich nach oben zum Schlafzimmer meiner Eltern, die Axt schlagfertig in den Händen.
Die Schlafzimmertür ist auf. Ich mache die Tür leise auf und entdecke das Wesen, wie es sich über meine Mutter beugt. Meine Eltern schlafen tief und fest und sind sich ihrer Gefahr in keiner Weise bewusst.
Meine Schritte werden schneller. Ich hole aus und mit einem entsetzlichen Geräusch bohrt sich die Axt in das Gewebe des Monsters. Mit etwas Druck befreie ich das Wesen von der Axt nur um sie ein weiteres Mal in seinem Fleisch zu versenken. Wieder und wieder saust die Axt nieder und zertrümmert Knochen und Sehnen. Ich hasse Gewalt, aber es macht Spaß. Meine ganze Trauer über Boris und Nils, meine ganze Wut konzentriert sich nun in jedem einzelnen Axthieb. Es ist, als ob ich meinen ganzen Hass herauslasse. Ein gutes Gefühl.
Das Wesen ist nun fachgerecht zerlegt. Es ist tot. Die Gefahr ist vorüber.
Meinen Eltern kann ich diese Geschichte nun wirklich nicht ersparen. Sie waren längst aufgewacht. Es war auch nicht das schmerzhafte Schreien des Monsters, dass mich immer wieder aufs Neue motivierte, die Axt zu versenken, es war das Kreischen meiner Mutter.
Ich werfe die Axt auf den Boden. Meine Eltern schauen mich schweigend an. Ich merke, dass sie Angst haben, sie haben meinen Blutrausch miterlebt.
„Raus!“ kreischt meine Mutter, sie ist hysterisch. Meine Eltern haben so viel miterlebt in der letzten Zeit. Sie sind richtige Wracks.
Ja, es hatte wirklich Spaß gemacht. Ich betrachte die Axt auf dem Boden, dann meine Eltern...