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Das weitgeschlossene Fenster

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03.01.2003
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Das weitgeschlossene Fenster

Sie sah jeden Tag aus dem Fentser hinaus.
Immer wenn es regnete, fühlte sie sich einsam. Ein Gefühl der Hilflosigkeit vergrub sich an solchen Tagen in ihr und ließ sie nicht mehr los. Sie verglich sich oft mit einem der vielen Regentropfen, die an ihr Fenster prasselten. Manchmal hatten Fenster für sie eine große Bedeutung, besonders die der Hochhäuser, weil alles, was von dort oben hinunterfiel, klanglos zerschellte und nicht mehr zu reparieren war. Sie betrachtete ebenfalls gerne ihre Pulsadern und fuhr immer wieder mit einem roten Filzstift an ihnen entlang. Es war faszinierend, dass das Leben von zwei so kleinen Körperstellen abhängig ist.
Dienstag. Dienstag sollte es wieder schönes Wetter geben. Aber was half das denn, wenn sie den Regen jeden Tag in ihrem Kopf hörte. Allein saß sie am Fenster und schaute hinaus. Genau in derartigen Augenblicken flieh sie in ihre Traumwelt und fühlte sich wie ein Windhauch, der sich inmitten der Bäume verliert. Sie dachte zurück, als sie noch lachen konnte und alles in ihrem Leben einen Sinn ergab und sie sich nicht wertlos fühlte.
Und jetzt? Jetzt glich ihr junges Leben einem schaurigen, dunklen Regentag, an dem sich dicke graue Wolken am Himmel bildeten und sie an allem das Interesse verlor. Selten verliert ein Mensch seine Spuren und seine Lebenslust, die er in scheinbar ewiger Traurigkeit wiederfindet. War sie denn eine Seltenheit? Seltenheiten gelten als etwas Besonderes....
Früher konnte sie noch laut aufschreien und die Zukunft lag vor ihren Augen, auf die sie sich freute, weil jeder Tag ein sonniger und heller Tag war. Damals regnete es nie! Sie wünschte sich Flügel und wollte ihren Körper verlassen, denn von außen betrachtet fand sie sich schöner, obwohl sie eigentlich nie wagte in den Spiegel zu schauen. Der größte Hass galt leider ihr selbst und die Unterdrückung der persönlchen Antipathie war viel zu schwer.
Sie sah noch einmal aus dem Fenster.
Der Wagen der Mutter fuhr in die Garage und somit war der Zeitpunkt da, um aus der Realität ihres Zustandes zu flüchten und sich der Fassade der "heilen Welt" anzupassen: ein fröhliches Lächeln im Gesicht und gute Laune. (Sie nannte diese Gefühlsausbrüche Notlügen)
Das Hören der Schlüssel im Schloss war für sie furchterreend und sie wusste, sie musste sich fassen. Jedesmal überkam sie dieselbe Angst. Mutters Schritte im Flur drönten und sie versuchte sich zu erinnern, ob sie die Toilettentür geschlossen hatte. Der Ekel war dieses Mal besonders schlimm gewesen. Sie hoffte ihre Bedrücktheit geschickt im Innern vergraben zu haben. Sie war sich im Klaren darüber, dass sie ein Idealkind sein sollte, welches niemals Kummer empfand.
Stumm saß sie da und lächelte. Mutter kam nicht ins Zimmer, um sie zu begrüßen. Wahrscheinlich war sie gestresst von der Arbeit und hatte keine Zeit für Belanglosigkeiten.
Oftmals wünschte sie sich ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, Mutter von ihrem Leiden zu erzählen und Schwäche durch Tränen zu zeigen. Natürlich war dies eine Tat der Unmöglichkeit. Perfektionisten dürfen nicht weinen, sonst verlieren sie ihre Härte und hören auf nach der Vollkommenheit zu streben.
Mit einem Betonklotz im Magen, entschloss sie sich zur Mutter zu gehen. Die bleiernden Stäbe im Knie und in der Brust schmerzten unheimlich.
"Hallo Mama" sagte sie mit dem theatralischen Grinsen im Gesicht, ihre Mutter von oben bis unten betrachtend. Naß stand die Mutter da, kein Blick zur Tochter, nur die flüchtige Frage, ob sie denn schon zu Mittag gegessen hätte. Die Antwort des Kindes ging in dem Gesang einer Frauenstimme im Radio unter.
Es tat ihr weh, dass Mutter sie nicht ansah. Das Einzige, worüber sie sich beschwerte, war der schreckliche Regen:"Ich hasse ihn, Annabel!"
Sie ging zurück in ihr Zimmer. Die vier Wände dienten ihr zur Isolation. Wen sie alleine war, konnte ihr keiner weh tun.
Sie verstand nichts mehr, ihr Kopf war leer. Sie rang ihre Arme nach oben und lief im Zimmer auf und ab, bis sie nach einiger Zeit wieder am Fenster saß und hinausschaute.

 

Liebe Moni!

Da ist er wieder, dieser Schrei den keiner hört. Die absolute Sprachlosigkeit. Das Ergeben in die Sehnsucht nach Zuwendung durch den Blick aus dem Fenster. In einem angenehmen Erzählstil sehr Bedrückendes geschrieben.

Lieben Gruß - schnee.eule

 

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