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Das Spiel
Das Spiel
Hell schien der Mond durch das kleine Badezimmerfenster und tauchte den Raum, in denen die Dampfschwaden langsam vor sich hin waberten, in ein weiches, leicht schummriges Licht. Samantha stand unter der Dusche und ließ das heiße Wasser genießerisch über ihren Körper laufen. Die langen, dunklen Haare klebten nass an ihrem Rücken und ihre sonst so einprägsamen leuchtend grünen Augen waren geschlossen. Sie duschte nicht einfach nur, sie gab sich ganz der von dem Wasserstrahl erzeugten Wärme hin. Wie sie das den Tag über vermisst hatte. Nach gut zehn Minuten ununterbrochenen Prasselns auf ihren schlanken Körper klopfte jemand sehr energisch an die Badezimmertür. "Hast du vor dich da drinnen zu ertränken? Wenn nicht: Es gibt auch noch andere Personen in diesem Haushalt, die sich noch ausgehfein machen möchten!" Mark, Samanthas Mitbewohner, klang nicht wirklich verärgert, eher leicht amüsiert. Dennoch stellte sie mit einem Seufzen die Dusche ab und tastete nach ihrem Handtuch. Kurze Zeit später schon hatte sie sich abgetrocknet und angezogen. Noch schnell die Haare geföhnt - auf Schminke verzichtete sie, die hatte sie nun wirklich nicht nötig - dann rief sie nach draußen: "Bereit, Süßer?" Von der anderen Seite der Tür kam nur ein müdes Stöhnen. "Du musst ja wirklich atemberaubend aussehen, wenn du so lange..." Zu mehr kam Mark nicht, denn Samantha hatte die Badezimmertür geöffnet. Als er nach einiger Zeit die Kinnlade wieder zugeklappt hatte, stieß er einen bewundernden Pfiff aus. "Ist das ein Gürtel oder darf man es tatsächlich noch Rock nennen?", fragte er scherzhaft und zog Samantha an sich. "Meine kleine Sam. Und in diesem Aufzug soll ich dich auf die Straße lassen, so ganz allein?" Samantha grinste frech zurück: "Als würdest du den Anblick nicht genießen. Aber keine Panik, außer dir hat bei mir eh keiner eine Chance." Mark küsste sie sanft auf den Hals und sah ihr dann tief in die grünen Augen: "Denk an unsere Abmachung: Du gehst kurz raus was trinken, dann kommst du wieder, ja? Wenn du länger wegbleibst als Mitternacht komme ich um vor Sorge. Und - muss es wirklich sooo freizügig sein?" Samantha blickte unschuldig zu ihm hoch: "Keine Sorge, Schatz. Welcher Mann sollte mir schon etwas tun können?"
Nach einem Abschiedskuss und einem aufmunternden Klaps auf ihren Po fiel die Tür hinter Samantha ins Schloss. Mark blickte nachdenklich erst auf den Kalender und dann auf sein Laptop, auf dem noch die letzte empfangene Mail angezeigt wurde: "Du denkst doch daran, die drei Monate sind rum. Kann die Jagd heute beginnen? Schick mir ein Bild von unserem Spielzeug. Drei Nächte, Kumpel."
Mark sah aus dem Fenster und beobachtete Samantha dabei, wie sie nach einem kurzen Blick in den sternklaren Nachthimmel die Straße entlang stolzierte. Er glaubte nicht daran, dass Vincent drei Nächte brauchen würde...
Samantha genoss jede Einzelheit dieser Nacht. Das gelbe, warme Licht der Straßenlaternen, die angenehme Kühle nach der heißen Dusche, den Mond und die Sterne. Kurz blickte sie zu den vertrauten Himmelskörpern empor, die ihr seit drei Monaten so lieb geworden waren wie fast nichts auf dieser Welt. Vor drei Monden hatte Mark sie gefunden, als sie sich gerade in einer Seitenstraße zwischen zwei Müllcontainern einen Schuss setzen wollte. Um den Stoff zu bekommen, hatte sie zwei Nächte lang so ziemlich jedes miese Schwein der Stadt für ein paar Pennies rangelassen und sich wahrscheinlich mit einem Dutzend Geschlechtskrankheiten infiziert - aber das war ihrer Sucht egal. Und Mark auch. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie er ihr die Spritze aus der Hand geschlagen und sie gepackt hatte. Als sich seine Zähne in ihren Hals gruben schrie sie kurz erschrocken auf, bevor sie sich diesen neuen Rausch aus Schmerz und Gier hingab. Schon kurz darauf lag sie zitternd ins seinen Armen und saugte an seinem Handgelenk wie ein Neugeborenes an der Brust der Mutter. Die ersten Worte, die er an die neue Samantha richtete, hatten sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt: "Du gehörst jetzt zu mir. Für eine Ewigkeit zumindest."
In einem kleinen Haus in der Einöde außerhalb der Stadt prägte sich Vincent das Bild ein, das er gerade von Mark erhalten hatte. Hübsches Ding, das musste er zugeben. Für seinen Geschmack ja etwas zu dünn, aber Mark hatte schon immer ein Faible für den Magermodel-Typ. "Hoffentlich hat er sich diesmal nicht wieder in sie verknallt, sonst macht er mir die gleiche Szene wie vor 400 Jahren. Nochmal so ein Blutbad kommt nicht gut in Zeiten des Internets - die Stadt wäre unbrauchbar.", dachte er. Und Vincent hasste Umzüge. Er war schon zu oft umgezogen im letzten Jahrtausend.
Schnell ging er zu der alten Truhe, die in der Ecke stand und klappte mit Leichtigkeit den massiven Holzdeckel hoch. Als was sollte er diesmal auf die Jagd gehen?
Sam schritt selbstbewusst die hell erleuchtete Hauptstraße entlang. Aus den Kneipen und Restaurants drang Lachen und Musik hinaus auf die belebte Straße. Manch ein Mann verrenkte sich beinahe den Hals dabei, Samantha noch etwas länger hinterherzustarren. "Wenn die wüssten." Sam lächelte selbstzufrieden vor sich hin und genoss die Aufmerksamkeit der sterbenden Massen noch ein wenig länger, bevor sie in eine Seitenstraße abbog und sich darüber Gedanken machte, was sie wohl heute zu trinken finden würde. Als sie gerade an einigen alten Müllsäcken vorbeigekommen war, hörte sie hinter sich ein Geräusch. Blitzschnell drehte sie sich um und spähte misstrauisch die düstere Gasse entlang. Da! Einer der "Müllsäcke" gab ein kurzes Grunzen von sich. Langsam kam Samantha näher. Erst als sie auf eine Armlänge herangetreten war, erkannte sie den Penner, der, eine Hand zufrieden um eine halbleere Flasche Bourbon gekrallt, friedlich zwischen dem Unrat schlummerte. Sam blickte gleichzeitig mitleidig und gierig auf ihn herab. Ein leichtes Opfer. Sie konnte Mark stolz machen und schnell wieder bei ihm sein.
Sam hatte sich für das Handgelenk entschieden, der Hals war ihr einfach zu schmutzig. Auch Vampire haben eben gewisse Ansprüche. Als sie die Zähne tief in das Fleisch des Penners grub und zu saugen begann, schien dieser das nicht einmal zu bemerken. "Wohl zu betrunken.", dachte Samantha gerade, als sie plötzlich einen stechenden Schmerz in ihrer Brust fühlte und die Welt um sie schwarz wurde. Vincent stand auf und leckte sich kurz über sein Handgelenk, worauf die Blutung sofort versiegte. Vor ihm lag - in dem nuttigsten Outfit, dass er je an einer Frau seiner Art gesehen hatte - Samantha vor ihm, den Holzpflock sauber und präzise in ihr totes Herz gerammt. Vincent grübelte vor sich hin und sprach dann, teils an sich selbst gewandt, teils an die erstarrte Samantha gerichtet: "Was mach ich jetzt mit dir, Süße? Zerstückeln und verbrennen wird mir langsam wirklich zu langweilig. Außerdem hast du es mir viel zu leicht gemacht, hat Mark dir denn gar nichts beigebracht? Nichts als den Durst im Kopf..." Bei diesen Worten verzog sich sein Mund zu einem schiefen Grinsen, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss. "Warum eigentlich nicht. Wenn sie Durst hat, sollte ich sie zum Brunnen bringen..."
Kurze Zeit später legte Vincent die immer noch leblose Sam in dem Schacht neben seinem Haus ab, der wohl vor Jahrzehnten einmal als Brunnen für die Bauernfamilie gedient haben mochte, die er vor seinem Einzug leergetrunken hatte. Er zog den Pflock aus ihrer Brust, kletterte hastig die Strickleiter hinauf und zog sie hinter sich hinauf. Die Starre würde sich bald lösen. Zufrieden mit sich selbst ging Vincent ins Haus und betrachtete auf seinem Computerbildschirm das Bild der noch betäubten Samantha, das ihm die Kamera vom Brunnenrand lieferte. Das war etwas, das er gute Unterhaltung nannte.
Als Sam zu sich kam, war das erste, was sie sah, der nach wie vor wundervoll klare Nachthimmel mit seinen funkelnden Sternen. Für sie aber schienen sie jetzt auf einmal viel kälter und weiter entfernt. Langsam kehrte der Verstand zurück, und nachdem sie realisiert hatte, in welcher Lage sie sich befand, kam die Panik. Samantha schrie. Sie schrie so laut, wie sie nur konnte und so lange, bis ihre Stimmbänder ihr den Dienst versagten. Wieder rann Wasser über ihr makelloses Gesicht, doch statt des angenehm warmen Wassers in der Dusche noch vor wenigen Stunden waren es nun ihre Tränen, die von ihren Augen aus den traurigen Weg ihre Wangen entlang antraten und über das Kinn hinab auf ihr Top und den staubigen, grauen Boden ihres Gefängnisses tropften. "Warum nur stimmt dieses verdammte Klischee nicht, dass sich Vampire in Fledermäuse verwandeln können?", fluchte sie in Gedanken. Mark hatte gleich in der ersten Nacht ihres neuen Lebens gründlich mit einigen Vorurteilen aufgeräumt. Sie erinnerte sich noch gut an diese Lehrstunde. Alles hatte er ihr beigebracht: Dass es keine "Vegetarier" gab, dass Vampire nicht fliegen konnten, dass Knoblauch kein Problem war, Feuer und Sonne dagegen schon. Dass sie stark war. "Aber wie ich aus diesem Drecks-Loch rauskomme, das hast du mir nicht erzählt.", wimmerte Samantha leise vor sich hin.
Während sich der Himmel langsam, aber unaufhaltsam rosa zu färben begann, dachte Sam in ihrem Brunnen über ihr altes Leben nach. Und über ihr neues. Schließlich wischte sie sich die Tränen vom Gesicht, stellte sich stolz in die Mitte des Schachtes und richtete entschlossen den Blick nach oben. "Für eine Ewigkeit zumindest.", hatte Mark gesagt. "Bis zum ersten Sonnenstrahl.", dachte Sam, dankbar für drei glückliche Monate, bevor das Licht sie erreichte und sie zu einem kleinen Häufchen Staub zerfiel.
Vincent saß überrascht vor seinem Bildschirm. Dann schloss er mit einem energischen Druck auf die Tastatur das Anzeigefenster und schüttelte enttäuscht den Kopf. Dabei hatte es mit dem panischen Gekreische so gut angefangen. Die Kleine war doch tougher gewesen als erwartet. "Was soll's", dachte er, als sein Handy zu brummen anfing. "Hat sie dir gefallen?", fragte Mark leicht ärgerlich durchs Telefon. "Ja, war ganz nett. Bisschen dünn, aber du stehst eben auf Hungerhaken..." - "Kannst dir ja meinetwegen einen Fettsack aussuchen.", fiel ihm Mark ins Wort, "In drei Monaten hören wir uns wieder? Oder ist dir das Spiel zu langweilig geworden?". Vincent grinste gehässig und sah hinüber an seine Fotowand. "Ich denke, ich weiß schon, wie ich es interessanter gestalte. Bin gespannt, wie du mein nächstes Spielzeug findest." Mark gähnte betont laut am anderen Ende der Leitung. "Wenn du meinst. Aber die Bürgermeistertochter letztes Mal war nun wirklich nichts Besonderes. Ich lass mich überraschen. Und jetzt hau ich mich aufs Ohr." Ohne einen weiteren Kommentar legte er auf. "Ich wünsche gesegnete Träume.", sprach Vincent ins Leere und blickte begierig auf die Bilder der jungen Nonne, die er seit drei Nächten beobachtete.