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Das Synapsengeklapper auf der Metaebene

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29.03.2013
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Das Synapsengeklapper auf der Metaebene

Auf der Metaebene herrschte Langeweile. Erfüllt von einer ans Übernatürliche grenzenden Gleichgültigkeit gegen alles Konventionelle in der bildenden Kunst, der Musik, und einer Literaturlandschaft, die ihnen nicht einmal mehr ein Gähnen abnötigte, lauschten die Kreativen dem Klappern ihrer Synapsen. Magrittes Pfeife machte die Runde.
Vor einem mannshohen Spiegel verzweifelte ein Barbier an der Aufgabe, sein Spiegelbild zu rasieren. Der Pinsel, mit dem er unermüdlich schwarzen Schaum auf dem Glas verteilte, gab Töne von sich wie ein Stück falsch gehaltener Kreide auf einer Schultafel. Einer der Komponisten bekam eine Gänsehaut und übergab sich daraufhin, jedoch nicht ohne zuvor sein Aufnahmegerät zu aktivieren.
„Wisch er mir den Mund ab, trauriger Wicht“, befahl er dem Visagisten seiner Muse. Jener, zwar ungehalten ob des schroffen Tons, gehorchte dem Meister der Klänge und tat, wie ihm geheißen. Der Vorgang war für einige Autoren, die sich von einem Besuch auf der Metaebene frische Inspirationen erhofften, Grund genug, Papier und Stift hervor zu kramen. Einer kritzelte mit einem Silberstift Lügen wir schon, wenn wir nichts schreiben? auf ein Stück Wellpappe. Ein anderer sah mit einem Mal einen Zusammenhang zwischen dem sinnlosen Versuch, etwas Nachvollziehbares zu schreiben und der Weigerung, in einem hinreichend gefüllten Fahrstuhl einen fahren zu lassen. Für einen Moment schwoll das kollektive Synapsengeklapper an und etliche Mundwinkel versuchten, Kontakt zu den sie flankierenden Ohrläppchen aufzunehmen. Allein – Sensationen blieben aus, originelle Ansätze verdursteten auf halber Strecke.
„Der Himmel ist ein Kleid, das der Erde zu weit ist!“ schrie einer und streckte den übrigen Kreativen seine Schulter entgegen, doch niemand fand sich, sie zu beklopfen. In seiner Verzweiflung wagte er einen zweiten Versuch.
„Es! War! Einmal!“
„Wie bist du denn drauf?“ erwiderte ein Bildhauer, der sich der heterogenen Materialästhetik verschrieben hatte und allem misstraute, was auf den ersten Blick zu begreifen war. „Du brauchst was aufs Maul, du Penner.“
„Ruhe!“ brüllte der Geist John Cages, welcher, von allen unbemerkt, unter einem imaginären Flügel geschlafen hatte und durch das Geschrei aus einem bedeutenden Traum gerissen worden war. „Kann man denn nicht mal hier seine Ruhe haben? Das ist ja schlimmer als das elende Geklimper von Erik Satie!“
Da wurde den Kreativen klar, daß sie den Bogen überspannt hatten, und in der Metaebene kehrte für kurze Zeit Ruhe ein. Doch nicht lange, da begannen die Synapsen, zuerst ganz leise, dann immer lauter werdend, erneut, diesmal synchron, zu rattern. Der des Morsens Kundige verstand die Botschaft: Die Hirnleistung sinkt bei Unterforderung.

 
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Servus Harry,

schon längere Zeit trage ich mich mit dem Gedanken, in einer Kurzgeschichte eine Art literarisches Rätsel zu verpacken, also, was weiß ich, so fünfzehn, zwanzig bekannte Werke der Weltliteratur herzunehmen und daraus Titelfragmente, Figuren, Zitate usw. subtil im Text zu verstecken. Und unter den Lesern, die alles entdecken, einen Preis zu verlosen, eine zweitägige Karibikkreuzfahrt für vierzehn Personen oder einen Fernseher XLmegabunt-Deluxe oder eine kostenlose Teilnahme an der globalen Klimaerwärmung, irgend sowas halt.
Tja, und irgendwie scheint’s mir jetzt, als wärest du mir zuvorgekommen, rätselhafte Anspielungen auf was auch immer gibt es ja zuhauf in deinem Text, bzw. Formulierungen, die so tun als wären sie Anspielungen auf was auch immer. Magrittes Pfeife zähle ich da jetzt mal nicht dazu, die ist ja dezidiert angeführt, und obendrein ist sie ja keine Pfeife, aber schon am Barbier, der versucht, sein Spiegelbild zu rasieren, habe ich mir die Zähne ausgebissen, trotz der Google-Suche nach den Stichwörtern Barbier, Spiegelbild, schwarzer Schaum, die ungefähr 1,7 Millionen Ergebnisse in 0,36 Sekunden lieferte. Davon gezählte 1,68 Millionen Einträge zu diversen Friseurbedarfsfirmen. Am ehesten schien mir der italienische Renaissancemaler … äh, Dings, jetzt hab ich seinen Namen vergessen, relevant zu sein, von dem es ein herrliches Gemälde von einem Barbier in Ravenna gibt, allerdings rasiert sich der nicht selbst, sondern einen Kunden, egal, und dann gibt’s noch jede Menge französische Maler namens Barbier, zwei Henris, einen Jean Baptiste, zwei Augustes usw. Leichter tat ich mir dann schon bei dem Komponisten mit der Gänsehaut, franz. chair de poule, es kann sich selbstverständlich nur um Pierre Boulez handeln. Unsicher hinwiederum war ich mir bei dem Schriftsteller, der auf Wellpappe kritzelt, ich schwankte zwischen Tüdel Weller (1902–1970) und Samuel Christian Pape (1774–1817). Ganz eindeutig jedoch konnte ich dieses Zitat zuordnen: „Der Himmel ist ein Kleid, das der Erde zu weit ist!“ Der Ausspruch lässt sich zweifelsfrei auf Walther V. D. Vögelt-Beyde, den Entdecker der Mittelhochdeutschen Lautverschiebung, zurückführen. Schwieriger wieder die Frage nach dem heterogen-materialästhetizistischen Künstler. Deren gab es ja von Kurt Schwitters über Daniel Spoerri bis zu Julian Schnabel jede Menge. Soll mir etwa der derb-rustikale Ausspruch „Du brauchst was aufs Maul, du Penner.“ einen Hinweis auf eine eventuelle proletarische Herkunft liefern? Ist gar das Tiroler Multitalent Andreas Holzknecht gemeint? Fragen über Fragen. Und bei der Erwähnung des verärgerten John Cage drängte sich mir das Wortspiel auf, dass er offenbar einen John Zorn auf Satie habe … War das eh in deinem Sinne?

Mag der Text auch zwielichtiger Metakrempel sein, um ganz ungeniert einen Begriff von 7miles zu zitieren, Spaß hat mir das Lesen und das darüber Nachdenken allemal gemacht, Harry.

Aber ich wäre nicht offshore, hätte ich nicht ein paar Kleinigkeiten zu bemängeln:
.

Erfüllt von einer ans Übernatürliche grenzenden Gleichgültigkeit gegen alles Konventionelle …

besser: Gleichgültigkeit gegenüber allem Konventionellen …

„Der Himmel ist ein Kleid, daß der Erde zu weit ist!“

das

und allem mißtraute,

misstraute


offshore

 

Hallo Offshore,
Zunächst mal Danke für den Kommentar. Ich fühle mich einigermaßen gebauchpinselt (ich setze jetzt mal voraus, dass dieser Ausdruck auch in Österreich verstanden wird…).
Im Grunde habe ich mit der Metaebene rein gar nichts am Hut. Da aber hier in letzter Zeit des Öfteren davon die Rede war, habe ich ein bisschen recherchiert und bin gleich am Anfang auf das Barbier-Paradoxon, daß Bertrand Russel 1918 aufgestellt hat, gestoßen.
Man kann einen Barbier als einen definieren, der all jene und nur jene rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Die Frage ist: rasiert der Barbier sich selbst?
Da war dann meine Suche auch schon beendet. Vielleicht sollte ich erwähnen, daß ich eigentlich in der Malerei zu Hause bin, seit fast vierzig Jahren meinen Pinsel in Farbe, meine Zeichenfeder in Tusche tunke und vorwiegend surrealistisch unterwegs bin. Über mangelhafte Phantasie konnte ich noch nie klagen und das Bild eines Barbiers, der sein Spiegelbild rasiert, ist wie von selbst auf der Leinwand meines Kopfkinos erschienen, inklusive des schwarzen Schaums. Der Rest kam sozusagen automatisch dazu. Ich habe den Text so geschrieben, wie ich meine Bilder male: ich hab’s einfach fließen lassen, direkt und ohne nachzudenken aus dem Unterbewußtsein geschöpft. Ging also recht flott vonstatten.
Dass so was wie ein literarisches Rätsel wirken könnte, ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, aber die Idee gefällt mir im Nachhinein natürlich schon. Insofern waren Deine Recherchen wohl vergebliche Mühe. Andererseits: der Gedanke, dass ich Deine Synapsen für kurze Zeit zum Klappern gebracht habe, gefällt mir. Ich habe sehr gestaunt, auf was für Namen und Dinge Du gestoßen bist und weiß sehr zu schätzen, dass Du Dir die Mühe gemacht, und die Zeit genommen hast. Lustig war’s natürlich auch. Und Deinem Plan, einen literarischen Rätseltext zu erstellen, bin ich somit auch nicht zuvorgekommen…
Dass Cage einen John Zorn auf Satie habe, fand ich nebenbei äußerst lustig, genauso wie den Namen Walter V.D. Vögelt-Beyde. Humor, wie ich ihn mag.
Danke auch für den Hinweis auf das verflixte ß! Ist zum Haare ausraufen! Man sollte meinen, sich den Text zehnmal durchzulesen, müßte reichen, aber … fuck.
Also – ich hoffe, du bist über den Holzweg, auf den ich Dich geführt habe, nicht sauer (was ich eigentlich nicht glauben kann).
Bis demnächst und herzliche Grüße nach Wien
Harry

 

Harry schrieb:
Danke auch für den Hinweis auf das verflixte ß! Ist zum Haare ausraufen!

... das Barbier-Paradoxon, daß Bertrand Russel 1918 aufgestellt hat, ...

Da ich nach wie vor Smileys hartnäckig verweigere, musst du mit einem hihi (= schadenfrohes offshoresches Kichern) vorliebnehmen.

 

Naja, harrytherobot,
ich finde das gut, und mag es sich letztlich nullen, so ist mir das sich vorübergehend gegen 's Nullen aufbäumende ein Wert jenseits des Nichtvorhandenen, der Stille, die ein Nullbelassen verbreitete.
Die Kultur - und der Überdruß an ihr - vermag ein Geräusch zu erzeugen, das wiederum jenseits dessen befindlich sind, was als Kunst noch gerade wahrnehmbar ist.
Insofern - gut geklappert
7

 

Hallo 7,
Es gibt ja immer wieder Kommentare, die sich durch wohltuende Klarheit und präzise Analyse von anderen abheben. Dieser gehört ohne Zweifel dazu. Danke dafür. Obendrein scheint Dir mein kleiner Text wohl gefallen zu haben, was mich natürlich freut. Eingedenk der Tatsache, dass bei Einbruch der Dämmerung mit Dunkelheit zu rechnen ist, verbleibe ich mit klapprigen Grüßen,
Harry

 

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