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Das Tattoo

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07.02.2004
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Das Tattoo

Ich bin auf dem Weg zum Tätowierer, um mir ein verschnörkeltes keltisches
Muster längs über die Wirbelsäule vom Nacken bis zum Steiß machen zu lassen.
Die Vorbereitungen waren abgeschlossen und heute würde es gestochen. Es ist 9 Uhr morgens. Ich habe für heute Urlaub genommen, da die Sitzung ca. 3 Stunden dauern wird.
Ich bin am Studio angekommen und öffne die Tür. Der Tätowierer kennt mich schon, sagt, ich solle noch ein paar Minuten warten, es wäre gleich soweit. Ich nicke und gehe zum Terrarium in der Raummitte, um mir die beiden Pythons anzugucken, die darin leben. Sie starren mich gleichgültig an.
Die Minuten ziehen sich zu einer halben Ewigkeit. Ich bin aufgeregt und schwitze ein wenig.
Dann der Ruf: „Christiane, du bist dran.“ Ich atme tief durch, lächle und folge meinem Tätowierer nach hinten in den Raum mit der weißen Liege, auf der ich die nächsten 3 Stunden liegen werde. Mike, so heißt er, schließt die Tür hinter mir und deutet mir, mich auszuziehen, damit er auf meinem Rücken arbeiten kann. Derweil bereitet Mike die Farben vor, mischt und präpariert die Nadeln. Als ich fertig bin, setze ich mich rittlings auf die Liege und er bringt die blaue Schablone auf meinem Rücken an. Wir unterhalten uns über Belanglosigkeiten. Dann meint er: „ Schau mal in den Spiegel. Ist es so gut oder sollen wir noch was ändern?“ Ich stehe auf, drehe mich vor dem Spiegel. Mike hält einen Weiteren hinter mir, so dass ich die verschlungenen blauen Linien auf meiner Haut gut sehen kann.
„Sieht gut aus“ sage ich „ja, es ist OK.“ Mike nickt. Ich lege mich auf die Liege, rücke mich bequem zurecht und atme tief ein. Ich höre Mike neben mir auf dem Stuhl mit den Utensilien werkeln, höre, wie er sich die Latexhandschuhe überstreift. Dann das Sirren der Nadeln, die in die Farbe getaucht werden. Ich halte unbewusst den Atem an.
Es beginnt. Ich spüre seine Hände auf meinem Rücken, dann die Nadeln, die sich tief in meine Haut bohren. Unwillkürlich spanne ich meine Muskeln an. Ruhig zieht Mike mit der schwarzen Farbe die Linien auf meiner Haut nach, Stückchen für Stückchen. Abwechselnd taucht er die Nadeln in die Farbe, dann wieder in meinen Rücken. Immer wieder wischt er mit einem mit Desinfektionsmittel getränkten Zewatuch das Blut von mir. Von meinem Platz aus kann ich das Tuch liegen sehen, es ist schon blutgetränkt.

Nach etwa einer halben Stunde habe ich jedes Zeitgefühl verloren. Mein Verstand ist wie benebelt, mein Denken wird vom Schmerz beherrscht. Immer schwerer wird es für mich, die stechende Pein auf meinem Rücken zu ertragen. Auch die Atemübungen wollen nicht recht helfen. Eine sehr lange Weile später laufen mir die Tränen über die Wangen und der Schmerz wird übermächtig. Mein Atem geht schwer und ich habe zuckende schwarze Flecken vor den Augen. Ich stöhne leise. Mike hört sofort auf, legt die Tätowierpistole beiseite und geht kurz raus. Ich schließe die Augen und atme tief ein und aus. Mein Rücken brennt wie die Hölle und ich kann jede einzelne verstochene Pore spüren.
Mike kommt wieder rein. „Kanns weitergehn?“ fragt er mich. „Klar“ höre ich mich krächzen.
Inzwischen scheint mein Leib nur noch aus Qual zu bestehen, höre nur noch das inzwischen erbarmungslose Sirren der Nadeln, spüre das gelegentliche kühle Zewatuch mein Blut wegwischen. Die Minuten dehnen sich zu Ewigkeiten, die Qual wird unerträglich. Ich verkrampfe meine Hände zu Fäusten, winsele leise, beiße mir auf die Knöchel, nur um nicht zu schreien. Die Tränen laufen in Bächen über mein Gesicht.
Mike hört wieder kurz auf, geht raus. Ich spüre den kühlen Luftzug auf meinem brennenden Rücken. Er fühlt sich jetzt wie aufgerissenes, rohes Fleisch an. Ich japse nach Luft, der Schmerz verkrampft mich völlig, flutet in heißen Wogen durch meinen Körper, betäubt meinen Geist. Mike kommt wieder, hält mir einen roten Gummiring vors Gesicht. „Hier! Beiß drauf. Das hilft.“ empfiehlt er mir. Dann macht er sich wieder an die inzwischen recht blutige Arbeit. Ein paar Minuten später weiß ich den Beißring wirklich zu schätzen.

Irgendwann höre ich Mikes Stimme von Fern und wie durch dichten Nebel zu mir durchdringen. „Ich bin fertig. Du hast es überstanden.“ Feuchte Kühle überzieht meinen Rücken, in dem tausende klitzekleiner Splitter zu stecken scheinen, und betäubt den Schmerz. Langsam finde ich zurück in die Wirklichkeit. Mike reicht mir seine Hand und ich ziehe mich vorsichtig hoch. Sofort wird mir speiübel, alles dreht sich und ich schwanke bedrohlich, doch Mike hält mich fest. Jemand gibt mir was Kühles zu trinken. Dankbar leere ich den Becher in tiefen Zügen. Besser! Mein Blick wird klarer und ich höre Mikes Kollegin bewundernd über mein Tattoo sprechen. Mein Mund verzieht sich zu einem kleinen, stolzen Lächeln. Ich stehe auf, stocksteif stakse ich zum Spiegel und bekomme einen gehörigen Schreck. Bin dieses bleiche, hohlwangige, ausgemergelte, völlig fertige Geschöpf da wirklich ich? Ich habe was von einem Zombie, aber selbst die sehen wahrscheinlich besser aus als ich grade. Mike bedeckt mein herrliches, leuchtendes neues Tattoo grade mit Klarsichtfolie und gibt mir noch ein paar Tipps zur Pflege. Immer noch recht benommen wanke ich raus und zur Theke.

Im Vorraum wartet schon meine Mutter auf mich. Sie wollte mich unbedingt hier abholen und meinen Geburtstag mit mir feiern, schön essen gehen und so. Sie schreit vor Entsetzen auf, als sie mich sieht. „Um Gottes willen, was haben sie denn mit dir gemacht? Bist du total irre?“
Ich grinse sie erschöpft an, keine Kraft mit ihr zu streiten. Ich gebe Mike sein Geld, 480 Euro. Mutti schnappt mich am Arm und zieht mich raus. Wütend starrt sie mich an, faucht mich an: „Und? War es das wert?“ „Ja“ flüstere ich stolz und denke schon ans nächste Mal.

 

Ja, das kenne ich - während des Stechens fragt man sich, welcher Irrsinn einen eigentlich geritten hat und kaum läßt der Schmerz nach schreit alles in einem nach mehr...
Ich hoffe, daß durch deine Geschichte das auch Leuten verständlich wird, die selbst noch nicht unter der Nadel gelegen haben - aber ich glaube schon.
Ich zumindest habe mich doch ziemlich gut wiedergefunden, wenn auch bei mir der Schmerz nach einer Weile nachließ - dafür taten die Tage später umso mehr weh *g*

 

Hallo Christiane!

Hört sich ja recht autobiorafisch an. ;)

Hm ... ganz gut beschrieben eigentlich, aber berauschend interessant fand ichs leider nicht. Dass Tatoos Schmerzen bedeuten, war mich vorher schon klar, dass viele, die mal eins haben, sofort ans nächste denken, habe ich ebenfalls gehört.
Insofern halt nix überraschendes. Dass Eltern von den Ideen der Kinder in dieser Richtung nciht begeistert sind, ist oft der Fall :D

Nichtsdestotrotz recht flüssig und lebendig geschrieben, inhaltlich halt nciht so prickelnd.

"Nach etwa einer halben Stunde habe ich jedes Zeitgefühl verloren. " Nach etwa einer halben Stunde ist bereits eine Zeitangabe.

"Wütend starrt sie mich an, faucht mich an: " "an" wirkt in der Doppelung ungeschickt.

schöne Grüße
Anne

 

Ich mag deine Geschichte sehr. Du beschreibst das Gefühl wirklich perfekt, man glaubt tatsächlich dabei zu sein. Vielleicht relativiert sich das ein bisschen, wenn man das nicht aus eigener Erfahrung kennt, aber ich hatte das Gefühl, es gerade selbst wieder zu erleben: die Aufregung vorher, den Prozess des Stechens und die dazu gehörenden Schmerzen und vor allem das Gefühl danach: diese Euphorie und der Gedanke, dass alles jeden Cent und jede Minute Schmerz wert war und man direkt anfängt, dass nächste Tattoo zu planen ;-)

 

Hallo, Christiane!

Deine Schilderung ist so eindruckvoll, dass ich die Schmerzen ansatzweise mitempfinden konnte. Ich hätte als Leser gerne mehr über das Ich erfahren.
Ein Schlusssatz ist in einem Text sicher sehr wichtig:

„Ja“, flüstere ich stolz und denke schon ans nächste Mal
.
Aber woher soll ich als Leser wissen, warum das Ich stolz ist. Worauf? Die Schmerzen ertragen zu haben?
Ebenso der erste Satz:
mir ein verschnörkeltes keltisches Muster längs über die Wirbelsäule vom Nacken bis zum Steiß machen zu lassen
Welche Bedeutung hat das keltische Zeichen für das Ich?
Leser wie ich sind neugierig, sie entwickeln Interesse für die Figur und möchten etwas erfahren, was sie nicht so genau kennen, z. B. die Tattooszene.
Es war ein „schmerzhaftes“ Vergnügen für mich, Deine Geschichte zu lesen.
Wilhelm

 

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