Mitglied
- Beitritt
- 03.10.2020
- Beiträge
- 349
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 16
Das skurrile Ende von Ned Kelly und seiner Gang
Elton Rainey pflanzte seinen Hintern auf den wackligen Hocker, der unter dem Gewicht ächzte wie ein Neunzigjähriger. Er war verabredet, um eine Runde Poker mit drei schmiergesichtigen Mexikanern zu klopfen, und falls sein Plan aufging, würde er die Vögel nach Strich und Faden ausnehmen. Deshalb hielt er es für eine gute Idee, sich erstmal die Zeit mit trinken zu vertreiben. Unter dem Hemd lugte eine Speckrolle seines Wanstes hervor, ganz rot gescheuert von dem vielen Kratzen. Irgendwie musste er sich die Krätze, Läuse oder sonstwas Übles geholt haben, als er letzte Nacht im Heuvorrat des Pferdeverleihers ein paar Stunden gedöst hatte.
Rauchschwaden durchzogen den hinteren Teil des Saloon wie Nebelfelder, in denen die spärlichen Gäste mit tränenden Augen und verschwitzten Köpfen an den Tischen saßen. Elton war noch nicht lange in der Stadt, nur ein paar Tage. Bei Poker und Blackjack im Yellow Rose hatte er sich zumindest die nächsten paar Stunden Sauferei gesichert und vielleicht lag sogar eine Hure drin, wobei er aufgrund einer angeborenen Hässlichkeit gerne mal über den Tisch gezogen wurde, was seine Aussichten diesbezüglich schmälerte.
Die Schwingtüren knallten gegen die holzvertäfelten Wände. Jemand stolperte in den Raum, bat das Gleichgewicht um einen wirbelnden und klappernden Tanz übers Parkett, fing sich mit einem Ächzer, bevor Schlimmeres geschehen konnte. Sowas erregte normalerweise nicht Eltons Aufmerksamkeit, kornblumenblau war er selbst oft genug, aber diese Gestalt fesselte seinen Blick.
„Ach du dicke Scheiße“, flüsterte er.
Diese Bemerkung wurde dem Aussehen des Fremden allerdings nicht gerecht. Auf seinem Kopf saß ein tief in die Stirn gezogener, zerknitterter Stetson, dessen ursprünglich schwarze Wolle von der Sonne derart gebleicht worden war, dass sie eher an das Grau eines verwahrlosten Geierkükens erinnerte. Seine Füße steckten in abgewetzten, löchrigen Cowboystiefeln, die bei jedem Schritt ein lautes Klack! hören ließen. Um die Wespentaille flatterte eine staubig-blaue Jeans, an der sich unzählige Motten glücklich gefressen hatten, und der nackte Oberkörper war so abgemagert, als hätte er seit Wochen nur auf einer Handvoll Bohnen rumgekaut.
Im Saloon stoppte das Geklirre der Gläser, selbst der Klavierspieler erstarrte mitten in seiner Tastenquälerei, als der Fremde sich mühevoll an den Tresen hievte. Elton erwartete, dass die zündholzdünnen Ärmchen unter dem Fliegengewicht des Männchens einfach zerbrechen würden, wenn er sich nur auf der zerkerbten Holzplatte abzustützen versuchte, aber es passierte nichts dergleichen.
Sein Gesicht lag im Halbschatten, doch Elton erkannte dutzende Narben und die schwärenden Wunden selbst auf diese Distanz und trotz des schweren Rauchschleiers. Mit der Ankunft des Fremden verbreitete sich ein stechender Gestank nach Pferdeäpfeln und verfaulendem Obst im Raum, der selbst Elton Rainey die Nase rümpfen ließ, und der litt schon zeitlebens an chronischem Schnupfen, was seinen Geruchssinn auf ein Minimum beschränkte.
Ein Murmeln ging durch die Gäste, dann stand Pietro, der alte Barkeeper mit dem steifen Bein, vor dem Männchen und verzog die Miene wie ein miesepetriger Kojote, der seit Tagen keinen Hasen mehr gefressen hatte. „Ich muss Sie leider bitten zu gehen, Mister“, brummte er und seine Pfeife spuckte graue Asche.
„... Name ist Mort“, stotterte der Fremde auf dünnen Stimmbändern, die klangen wie mit Schleifpapier behandelt und danach im Wüstenwind zum Ausdörren aufgehangen. Pietro funkelte ihn an und klopfte mit seinem Bein auf die Dielen.
„Mann, Sie stinken vielleicht aus der Gosche ... Sie können hier nicht bleiben, Mister Mort.“
„Hab was gesehen ... draußen ... im Sand ...“
Der Barkeeper schüttelte den Krauskopf und nickte zugleich, ein groteskes Schauspiel seiner inneren Zerrissenheit, zeigte sodann mit der Pfeife auf die Schwingtüren. „Genau dahin gehen Sie jetzt zurück!“
Er machte eine Pause, um abzuwarten, ob der Fremde sich tatsächlich so einfach vertreiben ließe.
„Raus hier, aber bisschen plötzlich!“
Fasziniert beobachtete Elton, wie das Männchen begann, eine Zigarette zu drehen, flinker als er es jemals zuvor gesehen hatte (nicht mal sein Alter hatte so schnell drehen können, und der war mal Plantagenbesitzer gewesen), ein Streichholz anriss und hastig anfing zu paffen, während der Schmodder ihm grün und gelb die Wangen herunterlief und auf den Tresen tropfte.
„Verziehen Sie sich, oder ich muss Sie mit Gewalt hinausbefördern lassen, und das wollen wir doch nicht, oder?“, bellte Pietro und seine Ähnlichkeit zu einem Kojoten steigerte sich ins Verbissene. Er verzog die Augen zu wütenden Schlitzen und knurrte tief aus seiner Brust, ein Wunder, dass er nicht mit den Zähnen fletschte. Aber die verstummelten Dinger taugten höchstens noch zum Kinder erschrecken.
„Kann nicht gehen ... Es wartet ... Auf mich ...“
„Ist mir egal.“
„Es brennt ... Das kalte Brennen ... Verstehen Sie doch ...“
Morts Augen drohten ihm aus den Höhlen zu rollen und Elton befand, dass er komplett irre sein musste, der Typ hatte zu lange in der Sonne gelegen. Er klammerte sich mit seinen Spinnenfingern an den Tresen, als wolle er sich absichtlich ein paar Splitter ins Fleisch treiben, während die Zigarette seine spröden, bachbetttrockenen Lippen versengte. Den Großteil der Kippe hatte er in zwei kräftigen Zügen weggeraucht.
„Der ist völlig durchgeknallt“, tuschelte ein blonder Lockenschopf in Raineys Nähe, der einer bleichen Lady gehörte, die vor zwanzig Jahren vielleicht hübsch gewesen war. „Lass uns gehen.“ Ihre Begleitung lachte spöttisch, aber der Unterton drückte unverkennbar Angst aus.
Elton bekam Durst. Bevor er Pietro mit einer entsprechenden Geste auf sich aufmerksam machen konnte, fuhr Mort der Gebrechliche mit erstaunlicher Leichtigkeit herum, spritzte einen ordentlichen Batzen grünen und gelben Schleim an den Tresen und über den Boden. Riss seinen Mund auf, mit einem gewaltigen Schnappen, dass die Kiefer knackten. Eine wütige Bärenfalle, die sich immer wieder aufs Neue spannte, und die Zähne machten Klack! Klack!, wie zuvor seine Schuhe. Die dürren Arme zuckten dazu wild umher.
„Haben den Schatz gefunden ... weit draußen ... Verfluchte Indianer ...“, krächzte Mort und torkelte vom Tresen Richtung Klavier, hinterließ eine blutige Schleimspur auf dem Dielenboden.
„So hilf mir doch mal jemand!“, brüllte der alte Pietro, bewegte sich jedoch keinen Schritt, sondern fuchtelte nur hilflos herum, sodass er schier eine ganze Reihe Whiskeytumbler zu Boden fegte.
Elton Rainey gönnte dem armen Hocker unter seinem Hintern eine Pause. Darauf hatte er gewartet. Vielleicht gab es für ihn ja endlich ein Gratisbier zu verdienen.
„Du willst mir also weismachen, dieser Haufen Hundekacke da, das war mal ein Mensch? Dieser Typ ... wie hieß er noch gleich? Mort?“, fragte der Sheriff und blickte angewidert auf die Schweinerei, stieß mit seiner Stiefelspitze einen verfaulten Knochen an. Sah aus wie das Becken, aber Elton war sich nicht sicher.
„Genau, genau“, antwortete Pietro hastig, seine Pfeife war ausgegangen und wippte beim Sprechen. „Die andern können das bezeugen.“
Sheriff Hanson blickte in die Runde. Die Gäste hatten den Saloon mittlerweile verlassen, waren in kopfloser Panik geflüchtet und zurück blieben nur der Barkeeper, Elton und ein junger Bursche mit Pickelgesicht, der dabei geholfen hatte, den außer Rand und Band geratenen Mort im Zaum zu halten. Die beiden nickten im Duett und nippten an ihren Biergläsern. Die Hand des Burschen zitterte und er verschüttete einen Teil der Flüssigkeit über sein kariertes Hemd.
„Wir haben ein Problem, meine Herren. Sie waren Zeuge des Todes dieses Mannes und ich kaufe Pietro diese Geschichte nicht ab. Niemand verfault einfach ... einfach so.“
„Aber genau so war’s doch! Er muss schwer krank gewesen sein.“
„Ich unterhalte mich erstmal mit den beiden hier“, konstatierte der Sheriff und rückte seinen Hut und den Stern zurecht. „Würde vorschlagen, du kümmerst dich um deinen Laden und fegst erstmal diese Sauerei zusammen.“
Sie setzten sich an einen Tisch und Pietro holte Kehrschaufel und Eimer.
„Nun gut, erzählt mir was. Was Brauchbares. Nicht so eine gequirlte Scheisse wie der Alte ... Kann ich echt nicht gebrauchen, der Abend war schon verrückt genug. Also? Ich höre.“
Bevor jemand was sagen konnte, flog ein Stein durch eines der Fenster und Glasscherben schlitterten klirrend über den Boden. Heisser Wind verwirbelte den Rauch im Saloon.
„Hier spricht Ned Kelly! Wir haben den Yellow Rose umstellt! Kommt raus, die Hände über eure scheiß Köpfe!“
„Was zum Geier ...“, murmelte der Sheriff und zog seinen Revolver. „Den Teufel werd ich tun, Ned Kelly!“
Hansons Stimme klang gegerbt von zahllosen Gläsern rauchigen Whiskeys und günstigen Zigarren, er war kein Held, wie man ihn sich im Buche vorstellte, wäre der Stern nicht gewesen, man hätte ihn gut selbst für einen Halunken halten können.
„Ist das die berüchtigte Ned Kelly Gang?“, fragte der pickelgesichtige Bursche und die Aufregung sprang ihm beinahe aus dem Gesicht.
„Was willst Du, Ned Kelly?“, brüllte Sheriff Hanson. „Hier drin ist’s gemütlich. Komm doch rein, du verdammter Halsabschneider, und setz dich zu uns!“
Elton fand das keine gute Idee. Dieser Ned war der Anführer einer gefürchteten Gang des Südwestens, sie hatten unzählige Kutschen überfallen und im Zuge dessen etliche arme Seelen massakriert. Männer wurden gnädigerweise erschossen, den Frauen schnitten sie die Zungen raus, damit die Überlebenden ihre Schrecken nur noch per Zeichensprache schildern konnten, bei den Kindern machten sie sich manchmal einen Spaß daraus, sie alleine in der Wüste auszusetzen. Aber das mit den Zungen, das war das Markenzeichen von Ned Kelly und seinen verfluchten Banditen, damit hatten sie es sogar in die New York Times geschafft.
„Ist Mort bei euch da drinnen?“, schallte es von draußen.
„Der ist hier. Aber der is‘ nur noch ein dampfender Klumpen Scheiße.“
„Ich hab nur eine Bedingung“, rief Ned. „Und wir kommen alle hier einigermaßen heil wieder raus.“
„Die da wäre?“ Hanson spannte den Hahn seiner Waffe und blickte Elton und den Jungen an. „Na los, zieht eure Knarren. Könnte hässlich werden.“
„Was Sie nicht sagen“, brummte Elton, trank einen Schluck und tat dann wie ihm geheißen. Er zielte auf das kaputte Fenster. Der alte Pietro begann, den Eiter und die Knochen und den ganzen Schmutz von Mort zusammenzukehren. Das Klavier würde er ausserhalb der Stadt irgendwo verbuddeln müssen, es war von unten bis oben vollgesudelt. Der Gestank war erbärmlich und die verwesenden Fleischklumpen klebten an seiner Schaufel.
„Bei euch ist ein Mann, nennt sich Elton Rainey, soviel ich weiß. Er soll sich unserer Gang anschließen!“
Hanson und der Junge glotzten ihn an. Nun zog auch Pickelgesicht sein Schießeisen. Elton starrte plötzlich in zwei schwarze Läufe. „Ich hab nichts damit zu tun! Keine Ahnung, von was der faselt. Ich schwör’s!“
„Weg mit der Waffe, Rainey“, knurrte der Sheriff.
Elton legte seinen Revolver auf den Tisch und schob ihn über die Platte zu Hanson, hob zögerlich seine Hände und verharrte mit ihnen auf Schulterhöhe.
„Ich erzähl euch jetzt eine kleine Geschichte“, krähte Ned durchs Fenster. „Damit ihr versteht, um was es hier geht.“
„Ich habe keine Ahnung, was der von mir will“, flehte Elton. „Ich hab die blöde Gang noch nie zuvor gesehen.“
„Maul halten, du Affe“, blökte der Bursche mit einem Anflug von Überheblichkeit und seinem schiefen Grinsen war anzusehen, dass er sich wohl zum ersten Mal im Leben wie ein echter Mann fühlte.
„Wir haben den Indianerschatz geplündert, draußen bei San Pedro. Nicht einfach zu finden, die Navajos haben ihre angeblichen Reichtümer gut versteckt. So viel muss man den Bastarden lassen. Der war mit irgend so ’nem beschissenen Fluch belegt.“
„Stimmt das?“, fragte Hanson an Elton gewandt.
„Ich sagte doch schon, ich hab keine Ahnung!“
„Mort war nicht der Erste, der die Krankheit bekam. Vor ihm haben wir schon drei Mann ... an die Untoten verloren, oder was auch immer die darstellen sollen. Das Problem ist, wir brauchen diesen Elton Rainey innerhalb unserer Reihen, weil der nämlich infiziert ist. Wir haben nicht viel Zeit, sonst faulen uns allen die Knochen vom Leib. Kapiert ihr Vögel das? Das ist der Fluch, der aus dieser scheiß Kiste kam, ansonsten war nur alter Plunder drin.“
Elton zuckte zusammen. Jedes Greenhorn wusste doch, das man alles stehlen durfte, was nicht niet- und nagelfest war, aber von den Indianerschätzen, davon ließ man unter allen Umständen die Finger, weil die verdammt nochmal immer verflucht waren. Dieser Ned Kelly war ein gerissener Schurke, aber mit dem Allgemeinwissen schien er auf Kriegsfuß zu stehen.
„Schwachsinniges Gelaber“, rief Hanson. „Was soll das? Ich bin nicht zum Spaßen aufgelegt, also komm endlich zum Punkt, Ned Kelly! Am besten komm ich gleich raus und baller dir ein paar Löcher in den Schädel.“
„Keine Ahnung, wer den Navajos die Sodomie beigebracht hat, ist schon ein seltsames Volk. Aber der gute Mort ist letzte Nacht zu eurem Elton ins Heu gestiegen und hat sich an ihn rangemacht.“
„Das mit der Sodomie haben sie von den Blauröcken“, vermutete der Bursche.
„Spürst ein Jucken und Brennen am Wanst, hab ich recht?“, fuhr Ned Kelly fort. „So beginnt es jedes Mal. Ist ein sicheres Zeichen.“
Hanson und der Bursche blickten Elton unverwandt an, die Knarren weiterhin auf seine Brust gerichtet.
„Ja, ich hab da so einen Ausschlag, aber das geht bestimmt wieder weg, is‘ nich‘ so schlimm ...“, versuchte Elton sich rauszureden. Woher wusste dieser Ned Kelly davon? Und was noch viel wichtiger war: Hatte er tatsächlich so viel getrunken, dass er nicht bemerkte, wie er im Schlaf vergewaltigt worden war? Einfach unmöglich, dass ausgerechnet ihm sowas passierte! Aber immerhin war er wieder mal flachgelegt worden.
„Meine Bedingung ist folglich sehr simpel: Elton kommt raus zu uns und ihr anderen bleibt einfach drinnen, bis wir abgehauen sind. Haben wir einen Deal?“
Hinter Hansons Stirn arbeitete es, eine Ader trat hervor und der Schweiß tropfte ihm von der Geiernase. Pickelgesicht grinste unverändert aus der Wäsche, aber auch er schien eindeutig in Erwägung zu ziehen, den Deal einzugehen und seine kostbare, unreine Haut zu retten. Doch dann kam ihm offenbar eine bessere Idee, denn er räusperte sich und sagte: „Feuer. Die alten Indianerflüche haben immer was mit Feuer zu tun.“
„Hä?“, blaffte Sheriff Hanson.
„Der Fluch lässt sich mit Feuer brechen, wenn ihr mich fragt.“
„Und wie soll uns das helfen? Wir wollen die Bande dingfest machen und nicht irgendwelche Flüche bekämpfen, die sowieso nur eine Ausgeburt ...“
„Ganz einfach. Brechen wir den Fluch, geht die ganze Bande da draußen in Rauch auf. Wenn sie keinen Untoten mehr in ihren Reihen haben, verfaulen sie wie Obst in der Sonne. Klar soweit? Wir sollten ein Feuerchen machen.“
Der Bursche glaubte offenbar, in der Nahrungskette ein paar Treppchen höher gestiegen zu sein, zumindest verriet das sein stetiges Grinsen, das Elton nun als eindeutig frech und feindselig wahrnahm. Dem verdammten Pickelgesicht würde er sein vorlautes Maul stopfen!
„Und das soll funktionieren?“, fragte Hanson. „Kennst dich damit aus, oder was? Hättest auch früher sagen können, zum Teufel.“
„Dieser Mort hat mich drauf gebracht. Seinem Gestammel hat wohl niemand zugehört, aber ich spitzte meine Ohren. Hab mal drei Wochen unter Indianern gelebt. Waren zwar nicht die Navajos sondern die Schoschonen, aber das spielt keine Rolle, die haben alle dieselben Rituale, wenn ihr mich fragt.“
„Ich weiss nicht ...“
„Hast ja den armen Teufel gesehen, der hier am Boden klebt. So’n Häuptling hat mir mal was in die Richtung erzählt ... Über den Fluch der Untoten, meine ich. Oder Zombies, so hat er sie genannt. Ist ’ne echt üble Sache mit denen.“
„Und was schlägst du vor?“
„Der Fluch steckt in ihm hier.“ Er fuchtelte mit dem Revolver vor Eltons Kopf herum. „Wir zünden den Bastard an und verbrennen ihn, danach sollten wir Ruhe haben.“
„Machst jetzt einen auf Hilfssheriff, was?“, grummelte Elton und begann seinen Wanst zu kratzen.
„Mmmh ... Ich vertrete immer noch das Gesetz und zünde nicht einfach so irgendwelche Mitbürger an. Zumindest nicht ohne Verdacht. Ich brauche einen Beweis, und zwar ’nen stichhaltigen.“
„Na dann testen wir’s doch einfach aus!“
„Wie meinen?“
„Haben Sie ein Feuerzeug da, Sheriff? Kokeln Sie doch mal bisschen an ihm rum, mal sehen was dann passiert …“
„Hand ausstrecken!“, schnauzte Hanson.
Elton bewegte sich nicht, seine Miene war düster wie ein Grabstein.
„Das werde ich keinesfalls tun ...“
Sheriff Hanson drückte den Abzug, pustete ein fransiges Loch in Eltons linke Hand. Blut und Knochensplitter zerstoben in einer roten Wolke und der Getroffene zeterte wie ein fluchender Eunuch.
„Her mit der scheiß Hand!“
„Was macht ihr da drinnen?“, höhnte Ned Kelly. „Wollt ihr meinen Mann erschießen? Spart eure Kugeln, der is’ mit sowas nich’ tot zu kriegen, das versprech ich euch.“
Draußen gackerte seine ganze Bande.
Elton streckte mit zusammengebissenen Zähnen die zerschossene Hand aus, die Finger standen ab wie fünf verfettete Strichmännchen und Blut tropfte auf den Tisch. Derweil holte Hanson sein Feuerzeug hervor, ein schmuckes metallenes Ding, mit Klappverschluss und gestempeltem Sheriffstern.
Der alte Pietro hielt in seiner Arbeit inne und krächzte: „Aber ihr habt doch nicht vor, den gleich hier drinnen zu verbrennen, oder?“ Die Blicke der beiden bewaffneten Männer sprachen Bände. Elton versuchte, mit der gesunden Hand seine Knarre zu erreichen, aber Hanson war schneller.
„Was ist jetzt? Steht unser Deal?“, schrie Ned Kelly. „Was eiert ihr Schweinepriester da drinnen noch lange rum? Schickt unseren Mann endlich raus oder wir decken euch mit ’nem Kugelhagel ein. Letzte Warnung!“
„Beruhig dich! Wir müssen hier erstmal was klären.“
Neds Antwort bestand aus dem angekündigten Bleiregen. Überall schlugen Projektile ein, ins Klavier, in die Tische, fetzten Löcher in den Holzboden und den Tresen, Lampen und Gläser gingen scheppernd zu Bruch, und den Burschen erwischte es direkt zwischen den Augen. Sein Kopf klappte auf die Tischplatte und Blut sprudelte aus seinem durchlöcherten Schädel. Der Revolver polterte auf die Dielen.
Sheriff Hanson seufzte. Die Entscheidung war ihm trotz allem nicht leicht gefallen.
„Hol den Hochprozentigen“, ließ er verlauten und setzte Pietro einen Schuss direkt vor die Füße, um den Alten aus seiner Starre zu reißen, der wie ein Wunder nicht durchsiebt worden war. „Wir machen’s uns hier drin jetzt schön warm und gemütlich und braten uns ’nen Krombie, oder wie die heißen.“
Pietro hatte einen beachtlichen Vorrat an Whiskey, Gin und Obstbrand auf den Tisch gestellt. Hanson schenkte sich ein Gläschen ein, während der Alte sich wieder fluchend dem Zusammenschippen von Morts Schweinerei zuwendete. Wobei sein steifes Bein ihn ein wenig behinderte, er konnte sich nicht richtig bücken und aufgrund der Gicht war er nicht mehr so treffsicher, deshalb platschte der ein oder andere Haufen neben den Eimer.
„Wenn du so weitermachst, haben die Nordstaatler hier längst ihre Gleise verlegt, noch bevor du fertig bist“, gluckste Sheriff Hanson.
„Mach du lieber deine verdammte Arbeit. Sonst werd‘ ich da rausgehen und diesen Ned eigenhändig aufknüpfen!“
Der Sheriff nickte und trank seinen Whiskey aus.
„Du musst das nicht tun“, presste Elton hervor und die Verzweiflung kroch ihm aus allen Poren. „Krieg ich auch ein Glas?“
„Ned, bist du noch da?“, brüllte Hanson.
„Scheiße, natürlich bin ich noch hier! Ich zähl jetzt bis drei und wenn unser Mann dann immer noch nicht zu dieser verfluchten Tür rausgekommen ist, dann machen wir euch endgültig die Hölle heiß! Meinetwegen kann er auch aus’m Fenster kriechen, aber macht dem Arsch endlich Beine!“
Hanson entkorkte eine Flasche Johnny Walker und goss die bernsteinfarbene Flüssigkeit in einen Tumbler, schob das Glas mit dem Lauf der Waffe zu Elton hinüber.
„Ich werd ’nen zweiten Eimer brauchen“, bemerkte Pietro. „Und wenn du den andern da abfackelst, werd‘ ich mir wohl beim Krämer noch ’nen dritten besorgen müssen. Meine Frau bringt mich um, wenn’s Ned Kelly nich‘ vorher für sie erledigt.“
„Alter Jammerlappen.“
„Eins!“, schrie Ned.
Elton hob sein Glas an die zitternden Lippen. Seine zerschossene Hand ruhte auf der Tischplatte, der Mittelfinger zuckte und eine zerfranste Sehne hing wie ein Fadenwurm aus dem Loch.
„Zwei!“
Er kippte sich den Whiskey in einem Zug in den Rachen. In diesem Moment drehte Sheriff Hanson am Rädchen seines Feuerzeugs, entzündete den Docht und schmetterte es ihm an den Kopf.
„Drei!“
Nicht nur Elton schrie, sein Gesicht und die Haare in lodernden Flammen, auch Ned Kelly und seine ganze Bande da draußen brüllten mit ihm um die Wette. In ihrem Todeskampf ließen sie ein letztes Mal die Colts bellen, Kugeln zischten und pfiffen durch den Saloon, trafen Pietro in sein steifes Bein (aber das bemerkte er nicht, sondern blieb einfach an Ort und Stelle stehen), prallten vom Eimer ab und heulten als Querschläger davon, wobei einige genug scharf geschossen waren, dass sie Löcher in das Blech stanzten und die ganze Eitersoße zurück auf den Boden floss. Die Flaschen auf dem Tisch zerplatzten und fachten das Inferno an wie Öl einen Brandherd. Elton verwandelte sich zu einer knisternden, menschlichen Fackel, immer noch auf seinem Stuhl und das Fleisch troff ihm wächsern von den Knochen. Sheriff Hanson erwischte es derweil in die Schulter, am Oberarm und in die Nieren. Dann war es still, nur noch das trockene Klicken der leergeballerten Waffen, bis auch das erstarb. Pulvergeruch hing schwer in der Luft, vermengte sich mit dem Rauch und dem Gestank verbrannter Haut.
„Den Hurensöhnen haben wir’s gezeigt, was?“
Hanson lachte gurgelnd, aus blutverstopftem Hals, zielte immer noch auf eines der Fenster, den Finger krampfhaft am Abzug, dann ließ er seine Waffe fallen und rutschte schräg vom Stuhl.
Pietro begutachtete sein Bein. Zwei glatte Durchschüsse, kein Weltuntergang. Der Saloon hatte ganz schön was abgekriegt und hier und da schwelte es noch ein wenig, aber vielleicht ließ sich die Geschichte mit dem Showdown ja zu barer Münze machen. Er humpelte mühselig zu einem Fenster und blickte hinaus. Die Sonne ging auf, tauchte die Stadt in ein blutrotes Meer und übrig geblieben von der Gang waren nur stinkende Haufen, in denen die Knochen über Kreuz lagen, dampfend in ihrer Wärme. Pietro würde nach San Antonio telegrafieren, damit er das Kopfgeld für diese verfluchte Gang einkassieren konnte. Hoffentlich glaubten die ihm. Das Nudelholz seiner Frau hatte ihm schon ein steifes Bein beschert und diesmal würde er nicht mehr so glimpflich davonkommen.