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Das Wasser

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16.08.2002
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Das Wasser

Das Wasser

Der Gang war lang und düster. Dunkle, alte Lampen leuchteten den Weg und vermittelten das dumpfe Gefühl einer toten Bahnhofshalle bei Nacht. Donnernd rissen die schweren Schritte eines massigen Mannes ein Loch in die bedrückende Stille. Oberbürgermeister K. hatte sein Büro mit Telefon und Fax das erste Mal an diesem Tage verlassen. Er war ein geschäftiger, beschäftigter Mann. Und er war mächtig.

Journalisten füllten die Halle, verbreiteten ein rauschendes Meer von klingelnden Mobiltelefonen, Papiergeknitter und sensationsgierigem Gemurmel. In der vordersten Reihe vor dem Redakteur der Rundschau stand ein kleines Mädchen mit braunen geflochtenen Zöpfen und rosernen Hosen, die ihr offensichtlich viel zu groß waren. Sie stand da und beobachtete schweigend mit grünen, ausdruckslosen Kinderaugen wie Oberbürgermeister K. prustend den eigens dafür konstruierten Podest erklomm und einen Schluck aus dem Wasserglas nahm. Das Wasser schwappte.

„Oberbürgermeister K.! Können sie uns erklären warum die Deiche in P. nicht gehalten haben, obwohl sie dies zugesagt hatten?“ Gezückte Stifte warteten auf Antwort, Totenstille im Saal, als sich der mächtige Mann räusperte: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, sie wissen, dass unsere Regierung alles getan hat um...“ Das Wasser im Glass zitterte und schwappte.

Neonsonnen brannten von der Decke, an die Fensterscheiben prasselte monoton der Regen. „Ich versichere ihnen, dass alles hat nichts mit einer, von hochkarätigen Wissenschaftlern heraufbeschworenen, und vom Menschen verursachter Klimaveränderung zu tun." Das glasklare, ungetrübte Wasser schwappte über den Rand und sickerte in den Holzbelag des Podestes.

Die Journalisten hingen schon wieder an ihren Suchtgeräten um die „Neuigkeiten“ zu verbreiten, der Erste hatte bereits den Saal verlassen, als dich eine kleine zarte Kinderstimme leise einschaltete: „Teddy und Lora sind fort!“ „Was?“ Die donnernde Antwort lies sie zurück weichen, aber die toten Augen wurden lebendig: „Mein Teddy und meine Lora sind tot und du bist Schuld! Und du auch!“ Mit kindlicher Naivität deutete sie auf all die Männer und Frauen die hinter dem Oberbürgermeister K. standen und nun pikiert den Boden studierten. „Mein Papa sagt, die Wirtschaft und du, ihr seit Schuld!" Die Augen gingen wieder in den leblosen Zustand über.

Begeistert fotografierten die Menschen mit den Kameras den Mächtigen Wohltäter mit dem teilnahmslosen Kind, dem der große Mann einen neuen Teddy versprochen hatte – auch wenn er und eine Industrie nichts mit dem Unglück zu tun hatten.

Und weil der Oberbürgermeister K. ein beschäftigter Mann war, unterschrieb er nebenbei mit der linken Hand seine Einverständnis zur Abholzung des Waldes am Hand im Norden seines Regierungsgebietes.

Und das Wasserglas fiel um.

© Anne Schüler

 

Hallo Anne-Janet,

bis auf ein paar Tipfehler, die mir beim Lesen Sinnschwierigkeiten bereitet haben, muß ich sagen; diese Geschichte ist echt gelungen! Vor allem der Schluß hat's wirklich in sich... Der Satz;

Und das Wasserglas fiel um.

ist genial in Verbindung mit Deiner Story!

Gelungen! :thumbsup:

Gruß,
stephy

 

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