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Das verlassene Militärgelände (Maeuser)
Ich empfehle von @Maeuser "Das verlassene Militärgelände" aus einer Reihe von Gründen:
Es ist eine Geschichte, die Vergangenheit, Erinnertes und Vergessenes (Verdrängtes) behandelt, dabei das Alltägliche selbstverständlich neben das Paranormale stellt, das Ruhige neben das Beängstigende, Altes neben Neues, Kindheit neben Erwachsenensicht.
Ein Besuch im alten Heimatort (verräterisch ländlich-ruhig) legt sehr subtil sowohl Nostalgie wie auch bittere Erlebnisse in einer dysfunktionalen Familie frei. Diese erlebt der Leser durch die Augen des Protagonisten: Es wird ohne Wertung erzählt, wobei der Leser selbst entscheiden kann, was verdrängt, was verarbeitet wurde oder was als durch die vergangene Zeit einfach als nicht mehr akut empfunden wird.
Dabei gibt es schöne Spiegelungen: Das Militärgelände und seine Umgebung – zur Kinderzeit ein Fokuspunkt für den Icherzähler und seinen Bruder – ist verlassen, umstrukturiert; und immer wieder deutet der Protagonist an, dass auch er sich verloren und verlassen oder aufgegeben vorkommt. Ein unheimliches Erlebnis andererseits zieht eine Linie von damals ins Jetzt, und die Konsequenzen sind nicht abzuschätzen.
Maeusers Erzähler erfährt eine langsame, subtile Entwicklung und Veränderung, die er immer wieder kurz anspricht – es gibt kein idyllisches Vorher zu einem dramatischen Nachher, was den Text sehr lebensnah klingen lässt. Und hier, durchaus als bewusst großer Vergleich, schafft Maeuser, wo King für meine Begriffe in seiner berühmten Sommer-Kurzgeschichte versagte: Das Unheimliche wird Teil der Entwicklung des Protas, wird nicht nur durch die Stimmung angeteasert, sondern mit vollem Gewicht szenisch eingebunden. Und doch begräbt das Geisterhafte nicht das Menschliche unter seinem dramatischen Gewicht.
Der Text mag verlangen, dass man sich ohne Eile auf den Besuch eines ruhigen Ortes mitnehmen lässt, aber er belohnt auch dieses Darauf-Einlassen mit individuellen Momenten, einer durchaus gruseligen Passage und schönen Einsichten in die Figur.
Anfang und Ende bilden dabei eine Klammer (der Ort), aber am Ende hat sich die Sicht dezent verschoben. Nur konsequent für eine gelungene Setting-als-Protagonist Geschichte personifiziert der Erzähler den Ort am Ende - ob dies eine Annäherung oder Abnabelung bedeutet, bleibt angenehmerweise ambivalent.
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