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Das Stockwerk
Das (renovierte)Stockwerk
Das (renovierte) Stockwerk
Anfangs hatte Didi Pütz sich nur ab und an mal verleiten lassen.
Es ist nicht sein Leben das ihn dazu treibt. Es ist das Leben allgemein was ihn abstößt.
Er schließt seine Augen und betritt eine große Eingangshalle.
Dies ist der Ort, an dem sich die Realität mit Didis Traumwelt vermischt. Er sieht nichts hört aber noch was um ihn herum passiert und fühlt noch was wirklich vorhanden, wie der Boden unter seinen Füssen.
Die Wände hier, waren einmal mit Gelber Farbe angelegt worden. Kein Bild oder ähnliches ist zu sehen. Ein stechend roter Teppich überzieht den Boden und wird nur von den klobigen braunen Ledersesseln verdeckt, die zu jeder Seite des großen Durchgangs aufgereiht sind. Es gibt hier kein Fenster und keine Lampe, nicht einmal eine Kerze. Hell ist es trotzdem. Didi schaut sich vorsichtig um. Stille.
Er hört seinen Atem lärmend aus seiner Nase heraus strömen.
Niemand war hier. Niemand konnte hier sein. Er traute sich erst beim zweiten Mal, weiter zu gehen. Ein Durchgang führt Didi ins Treppenhaus. Er steigt hinauf in das erste Stockwerk. Es ist sein Stockwerk. Nur noch von ihm getrennt durch eine große schwere Tür. Er geht hindurch und verliert das wenige, was er von der Wirklichkeit noch wahrgenommen hatte. Bei dem Gedanken, alles unnötige von sich zu weisen, löst sich ganz wie von selbst, seine Uhr vom dürren Handgelenk.
Um zu vergessen, was dort unten am Fuß der Treppe war, hat es nicht lange gebraucht. Vielleicht doch. Der Gedanke herunter zu steigen löst jetzt Angst in ihm aus.
Didi Pütz ist hier Sänger.
Mit geschlossenen Augen steht er auf der Bühne und sucht seine Mitte.
Eben, da der Applaus verebbt und sein Verstand unaufhaltsam voranschreitet, Besitz von seinen Gedanken zu ergreifen, entsinnt er sich seiner Bestimmung, die zu ertragen er kaum bereit gewesen wäre. Erlösung bringt das erste Wort seines nächsten Liedes. Er bevorzugt Balladen.
Endlich verabschiedet er sich vom Rampenlicht, der jubelnden Menge und den bedeutsamen Blicken der vordersten Reihen. Er verschwindet, nicht ohne letztere erwidert zu haben, durch den neben liegenden Gang hin zu der Türe, die das Stockwerk mit dem Treppenaufgang verbindet und verharrt dort einen Moment, um zu bestimmen welcher Weg als nächstes einzuschlagen sei.
Das Konzert hat ihn ein wenig melancholisch gestimmt und auch sonst fühlt er sich einmal mehr elend und ermattet. Seine Gleichgültigkeit alldem gegenüber wird von den sich von unten nähernden Schritten noch verstärkt. Didi nimmt wieder Haltung ein. „Ich grüße sie Herr Pütz!“ ruft der Doktor, langsam die Treppen erklimmend, Didi zu.
Didi grüßt, obwohl es ihn über die Maße anstrengt, freundlich und agil zurück, beantwortet aber des Doktors Fragen über sein Befinden und darüber wohin er nun gehe, nur mit einer ablehnenden Geste der Hand. Didi mag den Arzt nicht, denn er hat keine Erklärung für dessen ständiges Erscheinen im Treppenhaus. Kurzentschlossen zieht er es also vor, wieder durch die gewaltige Tür zu verschwinden, durch die er gerade gekommen war. Es ist einmal mehr ein fluchtartiger Eindruck, den er auf den Arzt macht.
Im Schutze einer neuen Welt, findet sich Didi Pütz als Liebhaber und Frauenheld wieder. Er fühlt sich bisweilen zu kecken und selbstbewussten Frauen hingezogen und verlässt gerade das Bett einer solchen. Noch einmal schaut er sich die Frau an, die er noch eben geliebt hatte. Der Gedanke, sie jetzt verlassen zu müssen und zurück zu kehren in den Alltag, schleicht sich ein. Doch Didi vernimmt noch einmal den süßen Duft ihrer Haut, ihren Sehnsucht verheißenden Blick der soeben seinen Körper mustert. Sie finden sich erneut.
Wieder bekleidet, wie üblich mit einem schwarzen seidenen Anzug auf hellblauem Hemd (keine Krawatte, den obersten Knopf stets geöffnet), verlässt Didi das Zimmer und geht am Bad vorbei hin zu der Tür, die ihre Wohnung, welche das gesamte Stockwerk umfasst, mit dem Treppenaufgang verbindet. Ohne ein Wort geht er hinaus.
Noch mit der Frage beschäftigt, ob er sie wieder sehen wolle, gelangt Didi an die Treppe und wundert sich diesmal keine Schritte zu hören. Er findet Zeit sich die triste halbdunkle Umgebung näher anzusehen. Das karge Licht, welches von der mit Insekten gefüllten Wandleuchte ausgeht, vermag den zerkratzten Holzboden nicht ganz zu zeigen, gibt aber Aufschluss über die Gefahr die vom baufälligen Geländer ausgeht. Didi zieht es daher vor sich so nahe wie nötig an der verdreckten und mit Gekritzel bespickten Wand zu halten.
Er geht ein Stück über den Treppenabsatz, als er plötzlich zusammen fährt und in das Gesicht des Doktors schaut, der wohl schon lange hier gestanden hatte.
„Herr Pütz, ich wollte sie nicht erschrecken, ich möchte mich nur mit ihnen unterhalten.“ Didi weicht zurück. „Wo waren sie gerade, was tun sie, wenn sie dort sind?“ Didi ist außer sich vor Wut und fährt ihn an, dass es ihn nichts anginge, dass er abhauen und ihn ein für alle mal in Ruhe lassen soll. Nun gibt er dem Arzt einen so heftigen Stoß, dass der alte Mann strauchelt, läuft zurück und verschwindet in der Tür, durch die er gerade eben gekommen war.
Diesmal verschlägt es Didi Pütz in den engen Kreis von Freunden, unter denen er sehr beliebt ist. Es ist Didi immer ein leichtes, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Didi ist diesmal leider kaum in der Lage sich auf die Geschichten, Probleme und Spielereien die er sonst mit ihnen zu teilen pflegt einzulassen. Viel zu sehr hat er sich zuletzt aufregen müssen. Raten kann ihm hier auch keiner und so kommt es, dass er sich bald wieder auf den Weg macht. Das er sich ohne ein Wort des Abschieds oder der Erklärung zu der Tür begibt, die jene Räumlichkeiten mit dem Treppenaufgang verbindet und durch sie hindurch geht.
Er ist früher als sonst hier und sicher, dem seltsamen Doktor diesmal zuvor zu kommen. Er nimmt die abwärts führende Treppe in zwei großen Schritten und steht vor der Tür, welche die Eingangshalle mit dem Treppenaufgang verbindet. Aus geringer Entfernung und gut durch die ihn umgebende Dunkelheit verhüllt, beobachtet Didi den ihm so suspekten Arzt, wie er sich gerade unterhält. Die Stimmen sind Didi durchaus bekannt.
„Das wichtigste ist vor allem das wir sein Vertrauen gewinnen. Ich verspreche ihnen das, wenn wir den Plan beibehalten, alles zusammenbricht woran er sich noch klammert und dann kriegen wir ihn.“
„Genug gehört.“ denkt sich Didi und will loslaufen, wird aber von einer Last nach unten gezogen die er schon lange nicht mehr gekannt hatte. Er wird von einem Schauder durchbohrt, kämpft sich zurück und begeht erneut die Treppe von der er gerade gekommen war. Alles erscheint plötzlich klar. „Die Stimmen! Sie stecken mit diesem verrückten Arzt unter einer Decke.“ Didi läuft, erkennt aber das er in seiner gewohnten Umgebung nicht mehr sicher ist, denn zu Nahe sind sie ihm schon gekommen. Er beschließt in seiner Hast den Schritt zu wagen und ein weiteres Stockwerk zu erklimmen.
Der Schatten von Besorgtheit, der sich plötzlich auf des Doktors Gesicht wiederspiegelt, lenkt die Aufmerksamkeit Didis Eltern und Verwandten wieder auf den jungen Mann, der vor ihnen auf dem Krankenbett sitzt. Sein Blick ist leerer als je zuvor in den letzten zwei Jahren. Noch einmal tropft Speichel aus seinem Mund, dann knickt er ein.
Farben, Töne, Berührungen und ein Gefühl von Verlangen umgeben Didi Pütz auf einmal. Es wird friedlich um ihn, denn die Stille jenes allumfassenden Nichts verrät ihm, dass kein Wort mehr zu sagen ist. Hier traut er sich sogar das Atmen zu beenden.