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Das Stehaufmännchen

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02.04.2007
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Das Stehaufmännchen

Und wieder. Ich spürte sein innerliches Zucken deutlich, als ich ihm abermals einer meiner kurzen, gehässigen Kommentare ins Gesicht schleuderte. Er wandte sich stumm seinen zwei fettig glänzenden Spiegeleiern zu und zog die Zeitung näher zu sich heran. Leise schmatzend vertiefte er sich in die aktuellen Artikel über Finanzkrise und Wahlergebnissen.
Ich verließ die Küche ebenso leise wie er schmatzte. Stellte mir vor, wie er sich jetzt seine gebratenen Eier hinunterwürgte, und jetzt, wo ihm keiner zusah, auch das Gesicht voller Schmerzen verziehen konnte. Malte mir die folgenden, seinen geschwächten Körper schüttelnden Hustenanfälle aus, wenn mal wieder Essensreste an empfindlichen Stellen steckenblieben. Ja, wie die Leute aus ihm ein "Stehaufmännchen" machten, ihn mit Worten wie "unglaublich stark", "so tapfer" lobten.

Tatsächlich machte sich in mir ein laues Mitgefühl breit. Doch mein Weg treppabwärts in den Keller kehrte das Mitgefühl in rasende Wut um, als mir der so gut bekannte, der so stark gehasste Geruch entgegenschlug. Selbst war er doch schuld an diesen unerträglichen Schmerzen, an dieser Qual, es war alles seine eigene Schuld. Konnte er sich nicht wenigstens so seine Zigaretten anzünden, dass seine Familie sich nicht auch noch von diesem schlechten Gewissen gequält fühlen musste? Nicht Süchtige können sich über Süchtige kein Urteil erlauben. Aber das ging doch wirklich zu weit, an solch einem Punkt muss man doch auch die Sucht nach Nikotin überwinden können. Konnte er aber nicht. War er so schwach. Der Vater, der als Fels in der Brandung seinem Kind Stärke und Kraft vermitteln soll. Schwächte sich selber noch in seinem Zustand durch Zigaretten.

Meine Hände schlüpften in die Taschen seiner dicken, warmen Jacke. Filzten sich durch Stofftaschentücher, Bleistift und Kaugummis hindurch. Der Griff war geübt. Innerhalb weniger Sekunden zog ich die neue, erst kürzlich aufgebrochene Zigarettenschachtel aus der Seitentasche. Dicke, schwarze Warnung darauf. Rauchen kann tödlich sein. Wie kann man dann, durch das Rauchen knapp an den Tod befördert, kurz vor dem Tod immer noch rauchen. Sind Raucher, allen voran mein Vater, Menschen, die gerne Sterben wollen?
Gleich neben dem Waschbecken stand auch sein Deo, daneben lagen weitere Kaugummis. Da bildet er sich doch tatsächlich ein, meine mittlerweile geschulte Nase durch so etwas zu überlisten. Zigarettenrauch ist für mich wie das Lächeln meines Vaters, man vergisst den bitteren Beigeschmack einfach nicht.

Und wie ich damals mit meiner Mutter naserümpfend an den Patienten vorbeilief und zu ihr sagte: "Mama, schau mal, wie kann man nur so dumm sein." Wie kann man, während ein Gerät dir über zwei Stunden lang hochkonzentrierte Chemie in den Körper pumpt, immer noch süchtig an der Zigarette ziehen. Wie soll man einem heimtückischen, gefährlichen Tumor besiegen, wenn der Willen zu schwach ist, die Sucht noch zu groß. "Mama, das ist doch dumm."

Aber mein Papa ist auch dumm. Ganz genauso dumm. Jede Woche wird der Tumor in seinem Körper gefoltert, und zu Hause im dunklen Keller füttert er ihn wieder.

 

Gefällt mir ganz gut soweit.

sie ihm abermals eines ihrer kurzen, gehässigen Kommentare ins Gesicht schleuderte.

Es heisst DER Kommentar. Die Wut, der Ärger der Tochter ist gut eingefangen, die Ausweglosigkeit, die Macht der Zerstörung einer Sucht.

 

Danke für deine schnelle Antwort!

Hab aus das Kommentar der Kommentar gemacht
Und danke fürs Lob :-)

lg
Shelly

 

Hallo Shelly,

hat mir auch gefallen. Gutes Thema - wie sich das Suchtverhalten der Eltern eigentlich so auf die Kinder auswirkt. Ob nun Nikotin oder Alkohol, Spielsucht, was auch immer - Kinder leiden immer darunter. Deine Geschichte erinnert mich an eine Freundin, deren Vater an Lungenkrebs starb und die noch jahrelang danach Albträume hatte, dass ihr Vater wieder angefangen hätte zu rauchen. Ich finde aber, Deine Geschichte wirkt noch ein wenig zu knapp, zu sehr Gerippe ohne Fleisch. Da kannst Du noch mehr daraus machen. was ist mit der Mutter? Welche "Ausrede" hat der Vater für sein Verhalten?

Aber schon mal nicht schlecht.

LG
Sammamish

 

Hallo Shelly!

Deine "sie" wird plötzlich zu "ich". Entscheide dich für eine Perspektive und bleib dabei.

Ansonsten finde ich das Ganze auch ein wenig knapp geraten. Wo steckt eigentlich die Mutter?

"Nicht Süchtige können sich über Süchtige kein Urteil erlauben." => Doch klar, warum nicht? Wenn uns die Süchtigen mit ihrem Verhalten quälen, warum sollte man nicht urteilen, sie verurteilen?

Güße
Chris

 

Danke für eure Kommentare!
Entschuldigt dass ich mich erst jetzt melde, war letzte Zeit viel unterwegs. Sobald ich wieder Zeit habe, kümmere ich mich drum und bau die Geschichte noch etwas aus. Danke nochmal :-)
lg shelly

 

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