Das Seelenbild
Er starrte auf das Weiß vor seinem Gesicht. Stunden waren bereits vergangen aber er wagte es nicht auch nur einen Strich zu ziehen. Seine Gedanken hämmerten gegen die Schädeldecke als versuchten sie ihre natürlichen Grenzen zu durchbrechen. Seine Hände zitterten leicht und Schweiß rann seinen nackten Rücken hinab.
Er griff zu der hölzernen Schale und tauchte seine Finger in das cremige Royal-blau. Er schloss die Augen und atmete den Duft der Ölfarbe ein. Er mochte den Geruch frischer Farbe. Sie beflügelte zusätzlich seine Fantasie. Seine Finger spielten mit der glitschigen Masse als errieten sie die Zusammenstellung der einzelnen Zutaten des Farbstoffes.
Es gelang ihm nicht sich das vollendete Werk vorzustellen. Das Bild tauchte vor seinem geistigen Auge auf und verschwand wieder nur um kurz darauf wieder aufzutauchen. Diesmal jedoch ganz anders, mit anderen Farben und Formen. Wie sollte er es nur jemals schaffen? Soviel stand auf dem Spiel.
Er sah wieder auf die weiße Leinwand und stellte sich die einzelnen Konturen vor. Die Wellen und Biegungen die sein Pinselstrich hinterlassen würde. Die dunklen Farben und wie sie in die hellen Nuancen übergingen. Die scharfen Kontraste die das Bild in mehrere Schichten zerteilte und das Chaos, das sie hinterließen. Nur das Geheimnis, das was das Bild zum Meisterwerk machen würde, das erkannte er nicht.
Wütend schmetterte er die Schale auf den blanken Stoff und schrie.
Mit den Fäusten hämmerte er auf die Farbtuben ein, die vor ihm auf dem Boden lagen, sodass sie zerbarsten. Er stand auf und trat gegen den Farbkasten und was herausfiel wurde ebenfalls Opfer seines Jähzorns. Das Bündel der verschiedensten Pinsel zerbrach er in zwei Teile und die hölzerne Mischplatte flog in hohem Bogen aus dem Fenster.
Er ohrfeigte sich selbst und zerrte an seinen Haaren, doch nichts beruhigte ihn.
Als er endlich erschöpft und mit zerzausten Haaren auf den alten Schemel in der Ecke sank, noch schluchzend vor Verzweiflung, hallten die Worte in seinem Kopf wider.
„Male deine Seele,...oder verliere sie!“
Immer wieder versuchte er sich einzureden es sei nur ein Traum gewesen doch er wusste es besser. Er wusste es sogar ganz genau. Er selbst hatte ihn beschworen, den Dämon.
Primus hatte ihn gewarnt. Der alte Mann hatte schon viele Rituale abgehalten, aber dieses eine war das Gefährlichste. Einen Dämon heraufzubeschwören, um ein Talent oder eine Gabe zu erlangen erforderte immer einen Preis. Doch manchmal, wenn man an den falschen Dämon geriet, konnte es auch passieren, dass man einen Preis zahlte ohne die gewünschte Gegenleistung zu erhalten. Nicht selten war dieser Preis auch das Leben.
Er hatte mehr Glück gehabt als ihm bewusst war. Eigentlich sogar mehr als ihm zugestanden hatte.
Bislang war er ein guter, aber eben nur ein guter Maler gewesen. Ein Künstler wie ihn die Welt schon tausend Male gesehen und vergessen hatte. Doch er wollte mehr. Teuer waren seine Werke alle und viele hatte er auch verkauft. Man hätte nicht sagen können, dass er ein ärmliches Leben führte, ganz im Gegenteil. Er liebte es verschwenderisch zu sein.
Eines seiner größten Laster waren das Spielen und Wetten. Dicht gefolgt von Alkohol und diversen Opiaten die ihm die nötige Kreativität schenkten. Im Rausch malte er die besten Bilder.
Nur dieses Mal nicht.
Es war die nackte Panik die ihm heimsuchte als er wieder an das Ultimatum dachte. Nur eine Woche hatte er bekommen. Oft brauchte er nur wenige Minuten, doch das ein oder andere Gemälde wurde nicht innerhalb eines Monats fertig.
Noch nie hatte er unter Druck gearbeitet. Er verabscheute die Hektik und das schwere Ticken der Uhr hinter seiner Stirn wenn man etwas von ihm erwartete. Niemand gab ihm vor wie und wann er etwas zu tun hatte.
Genau das war sein Verhängnis. Sein Stolz! Er hätte niemals so hoch greifen dürfen, niemals mehr haben wollen als ihm zustand. Ruhm war es, den er wollte und Ruhm war es, den er ernten sollte.
Doch nicht nur seiner Bilder wegen.
Wie nur, um alles in der Welt malte man eine Seele? Dazu noch seine eigene? Er hatte schon von Künstlern gehört, die mit ihren eigenen Exkremente malten oder mit ihrem Blut. Den Einen oder Anderen dieser fanatischen Malerei hatte er auch schon mal persönlich getroffen. Seiner Meinung nach hatte das recht wenig mit Kunst zu tun, wohl eher mit einer Art Aufmerksamkeitsdefizit. Nein, das war es nicht. Er musste mehr bringen als seine DNA auf ein Blatt zu schmieren.
Das Ritual hatte der junge Künstler in seinem Atelier vollzogen. Vor genau sieben Tagen. In jener Nacht war es sternenklar gewesen. Es herrschte Neumond, was das Leuchten der Himmelskörper noch intensiver wirken ließ.
Er hatte in der Mitte seines Raumes auf einer Leinwand gesessen. Zuvor hatte er ein Pentagramm ein seiner gewohnten Leidenschaft darauf gemalt. Die Kerzen waren ebenfalls in dem Muster eines diabolischen Zeichens Aufgestellt und angezündet worden.
Die Uhr hatte dreimal geschlagen.
Im Christentum war das die Stunde des Bösen. Die perfekte Zeit also um seine Seele zu verkaufen. Wie dumm er doch gewesen war, dachte er sich in Gedanken fluchend. Primus hatte ihn gewarnt. Seine Habgier war dennoch größer gewesen. Er hatte die Worte des Rituals immer und immer wieder gesprochen. Zuerst vorwärts, dann wieder rückwärts. Eine volle Stunde lang hat er den Satz des Ritus wiederholt. Erst als die Uhr erneut geschlagen hatte, hatte der Maler eine Antwort bekommen.
Eines seiner Gemälde das hochkant an der Wand angelehnt war, fing Feuer. Erstaunlicherweise schien dieses Feuer das Bild aber nicht zu zerstören, es hatte es erweckt. Die Farben hatten sich immer schneller im Kreis bewegt, bis die Mitte ein schwarzes, schier endloses Loch dargestellt hatte. Zwei knochige alte Hände waren heraus gedrungen und hielten sich am Bildrand fest. Ihnen war ein schattenhaftes Wesen gefolgt, mit leuchtenden Augen, welche Fleisch und Stein zu durchschauen vermochten und jeden in Starre versetzten der zu tief in hinein sahen. Der Künstler, der seine Angst kaum noch unterdrücken konnte, äußerte seinen Wunsch.
„Lass mich ein Bild malen wie es keiner kann! Ein Bild, bei dem die Menschen in Ehrfurcht fallen!“
Ein schrilles Schreien war aus der Kehle des Dämonen gedrungen, sodass sich der Künstler schmerzverzerrt die Ohren zugehalten hatte. Mit aller Kraft hatte er sich gegen den todbringenden Blick des Schattens zu wehren versucht und verlor. Das Geschöpf des Bösen hat ihn mit seinem bloßen Willen gezwungen ihm in die Augen zu sehen. Der Maler, der seine Lider weit aufgerissen hatte sah Glut, Angst und Schmerz darin. Unfähig die heiße Luft um ihn herum atmen zu können keuchte er nahe dem Erstickungstod, während der Dämon weiter bis auf den Grund seiner Seele blickte.
„Male deine Seele, oder verliere sie! In sieben Tagen gehört sie mir!“ hatte das schwarze Wesen gekrächzt. Der Klang der Worte hatte sich tiefer in die Angst des jungen Künstlers gebohrt, als es die Bedeutung an sich schon getan hatte. Als hätten drei Stimmen gleichzeitig geschrien, die sich dazu noch überlagerten. Der Schauer der ihm über den Rücken gelaufen war, war nahezu unmenschlich. Mit diesem Gefühl war der Dämon verschwunden.
Bis zum nächsten Mittag hatte er sich wimmernd in der Ecke seines Zimmers auf einen Schemel verkrochen, auf dem er auch jetzt wieder saß. Er hatte nur noch wenige Stunden und noch keinen einzigen Stich vollführt.
Seine Seele war verloren. Verzweifelt fiel er auf die Knie und faltete seine Hände zusammen um zu beten. Wieder und wieder winselte er um die Gnade Gottes, ihn von seinem Fluch zu befreien. Er versprach ein guter Mensch zu werden und regelmäßig in die Kirche zu gehen, doch Gott blieb ihm eine Antwort schuldig.
Die Nacht brach herein und in dem verwüsteten Atelier lag der Künstler in der Mitte des Raumes. Er zog tief an seiner Zigarette und behielt den Dunst einige Sekunden lang in den Lungen eher er ihn wieder ausatmete. Wie in Trance nahm er Zug um Zug und drückte schließlich den Stummel neben diversen kleinen Brandwunden auf seinem Unterarm aus.
Er stand auf und ging zu dem Spiegel neben der Türe. Er kannte den Mann den er darin erblickte, konnte sich aber nicht mit ihm identifizieren.
Die Kirchenuhr schlug dreimal.
In diesem Moment bewegte sich sein Spiegelbild wie von selbst. Der Blick der ihn traf war vorwurfsvoll und gleichzeitig gefasst. Der Arm seines Spiegelbildes hob sich und die Hand deutete hinter ihn. Er drehte sich um und erschrak, als er die Leinwand in Flammen sah, auf der er seine Seele hätte malen sollen. Der Gestank von verbranntem Fleisch und Schwefel lag in der Luft. Er drückte sich panisch mit dem Rücken gegen den Spiegel und versuchte sich zur Tür zu tasten doch zwei starke Hände griffen aus dem Spiegel heraus und hielten ihn fest. Gerade als das Feuer sich weiter ausbreiten wollte und die Hitze sich brennend auf des Malers Gesicht legte, erklang der todbringende Schrei des Dämons aus dem flammenden Stoff. Die Hände die Ihn eben noch fest umklammert hatten stießen ihn mit ungeheurer Kraft dem schwarzen Loch entgegen, das sich auf der Leinwand auftat. Die knochigen Hände des schattigen Wesens darin griffen auf gespenstische Weise in den Leib des jungen Mannes hinein ohne die Haut zu verletzen und entrissen ihm gewaltsam den Geist des Lebens, sodass der Körper wie eine leere Hülle leblos in sich zusammen sackte. Der Dämon zerrte die Seele des Künstlers mit sich durch die Leinwand in die Tiefe.
Erst einige Tage später fand man den jungen Mann tot in dem Atelier neben einem Gemälde, dass als solches die Kunstwelt bis dahin noch nie gesehen hatte. Ein Portrait des Künstlers, das den Betrachter, wenn man in des Portraits Augen blickte, Furcht, Pein, Einsamkeit aber auch Stolz und Hochmut spüren ließ. Die Farbintensität war überirdisch und die Konturen messerscharf und der Blick schien den Betrachter regelrecht zu verfolgen. Ein Kunstwerk, das als unbezahlbar galt denn diese Augen... vergaß man nie!