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- 12.07.2002
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Das Untier
Unkosten. Ein blödes Wort. In sich völlig absurd. Es gibt nur Kosten oder dann eben keine Kosten. Unkosten gibt es nicht.
Aber gibt es ein Untier? Hier kann ich nur in aller Klarheit sagen: „Ja, es gibt es“. Ich weiß es genau, denn ich lebe seit knapp zwei Jahren Wand an Wand mit so einem Wesen. Und die Wand, die uns trennt ist dünn.
Dieses Untier ist ca. 70 Zentimeter lang, bringt es im stehen auf maximal 15 Zentimeter Höhe. Würde es seine krummen Beine mal ganz strecken, könnte es vielleicht noch zwei Zentimeter zulegen. Mit seinem zottigen Fell kehrt es täglich mehrmals das Treppenhaus. Das ist das einzig Positive an ihm.
Ich mag Hunde grundsätzlich nicht. Dabei nimmt meine Abneigung gegen diese Tiere in dem Maße zu, wie deren Proportion abnimmt. Folglich hasse ich den Fifi unserer Nachbarn abgrundtief. Aber es liegt nicht nur an der unmöglichen Proportion. Noch schlimmer für mich ist das, was man bei einem ordentlichen Hund „bellen“ nennt. Fifi bellt nicht, Fifi kreischt. Ich habe kürzlich im Radio ein Hörspiel gehört, in dem eine keifende Marktfrau vorkam. Der Vergleich dieser Stimme mit Fifis Art sich zu artikulieren hinkt kein bisschen. Und Fifi kreischt zu festgesetzten Zeiten, so als ob er mal eine Uhr gefressen hätte. Um 5.30 Uhr, 10.00 Uhr, 18.15 Uhr, 22.25 und – am lautesten – um 03.15. Und dazwischen natürlich zu jeder Zeit, nach Lust und Laune. Seit zwei Jahren hält sich dieses Untier schon an diesen fixen Zeitplan. Die Bundesbahn hat wenigstens einen Sommer- und einen Winterfahrplan, das schafft Abwechslung. Fifi nicht. Er bleibt stur bei seinem Schema.
An das 5.30-Uhr-Kreischen habe ich mich schnell gewöhnt. Ich bin ein Frühaufsteher. Um diese Zeit bin ich im Bad beim Rasieren. Ich stelle einfach das Radio auf volle Lautstärke, um die unmögliche Frequenz von Fifi zu übertönen. Das funktioniert. Wenn ich dann so gegen sechs Uhr den Aufzug nehme, um aus dem fünfzehnten Stockwerk in die Tiefgarage zu fahren, wundere ich mich immer über den Fleiß der anderen Parteien im Haus. Alle wollen sie früh zur Arbeit; jedes Mal ist der Lift zum bersten voll. Und es passen immerhin 33 Personen in die Kabine.
Das 10.00-Uhr-Kreischen lässt mich völlig kalt. mein Büro liegt gut drei Kilometer von der Wohnung entfernt. Wenn ich das Fenster geschlossen halte, ist es durchaus erträglich. man kann daneben sogar telephonieren.
Die abendlichen Ausbrüche tun mir aber echt weh und gehen auf
die Nerven.
Unsere Abendessenszeit wollen wir wegen diesem Untier nicht verschieben, das gibt unser Stolz nicht zu. Und mit meiner Frau stumm am Tisch zu sitzen, bloß weil eine Unterhaltung akustisch nicht möglich ist, das empfinde ich als echte Zumutung.
Über ein Jahr lang habe ich die Spätnachrichten auf Video aufgezeichnet, um mir dann die Kassette so gegen 23.00 Uhr, wenn es in der Nachbarwohnung wieder still ist, abzuspielen. Ist der Aufwand noch menschlich? alles nur wegen so einem komischen Untier?
Aus unserem Schlafzimmer haben wir schon vor über einem Jahr den großen Kleiderschrank verkaufen müssen. Es wäre sonst nicht genügend Platz gewesen, diese knapp fünfzig Zentimeter dicke Schallisolierung zur Nachbarwohnung hin einzubauen. In Ergänzung mit den gelben Kunststoffpfropfen in den Ohren gelang es uns wenige Monate später, die Nächte durchzuschlafen.
Aber heute hat sich das Problem endgültig gelöst. Bei der vom Untier verschluckten Uhr scheint die Batterie endgültig leer zu sein.
Gott sein Dank.