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Das Telegramm
Über Palm Beach, dem Treffpunkt der obersten Zehntausend, wölbte sich ewigblauer Himmel. Auf dem Strande sonnten sich reiche, sorglose Menschen und in den Cafes und Bars saß elegantes Publikum. Millionärstöchter überlegten, ob sie ein Pferderennen oder eine Schönheitskonkurrenz mit ihrer Anwesenheit beglücken sollten. Eben war auf der breiten, von Palmen flankierten Prachtstraße dieses Luxusbades ein Blumenkorso im Gange.
Die Musik sowie das Lachen und Scherzen der Menge tönten empor zu den Prunkfassaden der vornehmen Villen, deren Inhaber und Bewohner von Balkonen und Dachgärten aus dem lustigen Treiben zusahen. Nur zu Fred B. Randolph, seines Zeichens Kautschukkönig und vielfacher Millionär, drang diese allgemeine Fröhlichkeit nicht. Hatte Fred B. Randolph früher die Jagd nach dem Dollar mit außerordentlich gutem Erfolge mitbemacht, so war jetzt sein ganzes Denken und Trachten darauf aus, seine berühmte Gemäldesammlung altenglischer Meister zu vervollständigen und er scheute weder Mühe noch Geld, um dieses Ziel zu erreichen. Deshalb riss Fred B. Randolph mit Spannung den eben eingetroffenen Brief auf. Sein Londoner Agent teilte ihm mit, dass dort ein echter Gainsborough versteigert wurde. Leider habe er, der Agent, zu spät von dieser Auktion erfahren und so sei das Bild um Fünfzigtausend Dollar in den Besitz eines Amerikaners mit Namen Jim Parker übergegangen. Fred B. Randolph zerknüllte wütend die Nachricht und schimpfte auf seinen nachlässigen Agenten. Dann saß er grübelnd in seinen breiten Klubsessel. Auch Millionäre haben eben ihre Sorgen.
Um die gleiche Zeit zerschnitt der Bug des Schnelldampfers „Berengaria“ die Wogen des Atlantik. Bordspiele, Tanzfeste und Kinovorführungen sorgten für die Zerstreuung der Passagiere. Auch eine berühmte Filmdiva war an Bord und ließ sich von den anderen Sterblichen bewundern. So waren vier Tage rasch vergangen und das Schiff näherte sich New York. Koffer wurden gepackt, man sprach über die Einreiseschwierigkeiten und Gerüchte über die sehr scharfe Zollkontrolle tauchten auf. Einer der ruhigsten war wohl Jim Parker, der Käufer des Gainsborough. Mit besonderem Phlegma sog er an seiner Pfeife und blickte erst dann gelangweilt auf, als das Schiff angedockt war und die Zollkontrolle begonnen hatte. Als die Reihe an ihm war, wies es seinen Pass vor und erklärte gelassen, nichts Verzollbares zu haben. Bei der Nennung des Namens Jim Parker war der Beamte leicht zusammengezuckt, durchstöberte flüchtig den Koffer und erklärte Jim sodann, er müsse noch etwas warten, wogegen Jim heftig zu protestieren begann. Doch je lauter er wurde, um so ruhiger blieb der Beamte, hatte doch die Zollbehörde ein anonymes Telegramm aus London erhalten, demzufolge Jim Parker beschuldigt wurde, ein wertvolles Gemälde nach USA zu schmuggeln. Durch den Streit wurde die Mitreisenden aufmerksam, bald hatte sich eine Gruppe um Jim und den Beamten gebildet, selbst einige Reporter kamen herbei, gerade in dem Moment, als der Zollwächter das Futter des Koffers zerschnitt und daraus eine Leinwand hervorzog—das wertvolle Gemälde des altenglischen Meisters! Vergessen war die Filmdiva, über welche die Journalisten berichten sollten, denn dies hier war ja eine viel größere Sensation. Jim Parker hatte sich etwas beruhigt, zahlte widerstandslos Zehntausend Dollar Strafe, bekam darüber eine Bescheinigung, packte das Bild wieder in den Koffer und verließ die Zollstation. Die Berichterstatter konnten nur noch erfahren, dass er im Ritz-Hotel wohnen werde.
Am nächsten Tage berichteten die New Yorker Zeitungen in großen Schlagzeilen über den versuchten Bildschmuggel. Als Fred B. Randolph dies las, setzte er sich sofort ins nächste Flugzeug nach New York. Diesmal verließ wer sich nicht auf seinen Agenten, selbst wollte er versuchen, das Gemälde zu kaufen. Nach langen Verhandlungen erwarb er das Bild um Sechzigtausend Dollar. Über die Echtheit desselben bestand kein Zweifel, hatte doch Jim Parker das Bild mit Echtheitsattest auf der Londoner Ausstellung erworben, außerdem
konnte er die Zollbescheinigung vorweisen, dass er wegen versuchten Schmuggels eines echten Gainsborough Zehntausend Dollar Strafe bezahlt habe.
Überglücklich reiste der Millionär mit dem so mühevoll errungenen Gemälde zurück nach Palm Beach.
Nicht minder zufrieden war auch Jim Parker, Wie er sich gegenwärtig nannte.
Erstens hatte er das echte Bild in Amsterdam sofort weiter verkauft, und für eine wertlose Kopie Sechzigtausend Dollar zu bekommen, ist wahrlich kein schlechtes Geschäft. Allerdings—die Zehntausend Dollar Zollstrafe muss ich von meinem Gewinn abziehen, aber soviel war mir die amtliche Echtheitsbescheinigung schon wert; denn dass ich mich in einem anonymen Telegramm selbst beschuldigen würde, konnten die Beamten ja wirklich nicht wissen. Jim war zufrieden und lächelte.