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Das Signal

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04.10.2018
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Das Signal

Es war ein sehr kleiner Vogel, der an einem lauen Sommernachmittag zuckend vor unserem Haus lag. Ich hatte den dumpfen Schlag gegen die Fensterscheibe deutlich gehört. Schon von weitem sah man, dass sein winziges Rückgrat seitlich abgeknickt war. Als ich mich über ihn beugte, blickte ich durch ein riesiges Loch in sein Inneres, wie bei einer mechanischen Armbanduhr mit Glasfensterchen, durch das man die Zahnräder ineinander greifen sieht. Es war ein Sperling. Ein Objekt liegt hier vor mir. Ein Objekt für eine wissenschaftliche Untersuchung. Es kann nicht fliehen, und jemand hat es bereits geöffnet. Ich soll wohl etwas lernen an diesem sonst so ereignislosen Ferientag. Eine Lektion in Sachen Anatomie von Wirbeltieren. Sieht wie ein sauberer Schnitt aus. Nirgendwo ist Blut zu sehen. Wie groß ist eigentlich die Lunge eines Sperlings? Atmet der jetzt durch den Schnabel oder durch das Loch? Kann man sehen, wie sein Herz schlägt? Vielleicht sollte die Lektion des heutigen Tages aber doch in einem anderen Fach erfolgen.

Ich hörte eine alte Frau mit junger Stimme rufen. Leg ihn doch irgendwo ins Grüne! Meine Großmutter hatte bis ins hohe Alter die Stimme einer jungen Frau. Kein Krächzen oder sonores Schnurren, das auf alte Stimmbänder in einem alten Kehlkopf schließen lässt. Sie hatte ihre Stimme geschont, wie sie auch sonst sehr schonend mit den Ressourcen ihres Organismus umgegangen war. Ein Leben lang. Kein Sport. Kein übermäßiges Trinken. Kein Rauchen. Und garantiert kein Verschleiß durch hartes Arbeiten. Ich habe sie nie schreien gehört. Manchmal erhob sie die Stimme, um ihre Tochter zu rufen. Klar und druckvoll. Sie hatte ihrer Tochter einen Namen gegeben, den man gut rufen konnte, mit einer kleinen Melodie. Katharina. Bestimmt hätte sie gut singen können, wenn sie gewollt hätte. Sie wollte aber nicht. Sie sparte ihren Atem auf. Für schlimme Zeiten. Und die kamen für sie.
Natürlich, für sie war das Problem gelöst, wenn der Vogel irgendwo hinter Büschen im Grünen lag. Im Grünen kann er in Ruhe sterben. In Ruhe sterben! Von wegen! Wir hätten unsere Ruhe, aber der Vogel würde langsam qualvoll verrecken.

Damals, als die Demenz nur zu erahnen war, fühlte ich mich ihr überlegen. Körperlich sowieso, ich war immerhin schon elfeinhalb, geistig auch, ich hatte gerade meinen ersten richtigen Roman gelesen, und jetzt auch noch moralisch. Später fühlte ich vor allem ein trauriges und entsetztes Mitleid für sie, so wie an jenem Nachmittag für den Vogel. Ich war ein Mann der Tat. Zumindest wollte ich mal einer werden, und das war eine Bewährungsprobe auf dem Weg dahin. Ich hörte die Melodie. Die Tochter kam herbei. In meinem Rücken wurde aufgeregt palavert, was jetzt zu tun sei.
Ich blickte auf den Vogel. Der winzige Körper pulsierte. Wenn meine Tat etwas Heldenhaftes haben sollte, dann konnte ich mich nicht weiter von allerlei Gedanken ablenken lassen. Der Haufen Pflastersteine lag nur einen Meter entfernt. Ich kniete vor dem Vogel und umfasste den Stein fest mit beiden Händen. Wieder ein dumpfer Schlag. Die flache Unterseite hat den Körper sehr gleichmäßig zerquetscht. Die Möglichkeit, anatomische Studien an dem Objekt durchzuführen, war damit beendet. Irgendwas hat mir die Hose versaut. Aber es ging schnell. Dafür ein Fleck auf dem Boden und an meiner Hose. Nächstes Mal passe ich besser auf. Zum Dank für meine kleine Heldentat durfte ich jetzt eklige Spuren beseitigen. Ich haderte ein bisschen mit dem ungerechten Gott der Vögel, wo ich doch gerade einem seiner Geschöpfe große Barmherzigkeit habe widerfahren lassen. Klägliche Reste landeten auf dem Kompost.

Es mag ungefähr fünf Jahre später gewesen sein, da musste ich wieder ein Tier töten. Diesmal hatte unsere Katze eine Maus auf das Furchtbarste zugerichtet. In diesen Minuten war die rabenschwarze Mathilda wirklich ein Geschöpf der Hölle, eine Sklavin Satans, die sich für all die Heimsuchungen des Aberglaubens, für all die Fußtritte und Scheiterhaufen, für all das Leid rächte, das ihren Vorfahren Jahrhunderte lang widerfahren war.
Eine Maus. Ein Sperling. Man könnte meinen, bei so kleinen Tieren gibt es nur zwei Zustände: quietschlebendig und hektisch damit beschäftigt, das Abenteuer des eigenen, kurzen Lebens zu bestreiten - und tot. Mausetot. Doch es gibt auch hier alle Zwischentöne, und diese Maus, deren Lebensende darin bestehen sollte, für ein paar Minuten einer satten Katze an einem sonnigen Nachmittag als Folterspielzeug zu dienen, hatte das Schlimmste schon hinter sich. Ganze Stücke waren aus ihr heraus gebissen worden. Sie schleppte sich nur noch langsam vorwärts und zog dabei ein winziges Knäul aus Gedärmen hinter sich her. Mathildas Interesse begann gerade zu erlahmen. Ich habe sie zuerst nicht richtig getroffen und musste mehrere Male mit dem Spaten zustechen. Danach war nicht mehr viel übrig zum Entsorgen, und so habe ich die Maus irgendwie an Ort und Stelle in den Boden gestampft. Wenn es um schnelles, schmerzfreies Töten geht, ist der Pflasterstein effektiver.

Für den Fall, dass viele unterschiedliche Disziplinen zusammenarbeiten wollen, braucht man einen Koordinator. In unserem Team, das mal aus 14 Leuten bestand, war ich dieser Koordinator. Dr. Harald Boih besprach daher auch alles ausschließlich mit mir. Er war kein Teamspieler. Aber wenn Sie mich fragen, war er der größte Neurologe aller Zeiten.

17 Jahre dauerte unser Projekt. Wir waren alle etwas abgestumpft durch die vielen Tierversuche im Vorfeld. Tote Mäuse, tote Ratten, tote Schweine, tote Affen. Das Experiment seines Lebens. Dr. Boih, sein Lebenswerk, sein Abschiedsgeschenk an all die Kritiker und Skeptiker da draußen. Draußen, das war in den letzten Jahren seines Lebens praktisch die gesamte Welt außerhalb des Labors. Sie bestand für ihn fast nur noch aus Erinnerung. Er musste auch keine öffentlichen Termine mehr wahrnehmen. Ab und zu die Presse.
Dr. Hiller, der Abteilungsleiter der Ezon Neo AG, die das gesamte Projekt, alle Mitarbeiter, Ausrüstung und Materialien finanzierte, legte wie auf Kommando seine hohe Stirn in Falten und strich regelmäßig, also einmal im Jahr, einen der Mitarbeiter raus. Die hatten keinen blassen Schimmer davon, was wir all die Jahre taten.

Ein Drittmittelprojekt mit einem der größten Pharmakonzerne der Welt klingt erst mal wie eine feine Sache, wenn man mit nur mäßigem Abschluss in Biologie eine Stelle im Team des großen Dr. Boih angeboten bekommt. Ich habe keine Sekunde gezögert, trotz der miserablen Bezahlung. Nach einem Jahr habe ich sämtliche repräsentativen Aufgaben für das Projekt übernommen.
Im fünften Jahr unseres Projekts saß ich also wieder vor dem Ehrfurcht gebietenden Schreibtisch im 19. Stock und habe ganz kurz nur dieses Runzeln auf der Stirn von Dr. Hiller gesehen. Ich glaube, er hatte bereits im zweiten Jahr gemerkt, dass sie von uns außer ein bisschen PR nicht viel zu erwarten hatten. Boihs Ruhm begann zu verblassen. Er war alt und krank und sonderbar. Schnell glätteten sich Dr. Hillers Gesichtszüge wieder. Gut, gut, gut, wir sind also noch zu neunt. Gut, du Arschloch, lass uns einfach in Ruhe arbeiten, denke ich bei mir. Nein, belastbare Ergebnisse erst im nächsten Jahr. Ja, ja, ja. Wir machen eine Präsentation.
Wenn die Presse anfragt, bin ich besser.

„Der Herr dort hinten, im braunen Jackett.“
„Ferdinand Kraus, FAZ. Ich hätte eine Frage an Dr. Boih persönlich. Herr Dr. Boih, können Sie uns noch mal erklären, was die Aufsehen erregenden Thesen in Ihrem Buch mit dem Ansatz Ihres aktuellen Forschungsprojekts zu tun haben. Ich erkenne da nur schwer einen Zusammenhang. Eine Schnittstelle zum Gehirn, Datenaustausch, das klingt mir ganz so, als hätten Sie plötzlich die Seiten gewechselt und würden jetzt Ihren von Ihnen als dumpfe Ideologen verpönten Forschungskollegen das Wort reden.“
„Junger Mann, es mag Ihnen sonderbar erscheinen, fast widersprüchlich, doch ich kann wahrlich nichts dafür, dass Sie anscheinend nicht alle Implikationen meiner Thesen erfassen und verstehen können. Ich empfehle Ihnen die Einführungsveranstaltung zur experimentellen Neurologie bei meinem geschätzten Kollegen Prof. Dr. Kurt Wirth in Heidelberg. Dann kommen Sie wieder und stellen eine weniger banale Frage, deren Beantwortung nicht unser aller Zeit verschwenden würde.“
In solchen Fällen musste ich einspringen. Boih war eine wandelnde Zumutung. Er hasste Journalisten. Und die subalternen Speichellecker von der Pharmaindustrie. Und deren Vorstände, die hasste er auch. Hätten gute Forscher werden können, sagte er manchmal, waren aber scharf auf dicke Vorstandsgehälter, die Drückeberger. Des Weiteren hasste er Frauen im Allgemeinen und die Putzfrauen im Institut im Speziellen. Die wollten einfach nicht kapieren, dass sie dort nichts zu suchen und schon gar nichts zu putzen hatten.
„Was Dr. Boih zu sagen versucht, Herr…“
„Kraus, FAZ.“
„Lieber Herr Kraus, ich werde mich bemühen, den vermeintlichen Widerspruch aufzuklären und Ihnen erläutern, worum es bei der Experimentreihe geht. Die Verbindung von neuronalen Netzwerken mit elektronischen Bauteilen steckt noch in den Kinderschuhen. Zwar sind wir bereits seit einiger Zeit in der Lage, Synapsen sehr differenziert zu stimulieren, ich erinnere dabei immer wieder gerne an den allseits bekannten und in der Humanmedizin seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzten Herzschrittmacher oder denken Sie an Beispiele aus jüngerer Zeit wie die implantierten Retinachips. Blinde können wieder sehen! Schemenhaft, aber sie sehen. Doch es handelt sich dabei im Sinne der Kommunikation von neuronalen, also organisch gewachsenen und elektronischen, also vom Menschen künstlich hergestellten Netzwerken, praktisch um eine Einbahnstraße. Ab einer bestimmten, bereits sehr kleinen Neuronenanzahl wird das Impulsfeuerwerk so gewaltig und bisher scheinbar vollkommen chaotisch, dass wir ganz und gar nichts damit anfangen können. Genau dort setzten wir an. Wir wollen den Knoten entwirren. Bei schätzungsweise hundert Billionen Synapsen des menschlichen Gehirns keine leichte Aufgabe. Dazu benötigen wir eine Schnittstelle an einer Erfolg versprechenden Stelle an dem Gehirn eines lebenden Versuchsobjekts, dann werden Daten gesammelt und gespeichert, dann mit einem Code entschlüsselt und interpretiert. Dieses Vorhaben steht in keiner Weise im Widerspruch zu den Thesen des Professors.“

„Jens Rubenbauer, Fachzeitschrift Neurologie. Dr. Boih, viele kritische Stimmen meinen, das Geheimgebaren im Zusammenhang mit Ihren Forschungen und Ihr radikaler Rückzug aus der Öffentlichkeit seien ein reiner PR Schachzug um von der Tatsache abzulenken, dass Ihre Forschungen ins Leere laufen. Und ich meine nicht nur kritische Stimmen unter Ihren Kollegen auf der Gegenseite, sondern – wie mir von verlässlichen Quellen mitgeteilt wurde – auch unter Mitarbeitern von Ezon Neo.“
In solchen Fällen blickte Boih kurz zu mir, dann gelangweilt nach oben, an die Decke und zählte die Leuchtstoffröhren. Mit halbem Ohr hörte er mich dann Dinge sagen wie:
„Lieber Herr …“
„Rubenbauer, Fachzeitschrift Neuro...“
„Lieber Herr Rubenbauer, ich kann das große Interesse der Öffentlichkeit an unseren Forschungsvorhaben sehr gut nachempfinden und wir sind uns in unserem Team natürlich voll und ganz darüber im Klaren, dass kontrovers diskutierte Methoden und Ziele unserer Forschung besondere Aufmerksamkeit erregen, aber seien Sie versichert, wenn die Zeit gekommen ist, wenn signifikante Ergebnisse zu berichten sind, werden wir ausführlich Bericht erstatten.“
Bla bla bla.

Ich weiß nicht mehr genau, ab wann mir klar wurde, dass Boih wirklich etwas vorhatte, das nicht nur gegen geltendes Recht und die guten Sitten verstoßen würde, etwas so Ungeheuerliches, dass wohl einige seiner Mitarbeiter sofort fluchtartig das Team verlassen hätten, wenn sie geahnt hätten, worauf das alles hinausläuft. Bei mir liefen die Fäden zusammen, ich hatte den Überblick. Ich hätte es wissen müssen. Ich gebe es zu, ich wollte es nicht beenden. Ich wollte, dass es gelingt. Ich war vom Virus des Wissenshungers infiziert. Ich mag ein mittelmäßiger Wissenschaftler gewesen sein, aber einer, der nach Erkenntnis strebt. Und die Aussicht war verlockend.
Im Laufe der Jahre nahm das mediale Interesse stetig ab, bis es vollends versiegte. Ich war nur froh, dass diese Journalisten nicht wirklich etwas von unserem Projekt verstanden haben und abgesehen von ein paar fortschrittsfeindlichen Spinnern keiner all zu sehr auf den Tierversuchen rumgeritten ist.
Als Boihs Körper seinen Dienst quittierte, waren wir noch zu sechst. Hinter all der Betroffenheit der riesigen Kondolenzgemeinde war eine unverhohlene Erleichterung zu spüren: Endlich. Jetzt muss man ihm keinen Hahn mehr zudrehen, er konnte ehrenvoll abtreten, ohne Misserfolg, Skandal, Blamage. Sein guter Ruf und der gute Ruf der Fakultät, darum ging es.
Diese Narren! Das Ende war der Anfang!
Ich werde Ihnen erläutern, woraus unser Experiment bestand. Ich werde es im Detail darlegen. Dann werden Sie vielleicht verstehen, warum ich tun musste, was ich tat. Sie werden das Ausmaß meiner Schuld verstehen.
Ich werde Ihnen auch gleich zu Anfang sagen, was damals nicht nach Plan verlief: Dr. Boih starb zu früh.

Er hat seinen Kampf gegen den Krebs nur halbherzig geführt. Schon immer hatte er sich viel zu wenig für sich selbst und seinen alten, gebrechlichen Körper interessiert. Er mochte keine Fragen nach seinem Gesundheitszustand. Also fragte niemand. Im Team waren wahrlich große Mediziner. Aber sie waren keine Ärzte. Mediziner wie der Neurochirurg Bastian Jäger. Seine enormen Fortschritte täuschten uns über die Probleme bei der Kryptologie hinweg. Er konnte die lebensnotwendigen Organe und das Gehirn der Schweine über ein halbes Jahr am Leben erhalten. Bei den Pavianen gab es erst ein paar Probleme, weil umfangreiche Stresssymptome auftraten, doch als Boih starb, war die Paviandame Jenni bereits drei Jahre tot. Der Nervus Hypoglossus ihres Gehirns feuerte immer noch wie ein Makrelenschwarm. Bastian hat auch die große Operation geleitet, mit der alles begann.
Das war vor zwölf Jahren.
Zum Glück starb er nicht plötzlich. So läuft das nicht bei Krebs. Boih selbst gab den Takt vor. Er sagte: Noch ein Jahr, wir müssen uns sputen.
Die Monate vergingen. Als mir klar wurde, dass wir bei der Entschlüsselung der Daten noch länger brauchen werden, sicher ein Jahr mehr, traf ich eine Entscheidung. Ich log. Ich erzählte Boih von einem Durchbruch bei dem Pyramidalverfahren, an dem unser Code-Genie Michael Müller schon seit seiner Doktorarbeit bastelte. Niemand außer ihm hat da je durchgeblickt. Nicht die Freunde aus seinem Algebraclub, geschweige denn irgendein anderer im Team. Auch nicht seine zwei Assistenten, als es sie noch hatte. Heiner und Tim. Beide natürlich mit Prädikatsexamen. Dr. Hiller hatte sie folgerichtig auch als erste entsorgt. Jetzt haben beide einen Doktortitel und verdienen irgendwo in der Finanzbranche das große Geld.
Als die Nieren von Dr. Harald Boih dann komplett versagten, war alles vorbereitet. Wir gingen ins Allerheiligste hinter der Sicherheitsschleuse. OP und Habitat, geheim und sicher, vor allen Blicken geschützt. Bastian und unser Anästhesieexperte Karsten Boulay gaben ihm die ersten Spritzen. Bis zu seinem letzten Atemzug gab Boih Anweisungen. Ich sah nicht die geringste Angst in seinen stahlblauen Augen. Kein Wort des Abschieds. Genau wie jeden Tag der vergangenen sechs Jahre, die wir zusammen arbeiteten, meist bis tief in die Nacht. Normalerweise murmelte er etwas von Schwierigkeiten, Problemen, irgendwelchen Alternativen, die keiner verstehen würde, ging dann nach Hause, nur um am nächsten Tag im gleichen Tenor weiter zu murmeln. „Auf Wiedersehen“ und“ Guten Morgen“ waren des Smalltalks schon zu viel für ihn.

Ich hätte mich so gerne noch von ihm verabschiedet. „Bis Morgen“ hätte ich gesagt. Doch es kam mir nicht über die Lippen. Es sollte sein wie immer. Er geht und kommt am nächsten Morgen wieder. Oft trug er noch das Hemd vom Vortag, dann hatte er die Nacht durchgearbeitet und über etwas gebrütet. An den Tagen nach Nächten wie diesen machten wir normalerweise große Fortschritte. Wenn Boih alleine mit sich war, war er am besten. Er kam auf Ideen. Nur ein Mann mit seinem funktionierenden Denkapparat und einem Problem. Es war herrlich.
In jener Nacht vor zwölf Jahren waren wir dran mit dem Durcharbeiten. Herz-Lungenmaschine anschließen, Kopf mit dem Trennschleifer aufsägen, Gehirn raus, ins Gelee, Blutgefäße verbinden. Wenn ein Mensch stirbt, verändert sich der Körper. Innerhalb von Sekunden beginnen Zersetzungsprozesse und das Gehirn nimmt als erstes Schaden. Wir mussten dem Gehirn vorgaukeln, dass der Körper noch lebte.
Drei Tage nach Boihs Tod gab uns Bastian das Go. Wir hatten sofort ein Signal. Das Signal. Bis heute. Boihs Körper war gestorben und beerdigt. Boihs Gehirn nicht. Die Datenmenge war enorm und wir speicherten alles. Wir verstanden nichts, aber wir speicherten alles. „Machen wir weiter?“ fragten sie im Team. „Weitermachen? Es geht jetzt los. Heute.“ Alle nickten.
„Denkt daran, was ihr unterschrieben habt! Es darf kein Wort davon nach Außen dringen! Kein Wort!“ Alle nickten.
Michael blickte zu mir herüber. Er wusste, dass es jetzt auf ihn ankam. Sein Blick verriet eine zögerliche Zuversicht. Endlich war er ins erste Glied gerückt. Er würde Geschichte schreiben.

Doch es wurde Routine. Am Anfang hatte ich mich vor allem um das Datenmanagement zu kümmern. Wir beanspruchten plötzlich ein Vielfaches der bisherigen Datenleitung und brachten das Rechenzentrum des Instituts an seine Grenzen. Bastian und Karsten hatten eine Menge Probleme zu lösen. Boihs Gehirn am Leben zu halten war um Einiges anspruchsvoller, als das von Jenni. Jenni war jung und gesund, als wir ihren Kopf aufsägten. „Sie spürt Nichts!“ hatte uns Karsten gesagt. Auch wenn er eine gänzlich andere Medikation einsetzte, als später bei Boih. Ich wollte es lieber nicht genau wissen damals. Arme Jenni, was geht in deinem Kopf vor? Ihr Signal verkam nach ein paar Stunden zu einem monotonen Rauschen und wir verzichteten schnell darauf, die Daten weiter aufzuzeichnen. Schließlich wollten wir uns nicht mit einem toten Affen unterhalten, sondern mit einem toten Menschen. Es ging bei Jenni nur darum, die Technik zu testen. Die Pumpe, die Akkumulatoren für die stetige Stromzufuhr, die chemische Zusammensetzung und optimale Temperatur des Gelees.
„Sie wird Boih noch überleben!“ sagte Karsten stolz. „Sie ist eigentlich mein Nobelpreis, nicht das hier. Schade, dass nie jemand davon erfahren wird.“
Michael wurde immer stiller. Nicht, dass er vorher sehr gesprächig gewesen wäre. Auf ihm lastete jetzt der gesamte Druck. Er arbeitete Tag und Nacht.
Doch mein Hauptproblem wurde Dr. Hiller. Ein Jahr nach Boihs Tod waren alle bis auf Karsten, Bastian, Michael und mich entlassen. Im Jahr darauf folgten Karsten und Bastian.
An unserem letzten gemeinsamen Abend saßen wir vier um meinen Schreibtisch herum im Labor vor der Schleuse und tranken Bier. „Sollen wir es nochmal durchgehen?“ fragte Bastian. Nein. Ich hatte alle Handgriffe für alle Fälle einstudiert. Ich verstand nicht genau, was ich da tat, aber ich konnte es tun. Ich konnte alleine weitermachen und die Maschinen bedienen. Boihs Gehirn lag im Gelee. Durch die vielen Schläuche konnte man kaum erkennen, was da unter dem dicken Glasfenster verborgen war.
„Ruf mich an, jederzeit.“
„Klar, danke, ich - wir - werden schon alleine zurecht kommen. Michael und ich.“
Michael war noch schweigsamer als zuvor. Er wusste natürlich, dass seine Zeit auch kommen würde. Daher waren auch alle ganz erstaunt, als er sich erhob, um uns etwas mitzuteilen. Er glaubte, weil es ihm bis heute nicht gelungen war, auch nur ansatzweise eine Struktur, geschweige denn einen Sinn aus dem herauszulesen, was das Gehirn hinter der Schleuse im nobelpreiswürdigen Hightech-Gelee 24 Stunden jeden Tag an Einsen und Nullen ins Rechenzentrum schickte, würden wir ihn als Wissenschaftler nicht mehr respektieren und ihn für einen Versager halten, der das ganze Experiment, die Arbeit von Jahren, zunichte machen würde. Das taten wir aber nie. Alle wussten, dass er neben Boih das einzige echte Genie im Team war. Doch es ging ihm um etwas ganz anderes.
„Das Signal. Es hat sich verändert. Seit letzter Woche.“
Wir hatten jetzt zwei Jahre einen sehr großen, kontinuierlichen Datenstrom, der unzählige Festplatten mit vielen Petabyte füllte. Je mehr, desto besser, hatte Michael uns zu Anfang gesagt.
„Es ist ein Muster.“
„Aber da ist doch großartig, ist es nicht das, was wir immer wollten? Ein Muster hinter dem ganzen Chaos? Du hast es gefunden! Wir haben es geschafft!“
„Nein, es ist ein Muster geworden. Eine Schleife, die sich alle zwei Sekunden wiederholt. Dass das ein Muster ist, erkennt jeder Dreijährige.“
„Was bedeutet das?“
„Das bedeutet, dass wir immer noch nicht wissen, was es bedeutet. Und dass wir nicht wissen, was die Aufzeichnungen der Hirnströme der letzten zwei Jahre bedeuten. Wir wissen nichts. Ich weiß nichts.“
Michael hatte recht. Sein gesamtes Konzept der Datenkryptologie beruhte auf großen Datenmengen und dem stetigen Fluss neuer Daten.
„Du kriegst von mir jedes Empfehlungsschreiben, das du brauchst. Jedes.“ Michael bedankte sich. Er war mir nicht böse. Doch er wusste, dass er sein Genie verschenkt hatte. Verschenkt an ein totes Experiment. Ein geheimes, totes Experiment ohne Ergebnis. Wir waren am Ende.
Als wir uns verabschiedeten fragte Michael noch etwas. „Wisst ihr, was sensorische Deprivation ist?“ „Sensorische was? Warum fragst du?“ „Ach, nur so ein Gedanke...“ Wir umarmten uns steif und jeder von uns torkelte seiner Wege.
Jahre später bin ich wieder über den Begriff gestolpert in einem Artikel über sogenannte weiße Folter. In den 50ger Jahren hatten Psychologen Versuchsreihen mit Studenten abbrechen müssen. Denen ging es natürlich ursprünglich gar nicht darum, was Menschen aushalten können, geschweige denn um Folter. Sie haben die Studenten lediglich von sämtlichen Sinneseindrücken befreit. Nicht hören, nichts sehen, nichts fühlen. Die hatten sogar ihre Hände in irgendeiner Art Handschuh, damit sie nichts ertasten konnten. Nicht mal sich selbst.
Sie begannen zu halluzinieren, konnten keinen klaren Gedanken mehr fassen. Unwillkürliche Erinnerungen vermengten sich mit Schreckensvisionen. Die meisten gaben nach ein paar Stunden auf, keiner hielt länger als eine Woche durch.

Mit Mühe konnte ich für mich eine Viertelstelle rausschlagen bei Dr. Hiller. Ich durfte den Raum behalten und die Datenleitung, die Stromversorgung. Peanuts. Bis jetzt. Ganze zwölf Jahre, nachdem Boihs Sarg in die Erde gelassen wurde.

Ich ging jeden Abend rüber und sah nach dem Rechten. Einmal war ein Haustechniker drin, hinter der Schleuse, um die Luftschächte zu warten. Er hat nichts bemerkt. Ich hielt immer noch Kontakt zu allen in den kommenden Jahren. Wie gesagt, ich war der Kommunikator im Team. Außer zu Michael. Er hatte ausdrücklich darum gebeten, in Ruhe gelassen zu werden.
Bastian fragte immer mal nach. „Wie geht’s Jenni?“
Er meinte natürlich jemand anderen.
„Jenni? Hervorragend, sie schwingt von Baum zu Baum in den ewigen Affenjagdgründen. Im Ernst, ich hab sie gehen lassen. Alles ausgeschaltet. Letztes Jahr. Die Energiekosten, du weißt schon.“
„Klar. Und wie geht’s ihm?“
„Ihm geht’s gut. Er ist noch da. Es läuft alles.“
„Wahnsinn, nach so langer Zeit. Dass da nichts kaputt gegangen ist. Wir haben echt tolle Arbeit geleistet damals. Und das Signal?“
„Wie immer. Ich mache alle paar Wochen einen Abgleich, dann überspiele ich die alten Daten. Lohnt sich nicht, das zu speichern. Immer das Selbe alle zwei Sekunden.“

Und dann kam der Tag, an dem Michael anrief. Der Tag oder besser gesagt, die Nacht, in der ich erkennen sollte, welch unglaubliche Tat wir begangen hatten. Und welchen Preis Boih für sein großes Experiment zahlen musste.

Ich wurde durch das Telefonklingeln geweckt. Wir hatten uns seit Jahren nicht gesprochen. Er hatte die Datenaufzeichnungen der ersten Wochen mitgenommen und immer wieder daran gearbeitet. Es war klar, dass so einer nicht lockerlassen kann. Ich hatte die Hoffnung nie aufgegeben, dass er es irgendwann schaffen würde, den wirren Daten aus dem Neuronenhaufen, der mal ein Organ eines lebenden Menschen gewesen war, ihr Geheimnis zu entlocken. Ich war sofort hellwach. Es war zwei Uhr.

Er hatte mir eine Mail geschickt mit einem Programm und genauen Anweisungen für die Decodierung. Ich fragte ihn, ob das, was er entziffert hatte denn irgend einen Zusammenhang ergäbe. „Ich weiß es nicht genau. Je mehr du einspeist, um so genauer wird es. Es ist selbstlernend, mein Programm. Ich habe das hier erst seit ein paar Minuten vor mir auf dem Bildschirm. So viele Jahre.“
“Was hast du auf deinem Bildschirm? Was? Sind es Worte?“
„Es sind auch Worte.“
Bevor er auflegte, sagte er noch: „Boih ist nicht tot. Beeil dich!“

Ich bin noch nie in meinem Leben so schnell ins Institut gefahren. Die Straßen waren leer. Ebenso der gesamte Campus. Wegen der Baustelle vor dem Haupteingang des Instituts musste ich an der langen Glasfront an der Seite vorbei. Jede Scheibe war mit den Silhouetten von Greifvögeln beklebt. Als ich meine Chipkarte für den Eingang aus der Tasche zog, fiel sie mir vor lauter Aufregung und Eile runter. Ich beugte mich hinunter, um sie aufzuheben. Ich weiß noch, dass meine Hand instinktiv zurückzuckte. Die Karte lag direkt neben einem Vogelkadaver. Ein ganz kleiner Vogel. Gegen die Scheibe gedonnert, trotz der Aufkleber.

Ich saß also vor meinem Bildschirm und Michaels Programm rechnete. Ich hatte die Daten des ersten Tages geladen. Das Programm spuckte Buchstaben aus. Doch Zeile für Zeile, die sich an meinem Bildschirm aufbaute, wurden mehr und mehr Wörter erkennbar. Das Programm begann sie richtig zu trennen. Ich begann zu lesen. Es waren keine Sätze. Aber es waren Worte, die immer wieder einen klaren Zusammenhang ergaben. Boih erwachte aus der Narkose und war sich sofort der Situation bewusst. Er sprach nicht von sich, sondern richtete das Wort an uns. Er sprach uns an! Da waren erst Anweisungen und mahnende Worte, und dann sogar etwas, was wir äußerst selten zu hören bekamen von ihm: ein Lob.
Dann sagte er, die Narkose sei wie bei all den Narkosen seiner zahlreichen Krebsoperationen in den Jahren zuvor nichts als ein schwarzer Fleck ohne Erinnerung. Er wolle aber bald wissen, wie lange er ohne Bewusstsein war, welcher Tag, welche Uhrzeit jetzt sei. Wir würden sicher bald bescheid geben. Er beschrieb seinen Zustand sehr detailliert. Es sei wie ein luzider Traum. Volles Bewusstsein mit totaler Freiheit. Dann sprach er von dem Glück, das er empfand. Das Glück völliger Abwesenheit von Schmerz und Müdigkeit. Er sei so wach wie nie zuvor.

Ich schaute auf die Uhr. Es war fünf Uhr morgens. Ich hatte etwa drei Stunden lang Zeile für Zeile Boihs Gedankenfluss gelesen, ohne aufzublicken. Dann schaute ich in die Timeline der Aufzeichnung. Es waren seit Boihs Erwachen gerade mal sechs Minuten vergangen.
Ich scrollte nach unten. Seite um Seite. Boihs Gedanken kreisten um alles Mögliche. Es ging um seine Frau und seine Töchter. Es standen dort Dinge über sein Leben, die er wohl nie jemandem anvertraut hatte. Immer wieder ging es um eine Person, bei der es sich um seinen Vater handeln musste. Dann ging es seitenweise nur um sein Girokonto und das Onlinepasswort. Das Passwort, an das er sich zwingen wollte nicht zu denken, es stand dort hunderte Male hintereinander. Ich scrollte weiter. Ich ging zum Archivschrank, in dem unzählige Festplatten aufgereiht standen. Die ersten Wochen. Alles Andere wurde im Rechenzentrum gespeichert. An Tag zwei begann er, seine Verwirrung noch zu beschreiben. Wo er sei, da gäbe es keinen Schlaf, das mache ihm langsam zu schaffen. Er bemühte sich, ein klares Bild seines Problems zu zeichnen. Zwischen wirren Buchstabenfolgen standen Sätze, die direkt an uns, an mich, gerichtet waren. Er habe unwillkürliche Angstzustände, etwas wie ein Schwindelgefühl. Er bat darum, endlich eine Antwort zu bekommen von uns. Irgend ein Zeichen, ein Signal. Er brauche Bilder, Geräusche. Eine Stimulation. Irgend etwas.
Ich wechselte die Platte. Er sagte Texte auf. Gedichte, Kinderlieder. Tausende von Zeilen, immer wieder. Dazwischen eine klare Argumentation, warum es nur noch um eins ginge. Ein Ende zu machen. Er gab klare Anweisungen dazu. Viele tausend Seiten später flehte er uns an, ihn zu erlösen.
Ich nahm die letzte Festplatte, die wir hier aufbewahrten. Ich war mir nicht sicher, ob ich darauf gefasst sein würde, was ich darauf fand. Ich zögerte lange, bis ich begann zu lesen. Es war schlimmer, als alles, was ich erwartet hatte.

Ich ging zum Port für den Datenabgleich des Signals. Die Daten, die ich seit zehn Jahren immer wieder überspielte in der vagen Hoffnung, es möge sich mal etwas ändern an der Dauerschleife, irgend eine Kleinigkeit, oder dass es wenigstens schwächer würde, um bald ganz zu versiegen. Ich riss die Platte, die gerade noch dabei war, Boihs Signal aufzuzeichnen, einfach raus aus ihrem Schacht und hängte sie an.
Michaels Programm rechnete. Dann füllte sich der Bildschirm. Abertausende von Zeilen. Es war nur ein einziges Wort. Ein Wort, das zu denken nicht länger als zwei Sekunden dauert.
Ich rannte aus dem Labor, ließ die Tür offen stehen, ich rannte den Flur entlang und blickte mich um. Ich hob den Mülleimer an. Er war zu leicht. Mein Blick fiel durch die Glastür nach draußen. Die Baustelle. Auf Paletten stapelten sich Betonplatten für den neuen Gehweg. Ich konnte eine mit beiden Händen gerade so tragen.

Ich weiß, dass das Labor und alles, was ich zerstört habe, Ihr Eigentum war. Ich weiß auch, dass die Daten Ihr Eigentum sind. Sie können alles haben, ich werde nichts davon je wieder benötigen. Verklagen Sie mich, es ist mir egal. Ich habe nichts gelöscht, bis auf dieses letzte Signal. Ich werde mit dem Wissen leben müssen. Aber ich werde es Ihnen nicht sagen, was da stand. Ich werde es niemandem sagen. Niemals.

 
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Ich will es aber wissen! :eek: Sag es mir!! Sag mir das Wort? Denn ich sage jetzt immer eins nach dem anderen und bin nicht zufrieden. Du bist es aber dagegen sicherlich. ;)

Hej @Prof. Dr. Tobias ,

das war jetzt keine typische KG, aber gut zu lesen, spannend und ... gruselig.

Kein Krächtsen oder sonores Schnurren,

Krächzen

Ich sah nicht die geringste Angst in seinen stahlblauen Augen.

War ja klar, dass die blau waren.

Es ging bei Jenni nur darum, die Technik zu testen.

Danke. Dacht ich mir.

Micheal war noch schweigsamer als zuvor. Er wusste natürlich, dass seine Zeit auch kommen würde.

Buchstabendreher - Michael

Das bedeutet, dass wir immer noch nicht wissen, was es bedeutet. Und dass wir nicht wissen, was die Aufzeichnungen der Hirnströme der letzten zwei Jahre bedeuten. Wir wissen nichts. Ich weiß nichts.“

Das Übliche seit Sokrates

Alles Andere wurde im Rechenzentrum gespeichert.

alles andere

Das war unterhaltsam. Dass du schreiben kannst, weißt du selbst. Ich habe deine Profildetails gelesen. Und so war der Inhalt maßgeblich.
Die story ist eine gewöhnliche, auch der Aufbau und der Verlauf, sogar das Ende. Nichts zu wundern, nichts zu bemängeln. Das Tempo ist ordentlich, zwischenzeitlich fühlte mich mich überinformiert. Der Erzähler in der Einleitung hielt nicht das, was er versprach, bzw. der Ton der Erzählung. Ich habe mir mehr davon innerhalb der Geschichte versprochen/gewünscht. Ein Mehr an Charakterdetails. So war es eine hübsche Anekdote, damit ich auch ja kapiere, mit wem ich es zu tun habe. Ich habe während des Verlaufs leider vergessen, wie schön du ihn eingeführt in die Handlung und den Klang vermisst, seine Gabe, auf Nebensächlichkeiten zu achten, wie den Klang der Stimme seiner Großmutter. Ich mag die Stelle sehr, in der sie charakterisiert. Nötig war es nicht, obwohl du es teilweise in Bezug auf Boihs andeutest. Vielleicht bin ich zu anspruchsvoll oder detailverliebt. Whatever.
Der Mittelteil war mir so etwas verleidet, weil so stur informativ verlief.
Wenn du das Endteil wiederum genauso langsam und sprachlich formuliert hättest, wäre das eine Verstärkung für mich gewesen und der Beginn wäre essentieller.
Aber das End hast du für meinen Geschmack zu schnell behandelt. Ich hätte den kleinen Erzähler, den Beobachter gerne wiedergetroffen.

Aber gut. Das ist wohl eher mein eigener Bezug.
Das war souverän und eloquent.

Vielen Dank und freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo Kanji,

vielen Dank für die Nachricht und die Fehlerkorrektur. Danke auch für das Lob und die sehr fundierte Kritik. Stimmt alles. Du hast die Schwächen identifiziert.

Wenn es trotzdem spannend und gruselig war, bin ich aber zufrieden. Ja, das Wort, das letzte Wort von Boih... damit begann die Idee zu dem Text. Ich hatte es immer klar vor Augen, dieses Bild vom letzten Wort, auf dass sich der auf so brutale Weise degenerierte Geist eines ehemals großen Mannes reduziert hat. Ich glaube aber, es gibt mehrere Kandidaten für das Wort, die alle funktionieren. Wenn man sie ausspricht (oder eben hinschreibt), werden sie so banal. Das ist oft die Krux bei Literatur. Ich werde dir das Wort also nicht nennen. Niemals. Gebe aber gerne einen Hinweis auf einen der Kandidaten: vielleicht ist Boihs letzes Wort in dieser Welt, das Selbe, wie sein erstes Wort in dieser Welt.

Beste Grüße
Prof.Dr. Tobias

 

Hej @Prof. Dr. Tobias ,

Ich glaube aber, es gibt mehrere Kandidaten für das Wort, die alle funktionieren. Wenn man sie ausspricht (oder eben hinschreibt), werden sie so banal. Das ist oft die Krux bei Literatur. Ich werde dir das Wort also nicht nennen. Niemals. Gebe aber gerne einen Hinweis auf einen der Kandidaten: vielleicht ist Boihs letzes Wort in dieser Welt, das Selbe, wie sein erstes Wort in dieser Welt.

Du hast völlig recht, und im Grunde wollte ich damit auch bloss einleiten, dass die story funktioniert, ich war drinnen. Mir ist es auch lieber, dass dieses Wort nicht geschrieben steht, genau aus diesem von dir genannten Grund.
Und über deinen Hinweis grüble ich dann eben weiter. ;)

Weißt du, ich würde mich sehr freuen, mir wünschen, wenn du dein literarisches Wissen an die Wortkrieger weitergeben würdest, sofern es deine Zeit erlaubt, und die eine oder andere Geschichte deinerseits kommentieren würdest.

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Hej Prof.Dr.Tobias,

ich hatte eben einen viel längeren Kommentar (als ursprünglich geplant) geschrieben, leider war ich zwischendurch irgendwie ausgeloggt und er ist futsch. Deswegen jetzt die Schnellversion:

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Forschungsgruppe um Dr. Boih eingeführt wird, fand ich die Geschichte mäßig spannend. Dieses Arrangement der toten Tiere schien mir jedenfalls vielversprechender, als die ganze Dr.Boih-Geschichte. Da finde ich nicht mehr wirklich in die Handlung, für mich gibt es da zu viele unwichtige Details, es ist mir zu weitschweifig, ich kann große Zeilenabschnitte überspringen und bekomme trotzdem noch grob mit, was passiert.

Als ich mich über ihn beugte, blickte ich durch ein riesiges Loch in sein Inneres
Irritierend, wenn der Vogel eingangs als "sehr klein" beschrieben wird. Selbst im Vergleich zu seiner Körpergröße oder seiner Unversehrtheit in lebendigem Zustand würde man wohl nicht von "riesig" in Bezug auf die Ausmaße der Verletzung sprechen.

Danach war nichts mehr viel übrig

Für den Fall, dass viele unterschiedliche Disziplinen zusammenarbeiten wollen, braucht man einen Koordinator.
Mit solchen Sätzen unterschätzt Du Deine Leser.

Gruß
Ane

 
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Hallo Ane,

danke für deine Kommentare und Korrekturen. Grusel dieser Art ist nicht jedermanns Sache. Danke fürs Lesen und bis zu nächsten Mal.
LG
Prof.Dr. Tobias


Hallo Kanji,

das wede ich tun, sofern es meine Zeit erlaubt. Ich bin schon über viel Interessantes und Gutes gestolpert, wo ich gerne ein like hinterlassen würde. Aber das ist hier in den Foren ja nicht gewünscht. OK. Ich werde also etwas ausführlicher kommentieren.

LG

Prof.Dr. Tobias

 

Hallo @Prof. Dr. Tobias, Drehbuchautor mit langjähriger Erfahrung - nach dieser Vorstellung steigen meine Erwartungen an deinen Text bis auf den Mount Everest.

Übrigens, willkommen bei den Wortkriegern.

So, und jetzt werde ich deinen Text zerfleischen:

Der Anfang gefällt mir nicht. Nicht vom Inhalt her, von dem, was du erzählen willst, aber von der Satzreihenfolge her, von den Bildern, die du damit schaffst - das geht ein wenig durcheinander, hat nicht den richtigen Fluss.

Genauer erklärt:

Es war ein sehr kleiner Vogel, der an einem lauen Sommernachmittag zuckend vor unserem Haus lag. Ich hatte den dumpfen Schlag gegen die Fensterscheibe deutlich gehört.
=> Dein Prot sieht den Vogel, okay. Man weiß noch nicht, wo dein Prot ist.

Schon von weitem sah man, dass sein winziges Rückgrat seitlich abgeknickt war
=> Dein Prot ist also weit entfernt. (Übrigens, "man" ist sehr unpersönlich. Warum man, wo doch "ich", dein Prot, das sieht?) Und diesen "winzigen" Knick sieht man echt "von weitem"?

Als ich mich über ihn beugte,
=> Dein Prot ist von weit entfernt zu ganz nah gekommen, ohne dass ein Fingerschnippen dazwischenliegt. Gibt kein konsistentes Bild.

blickte ich durch ein riesiges Loch in sein Inneres
=> Ein "riesiges Loch" in einem "sehr kleinen Vogel"? Wie soll denn das funktionieren?

blickte ich durch ein riesiges Loch in sein Inneres, wie bei einer mechanischen Armbanduhr mit Glasfensterchen
=> Ein sehr verquerer Gedankengang (für mich). Damit zeichnest du ein sehr eigenes Bild deines Prots.

Es kann nicht fliehen, und jemand hat es bereits geöffnet
=> Oh, echt? Mit diesen Gedankengängen wird das Bild deines Prots, das ich mir mache, noch viel mehr eigen, verquer. Ich frage mich hier: Ist der Typ bekloppt, oder was?

Sieht wie ein sauberer Schnitt aus.
=> Das "riesige Loch" sieht wie ein sauberer Schitt aus? Und das ist entstanden, als der Vogel gegen die Fensterscheibe geknallt ist? Oder schon vorher, wobei dann natürlich fraglich ist, wie er noch fliegen konnte. Oder wurde er von irgendwem geschmissen?

Kann man sehen, wie sein Herz schlägt?
=> Echt merkwürdige Fragen. Erstmal guckt dein Prot da ja gerade rein, damit sollte er sehen, was da drin ist, was sich bewegt oder nicht. Andererseits kann da ja eigentlich überhaupt nichts mehr drin sein, weil "riesiges Loch" in "sehr kleinem Vogel".
=> Und würdest du konkret beschreiben, was dein Prot da sieht (so dass der Leser das ebenfalls genau sieht), könnte der Leser sich da auch gruseln. Je unkonkreter du bleibst, desto weniger nimmst du die Leser mit. (Bei einem Film sieht man alles, einfach so, aber bei einem Text muss man sehr viel Mühe darauf verwenden, Bilder zu zeichnen. Oder hat das einen bestimmten Grund, dass du die Bilder eben nicht zeichnest?)

Vielleicht sollte die Lektion des heutigen Tages aber doch in einem anderen Fach erfolgen.
=> Die Bemerkung kann ich überhaupt nicht zuordnen. Worauf bezieht sich das, der Gedanke?

Ich hörte eine alte Frau mit junger Stimme rufen
=> Da ruft also irgendwer. (Eine unbestimmte Stimme.) Und woher weiß er, dass das eine "alte Frau" ist, wenn er doch ein "junge Stimme" hört?

Leg ihn doch irgendwo ins Grüne!
=> Warum keine Anfühungszeichen? Oder ist das nicht gesprochen, sondern ein Gedanke deines Prots?

Meine Großmutter hatte bis ins hohe Alter die Stimme einer jungen Frau.
=> Aha. Obwohl ich für mich Leser keinen Zusammenhang erkennen kann.

Kein Krächtsen oder sonores Schnurren
=> Was interessiert mich die Stimme der Oma deines Prots? (Übrigens, Krächzen wäre die richtige RS. Ach, das wurde schon angemerkt. Die Fehler kannst du über den Bearbeiten-Button korrigieren, dann stolpern die folgenden Leser nicht auch noch darüber.)

Natürlich, für sie war das Problem gelöst, wenn der Vogel irgendwo hinter Büschen im Grünen lag.
=> Ach, die unbestimmt Stimme ist die der Großmutter? Warum schreibst du das denn nicht gleich? Warum erst das unbestimmte, wo der Leser rätseln muss?

Damals, als die Demenz nur zu erahnen war, fühlte ich mich ihr überlegen.
=> Ich suche verzweifelt nach dem Horror-/Science Fiction-Plot, stattdessen ergehst du dich in eine Art Stream of Consciousness von Sachen, die mich nicht interessieren, weil es dir nicht gelungen ist, mein Interesse zu wecken.

=> Also, damit steige ich aus. Dein Text ist absolut nichts für mich.

Grüße,
Chris

 

Hallo Prof. Dr. Tobias,

Auch ich hatte nach den ersten vier Absätzen keine klare Vorstellung vom Protagonisten (ein Teenager, der mit Pflastersteinen halbtote Tiere plättet) oder welche Richtung die Geschichte nehmen soll. Als dann noch lange Fachinterviews dem Text wieder eine neue Richtung gaben, habe ich angefangen Passagen zu überspringen um zu sehen ob noch etwas passiert. Das ist sehr schade, denn die Idee ist gut und am Ende nimmt die Geschichte doch Fahrt auf.
Anschließend bin ich auf die Suche nach interessanten Details gegangen und habe auch einige gefunden. Es wäre schön, sie schon beim ersten Lesen prominenter präsentiert zu bekommen und nicht hinterher aufstöbern zu müssen.
Besonders aufgefallen ist, dass du den Vogel und die Maus detailreich schilderst, aber die Schlüsselszene, in der Boihs Gehirn seinen Aufenthaltsort wechselt, ziemlich lapidar:

Herz-Lungenmaschine anschließen, Kopf mit dem Trennschleifer aufsägen, Gehirn raus, ins Gelee, Blutgefäße verbinden.

Die Szene hätte mehr Plastizität verdient, es würde sicher gruseln.
Übrigens, laut Wikipedia beschreibt das Wort "Gelee" ausschließlich Lebensmittel.

Bis etwa zur Hälfte der Geschichte kam bei mir keine Spannung oder Neugierde auf. Ich denke du kannst einiges verschlanken um mehr Tempo in die Geschichte zu bringen. Muss er zwei Tiere euthanasieren? Welche Rolle spielt die Oma, außer das sie alt und senil ist? Ist es für den Fortgang der Geschichte wichtig, zu wissen wie sie finanziert ist und wieviel Leute gefeuert wurden?
Du führst einige Personen ein, am Ende werden aber - neben dem Protagonisten - nur zwei davon wichtig (Boih und der Krypto Wissenschaftler ... äh, ... ich habe seinen Namen vergessen).

Viele Grüße

DHF

 
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Hallo Chris,

danke für deine Kritik. Du scheinst nun wirklich auf der Suche nach etwas ganz anderem zu sein, als meiner Schreibe. All die Punkte vom ersten Teil des Textes, die du ansprichst - geschenkt. Das sind alles stilistische Punkte, die hier nicht entscheidend sind. Es geht um das Ende der Geschichte. Das interessiert mich. Macht aber nichts, Geschmäcker sind verschieden.
Ich danke dir sehr fürs Lesen und deine Meinung.

Beste Grüße

Prof.Dr. Tobias


Hallo DHF,

vielen Dank für die Kritik. Ich sehe in deinem Text einige sehr konstruktive Punkte. Ein wenig bin ich verwirrt, weil du auf der einen Seite mehr Details und auf der anderen Seite Verschlankung forderst. Nunja, der Vogel, die Maus, das spielt ja nicht nur 30 Jahre früher als die eigentliche Geschichte, sondern ist lediglich das Antriggern des Motivs "Töten aus Gnade". Darum geht es am Schluss, wenn Boih endlich erlöst wird. Auch die Großmutter ist nur das Antriggern des Motivs des körperlichen und geistigen Verfalls im Alter. Das Schicksal, das dem Boih auf so brutale und dann auch noch menschengemachte Weise widerfährt.

Du bist ja nicht der/die Einzige, dem/der die Struktur - ich sage mal - auffällt. Manchmal missfällt sie sogar sehr stark. Ich sehe das Problem mit der Spannung am Anfang. Ich bin mir darüber sehr im Klaren, es handelt sich bei Das Signal auch nicht um eine klassische Kurzgeschichte. Daher auch keine klassische Spannung am Anfang, es fehlt ein Plot, bei dem irgendjemand irgend ein Problem hat. Es gibt ja auch keinen Antagonisten. Leser, denen der Text gefällt, sind eher von der Natur, dass sie interessiert, worauf diese Anordnung hinausläuft. Es geht um das Ende, um den kurzen Blick in einen Abgrund des Schreckens und des großen Leids. Mich gruselt und erschüttert das.
Wer mit meinem Stil nichts anfangen kann, kann auch nicht erschüttert und gegruselt werden. Das ist klar. Und ein bisschen schade.

Beste Grüße

Prof. Dr. T

BTW: Gelee gibt es doch als alles Mögliche. Zahnpasta z. B. .... Im Zweifel hat wikipedia natürlich immer recht.:)

 

Hallo @Prof. Dr. Tobias

und ein herzliches Willkommen von mir.

Nur etwas rein Formelles, da ich hier gerade drauf gestoßen bin.
Schön, dass du eifrig Kommentare beantwortest. Auch schön fände ich es, wenn du die dir bereits in der letzten Woche aufgezeigten Fehler am Text auch korrigieren würdest. Vielleicht hast du es ja auch nur nicht gesehen, die Funktion "bearbeiten" unterhalb deines Textes. Damit gelangst du in den Editiermodus und kannst die Fehler korrgieren, damit folgende Leser nicht immer und immer wieder darüber stolpen müssen.

Eine weitere Bitte: Wenn du auf einen Kommentar antwortest, bitte nicht den kompletten Kommentar als Voll-Zitat einfügen. Außer, dass du damit das Internet voll machst, hat das keinen Zweck. Bitte nur den Teil zitieren, auf den du dich in deiner Antwort spezeill beziehst. (Alle vorhandenen Voll-Zitate werden gelöscht.)

Eine weitere Funktion möchte ich dir nicht vorenthalten: die "Mention"-Funktion.
Wenn du ein @ vor dem Usernamen schreibst, wird der Name blau markiert und der entsprechende Adressat erhält eine Mitteilung über eine neue Antwort.
Dafür einfach @ schreiben und dann die ersten Buchstaben des Kommentators. Das System schlägt dann Namen vor.

Wünsche dir noch viel Spaß hier. Bei Fragen einfach an einen Mod wenden.

Vele Grüße, GoMusic

 

Hallo Tobias!

"Es geht um das Ende der Geschichte."
=> Na ja, wenn es dich nicht interessiert, dass Leser gar nicht zu dem Ende hinkommen (wegen stilistischer oder sonstiger Mängel am Anfang oder in der Mitte), dann kann ich dir wirklich nicht weiterhelfen.

Grüße,
Chris

 
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Hallo Prof. Dr. Tobias,


die Geschichte atmet so ein bisschen Herbert West und die Fakten des Falls Valdemar. Mir hat das langsam aufgebaute Grauen gut gefallen, die Hintergründe scheinen auch ordentlich recherchiert zu sein oder vielleicht machst du sowas in die Richtung ja beruflich. Die Pointe ist natürlich ein zweischneidiges Schwert, das mag nicht jeder, profitiert aber auch kaum eine Geschichte von, wenn sie es jedem Recht machen will. Also alles in allem auf jeden Fall Daumen hoch.

Meine Hauptkritikpunkte:

Humor. Gehört mit der Pipette in Horrorgeschichten getropft, sonst bringst du dich ganz schnell um die Stimmung, die du hier insgesamt aufbaust.

Charaktere. Gefühlt werden Hunderttausende von Figuren mit Namen eingeführt. Ein paar davon leben nur einen oder zwei Sätze lang. Dadurch geht der Fokus weg von den Protagonisten.

Dialoge. Manchmal etwas zu gestelzt. Der größte Bremsklotz ist für mich die Pressekonferenz. Als die mit „Blablabla“ endete, dachte ich: Wollte ich auch gerade sagen. Man spürt, du willst an der Stelle der Geschichte ein starkes Fundament geben, aber das gehört eben auch zur Kunst, mal zu sagen: Das ist jetzt in dem Detail nicht wichtig.

Konkretes:

Es war ein sehr kleiner Vogel, der an einem lauen Sommernachmittag zuckend vor unserem Haus lag.

„Lauer Sommernachmittag“ klingt ziemlich abgegriffen. Ohne ist das ein viel stärkerer Einstiegssatz: Es war ein sehr kleiner Vogel, der zuckend vor unserem Haus lag.

Ich würde aus dem Haus vielleicht noch die Haustür machen, sonst stimmen die Proportionen irgendwie nicht, das klingt so „Du siehst mich dann schon, ich hab direkt vor den Alpen geparkt“.


blickte ich durch ein riesiges Loch in sein Inneres,

„riesiges“ würde ich rausnehmen, und ehrlich gesagt habe ich mich gefragt, warum vom vor die Scheibe fliegen ein Loch im Vogel ist.

Es war ein Sperling.

Das sollte das Absatzende sein. Alles danach dreht sich um sich selbst und hält die Geschichte auf.

einer jungen Frau.

Wegen der Wiederholung von „jung“ würde ich sowas machen wie „Meine Oma klang mit siebzig wie eine Erstsemesterin“. Ich weiß, es gibt „Studieren ab 50“, ist aber egal, weil man dafür um die Ecke denken muss.

Krächtsen

Krächzen

Bestimmt hätte sie gut singen können, wenn sie gewollt hätte. Sie wollte aber nicht. Sie sparte ihren Atem auf.

Wollte sie aber nicht. Flüssiger und du hast nicht zweimal „Sie“ am Anfang.

Und die kamen für sie. Natürlich, für sie war das Problem gelös


langsam qualvoll

Qualvoll ist langsam. Qualvolle Kopfschüsse sind eher selten.

ich war immerhin schon elfeinhalb, geistig auch, ich hatte gerade meinen ersten richtigen Roman gelesen

Das konnte ich erst nicht zuordnen, wegen der erwachsenen Erzählstimme.

Die flache Unterseite hat den Körper sehr gleichmäßig zerquetscht. Die Möglichkeit, anatomische Studien an dem Objekt durchzuführen, war damit beendet. Irgendwas hat mir die Hose versaut.

hatte den Körper. Und die beiden Folgesätze meinte ich mit dem Zuviel an Humor.

Ich haderte ein bisschen mit dem ungerechten Gott der Vögel,

Der Vogelgott? Hat mich auch ratlos gelassen.

Mathildas Interesse begann gerade zu erlahmen. Ich habe sie zuerst nicht richtig getroffen

hatte … getroffen. Unklarer Bezug „sie“ - die Maus ist gemeint, aber weil ein Satz dazwischen liegt, bezieht man es zuerst auf die Katze.


Dr. Harald Boih besprach daher auch alles ausschließlich mit mir.

Die komplette Namensnennung klingt nicht nach einem Ich-Erzähler. „Boih besprach alles ausschließlich mit mir“, meinetwegen Dr. Boih, aber den Vornamen würde ich später einstreuen.

Wir waren alle etwas abgestumpft durch die vielen Tierversuche im Vorfeld.

Spannungsaufbau gelungen. Dass dem Leser hier die Schlussfolgerung überlassen wird, was als nächstes kommt, das ist gekonnt.

Dr. Hiller, der Abteilungsleiter der Ezon Neo AG, die das gesamte Projekt, alle Mitarbeiter, Ausrüstung und Materialien finanzierte, legte

Den Einschub finde ich zu lang, das sind fünf Kommas.

denke ich bei mir.

dachte

verpönten Forschungskollegen das Wort reden“

."

fast widersprüchlich, doch

Da ist ein Absatz an der falschen Stelle.

Prof. Dr. Kurt Wirth

Dr. okay, aber den Professor würde ich in einer Geschichte aussschreiben.


eine wandelnde Zumutung

Eine Zumutung kann alles Mögliche sein, es ist nicht selbstverständlich, dass die sich nicht bewegt. Deshalb würde ich sagen der Boih, oder vielmehr sein Benehmen, war eine Zumutung.


Die Verbindung von neuronalen Netzwerken mit elektronischen Bauteilen

Eine sehr coole Andeutung bezüglich der Dinge, die kommen. Gleichzeitig so die Kernbotschaft dieser Pressekonferenz. Das muss bleiben, aber den Rest würde ich wie gesagt gnadenlos rasieren.


sei ein reiner PR Schachzug

seien ein reiner PR-Schachzug


unser Anästhesieexperte Karsten Boulay

An dieser Stelle habe ich gedacht: Zu viele Namen. Wenn ein Name kommt, geht man davon aus, dass man sich den merken sollte, aber du hast zuhauf Leute drin, die überhaupt nicht relevant sind. Also, nicht so, dass man die mit Namen kennen muss.


die wir zusammen arbeiteten,

gearbeitet hatten


ging dann nach Hause, nur um am nächsten Tag im gleichen Tenor weiter zu murmeln.

und ging dann nach Hause, um …

und“ Guten Morgen“

„Guten


Ich hätte mich so gerne noch von ihm verabschiedet.

Das fand ich nicht ganz schlüssig, woher diese Sympathie kommt. Respekt vor dem Wissenschaftler, klar, aber als Mensch wird der Boih hier ja doch durchweg als arrogante Gurke hingestellt.


Sie wird Boih noch überleben!“ sagte

Sie wird Boih noch überleben!“, sagte

Ganze zwölf Jahre nachdem Boihs Sarg in die Erde gelassen wurde

Ganze zwölf Jahre, nachdem Boihs Sarg in die Erde gelassen worden war.

Wie gesagt, ich war der Kommunikator im Team. Außer zu Michael

Unklarer Bezug „Außer“, ähnlich wie s.o.

Der Tag, oder besser gesagt die Nacht,

Der Tag oder besser gesagt, die Nacht,


Ich fragte ihn, ob das, was er entziffert hatte denn irgend einen Zusammenhang

Ich fragte ihn, ob das, was er entziffert hatte, denn irgendeinen Zusammenhang

Bevor er auflegte sagte er noch

Bevor er auflegte, sagte er noch

Als meine Chipkarte für den Eingang aus der Tasche zog,

ich


Das Programm spukte

ck

Ich hatte etwa drei Stunden lang Zeile für Zeile Boihs Gedankenfluss gelesen ohne aufzublicken.

gelesen, ohne


Irgend etwas.

Irgendetwas


Viele tausend Seiten später flehte uns an

er


die ich seit zehn Jahren immer wieder überspielte

überspielt hatte

Ich weiß, dass das Labor, und alles, was ich zerstört habe

Ich weiß, dass das Labor und alles, was ich zerstört habe

Grüße

JC

PS: Ich würde Chris' Anmerkungen nicht so wegwischen. Die schnodderige Art ist erstmal gewöhnungsbedürftig, aber es ist ja kein Runtermachen ohne Substanz, das sind ja trotzdem gute Hinweise und sie hat mit deinem Text gearbeitet.

 
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Hallo Prof. Dr. Tobias,

Auch ich hatte nach den ersten vier Absätzen keine klare Vorstellung vom Protagonisten (ein Teenager, der mit Pflastersteinen halbtote Tiere plättet) oder welche Richtung die Geschichte nehmen soll. Als dann noch lange Fachinterviews dem Text wieder eine neue Richtung gaben, habe ich angefangen Passagen zu überspringen um zu sehen ob noch etwas passiert. Das ist sehr schade, denn die Idee ist gut und am Ende nimmt die Geschichte doch Fahrt auf.
Anschließend bin ich auf die Suche nach interessanten Details gegangen und habe auch einige gefunden. Es wäre schön, sie schon beim ersten Lesen prominenter präsentiert zu bekommen und nicht hinterher aufstöbern zu müssen.
Besonders aufgefallen ist, dass du den Vogel und die Maus detailreich schilderst, aber die Schlüsselszene, in der Boihs Gehirn seinen Aufenthaltsort wechselt, ziemlich lapidar:

Die Szene hätte mehr Plastizität verdient, es würde sicher gruseln.
Übrigens, laut Wikipedia beschreibt das Wort "Gelee" ausschließlich Lebensmittel.

Bis etwa zur Hälfte der Geschichte kam bei mir keine Spannung oder Neugierde auf. Ich denke du kannst einiges verschlanken um mehr Tempo in die Geschichte zu bringen. Muss er zwei Tiere euthanasieren? Welche Rolle spielt die Oma, außer das sie alt und senil ist? Ist es für den Fortgang der Geschichte wichtig, zu wissen wie sie finanziert ist und wieviel Leute gefeuert wurden?
Du führst einige Personen ein, am Ende werden aber - neben dem Protagonisten - nur zwei davon wichtig (Boih und der Krypto Wissenschaftler ... äh, ... ich habe seinen Namen vergessen).

Viele Grüße

DHF


Hallo @DHF,

vielen Dank für die Kritik. Ich sehe in deinem Text einige sehr konstruktive Punkte. Ein wenig bin ich verwirrt, weil du auf der einen Seite mehr Details und auf der anderen Seite Verschlankung forderst. Nunja, der Vogel, die Maus, das spielt ja nicht nur 30 Jahre früher als die eigentliche Geschichte, sondern ist lediglich das Antriggern des Motivs "Töten aus Gnade". Darum geht es am Schluss, wenn Boih endlich erlöst wird. Auch die Großmutter ist nur das Antriggern des Motivs des körperlichen und geistigen Verfalls im Alter. Das Schicksal, das dem Boih auf so brutale und dann auch noch menschengemachte Weise widerfährt.

Du bist ja nicht der/die Einzige, dem/der die Struktur - ich sage mal - auffällt. Manchmal missfällt sie sogar sehr stark. Ich sehe das Problem mit der Spannung am Anfang. Ich bin mir darüber sehr im Klaren, es handelt sich bei Das Signal auch nicht um eine klassische Kurzgeschichte. Daher auch keine klassische Spannung am Anfang, es fehlt ein Plot, bei dem irgendjemand irgend ein Problem hat. Es gibt ja auch keinen Antagonisten. Leser, denen der Text gefällt, sind eher von der Natur, dass sie interessiert, worauf diese Anordnung hinausläuft. Es geht um das Ende, um den kurzen Blick in einen Abgrund des Schreckens und des großen Leids. Mich gruselt und erschüttert das.
Wer mit meinem Stil nichts anfangen kann, kann auch nicht erschüttert und gegruselt werden. Das ist klar. Und ein bisschen schade.

Beste Grüße

Prof. Dr. T

BTW: Gelee gibt es doch als alles Mögliche. Zahnpasta z. B. .... Im Zweifel hat wikipedia natürlich immer recht.:)

Hallo @Prof. Dr. Tobias

und ein herzliches Willkommen von mir.

Nur etwas rein Formelles, da ich hier gerade drauf gestoßen bin.
Schön, dass du eifrig Kommentare beantwortest. Auch schön fände ich es, wenn du die dir bereits in der letzten Woche aufgezeigten Fehler am Text auch korrigieren würdest. Vielleicht hast du es ja auch nur nicht gesehen, die Funktion "bearbeiten" unterhalb deines Textes. Damit gelangst du in den Editiermodus und kannst die Fehler korrgieren, damit folgende Leser nicht immer und immer wieder darüber stolpen müssen.

Eine weitere Bitte: Wenn du auf einen Kommentar antwortest, bitte nicht den kompletten Kommentar als Voll-Zitat einfügen. Außer, dass du damit das Internet voll machst, hat das keinen Zweck. Bitte nur den Teil zitieren, auf den du dich in deiner Antwort spezeill beziehst. (Alle vorhandenen Voll-Zitate werden gelöscht.)

Eine weitere Funktion möchte ich dir nicht vorenthalten: die "Mention"-Funktion.
Wenn du ein @ vor dem Usernamen schreibst, wird der Name blau markiert und der entsprechende Adressat erhält eine Mitteilung über eine neue Antwort.
Dafür einfach @ schreiben und dann die ersten Buchstaben des Kommentators. Das System schlägt dann Namen vor.

Wünsche dir noch viel Spaß hier. Bei Fragen einfach an einen Mod wenden.

Vele Grüße, GoMusic


Hallo @GoMusic,

danke für all die Hinweise. Mus ich irgend etwas aktiv tun, um zu verhindern, dass ein Kommentar, auf den ich antworte nicht als Voll-Zitat eingefügt wird? Ich habe das gar nicht beabsichtigt. Sondern nur auf Antworten geklickt...
Danke für eine kurze Hilfe!

Ich bemühe mich um Besserung.

LG

Prof. Dr. Tobias

Hallo Tobias!


=> Na ja, wenn es dich nicht interessiert, dass Leser gar nicht zu dem Ende hinkommen (wegen stilistischer oder sonstiger Mängel am Anfang oder in der Mitte), dann kann ich dir wirklich nicht weiterhelfen.

Grüße,
Chris


Hallo @Chris Stone,

danke für deine Kritik. Und du hast mir trotzdem weitergeholfen durch deine Reaktion. Auch wenn mich Kritik und Kommentare, die sich auf den gesamten Text beziehen, natürlich mehr freuen. Und mehr helfen.

Es grüßt: Prof. Dr. Tobias

Hallo @Proof

vielen Dank für deine sehr ausführliche Kritik. Ich habe einen Großteil der Fehler, die du identifiziert hast, korrigiert.

Herbert West und der Fall Valdemar kannte ich nicht. Ich habe große Wissenslücken bei H.P. Lovecraft, kenne nur wenige seiner Werke, manchmal tue ich aber so, als sei ich Lovecraft-Spezialist. Immer, dann, wenn mein Gegenüber noch weniger von ihm gelesen hat. So verhält es sich auch mit dem ganzen wissenschaftlich-spekulativen Hintergrund zu der Geschichte "Das Signal". Nur Halbwissen und Phantasie. Es freut mich, dass der Text bei dir aber eine gewisse Wirkung hatte. Es stimmt dabei auch, dass es einigen Lesern erst mal mühsam erscheint. Ich denke, es gibt hinten raus eine Belohnung für den, der durchhält. Darauf läuft seit einger Zeit (spätestens seit dem Siegeszug der Serie als bevorzugtes Format in den Bewegtbildmedien) mein perönliches narratives Credo hinaus: eine Geschichte muss ein Ende haben. Es kann offen oder geschlossen sein. Aber: eine gute Gechichte hat ein Ende.

Beste Grüße

Prof.Dr.Tobias

 

Mus ich irgend etwas aktiv tun, um zu verhindern, dass ein Kommentar, auf den ich antworte nicht als Voll

Hallo Prof,

Einfach nur mit der Maus die Stelle markieren, die du zitieren möchtest. Dann unterhalb der Makierung auf zitieren klicken. Mit den nächsten Stellen genauso verfahren.
Dann im Antwortfenster auf Zitate einfügen klicken. Im Kontrollfenster kannst du alle übernehmen oder einzelne wieder herauszunehmen.
Probiere es mal aus. Ist ganz einfach und sehr praktisch.

Noch was: Ich habe deine letzten vier Antworten zusammengefasst. Bitte nicht immer einzeln im Minutentakt antworten, sondern alle zeitnahen Antworten zusammenfassen. Wir wollen ja nicht das Internet voll machen ?

Viele Grüße,
GoMusic

Edit: Sehe gerade, dass mein Zitat nicht ganz übernommen wurde. Liegt aber daran, dass es für mein iPad noch keine Maus gibt und meine Finger nicht so konnten, wie ich wollte ?

 

Hallo Tobias. Ich habe mir deine Geschichte mal zu Gemüte geführt. Da sind ein paar wirklich interessante Ansätze drin.

Sowas hier ...

"Dann ging es seitenweise nur um sein Girokonto und das Onlinepasswort. Das Passwort, an das er sich zwingen wollte nicht zu denken, es stand dort hunderte Male hintereinander."

... und sowas ...

"Jede Scheibe war mit den Silhouetten von Greifvögeln beklebt."

...zeugt davon, dass du dir Gedanken gemacht hast und imstande wärst, was richtig Gutes zu schreiben.

Aber scheinbar bist du zu faul dazu. Denn leider ist deine Geschichte größtenteils langatmig und schwafelig. Ich mein', hey, wen spricht der Erzähler Tagebuchschreiber Erklärbär da eigentlich an, während er so munter unroutiniert Zeiten* durcheinander wirft? Mich? Seine Freundin? Die Anteilseigner? Seinen Boss? Und wieso erzählt er seine ganze Lebensgeschichte, angefangen bei Backsteinen und seiner Oma?

*Es war ein Sperling. Ein Objekt liegt hier vor mir."

*Ich kniete vor dem Vogel und umfasste den Stein fest mit beiden Händen. Wieder ein dumpfer Schlag. Die flache Unterseite hat den Körper sehr gleichmäßig zerquetscht. Die Möglichkeit, anatomische Studien an dem Objekt durchzuführen, war damit beendet. Irgendwas hat mir die Hose versaut. Aber es ging schnell."

Wat soll das? Selbst mir als grammatikalischer Flitzpiepe springt das in die Fresse.

Und dann sowas:

"Der Haufen Pflastersteine lag nur einen Meter entfernt. Ich kniete vor dem Vogel und umfasste den Stein fest mit beiden Händen."

Den Stein? Welchen Stein? Einen Stein vom Stapel? Oder genau den Stein? Den einen da?

"Wieder ein dumpfer Schlag."

Wieso wieder? Hat er denn schon zugeschlagen? Wurde das vom Erzähler verschwiegen? Wieso?

--

Meiner Meinung nach könnte der Text um locker die Hälfte gekürzt werden, ohne an Substanz zu verlieren. Vielmehr würde der Text durch so eine Kürzung deutlich an Greifbarkeit gewinnen. Da ist einfach viel zu viel heiße Luft und jede Menge widersprüchliche Aussagen.

Sowas hier meine ich:

"Später fühlte ich vor allem ein trauriges und entsetztes Mitleid für sie, so wie an jenem Nachmittag für den Vogel."

... hmm, traurig ja, sehr mitfühlend ...

"Ich soll wohl etwas lernen an diesem sonst so ereignislosen Ferientag. Eine Lektion in Sachen Anatomie von Wirbeltieren. Sieht wie ein sauberer Schnitt aus. Nirgendwo ist Blut zu sehen. Wie groß ist eigentlich die Lunge eines Sperlings? Atmet der jetzt durch den Schnabel oder durch das Loch?"

Übrigens:

24 Stunden = vierundzwanzig Stunden
50ger Jahren = fünfziger Jahren

Anders sieht es hier aus:

Zimmernummer 77 = Zimmernummer Siebenundsiebzig
1,5 Liter Milch
= eins komma fünf Liter Milch
Schuhgröße 39
= Schuhgröße Neunundreißig

--

Schade. Gerade der Anfang ließ mich, trotz seiner Ungereimtheiten, auf ein echt nettes Geschichtchen hoffen, aber diese Hoffnung war dann spätestens bei der Pressekonferenz dahin und wandelte sich während der nicht mehr enden wollenden Erklär- & Erzählbär-Tiraden in Langeweile und teilweise auch Ärger.

Müsste ich alles oberhalb dieser Zeile auf zwei Worte reduzieren, dann wären das:

Kürzen!
Sorgfalt!

Auf bald
Analog

 

Hallo @Analog

vielen Dank für dein ausführliches Feedback. Schade, dass es dir nicht gefallen hat. Langatmig und langweilig. Das ist natürlich das Schlimmste, was ein Leser sagen kann. Leider kritisierst du aber viel am Stil herum, wenig an der Geschichte selbst. Das hätte mich viel mehr interessiert.

Auch was du da lobst, die Sätze, die du zitierst... ist das wirklich so wichtig? Dir schon, ok, ich sehe ganz andere Dinge im Zentrum der Geschichte und damit auch im Zentrum meines Interesses an Kritik, sei sie noch so brutal und schonungslos.

Aber gut, deine Stilkritik. Hältst du es wirklich für möglich, dass ich - weil ich es nicht kann oder zu faul bin - die Zeiten durcheinander wirbele? Ernsthaft? Mach dich frei von den Grammatikregeln der Mittelstufe. Literatur darf das.

Ganz konkret:
Es war ein Sperling. Hier erzählt der Erzähler Vergangenes.

Ein Objekt liegt hier vor mir. Hier steht der Gedanke des Erzählers in der Situation der Vergangenheit. Und der ist natürlich im Präsens. Wenn dir hier das: Ich dachte:"...." so sehr fehlt, dann gehst du mit der falschen Haltung ran. Mit der Deutschaufsatzhaltung.

Welcher Stein? Ja, genau wie du vermutest, ein Stein aus dem Haufen. Wenn selbst du als unwilliger Leser es checkst, kann es nicht zuviel verlangt sein.

Wieder ein dumpfer Schlag. Wieder, genau, eine Seite vorher hatte es bereits einen Schlag gegeben, als der Vogel gegen die Scheibe gedonnert war.

Ich weiß nicht - auch wenn du dir viel Mühe damit gegeben hast - was die Lehrstunde mit den Zahlen soll. Ich glaube, du hast da mit allem recht, aber was hat das mit der Story hier zu tun?

Also, lieber Analog, ich bin dir wirklich dankbar für das Lesen und das feedback. Du hast Zeit geopfert - oder sagen wir besser - investiert. Und das ist eine gute Sache. Und jedes feedback bringt etwas. Darüber bin ich mir bewusst. Aber ich fürchte, uns zweien geht es um ziemlich Unterschiedliches beim Schreiben.

Trotzdem dankt und sagt auf bald:

Prof. Dr. Tobias

 

Hallo @Prof. Dr. Tobias (welche Fachrichtung eigentlich?)

Deine Zeiten seien dir gegönnt. Meinem Empfinden nach, und mehr als mein Empfinden ist es nicht, nutzt du sie teilweise falsch. Jeder Schreiberling stößt früher oder später an den Punkt, wo er sich fragt, kann/darf ich das? Oder muss ich das sogar? (Und die Antwort darauf steht nicht in Stein gemeißelt.)

Bei mir war das z. B. bei Rückblenden und im Umgang mit dem Plusquamperfekt der Fall. Wie, wo, wie oft usw. ... da scheiden sich die Geister. Musst du selbst wissen. Wenn mehr Leute deine Art, Zeiten durcheinander zu wirbeln kritisieren, würde ich mir an deiner Stelle Gedanken machen. Wie so oft im (durchdigitalisierten) Leben, sitzt der Fehler nicht immer im, sondern auch desöfteren vorm Bildschirm.

Das mit den Steinen will ich aber nicht so einfach schlucken. Schau mal:

Da lagen Steine. Ich nahm den Stein.
Anderes Beispiel:
In dem Eierkarton befanden sich noch sieben Eier. Ich nahm das Ei.

Klingt das für dich wirklich richtig?

Für mich nicht. Dein Satz macht nur in folgenden zwei Varianten Sinn:

"Der Haufen Pflastersteine lag nur einen Meter entfernt. Ich kniete vor dem Vogel und umfasste einen (der) Stein(e) fest mit beiden Händen."

Das mit dem dumpfen Schlag hat mich überrascht. Ich hielt es für einen Flüchtigkeitsfehler. Tatsächlich finde ich, dass du da zu viel von mir als Leser erwartest. Mir ist das viel zu weit auseinander. Aber das mag an mir liegen. Schau halt, was andere dazu sagen.

Du bist nicht auf das Mitleid mit der Oma und den Bezug auf den Vogel eingegangen. Gestehst du hier einen Fehler ein, oder bin auch hier ich das Problem?

Ich weiß nicht - auch wenn du dir viel Mühe damit gegeben hast - was die Lehrstunde mit den Zahlen soll. Ich glaube, du hast da mit allem recht, aber was hat das mit der Story hier zu tun?

Ich verstehe nicht was du meinst, mit "was hat das mit der Story zu tun". Alles hat das mit der Story zu tun. Korrekt gesetzte Ziffern und Buchstaben machen deine Story erst zu einer Story. Und du kannst dir vielleicht aussuchen, welche Art Kritik du für dich mitnimmst, aber nicht, welche Art Kritik du generell bekommst. Und wenn sich gewisse Arten von Kritiken häufen, dann würde ich persönlich überlegen, ob ich nicht vielleicht doch etwas davon mitnehme. Je nachdem natürlich. Wenn dir irgendwas besonders gut gefällt, dann verteidige es. Wenn es dir aber egal ist, und ein schnödes, unwichtiges 50ger (meinst du 50er?) wäre mir ziemlich schnurzegal, dann handel entsprechend.

Das ist aber alles eher Kleinkram. Deine Geschichte zieht sich zu sehr hin. Das ist das eigentliche Problem. Frag dich doch mal, welche Informationen, vor allem ab Beginn der Pressekonferenz, der Leser wirklich braucht. Überleg nicht nur, was dir wichtig ist, denn du als Autor betrügst dich wahrscheinlich selbst – so wie alle Autoren das gerne tun.

Schreiben kann jeder. Umschreiben, sich von unwichtigem Ballast trennen, das ist die Kunst.

Auch was du da lobst, die Sätze, die du zitierst... ist das wirklich so wichtig?

Nö, kein Stück. Haben mir halt gefallen die Stellen. Nahm an, du hättest dir was dabei gedacht.

ich sehe ganz andere Dinge im Zentrum der Geschichte und damit auch im Zentrum meines Interesses an Kritik, sei sie noch so brutal und schonungslos.

Hau raus. Stell ruhig Fragen zu einzelnen Stellen oder zum Verständnis von diesen. Ich habe deine Geschichte ja nicht zerpflückt, weil ich was Persönliches gegen dich habe. Ich helfe gerne.

Gruß Analog

 

Hallo @Analog

danke für deinen weiteren Kommentar.

Bei dem Thema Zeiten bist du bisher der Einzige. Aber ich habe deine Kritik nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern "verbucht". Ich ändere jetzt den Text von Das Signal nicht, aber ich verbuche es für Zukünftiges.

Der Stein, ein Stein. OK, mir gefiel es so falsch wie es ist besser, aber wenn du mein Lektor wärst, würde ich nicht auf die Barrikaden gehen.

Der Kritkipunkt mit der Oma und den Pflastersteinen. Sowas wie die Backstory oder Prolog. Hier geht es ums Narrative, also um die Wurst. Daher sage ich was dazu. Auch wenn es für mich natürlich niederschmetternd ist, dass ich einem Leser dazu was sagen muss. Es sollte eigentlich klar sein, aber wenn es zwischen Sender und Empfänger nicht klappt, versuche ich den Sender neu zu justieren.

Es geht um Gnade. Töten aus Gnade. Der Vogel leidet. Die Maus leidet. Wir ahnen, auch die Oma hat gelitten, nicht weil ihr Körper so geschunden ist, sondern ihr Geist. Die Tiere hat unser Protagonist so schnell er konnte von ihrem Leiden erlöst. Bei der Oma ging das nicht.
Jahre später die Story mit seinem Prof. Boih. Der leidet unerträglich. Über Jahre. Der Moment des Erkennens dieses Leidens ist das Grauen, auf das ich hier hinarbeite. Unser Protagonist zerstört alles, vor allem das Gehirn unter der Glasscheibe, zermatscht es mit der Betonplatte. Töten aus Gnade, wenn auch viel zu spät. Ich finde das sehr grauenhaft, gruselig auf eine ernste und tragische Weise. Darum ging es mir.

Ich sage nicht, dass man den Text nicht Kürzen könnte. Kürzen geht immer. Aber ich habe mich sehr um Erzählökonomie bemüht. Damit das Ende funktioniert und wirkt (und es wirkt bei vielen Lesern sehr), braucht es eine Einführung der Motive und Themen. Man kann eine solche Story natürlich mit einem anderen Spannungsaufbau schreiben. Dazu braucht es dann Szenen mit Konflikten und Figuren die gegen die Kräfte anderer Figuren Probleme lösen. Darauf, also auf klassisches Erzählen z. B. im Format einer Kurzgeschichte habe ich verzichtet. Es gibt keinen Konflikt, keine antagoistischen Kräfte. Vielleicht wäre es sonst ein Roman geworden. Ich bin mir sehr sicher, dass für diese Art von Grauen, ein sehr viel kürzerer Text nicht funktioniert. Eher länger. Ich habe die kurze Form gewählt und bin damit das Risiko eingegangen, dass es nicht jeder Empfänger alles mitkriegt.

Spannung zu erzeugen ohne reinen Suspense (im Hitchcockschen Sinne) ist eine hohe Kunst. Ob mir das hier gelungen ist, sei dahingestellt. Ich will bei das Signal den geneigen Leser bei der Stange halten, indem er sich mehr und mehr die Frage stellt, worauf der ganze Kram hinausläuft. Das Ende. Das macht nicht jeder Empfänger mit, und es klappt auch nicht immer von Senderseite, aber ich halte es für eine erzählerische Herausforderung, die ich als Sender und Empfänger immer wieder annehmen möchte.

Meinen Professorentitel und den Doktor habe ich für unübertroffene Schlauheit in allen Lebenslagen verliehen bekommen. Weil du fragtest.

Es grüßt herzlich

Prof. Dr. Tobias

 

Wenn es um schnelles, schmerzfreies Töten geht, ist der Pflasterstein effektiver.

Ja? In dem Text geht es um die Gegenwart des Todes, doch die spüre ich nie. Ein Lebewesen töten, sich ein Leben nehmen, das ist keine kleine Sache. Der erste Absatz bereitet den Charakter des Prot zwar vor, also der wirkt leicht verstört bzw gestört, weil er da von Objekt redet und so weiter, aber das reicht nicht, um diesen Charakter auch zu etablieren. Wenn bei Drückjagden Kinder dabei sind, und es wird Schwarzwild geschossen, die haben null Probleme beim Aufbrechen nachher mitzuhelfen, die Organe zu entnehmen, Kehlkopf etc, Leber, Magen. Also da musst du schon was ausgefuchster daherkommen, nur weil einer mal ein Tier tötet, ist er nicht gleich ein gefühlskalter Sadist und Neurotiker. So kommt es mir vor, dass du den Prot einführen möchtest. Mit einem etwas perversen Wissensdrang, der aber gar nicht so ist, sondern vollkommen normal.


Ich werde Ihnen erläutern, woraus unser Experiment bestand. Ich werde es im Detail darlegen. Dann werden Sie vielleicht verstehen, warum ich tun musste, was ich tat. Sie werden das Ausmaß meiner Schuld verstehen.

Eigentlich kannst du hier anfangen. Der Rest ist echt Info-Dump deluxe und auch die Dialoge, gräuslich, da merkt man, Wikipedia copy & paste.

Die Grundidee ist gut. Der Aufbau, so lala. Direct to DVD Release. Mich würde mal interessieren, welche Filme du bereits produziert hast, und welche Drehbücher du bereits geschrieben und auch verkauft hast? Weil wirklich filmisch ist von dieser Geschichte nichts. Es würde ihr aber gut tun. Und natürlich hast du einen Konflikt. Der ist nur ins Innere verlagert. Leider ist es so, dass die Zweifel viel früher kommen müssten. Die lassen den da fast 20 Jahre an den Drähten, da kommt niemand auf die Idee, ob das ethisch irgendwie okay ist? Das sind doch alles Forscher, Wissenschaftler mit einem hohen Kodex. Finde ich unglaubwürdig. Wären das so Dark Web Typen, oder einer nimmt den mit nach Hause, weil er davon besessen ist, das wäre ein Plotpoint. So läuft aber alles total linear auf diese Erkenntnis, das Boih auf irgendetwas gestoßen ist und nun unbedingt sterben möchte. Also, erinnert schwer an den Film "Martyrs", da geht es auch um diese dekadente Gesellschaft, diesen Verein, der die Frauen quält bis sie ins Jenseits gelangen, und dann erschießen sie sich direkt, weil sie die Wahrheit, die diese "Objekte" mitbringen, nicht ertragen und erfahren wollen und können. Spannend ist das nicht, und spannend ist auch dein Text nicht. Ich fürchte, du müsstest den in dritter Person schreiben, mit weniger Personal, eher Kammerspiel-artig, und weniger von diesem Neurologie-Kram, sondern eher fundamental-emotional rangehen, diese Forscher retten ihren Semi-Gott, und was passiert dann? Ich lese das eher wie so eine Betriebsanleitung, das wirkt apathisch und leer, aber das dürfte es ja nicht sein, außer du hast es beabsichtigt. Töten aus Gnade, also, da musst du mich schon emotional am Wickel haben, und dein Text schafft das leider in keiner Weise.

Konstruktiv: Verkleinertes Personal, begrenzterer Raum, erzählte Zeit verkürzen, Dialoge überarbeiten, weniger Info-Dump, emotionaler tiefer arbeiten.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman

danke für dein ausführliches Feedback. Du sagst viel Gutes und Wahres. Wenn ich es als Film hätte schreiben wollen hätte ich es getan, und dann hätte ich ich vieles von deinen Vorschlägen aufgegriffen. Das wollte ich hier aber gerade nicht. Mir gings um diese Textform und diese Perspektive für speziell diese Idee mit dem Signal.

In der Filmwelt habe ich gemacht, was halt so gemacht wird im deutschen TV und Kino. Drama und Komödie.

Und die Figur soll natürlich kein Sadist oder Neurotiker oder pervers sein. Im Gegenteil. Wir zwei beiden funken also auch auf ziemlich unterschiedlichen Geschmacks- und Wahrnehmungs-Wellen. Aber deine Kritik ist interessant. Martyrs kam mir ehrlich gesagt nicht in den Sinn, obwohl ich den Film sehr bemerkenswert finde. Also gut finde. Boih hat da draußen auch keine Erkenntnis, sondern leidet an der totalen sensorischen Deprivation. Eher One von Metallica.

Soweit. Beste Grüße und Danke für deine Gedanken

Prof. Dr. Tobias

 

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