- Beitritt
- 19.03.2003
- Beiträge
- 1.883
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Das was mir von dir bleibt
eine alte Nähmaschine, ich kann nicht nähen, den halben Schrank voll mit Tischdecken, ich hasse Tischdecken, zwei Mäntel, die passen einfach nicht in ihren Schrank, vier schwarze klassisch geschnittene Röcke, viel zu eng für mich, aber wer weiß ...
Ich wälze mich durch Paragrafen, unterschreibe und bestimme damit, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen wird, telefoniere mit ihrem Arzt, sie ist gut angekommen, die Tränen kullern mir über die Wangen, ich kann nicht damit aufhören. Zur gleichen Zeit, wie in einem parallel verlaufenden Universum, meine Tochter, erwachsen geworden, flügge, raus aus dem Haus, ich habe keine Zeit sie zu vermissen, viel zu tun, viel zu tun, Gedanken, kreisen, kreisen, kreisen mich ein, verlassen von Mutter und Kind, warum kann ich nicht schlafen, ich bin müde am Tag, in der Nacht hellwach, ich sehne mich nach Umarmung, aber mag dafür ich nicht still halten, ich laufe, räume, einmal, zweimal, dreimal, bewege mich im Kreis, wie meine Gedanken, Abschied tut weh.
Wochenende. Auf der Autobahn ein langer Stau zur Ostsee. Blechlawinen auf dem Weg, das wunderschöne Wetter in den letzten Zügen.
Es ist zwölf Uhr mittags, als ich endlich angekommen bin, sie wird mit dem Essen durch sein. Ich drücke die Taste des Aufzuges, zweite Etage. Mit mir eine grauhaarige Frau, die mich freundlich anlächelt.
Ihr Zimmer ist schön, ein paar ihrer Möbel konnte ich mitnehmen. Ein paar Fotos habe ich auch aufgestellt. Sie soll ihre Kinder sehen können, auch ihre Enkelkinder. Beim Bild meines Bruders, fragte sie, warum es dort steht.
»Mama, das ist doch Uli«, sagte ich, mühsam um Fassung ringend. Mein Bruder ist vor drei Jahren gestorben.
Sie steht gerade vom Tisch auf, schiebt ihren Rollator durch die Tür, sieht mich. »Susanne, du eische, warum kommst du jetzt erst?«
Heute ist ein guter Tag, sie hat mich erkannt, ich fühle einen Stich im Herzen. Ich kann doch nicht immer nur für sie da sein.
Das Heim ist wundervoll, wirklich. Man hat das Gefühl, sie kann hier noch zehn Jahre älter werden.
»Was ist denn, Mama?«, frage ich, den Vorwurf ihrer Stimme versuche ich nicht an mich heran zu lassen. Ich will mich freuen, die gemeinsame Zeit mit ihr ist kostbar.
»Mein Zeh tut weh, ich konnte die Nacht nicht schlafen, ich musste mir selbst Jod darauf tropfen. Ruf doch Sabine an, die muss kommen!«
Ich weiß nicht, wer Sabine ist. Sie weint jetzt. Ich schiebe meinen Arm unter sie, bugsiere sie in ihr Zimmer.
»Ich guck mir das an«, sage ich sanft.
Im Zimmer ziehe ich ihr den Socken aus, begutachte den Großzeh und taste vorsichtig die empfindlichen Stellen ab. Sie bemerkt es nicht, plappert, sie habe solche Schmerzen.
»Ich mache dir ein warmes Fußbad mit Salz.«
»Hilft das denn?«
»Ja, du wirst gleich keine Schmerzen mehr haben.«
Ich bereite das Fußbad zu, prüfe die Temperatur mit dem Handinnengelenk unter dem fließenden Wasserhahn und ich erinnere mich daran, wie ich so stets die Temperatur für das Bad meiner Kinder gemessen habe, weil meine Mutter es mir nach der Geburt meiner Älteren so gezeigt hat. Eine Handvoll Salz ins Wasser und ich führe ihren linken Fuß in das Bad.
»Ist es angenehm so? Eine viertel Stunde sollte es schon sein.«
Ein Martinshorn dröhnt durch das offene Fenster
Jetzt kommt es, ich ahne es.
»Ich will nicht mehr, ich gehe nachher raus und schmeiß mich vor die Kreuzung.«
»Mama, ich habe dir was mitgebracht.«
Ich ziehe den farblosen Nagellack aus der Tasche.
»Ich brauch das nicht mehr«, sagt sie, aber ihre Tränen versiegen bereits und dann sagt sie, » der Paul an meinem Tisch macht bestimmt eine Bemerkung, wenn er meine Nägel sieht«. Sie lacht, streicht sich übers Haar.
»Lässt du mir noch Geld für den Friseur da?«
Ich lackiere ihre Nägel, genieße ihre Freude, ich erzähle von den Kindern.
»Das Wasser wird kalt«, sagt sie plötzlich.
»Kannst du dein Bein auf meinen Schoß legen?«
Sie hebt das Bein langsam, ich helfe ihr vorsichtig. Ihre Gliedmaßen sind geschwollen, Herz- und Nierenschwäche, so die weitere Diagnose.
Ich ertappe mich bei dem Gedanken, ein schöner Tod im Schlaf ...
Ich trockne ihr den Fuß, vorsichtig tupfe ich den Zeh. Ihr Blick ist leer, als ich wieder hochschaue.
»Alles ist gut«, sage ich, ziehe ihr Strumpf und Schuh über. In meinem Hals sitzt ein Kloß.
»Ich komme nächste Woche wieder«.
»Sabine soll kommen«, sagt sie.