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Das Skelett an der Tür

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Das Skelett an der Tür

Das Skelett an der Tür (22.05.2002)

„Aber wieso sollte ich das tun?“ fragte die Frau.

„Weil Sie dicker sind als ich.“ antwortete das Skelett und klapperte dabei mit den Zähnen.

„Ja, schon, aber das würde doch mein ganzes Leben verändern!“

„Aber im positiven Sinne.“ Das Skelett rollte mit den nichtvorhandenen Augen.

„Das glauben Sie, das stimmt aber nicht. Mein Mann würde mich auf der Stelle verlassen. Er hat nämlich einen Fetischismus für dicke Frauen.“

Das Skelett beugte sich etwas zur Frau vor und sagte: „Dann stimmt mit Ihrer Ehe etwas nicht.“

„Was erlauben Sie sich? Das geht Sie nichts an!“ Die Frau wollte schon empört die Türe schließen, doch das Skelett war mit der Antwort schneller.

„Sie haben doch davon angefangen!“

„Ja, ich weiß...“ sagte die Frau in einem leisen Ton. „Es belastet mich.“

„Dann gehen Sie doch auf meinen Vorschlag ein und ändern Sie Ihr Leben. Wieso haben Sie Ihren Mann denn überhaupt geheiratet?“

„Ich war schon immer etwas dick und er war der erste Mann, der mir glaubhaft versicherte, dass er mich erotisch fand. So wie ich bin. Das schmeichelte mir sehr. Dass sich die Liebe nicht auf mich als Mensch sondern nur auf meinen Körper bezog, merkte ich erst später. Ich will es eigentlich noch immer nicht glauben.“ Die Frau blickte traurig ins Leere. Nach kurzer Zeit hatte sie sich wieder gefangen.
„Aber wie ist denn Ihre Geschichte, Sie scheinen ja auch kein normales Leben zu führen?“

Das Skelett schwieg erst und sagte dann: „Ich war Künstler einer brotlosen Kunst. Das bisschen Geld, das mir die Sozialhilfe zusprach ging an meinen Agenten, mit dem ich einen langjährigen Vertrag abgeschlossen hatte. Der Mann war aber ein absoluter Volltrottel, konnte mir keinerlei Aufträge vermitteln und so hatte ich viele Monate nichts zu beißen.“

„Haben Sie denn keine Familie?“ Die Frau sah das Skelett gleichzeitig fragend und bemitleidend an.

„Das sind auch Künstler.“ Dieser Satz beendete die Diskussion, denn die Frau sah ein, dass die Situation des Skelettes wirklich hoffnungslos war.

Das Skelett klapperte wieder mit den Zähnen und fragte anschließend. „Wir sprechen hier schon eine Weile, vermisst Ihr Mann Sie nicht schon längst?“

„Bestimmt nicht. Es sind doch gerade die Fußball-Weltmeisterschaften der dicken Frauen. Nein, da vermisst er mich bestimmt nicht...“ Erneut blickte die Frau ins Leere.

„Sehen Sie doch endlich ein, dass Ihre Ehe nicht glücklich ist. Überdenken Sie meinen Vorschlag und fangen Sie ein neues Leben an! Ich komme morgen wieder, bis dahin können Sie sich entscheiden.“ Das Skelett verabschiedete sich und klapperte die Treppen hinunter.

Die Frau stand noch eine Weile an der geöffneten Tür, dachte nach, war verwirrt. Endlich schloss sie die Tür und ging zum Kühlschrank um sich ein Betthupferl für die Nacht zu holen. Als sie den Kühlschrank geöffnet hatte, wurde ihr schlecht und sie ging erstmals seit Jahren ohne Betthupferl ins Bett.
Ihr Mann folgte wenige Zeit später, wollte noch Sex, die Frau aber verneinte und drehte sich zur Seite. Der Mann war vom Spiel so aufgegeilt, dass er unbedingt wollte und das wusste sie. Er wollte nicht mit ihr sondern mit den ganzen jungen Spielerinnen schlafen. Das war schon oft so gewesen und nie war er dabei so zärtlich wie sonst.
Der Mann versuchte es noch einmal, erkannte dann aber die aussichtslose Lage und murmelte etwas von ‚Tagen’, bevor er sich ebenfalls wegdrehte.

Die Frau konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Sie ging ihre Beziehung durch, Schritt für Schritt. Vom ersten Treffen bei einer spießigen Modenschau für Dicke, bei der sie zufällig nebeneinander saßen, über die vielen nachfolgenden Rendezvous, welche die schüchterne Frau erstmals ein gewisses Selbstwertgefühl spüren ließen, bis hin zu ihrer Hochzeit ein halbes Jahr später. Das war der bisherige Höhepunkt ihres Lebens gewesen.
Schon auf der Hochzeitsreise, die sie nach Japan führte, kamen ihr erste Zweifel auf. Sie hatten gemeinsam einen Sumo-Kampf für Frauen besucht, was natürlich die Idee des Mannes war, und die junge Braut wusste nicht so wirklich, wie sie das deuten sollte. Sie redete sich ein, dass das nur ein etwas seltsamer Liebesbeweis ihres Gatten sein sollte.
Ernsthafte Wolken am Himmel der Glückseligkeit kamen erst einige Jahre später auf, als der Mann seinen guten Job verloren hatte und notgedrungen eine Beschäftigung als Akkordarbeiter annehmen musste. Zunehmend wurde ihm Sex wichtiger, noch wichtiger als eh schon, und für seine Frau schien er sich ansonsten kaum noch zu interessieren. Die arme Ehefrau ertrug dies stillschweigend, da sie dachte, ihr Mann würde früher oder später schon eine neue Arbeit finden oder sich aber mit der neuen Situation zurecht finden. In Wirklichkeit gewöhnte nur sie sich an die neuen Verhältnisse, wurde aber dadurch immer unglücklicher.
Kinder hatten sie entgegen ihrem Wunsch nie bekommen und eine berufliche Ausbildung hatte sie nie genossen. Als sie heirateten, hatte sie gerade das Abitur beendet und ihr Mann verdiente gut genug für beide.
So kam ihr das Leben oftmals sehr leer vor, aufgrund ihrer angeborenen Schüchternheit wagte sie aber auch nicht den Schritt nach vorne, hin zu Freundschaften oder einer sie befriedigenden privaten oder beruflichen Beschäftigung. Sie isolierte sich selbst in ihrer Eigentumswohnung, die noch immer nicht abbezahlt war und ertrug geduldig ihr Leben.
Bis zu jenem Abend als das Skelett vor der Tür stand. Ihr Entschluss stand folgerichtig fest.

Am nächsten Tag, im Fernsehen lief das Finale der Weltmeisterschaften, klingelte es wieder an der Tür. Die Frau hatte den Besucher schon erwartet und machte ihm schnell auf.

„Guten Abend! Haben Sie sich entschieden?“ Das Skelett schaute die Frau fragend an.

„Ja, das habe ich. Ich gehe auf ihren Vorschlag ein.“

„Schön.“ Das Skelett blickte zufrieden als die Veränderung an ihnen passierte.

Wenig später war die Frau gut 70 Kilo leichter, hatte einen sehr anmutigen Körper und das Skelett sah fast aus wie ein normaler Mensch.
Doch etwas ging schief bei der Verwandlung, denn das Skelett war zu einer Frau mutiert, was bei der Quelle des Fleisches eigentlich logisch war (oder ist).
Im Herzen war es noch ein Mann und so verliebte es sich auf den ersten Blick in die neugeborene Frau vor ihm. Aus dem Skelett war eine lesbische Frau geworden.

„Wie schön Du bist!“ Das Skelett (wir wollen es der Einfachheit halber auch weiterhin so nennen) schaute die Frau liebevoll an. Schnell gingen sie vom Mann unbemerkt ins Badezimmer und betrachteten sich im Spiegel. Nach einer Weile des Staunens kehrten sie ins Treppenhaus zurück, damit der Mann sie auch weiterhin nicht bemerkte.

„Ich glaube ich liebe Dich.“ Das Skelett schaute die Frau wieder liebevoll an.

„Aber, ich...“ Die Frau war verwirrt. „Ich muss jetzt meinem Mann schonend beibringen, was passiert ist. Kommen Sie morgen wieder!“ Sie schloss hastig die Tür hinter sich.
Das Skelett ging diesmal ohne zu klappern die Treppe hinunter und verspürte eine zwiespältiges Gefühl zwischen Freude auf der einen Seite und Trauer auf der anderen.

Am nächsten Tag klingelte es wieder an der Tür. Diesmal öffnete der Mann.

„Was wollen Sie?“ fragte er.

„Ich möchte ihre Frau sprechen.“

„Dieses nutzlose Ding habe ich zum Teufel gejagt!“ Die Tür knallte zu.

Wieder stand das Skelett vor der verschlossenen Tür und wieder ging es nach kurzer Zeit langsam die Treppe hinunter. Diesmal aber war da nur ein Gefühl der Trauer. Stufe für Stufe wurde es magerer und unten an der Tür angekommen, war es wieder fast zum Skelett geworden.

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Danke an Georgia für die telefonische Durchsicht der Handlung und die Hilfe beim Finale.

[ 23.05.2002, 20:41: Beitrag editiert von: hexachord ]

 

Hi Hexa!

Ich stelle fest: Du wirst von Tag zu Tag besser! :thumbsup:

Meine zweite Feststellung gilt der Rubrik: Ich finde, sie sollte unter Philosophisches gewürdigt werden, denn das ist Deine Geschichte: philosophisch.

Jedenfalls betrachte ich sie so... ;)

Ich finde auch, dass die Menschen viel zu sehr Augenmerk auf Äußerlichkeiten legen und dabei den Menschen dahinter oft gar nicht sehen, der dann versucht, sich dem Ideal zu fügen, sich anzupassen und es dabei wiederum nicht allen recht machen kann.

Das Lustige (oder eigentlich gar nicht lustige) daran ist, daß es sowohl schmerzt, wenn einen jemand wegen einer Äußerlichkeit nicht mag, als wenn einen jemand gerade wegen einer Äußerlichkeit "liebt".

Da wir alle dieses System von klein auf lernen und auch jeden Tag aufs Neue aufgesetzt bekommen, funktioniert es auch so gut: Die Menschen sind nie mit sich zufrieden und doch stört es fast jeden, daß es so ist, wie es ist.
Jeder sieht sich gezwungen, mitzuspielen, und möchte doch so gern von all dem befreit sein....

Leider haben wir nicht das Sagen über diese Welt, und die, die es haben, haben kein Interesse dran, etwas zu ändern, denn die leben gerade damit ganz besonders gut.

- Du siehst, Du hast mich zum Denken angeregt, ich habe Deine Geschichte gern gelesen!

Auch stilistisch finde ich sie gut gelungen!

Alles liebe
Susi

[ 23.05.2002, 02:13: Beitrag editiert von: Häferl ]

 

Danke für die schnelle Antwort!

So philosophisch betrachte ich die Geschichte gar nicht. (Weit weniger als Du scheinbar - was aber nicht das Schlechteste ist *gg*)
Man sollte nicht den Witz übersehen, der darin steckt.

Mit den Sparten hier komme ich scheinbar noch immer nicht zurecht.
Bevor wieder eine meiner Geschichten verschoben wird, habe ich es lieber unter "Sonstige" gepostet, weil es tatsächlich für mich eine Mischform aus verschiedenen Genres ist.

 

Misch-Genre, das trifft's.

Halb Humor - denn natürlich musste ich beim Lesen schmunzeln. Ein Skelett und eine Tonne... auf die Idee muss man erst mal kommen, und da die Situation so schön überzeichnet ist, könnte sie auch schon fast als Satire durchgehen. Auch der gesellschaftskritische Aspekt ist mir natürlich nicht entgangen, also vielleicht doch lieber "Gesellschaft"?

Ansonsten kann ich mich den lobenden Worten meiner Vorschreiberin nur anschließen.

 

Hi Hexa!

Naja, ich fand die Geschichte jetzt mal gar nicht so toll.

Der Anfang hat mich erstmal verwirrt: Erst dachte ich, das Skelett bietet der Frau irgendetwas an und dann kommt ja auch:

„Aber wieso sollte ich das tun?“ fragte die Frau.
ok, hab ich noch kapiert, aber dann kam:

„Sie haben doch davon angefangen!“ [sagte das Skelett]
Hä? Ich dachte das Skelett hat das Angebot gemacht und jetzt hat auf einmal die Frau damit angefangen? Verschtöh üsch nüscht.

„Dann gehen Sie doch auf meinen Vorschlag ein und ändern Sie Ihr Leben. [...]"
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„Das sind auch Künstler.“ Dieser Satz beendete die Diskussion, denn die Frau sah ein, dass die Situation des Skelettes wirklich hoffnungslos war.
Das ist ja mal ein ganz böser Satz! Hexa, sprichst du da aus eigener Erfahrung? Du hoffnungsloser Künstler. Hilfe. (Super konstruktive Kritik, ich weiß ;) )
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Ihr Mann folgte wenige Zeit später, wollte noch Sex, die Frau aber verneinte und drehte sich zur Seite. Der Mann war vom Spiel so aufgegeilt, dass er unbedingt wollte und das wusste sie.
Versteh mich jetzt nicht falsch, aber hier hört man, daß der Text von einem Mann geschrieben wurde! Nicht vom Inhalt her, aber wie du den Inhalt sprachlich verpackst! daß er unbedingt wollte, so schreiben nur geile Männer :D
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Ich pick jetzt an jedem Satz rum ;)

Am nächsten Tag, im Fernsehen lief das Finale der Weltmeisterschaften, klingelte es wieder an der Tür. Die Frau hatte den Besucher schon erwartet und lief schnell zur Tür.
Tür, Tür, bitte nicht so oft Tür, vielleicht: Die Frau hatte den Besucher schon erwartet und machte ihm auf oder so... oder willst du extra viele "Türs" reinbringen, weil deine Geschichte "Das Skelett an der Tür heißt!"?
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Ok, was ich witzig fand, aber auch etwas lächerlich, war:

Im Herzen war es noch ein Mann und so verliebte es sich auf den ersten Blick in die neugeborene Frau vor ihm. Aus dem Skelett war eine lesbische Frau geworden.
Also, muß das denn sein? Lesbische Männer-Skelette, tzz!!! :D Also, ich kann mit dem Text sichtlich wenig anfangen, wobei mir erst mal die Frau unsympatisch ist und das Skelett ist mir auch nicht ganz geheuer, aber die Idee an sich, die hat was, nicht unbedingt, aber... :stoned: ??? hihi

Bis denn, Korina

 

Ok, Türen sind wirklich sehr viele drin, könnte auch eine Doors-Geschichte sein. Werde das ändern.

Mit "Sie haben doch angefangen!" meint das Skelett, dass die Frau begann, von ihrer (unglücklichen) Ehe zu sprechen. Natürlich ist die Geschichte von einem Mann geschrieben - von mir - und das merkt man hier und da. Würde aber nie einem Autor sein Geschlecht vorhalten denn das spiegelt sich in fast jeder Geschichte wider, oder nicht?

Danke für die ausführliche Kritik!

ps:
Auf endlose Diskussion über das Genre will ich mich nicht schon wieder einlassen. Hilfe!

[ 23.05.2002, 17:09: Beitrag editiert von: hexachord ]

 

Ich will mal ein Überarbeitungsmöglichkeit zur Debatte stellen:

Man könnte die Frau und das Skelett mehrere Gespräche führen lassen. Die Annäherung erfolgt sehr schnell und die Entscheidung der Frau (in der Nacht) ebenfalls. Würde es Sinn machen, das in die Länge zu ziehen (über sagen wir mal 5 Tage oder so) oder würde das die Geschichte verwaschen?

 

Würde es m.E., die Botschaft wird auch so gut transportiert, finde ich. Ein globales Ereignis wie die Fußballweltmeisterschaft der dicken Frauen ist Zaunpfahl genug ...

 

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