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Das Tor der Verdammten
Die schlimmste Zeit des Tages
Es ist wieder soweit, es ist Montag. Der erste Tag von 5 Tagen in der Woche, an dem sich immer zur selben Zeit, wie ich es nenne, das Zombieballett, wiederholt. Mein Wecker klingelt wie gewohnt um 6.30 Uhr, ich öffne meine Augen und starre zur Decke, in der Hoffnung dass sie jetzt einstürzt. Es passiert wie immer nichts, ich lausche der Stille meiner Wohnung. Ein leichtes Schnarchen ist zu hören und das Treiben der Autos, draußen auf der Straße vor unserer Wohnung. Jetzt muss ich aber wirklich aufstehen, ich schlüpfe in meine Hausschuhe, die aussehen wie übergroße Füße. Vor dem Kleiderschrank stehend, stelle ich mir die morgendliche Frage, was sollen Kathrin und Emma den anziehen? Bei Emma ist es doch relativ einfach, sie kennt nur Rosa und Hello Kitty, das spiegelt sich auch in ihrem Kleiderschrank wieder. Also greif ich nach einem rosa Hello Kitty Pulli, das passende T-Shirt, die passenden Socken und einer blauen Jeans. Ich bin heute der Meinung, sie darf ruhig mal was wagen und so eine blaue Jeans, ist doch sehr gewagt. Wer weiß, vielleicht wird sie, durch meinen Mut an diesem Morgen, zum IT-Girl. Langsam gehe ich ihn Emmas Zimmer und wecke sie zärtlich, mit Festtagsbeleuchtung und einem guten Morgen mein Schatz Gegröle. Ihre Kokosnuss braunen Augen, blitzten mich erzürnt an. Etappenziel erreicht, erstes Kind ist wach und sauer auf mich. Ich legte ihre Anziehsache auf den Stuhl und verschwand aus ihrem Zimmer so schnell wie ich nur konnte, schnell zurück zum Kleiderschrank. Kathrin war nicht ganz so einfach. Die Entscheidung viel auf einen anthrazitfarbenen Pulli mit schwarzen Totenköpfen verziert, dazu das passende T-Shirt aus derselben Kollektion, graue Socken und einer schwarzen Hose. Anmutig viel ich fast die Treppen meiner Wohnung runter weil mal wieder eine Puppe auf der Stufe lag, die ich nicht gesehen hatte. Unten in der Etage angekommen, tapste ich durch das Wohnzimmer, zu Kathrins Zimmer. In der einen Hand hielt ich mein Handy parat und in der anderen hielt ich ihre Anziehsachen. Ich legt ihre Sachen auf ihren Schreibtisch und pirschte mich an ihr Bett ran, das ganz nah am Lichtschalter stand. Dann stellte ich meine Handy auf die höchste Lautstärke ein und lies „Disco Pogo“ den Schlaf meiner Tochter unterbrechen. Gleichzeitig sang ich lauthals mit und betätigte den Lichtschalter im Rhythmus der Musik. Mir flogen sämtliche greifbaren Stofftiere um die Ohren aber ich war sehr zufrieden mit meiner heutigen Leistung. Wieder ein Etappenziel erreicht, Kind Nummer 2 ist wach und sauer auf mich. Mich zog es jetzt in Windeseile in die Küche, wo ich grinsend die Pausenbrote meiner Töchter anfertigte. Gleichzeitig lief die Kaffeemaschine. Getränke und Pausenbrote legte ich auf dem Esstisch und ging mit einer frisch gebrühten Tasse Kaffee wieder nach oben, in mein Schlafzimmer. Dort liegt noch wer, der durch das Getöse noch nicht wach war, was mich verwunderte. Denn unser Schlafzimmer hat nur drei Wände aber dafür eine Tür. Mir ist immer noch schleierhaft, was der Architekt sich dabei gedacht hat. Die Tasse stellte ich auf seinen Nachttisch und musterte unseren Brandmelder. Es ist nur ein Knopfdruck entfernt, soll ich das wirklich machen? Man muss zwischendurch mal testen ob der Brandmelder noch funktioniert und ich fand jetzt wäre der perfekte Moment dafür. Paul empfand das nicht so lustig als er aus dem Bett sprang und brüllte: „ Es brennt, es brennt, Kinder wach werden.“ Sein schockiertes Gesicht brachte mich so zum lachen das mir der Bauch wehtat. Er schwor mir Rache. Auch dieses Ziel war erreicht, Mann wach. Immer noch lachend ging ich wieder runter in die Küche und holte mir auch einer Tasse Kaffee, setzte mich auf meinem Sofa und schaute grinsend dem Treiben der dreien zu. Paul fuhr die Mädels zur Schule und kam dann wieder, bis er zur Arbeit musste dauerte es noch etwa eine Stunde. Er kam entnervt wieder. Motzend erzählte er mir, was er wieder an der Schule erlebt hatte. Ich war froh, dass Paul morgens die Kinder hinbrachte, denn ich wusste genau wie es da zugeht.
Eine Mischung aus dem Relegationsspiel Fortuna Düsseldorf gegen Hertha bsc und den Teletubbies, gepaart mit Morgenmuffeligkeit. Geparkt wird mit den schicken Autos einfach mitten auf der Straße. Der Schulbusfahrer freut sich jedes Mal auf neue wenn er seinen Adonis ähnlichen, schwabbelnden 160 Kilo Körper, aus dem Sitz hieven muss um den rücksichtsvollen Fahrer der Mitten auf der Straße so Parkt, das nicht mal der Gegenverkehr durch kommt, ausfindig machen muss. Sehr schön ist dann zu beobachten wenn der Busfahrer den Parkdeppen gefunden hat und er feststellen muss, das hinter dem einem Genie des Straßenverkehrs, mittlerweile schon der nächste steht.
Die Kinder im Bus werden dann von ihm kurzerhand heraus gelotst und sicher auf die richtige Straßenseite gebracht. Was ihm nur etwas Zeitvertreib bringt.
Prinzipiell laufen die meisten kreuz und quer über die Straße, um ihre Kinder zum Schultor zu bringen, wo sie dann reingeschubst und sich selbst überlassen werden. Dazu die grimmigen und schlaftrunkenen Gesichter der Erwachsenen, die danach zu ihren unterbezahlten Jobs spurten müssen oder vom Wahnsinn des Haushaltes gerufen werden. Im Großen und Ganzen könnte man sagen, es ist ein chaotisches, schlecht gelauntes aber bewegtes Treiben.
Für Paul ist es Zeit zur Arbeit zu fahren und für mich bedeutet es, dass die Dusche auf mich wartet. Nach dem Duschen wird schnell die beste Freundin aus dem Bett geschmissen und ihr nahe gebracht, dass ich Hunger habe und sie sich drum kümmern muss. Schnell zum Bäcker des Vertrauens und dann ab zu Gabi. Es ist 10 Uhr als ich bei Gabi ankomme. Ihre Freude ist begrenzt, im Urlaub so einen Hausfriedensbruch, ist nicht jedermanns Sache aber das soll mir egal sein, denn ich darf in meinem Urlaub, auch um 6.30 Uhr aufstehen und ich hab Hunger. Meine Argumente sind ihr ausreichend, um wenigstens so zu tun als ob es sie interessiert. Wir ließen uns über die Eltern an der Schule aus. Uns beschäftigten die Fragen, warum nennt man sein Kind, Kim Kilian Schmitz oder Kimberly Sky Müller und Summer Jane Hamann? Wollten sie ihre Kinder mit solchen Namen, schon bei der Geburt strafen, für das in der Zukunft, nicht aufgeräumte Zimmer? Auch über solche die ihren Kindern übertriebe Kosenamen gaben, lachten wir. Wenn Mausepupsi mit 14 Jahren, schwanger nach hause kommt, wie wird sie dann genannt? Mausefalle? Ob die Mama vom Lovemuffin, ihn umtauft in Haschbrownie, wenn er das erste Mal bekifft vor ihr steht? Ich schaute auf die Uhr und stellte zu meinem Entsetzten fest, es ist 11.20 Uhr. Mist, jetzt musste ich mich beeilen, um 11.30 Uhr ist Schulschluss.
Die Schlimmste Zeit des Tages war angebrochen. An der einen Seite der Schule angekommen, atmete ich tief durch. Gleich würde sich mir das Bild des Grauens offenbaren, die homogene Maße aus Hausmütterchen. Nichts und Niemand konnten diese Frauen daran hindern, zwanzig Minuten vor Schulschluss, am Ausgang der Schule zu stehen. Sie sahen für mich alle gleich aus, gleicher Kurzhaarschnitt, gleiche Anziehsachen und gleiche Figur. Ich hatte nichts mit ihnen gemeinsam außer die Tatsache, dass wir Kinder hatten und diese zusammen zur Schule gingen. Meine Beine trugen mich in ihre Richtung, ich blickte zu ihnen, in mir stieg spontan Platzangst auf. Das Gedränge vor dem Tor bewegte sich in seinem eigenen Tackt, der nie verloren ging. Da passierte das Unvermeidliche, eine von ihnen sprach mich an. Ursula fragte mich nach dem Geburtstag meiner Tochter der bald stattfindet, vor allem galt ihre Sorge anscheinend, dem Kuchen den ich mit zu Schule geben werde. Ich machte mir um solche Dinge keine großen Gedanken, aus dem einfachen Grund, da ich direkt neben einem Einkaufsladen wohne und zu allem Überfluss auch noch in einer Landbäckerei arbeitete. Das gab ich ihr zu verstehen, was sie schockierte und sie dazu hinriss mir den Vorschlag zu unterbreiten, das sie doch den Kuchen backen könne. Es wäre nicht zumutbar für meine Tochter, mit einem Fertigkuchen zur Schule zu kommen. Meine Verwunderung kannte in dem Moment keine Grenzen. Unzumutbar für meine Tochter? Was soll das heißen? Ist ein selbst gebackener Kuchen, ein Statussymbol, in deinem Kopf? Prima, ich befinde mich aber außerhalb deiner Sperrzone. Ich ignorierte es einfach und versuchte mich weiter Richtung Schultor zu kämpfen. Es war eng und stickig, jede hatte etwas zu erzählen, jede versuchte die andere zu übertrumpfen. Meine Torte ist besser als deine, mein Mann ist Anwalt, mein Lovemuffin nimmt jetzt Klavierstunden, mein Haus…, mein Auto…, mein Pferd. Als ob der Bereich vor dem Schulausgang, ein Catwalk der Eitelkeiten wäre. Sie waren überall um mich, sie übertönten mit ihren schrillen Stimmen und aufgesetzten Gelächter, meine Gedanken. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ich mich ungefähr in der Mitte befinden musste. Jetzt begann der schwierigste Teil für mich, ein Plätzchen ganz vorne am Tor zu ergattern. Ich presste mich, mit all meiner Kraft, durch diese Ansammlung von übertrieben fröhlichen Zombies. Dort, vor nicht weit von mir entfernt, ein Fleckchen Himmel. Es strahlt mich an, da gehöre ich hin, direkt neben dem Tor, vor der niedrigen Außenmauer der Schule. Ein unglaubliches Gefühl machte sich in mir breit, ein Gefühl der Freude und des Sieges. Die Mauer war so niedrig, das ich gerade drüber hinweg sehen konnte. Ich beobachtete das Treiben auf dem Schulhof, die Kinder rannten umher, kletterten und unterhielten sich. So ausgelassen, wie es nur Kinder sein konnten. Als eine Mutter, die mir unnatürlich groß erschien, ihr sabberndes und quengelndes Haufen Mensch, auf der Mauer vor mir in mein Sichtfeld setzte. Das gibt es doch nicht, da schob sie sich auch noch hinterher. Ich sah nichts mehr, außer diesem Windelrocker und seine tätowierte Milchbar. Wer lässt sich denn heut zu Tage noch ein Herz mit Namen auf die Möpse tätowieren? Willi? Bist du eine Stripperin im Altenheim? Ich erkannte schnell, dass es keinen Sinn machte darauf zu warten, dass ich einen Röntgenblick bekomme oder der Gnom mir zeigt, dass sein Vater vielleicht Glaser ist. Kunstvoll, verrenkte ich mich an diesem Menschenwesen vorbei, um zu sehen ob Emma und Kathrin schon auf dem Schulhof sind. Im Yoga gibt es sicher für meine Position, einen schönen Namen, so was wie, Der Krahn geht mit der Sonne oder Die genervte Frau im Bogen des Kleinkindes. Ich erblickte ein mir vertrautes Gesicht, meine Emma, sie kommt direkt auf mich zu. Durch das Tor würde sie es ohne meine Hilfe aber nicht schaffen, dort würde sie auf riesige Hintern angewurzelter Frauen treffen. Ich drückte die Altenheimstripperin bei Seite und gelangte somit genau vor dem Tor. Wir griffen nach uns, ich Zog sie dicht an mich ran. Wir stellten uns an die Mauer und ich sagte ihr sie soll sich nicht bewegen. Es war überflüssig ihr das zu sagen, denn es war nicht möglich sich zu bewegen. Ich stellte mich erneut der Situation nach eins meiner Kinder Ausschau zu halten. Jemand rief mich, eindeutig, Kathrin, sie machte auf sich aufmerksam. Kluges Kind, so konnte ich sie schneller orten, unter der Ansammlung von weitergegeben Genen. Die Bildeten mittlerweile eine fast identische homogene Maße hinter dem Tor, wie ihre Eltern vorm Tor, es fehlten nur noch die Plastik Crocs. Kathrin wo bist du? Sie sprang auf, da ist sie. Ich lehnte mich weit über das Tor um sie zu erreichen, wir packten uns bei den Händen. Jetzt nur noch einen Ruck und sie ist auch bei mir. Wir drückten uns zu Emma an die Wand. Hilflos schauten wir uns um, wir hatten keine Ahnung wie wir hier wieder raus kommen sollten. Es fühlte sich so an, als wären wir in einem riesen Becken mit Kartoffelpüree, jede Bewegung kostete viel Kraft. Kartoffelpüree, Kartoffelpüree? Natürlich, das ist die Idee! Mit einem Messer kann ich im Kartoffelpüree eine Schneise schneiden, dann versuchen wir es hier auch. Meine Kinder stellte ich hinter mir auf und hielt sie dazu an, sich gut fest zu halten. Ich drängte die Körper der Mütter bei Seite und zog meine Kinder hinterher. Wir waren aus der Mitte raus. Jetzt waren wir im Bereich, wo sich alles im Takt bewegte. Zu meinen Kindern meinte ich, sie sollen sich das genau anschauen und wenn sie den Rhythmus haben, einfach in wellenartigen Bewegungen nach vorne gehen. Sie folgten erfolgreich meinem Beispiel. Verdammt, ein Auto. Woher kommt es und warum parkt es mitten auf dem Gehweg? Das ist neu. Wir guckten uns verwundert an. Zwischen Fassade der Schule und dem Auto passte nicht viel. Ich klappte den Außenspiegel nach innen und nahm die Tornister der Kinder. Sie stellten sich mit dem Rücken zur Wand, um an dem Auto vorbei zu kommen. Ich hob die Tornister in die Höhe, hielt die Luft an und tat ihnen nach. Was hab ich mir in diesem Augenblick gewünscht eine Hand frei zu haben. Es wäre ein erfüllendes Geräusch gewesen, wie Metall auf Metall kratzt und ein schöner Anblick wie der Lack abplatzte.
Endlich wieder atmen zu können ist mein Ziel. Als ich das Ende erreicht hatte, gab ich die Tornister an die rechtmäßigen Besitzern zurück.
Schweiß gebadet machten wir uns auf dem Heimweg. Mir knurrte der Magen vor Hunger und ich war mir sicher, bei Emma und Kathrin auch, also fragte ich sie, worauf sie denn Hunger haben. Im Chor antworteten sie mit Burger und Pommes. Ich starrte sie an, schaute auf meine Uhr, kurz vor 12.00 Uhr. Das kann doch nicht sein, ihr wollt zur Mittagszeit in ein Fastfood Restaurant? Da wimmelt es vor Menschen, die hintereinander stehen um ihre Bestellung abzugeben. Von der Seite betrachtet sah es aus, wie Hühner auf der Stange. Dazu kommt noch, da sind nie ausreichend Tische um die Zeit. Sie schauten mich erwartungsvoll an und ich willigte trotz meiner Überlegungen ein. Auf Kartoffelpüree hatte ich jetzt auch keine Lust mehr.