Das Spiel
Die Elfe steht mitten auf einem gepflasterten Platz. Solche Steine hat sie noch nie gesehen. Sie sehen aus als könnten sie aus den Steinbrüchen Cahirsheveens kommen, aber sie sind furchtbar glatt poliert. Nicht einmal die Technologie der Goblins sollte dazu in der Lage sein, solche leuchtenden, glänzenden Steine zu produzieren.
Der Platz ist eine Halle, an deren Rändern Säulen aus dem Boden wachsen, die höher sind als die höchsten Bäume Haralins. Es ist dunkel, und in den Schatten mag alles mögliche lauern.
Die Elfe geht ein paar Schritte nach vorne. Was mag dies für ein Ort sein? Ein Dimuhan? Eine riesige Steinsäule, bewohnt von blauen Lemuren? Wohnt in den Tiefen dieser Steinsäule das Duadim? Wenn ja, dann wird es sie holen, dann wird sie ihr Leben hier lassen.
Mit ihrer Hand umklammert sie ihren Lebensquell. Das Duadim wird ihn ihr wegnehmen, und dann stirbt sie - aber das wird ihm egal sein.
Sie wirbelt herum, als sie in den Schatten eine Bewegung sieht. Die Lemuren kommen!
Sie beginnt zu rennen, ihre nackten Füße klatschen auf den kalten Boden. Türen aus glänzendem Stahl sind in die Seitenwände eingelassen, die bestimmt zu großen Räumen mit weiteren Abscheulichkeiten führen.
Wird die ganze Welt in der Zukunft einmal so aussehen? Die Elfe sehnt sich nach Haralins großen, kühlen Bäumen.
Die Lemuren sind hinter ihr, große, schlanke Wesen. Ihre Haut ist blau oder schwarz, sodass sie in den Schatten kaum zu sehen sind. Tränen strömen der Elfe über die Wangen.
Sie findet ein Treppenhaus und flieht die Treppe herab nach unten, raus aus dem Dimuhan, in die Ebene...
Aber die Treppe führt nur in ein weiteres Stockwerk voller Türen.
Die Lemuren sind immer noch hinter ihr.
Sie rennt in einen Gang und stößt fast mit dem Lemuren zusammen, der vor ihr wie aus dem Nichts erscheint.
Sie dreht um und wirbelt in die andere Richtung, merkt, dass die Lemuren sie treiben, sie scheuchen, wohin will sie nicht wissen.
Plötzlich steht sie in einem kleinen Raum. Vor ihr steht das Duadim. Es ist blau, seine Hörner sind sehr lang, seine Haut ist schuppig. Sein Haar ist weiß und leuchtet aus der Dunkelheit.
Mit einer langsamen, beinah majestätischen Geste streckt es die Hand aus. Es will den Lebensquell der Elfe.
Sie zittert und umklammert ihr Amulett, will es nicht hergeben, als sie plötzlich das Messer eines der Lemuren an ihrem Hals spürt, wie es das Lederband der Kette durchschneidet.
"Gib das Artefakt! Gib es und du kannst gehen!" flüstert einer von ihnen. In dem Raum herrscht eine Akustik, die das Flüstern wieder und wieder zurückwirft.
Die Elfe schluchzt. Das Duadim hat immer noch die Hand ausgestreckt. "Verschont mich, Edler, verschont mich und ich werde nie mehr wiederkommen..."
Sie legt den Lebensquell hinein, eine kleine, filigrane Blüte, und das Duadim schließt die Finger und tritt einen Schritt zurück.
Sofort schießen Schmerzen durch ihren Körper, unvorstellbare Qualen, und sie bricht zusammen, fällt auf den Fußboden, schreiend.
Die dunklen Schemen, die auf sie zuspringen, bemerkt sie schon gar nicht mehr.
"Halt! Lassen Sie sofort das Mädchen in Ruhe!"
Das Duadim seufzt. "Gehen Sie bitte."
Die Wachleute umzingeln es. "Sie können ihre Opferrituale machen, wo sie wollen, aber nicht im Keller des Gerichtshofes!"
Das Duadim beginnt zu lachen. "Sie scheinen falsch informiert zu sein! Wir hatten alles mit dem Hausmeister und dem Obersten Richter abgesprochen! Und überhaupt, warum sind Sie nicht auf dem Betriebsausflug?"
"Ach Gott, schon soo spät? Komm, Fritz, wir müssen weg!"
"Aber wir können die Satanisten doch nicht mit dem Mädchen allein lassen!"
"Satanisten! Ich bitte Sie! Und jetzt gehen Sie!"
Das Duadim beugt sich über den toten Körper der Elfe. "Bringt es weg" sagt es zu den beiden schwer bewaffneten Lemuren, die im Hintergrund in den Schatten stehen. Die beiden nicken, packen den reglosen Körper und schleppen ihn fort. Die beiden Wachmänner stehen da und verstehen die Welt nicht mehr.
"Stell dir vor" erzählt Fritz später einer der Sekretärinnen "Ich komme in den Keller, weil ich jemanden schreien höre, und da haben ein paar schwarz geschminkte Satanisten gerade ein Mädchen geopfert..."
"Das waren keine Satanisten, das waren Live-Rollenspieler, die hier wegen all dem Marmor die Dimuhan-Szenen spielen wollten! Hast du davon nichts mitgekriegt...? Der ganze Gerichtshof spricht doch schon seit einer Woche von nichts Anderem mehr..."