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Das wahre Leben
Immer wenn ich neue Menschen kennen lerne, frage ich mich, welche Geschichten sie wohl verbergen. Was für ein Leben sie bis dato gelebt haben. Ob ich die einzige bin in der modernen Welt, die so ein Schicksal durchleben muss. Ich weiß genau, dass dem nicht so ist, denn die Menschen neigen dazu sich selbst zu täuschen und vor allem die anderen Menschen zu täuschen. Denn so sind wir Menschen.
Vielleicht ist es eine erfundene Geschichte, die ich euch erzählen möchte, vielleicht ist sie aber auch wahr. Diese kleine Tatsache möchte ich nicht offenbaren, entscheidet einfach selber, ob ihr sie als wahr oder erfunden bezeichnen wollt.
Ich bin 20 Jahre alt und lebe in einer Kleinstadt in Deutschland. Mein Leben ist, wie soll ich sagen? Anders. Mir war eigentlich nie bewusst, dass mein Leben so anders ist. Als Kind hatte ich nie das Gefühl anders zu sein als die anderen Kinder in meiner Umgebung. Ich habe mit ihnen spielen können, egal ob Junge oder Mädchen. An meine Kindergartenzeit kann ich mich gar nicht erinnern. An die Grundschule kann ich mich jedoch sehr gut erinnern. Ich war sehr beliebt. Mich kannten alle Lehrer aus der Schule, ich war Klassensprecherin. Die Lehrer prophezeiten mir eine sehr vielversprechende Zukunft. Ich weiß noch, wie stolz ich war, als unser Schulleiter sich in mein Freundebuch eingetragen hatte. Wie schnell man als Kind glücklich sein konnte, es erstaunt mich immer noch. Ich hatte eine unbeschwerte Zeit als Kind, ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich wie jedes Kind naiv war und ich an Feen und andere Wunderwesen glaubte oder daran dass alles in Ordnung war. Abgesehen von einem Tag bzw. Ereignis, dass ich nie vergessen werde. Noch immer denk ich mit einer Gänsehaut daran und frage mich, wieso. Ich weiß nicht genau, wie alt ich war. Ich weiß nur, dass ich zu der Zeit in die Grundschule ging. Ich war um die Zeit dann zwischen 7 und 12, schätzungsweise. Das Wetter war wundervoll, die Sonne schien und die Vögel zwitscherten. Ich weiß auch noch genau, wie ich an dem Morgen erwachte. Ich war glücklich und das Wetter machte mich noch glücklicher. Jetzt denk ich mir, wie naiv ich wohl gewesen sein musste. An dem Wetter das Gefühl fest machen? Ich frühstückte mit meiner Familie und ging dann wie jeden Tag vor die Tür zum Spielen. Meine Freundin und ich entschieden uns Inlineskater zu fahren. Wie gerne ich Inliner gefahren bin, früher. Was ich jetzt darüber denke? Ich glaube, dass klärt sich gleich. Es gab damals noch die Inliner mit den Schnürsenkeln, meine Freundin hatte solche und sie hatte sie sich nicht fest zugeschnürt. Ich machte sie darauf aufmerksam und sie fragte mich, ob ich sie nicht eben kurz zubinden könnte. Warum sollte ich dies auch nicht tun? Ich bückte mich und machte ihr eine ordentliche Schleife rein. Den Blick meines Vaters, der das Auto sauber machte, bemerkte ich gar nicht. Wieso auch? Ich dachte, ich mache nichts falsch.
Ich spielte mit ihr weiter bis zum Abend. Am Abend verabschiedeten wir uns und ich ging nach Hause. Mein Vater wartete in meinem Zimmer auf mich. Er schloss die Tür ab und schrie mich an:
„Wie kannst du dich so erniedrigen lassen und ihr die Schnürsenkel zu machen?“
Er holte aus und schlug zu. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich spürte nur den zuckenden Schmerz und sah die Welt nur noch verschwommen, Tränen rannen mir über die Wangen bei jedem weiteren Schlag schrie ich und weinte. Ich muss sagen, ich hatte gar keine Zeit für Gedanken in dem Moment. Ich weinte nur und wartete auf jeden weiteren Schlag, auf jeden weiteren Tritt, auf jeden weiteren Würgegriff am Hals. Ich weiß nur, dass ich die Hoffnung verlor, bis die Tür von außen aufgeschlossen wurde und meine Mutter reinstürmte. Meinen Vater anflehte, mich los zulassen. Das tat er auch nach einem letzten, festen Schlag ins Gesicht. Meine Mutter wollte mich in den Arm nehmen, ich jedoch wich zurück. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in die Hose gemacht hatte. Aber das war mir egal. Ich legte mich in mein Bett und umklammerte mein Kuscheltier Jack. Ein kleiner Bär, der immer da war. Ich weiß nicht, ob ich eingeschlafen war oder ohnmächtig geworden bin, ich weiß nur dass ich am nächsten Tag unter Tränen aufwachte.
Was meint ihr? Bin ich danach je wieder Inliner gefahren?