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Das Schweigen im Medienkarussell
Das Schweigen im Medienkarussell
"I HAVE A RELATIVELY SUNNY SPIRIT …
AND I HAVE NEVER ALLOWED MYSELF TO BE BITTER"
Angela Merkel nach Laurie Anderson im
Zeitmagazin Nr. 32 vom05.08.2021, S. 15
"Das Erste" hat sich entschlossen, eine Sendung zu wiederholen, die nie gesendet wurde ...
Dem Gedenken an
Dieter Hildebrandt (+ 20.11.2013), Roger Willemsen (+ 07.02.2016)
„Die Frage ist jetzt: Gestaltet sie ihren Abgang selbst?“
Jürgen Trittin in „Die große Konfusion“ in:
Die Zeit Nr. 49 vom 27. September 2018, S. 2
Der Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses sagte in dem ihm eigenen Kauderwelsch, dass „man … über eingestufte Akten in der Presse mehr lesen [konnte], als wir im Ausschuss vorliegen hatten.“
Mehr als ein viertel Jahr, bevor der Vorsitzende diese weisen Worte sprach und die Justiz gegen 17 Journalisten der gehob’neren Presselandschaft wegen der Veröffentlichung geheimer Informationen aus dem Untersuchungsausschuss einschaltete – von Engüri bis Istanbul, von Rhein,
Oder bis zur Elbe, überall dasselbe - wurde während einer Unterhaltungssendung im Ersten Deutschen Fernsehen ein viel interessanterer Gehilfe zum Geheimnisverrat entdeckt …
Es begab sich aber zu der Zeit, als Repräsentanten der deutschen Demokratie den BND-Ausschuss installierten …
„Es ist Dienstag, der 17. April 2007, 22 Uhr 45 Mitteleuropäischer Sommerzeit. –
Ich begrüße Sie,
meine sehr geehrten Damen und Herren! –
Herzlich willkommen, Sie hier im Saal und Sie da draußen an den Bildschirmen zur Sendung MENSCHEN BEI MAISCHBERGER. -
Wir alle sind umgezogen in die mediale Heimat unseres heutigen Gastgebers, der freundlicherweise die Schwangerschaftsvertretung von Frau Maischberger übernommen hat“, dröhnt die Stimme des unsichtbaren Dieter Thomas Heck im Saal, dass dem Publikum die Ohren abfallen. Und er fährt fort: „Begrüßen Sie darum live mit mir aus dem Studio Eins des Produktionskomplexes Studio 449 aus Köln-Mülheim – HARALD SCHMIDT als Schwangerschaftsvertretung von Frau Maischberger in der Sendung MENSCHEN BEI MAISCHBERGER!“
Die Stimme ist noch nicht verklungen, da kommt Harald Schmidt schlaksig und grinsend in das Studio seiner Late-Night-Show und begrüßt auch schon das Publikum. Nach einer angedeuteten Verbeugung grüßt er Mme. Nathalie Licard und ihre ARD Showband, um nach einer Kunstpause merklich leiser zu sprechen: „Bedauern Sie mit mir, dass Manuel Andrack heute nicht hier sein kann. Wir alle schätzen ihn als großen Wandersmann, - aber seit gestern ist er in der Eifel verschollen.“
Die Band spielt „Mein Vater war ein Wandersmann“ und bricht ihr Spiel nach wenigen Takten ab, als Schmidt mit einer heftigen Armbewegung das Ende vorgibt. Er kann sich nun eine spitze Bemerkung nicht verkneifen, obwohl ihm die Regie, insbesondere aber die Chefredaktion davon abgeraten, ja geradezu gewarnt hat: „Mein neuer Aufsichtsrat und Vormund, kurz: die Zukunft des Deutschen Fernsehens, Ollie P., steht mir noch nicht zur Seite, da er noch ein paar Strähnchen oder Dauerwellen legen muss.“ Und politisch sehr inkorrekt: „Ich bin und bleib halt ich – und der Rest ist Frisör. –
Aber es pochert schon kräftig an der Tür!“
Harald Schmidt schreitet nun aufs Podest und setzt sich hinter seinen Schreibtisch.
Er spricht zunächst laut und deutlich: „Unser Thema heute bei Maischberger lautet“, - und nun flüsternd, fast schon nuschelnd: „‚SIND SIE MIT IHREM LEBEN ZUFRIEDEN?’“
Ursprünglich sei Frau Will als Vertretung von Frau Maischberger vorgesehen gewesen, „doch sie übt schon mal auf die Übernahme von Christiansen hin. Übungsleiter und Sparringspartner ist Alfred Biolek“, und grüßt ins Trainingslager. Das Publikum freut sich und applaudiert freundlich, die Band spielt die ersten Takte von „Nobody told me“.
Als es wieder ruhig ist, fährt er fort:
„Als Gäste geladen sind
UNSER PAPST, Benedikt XVI., -
der Boss des Hauses Windsor, Königin ELISABETH DIE ZWEITE von England, -
UNSERE BUNDESKANZLERIN, Frau Angela Merkel, -
die Schriftsteller Thomas Mann und Rosamunde Pilcher und, -
last but not least,
die TV-Stars Eva Herrmann und Thomas Gottschalk.“
Nun grinst er wieder und sagt schnippisch:
„Es können aber nicht alle kommen, -
oder muss ich sagen:
Es können aber alle nicht kommen?“
Der Papst ließe sich entschuldigen, er litte noch unter den Fernwehen seines 80. Geburtstages. –
Dafür habe man Verständnis, „denn man wird nur einmal 80!“
Die Showband spielt die ersten Takte zu „Crazy ’bout a papamobile (ev’ry woman I know)“.
Thomas Mann könne nicht erscheinen, die Redaktion habe soeben erst herausgefunden, dass er bereits am 12. August 1955 verstorben ist.
Schmidt lacht kurz auf und fährt ruhig fort: „Unser aufrichtiges Mitgefühl gilt der Familie Mann und der Redaktion!“ –
Auch die Queen werde nicht erscheinen, da sie an einem Kaugummi festklebe, das Miss Middleton ausgespuckt hat. Immerhin hätt’ die Queen die Elizabeth Zwo von der Karibik in den Rhein geschickt, wo sie nun auf Höhe von Köln-Mülheim mit einer Länge von 293 m den Schiffsverkehr behinderte. –
„Aber Behinderungen sind die Rheinschiffer inzwischen gewohnt.“
Unentschuldigt fehle Mrs. Pilcher. –
Vermuten dürfte man, dass Hedwig Courts-Mahler sie zu einem Gespräch unter Kolleginnen in die Gartenlaube eingeladen hat. –
Eva Herrmann lasse sich entschuldigen, sie lebe derzeit ihre Meinung über Küche, Kinder, Kirche aus und scheute das Licht der Öffentlichkeit. –
Sie ginge lieber zu Krömers, dort wär’s viel intimer als bei Maischberger.
Und der allseits geliebte Tommy hätt’ sich verzockt und müsst’ seine Wettschuld an Stelle des Herrn Hoyzer einlösen usw. usf.
„Nun, meine Damen und Herren, sehen Sie selbst, wer heute kommt!“
Ein bewegtes Bild wird auf die Leinwand hinter ihm projiziert, dem sich auch Schmidt zuwendet.
Auf der Leinwand sehen wir vorm Eingang zum Gebäude einen seriösen älteren Herrn stehen. Der Seriöse spricht in die Kamera: „Isch binnet Vorauskommando und isch wart auf unser’n Jast. Politisch korrekt isset ’ne Jästin, - aber wir woll’n ma’ nich’ janz so korrekt sein, zumal der Ausdruck auch noch nich’ inner Duden-Redaktion anjekommen is’. – Wenn unser Jast also kommt, dann führ ischen, pardon, dann führ ichse gleich nach da hinten“, - er zeigt auf den Gang hinter dem Eingang, den keiner sieht, - „zum Lastenaufzuch, dennse soll um des lieben Himmels willen nich’ zu Fuss jeh’n, - wejen der Sischerheit. –
Versteh’nse?“
Ein Dienstwagen fährt vor.
Das Vorauskommando läuft mit den Worten:„Ah, da isse schon!“, auf den Wagen zu, um nun die hintere Tür zu öffnen.
„Guten Abend, Frau Bundeskanzler“, der Seriöse spricht nun slanglos, „äh, Frau Merkel … Ich darf Sie zur Sendung geleiten … Ich bin, sozusagen, das Vorauskommando …“, was er sonst noch sagt, geht im Lärm zweier tief fliegender Militärflugzeuge unter.
Das Vorauskommando tritt vom Wagen zurück.
Der Wagen dreht und fährt wieder davon.
Als die erste Überraschung, vor allem aber der Lärm der Jets verklungen ist, wendet der seriöse Herr sein Gesicht in die Kamera und spricht: „ Sie’s’ widder wech, weilse jetz’ nich’ mehr will. –
Wat maachen mer jetz’?“
Schmidt antwortet mit einer Gegenfrage: „Hast du nicht die Tornados gesehen? Jetzt bist du registriert, weil du nicht maskiert warst. –
Ich sag euch doch immer, geht nicht ohne Tarnung außer Haus! -
Aber wart mal, ich seh, der Wagen kommt wieder zurück.“
Tatsächlich kommt der Wagen zurück. Das Bild wird ausgeblendet und Schmidt setzt sich wieder auf seinen Sessel hinterm Schreibtisch.
„So kann’s geh’n, verehrtes Publikum. So ist die moderne Medienwelt.
Aber improvisieren geht über lamentieren! –
Dass die Zeit uns nicht zu lang wird bis unser Gast kommt, will ich Ihnen sagen, was man in Bayern über unser’n Papst erzählt:
Als der Papst im vorigen September nach Bayern kam, - fundamentalistische Amerikaner nennen das Datum in Anlehnung an ein anderes historisches Ereignis dieses an historischen Ereignissen schon so reichen Jahrtausends 09/11/06, an diesem elften September wurde der Papst vom Flughafen von einem Chauffeur abgeholt.
Auf dem Weg nach Altötting spricht ihn der Papst an, dass er schon lange kein Auto mehr gefahren habe, es gern aber wieder einmal täte. Kurz vor Altötting tauschen beide die Plätze und der Papst gibt Gas. Der Chauffeur bittet den Papst, langsamer zu fahren, doch es ist zu spät! –
Schluss mit lustig!
Zu Ende ist der Witz.
Der Wagen wird geblitzt.
Hinterm Starenkasten erschrickt der Polizist
und ruft die Zentrale an.
‚Du glaubst nicht, wen wir erwischt ha’n!’“
Inzwischen ist Manuel Andrack in die Halle getreten, hat den letzten Teil mitbekommen und mischt sich als Zentrale in Schmidts Vortrag ein: „Verrat uns doch, wer Wichtiges es sei. –
Ist es der Vorsitzende der Partei?“ –
Und Schmidt fährt fort: „Naa, höher noch, ganz eminent!“ –
„Ah, du meinst den Ministerpräsident!“
„Naa! Höher noch und noch bekannter!“ –
„Ich hab’s: du meinst Frau Bundeskanzler!“
„Naa, nicht doch!“, Schmidts Stimm’ wird heiser.
Andrack erst leise:
„Ich hab’s“, dann laut: „Du meinst’ den Kaiser!“
Schmidt, nun scheinbar der Verzweiflung nah, schreit die Zentrale an: „ Nein! Dreimal naa!“
„Beruhig dich doch, guter Mann! – Wer, wenn nicht die, - wer ist’s denn dann?“
„Ich weiß es nicht. Doch! Ich glaub! –
GOTT!“ –
„Zum Teufel, erzähl mir keinen Schrott! –
Was bringt dich in dies Malheur?“
„Zentrale hör:
Der Papst ist der Chauffeur!“
Das Pubikum tobt und Schmidt und Andrack verneigen sich vor ihm.
Als die Menge sich beruhigt hat, flüstert Schmidt seinem Partner etwas zu und der verlässt den Saal.
Doch als er sofort wieder auftaucht ruft Schmidt: „Hier ist unsere allseits geliebte Kanzlerin: -
Frau Angela Dorothea Merkel! –
Hallo und guten Abend, Frau Bundeskanzlerin!“
Andrack nickt und winkt dem Publikum mehrmals freundlich zu. Das Publikum geht auf das Spiel ein und applaudiert. Manuel geht direkt zum Podest und setzt sich auf den freien Sessel neben Schmidts Schreibtisch.
„Guten Abend, Herr Schmidt!“, sagt Andrack. Und das Gespräch beginnt mit einer Überraschung –
für Schmidt. Der stutzt nämlich, als er aufs Manuskript schaut und ruft dann: „Regie, was habt ihr mir hier hingelegt? Das ist doch nicht das Thema ‚SIND SIE MIT IHREM LEBEN ZUFRIEDEN?’“
„’tschuldige, Harald!“, krächzt die unsichtbare Stimme von Beginn der Sendung: „Es sind Fragen, die Frau Will zusammengestellt und mit der Bundeskanzlerin zum Thema ‚SCHWEIGEN’ abgestimmt hat. –
Das Thema ist also auch mit Frau Merkel so abgesprochen.“
„Aber auch, wie ich sehe, mit dem Rheinischen Merkur, wo es heißt, Gott schwätze nicht. –
Muss ich danach vorgeh’n?“
„Ist zu empfehlen“, rät die unsichtbare Stimme.
„Dann wollen wir mal!“, und Schmidt fragt Andrack, was ihr, - der Kanzlerin, - an Bölls Dr. Murkes gesammeltem Schweigen gefalle.
Ob Böll nicht schon lange tot und vergessen sei, setzt Andrack dagegen und Schmidt antwortet, „schon, aber nicht Dr, Murke. Der schaut eventuell nachher noch mal vorbei …“
Andrack lacht ungläubig und antwortet, dass ihr die Leidenschaft eines Menschen gefalle, der im Radio arbeite und Schweigen sammle, denn Schweigen sei eine kommunikative Form, in die man viel hineininterpretieren könne, sofern mit Schweigen fantasievoll umgegangen werde.
Nun beschreibt Schmidt Dr. Murke als Kulturredakteur beim Radio, der die Stellen aus den Tonbändern herausschneide, auf denen nichts gesagt wird.
„Er sammelt Schweigen oder Stille. Beschwieg’ne Stellen, sozusagen. – Tun Sie’s nicht auch?“
Das wär so nicht richtig, meint Andrack. In bestimmten Situationen schätze sie Stille und Verschwiegenheit, doch nicht bei sich! Sie freute sich, wenn sie manchmal still sein könnte. Aber öfter habe sie sich dabei ertappt, dass sie wohl still sein wollte, aber nicht geschwiegen habe. –
Alle gingen wir allzu sparsam mit der Stille um, da die Gesellschaft sehr laut geworden sei.
Dabei sei Ruhe doch seit Goethe erste Bürgerpflicht, wirft Schmidt grinsend ein. –
Und fährt fort:
Ob sie Momente sammle, in denen sie besser geschwiegen hätte?
Der These widerspricht sie.
„’s hätt’ jetzt halt gepasst“, meint Schmidt.
Die Schlagzeile DIE BUNDESKANZLERIN SAMMELE STILLE oder Schweigen erschein’ ihr unpassend: Schön sei ein ausgewogenes Verhältnis von Rede und Schweigen. Wenn Menschen still miteinander umgehen könnten, zeigte dies ein hohes Maß an Vertrautheit, ja Vertrauen.
„Oder man hat sich nix mehr zu sagen“, wirft Schmidt ein.
Andrack lässt sich nicht beirren: Sie kenne Menschen, mit denen sich gemeinsam schweigen lasse. Momente der Stille hätten dann nichts mit Sprachlosigkeit, sondern mit wortlosem Einverständnis zu tun. Solche Augenblicke seien rar und kostbar. Sprechen verflache, wenn es die Verbindung zum Schweigen verlöre. Es gäbe Regionen, die fürs Gerede unzugänglich blieben. Tiefe menschliche Begegnungen könnten sich nur dort ereignen, wo die Grenzen des Sagbaren erreicht würden. Viele hielten gar nicht lange aus, still zu sein oder auch nur, ein bisschen zu schweigen, und so werde einfach vor sich hin geplappert. Insofern meine sie, könnte Stille Ausdruck größter Vertrautheit sein. Aber sie könne sich ein Leben nur in der Stille nicht vorstellen, sie hätte sonst auch nicht in die Politik gehen dürfen.
„Und ich nicht ins showbiz“, ergänzt Schmidt.
Mme. Licard lispelt, so spräche keine Frau.
Wie denn, wollen die Männer wissen.
„Manouel, den Satz mit dem Plappärn wyrde dyrch ein’ Frau etwa so ausgedrouckt: ‚und es wird dann doch sehr laichtfärti(s)ch einfach ätwas vor si(s)ch ’in gesprochen’.“
Andrack bekommt einen trockenen Hals.
Verspürt Durst und greift nach dem Glas Wasser, das auf seiner Seite des Schreibtisches steht. Er trinkt aber nicht und sagt stattdessen:
„Das ist ja gar kein stilles Wasser!
Hat man Ihnen nicht gesagt, dass ich stille Wasser bevorzuge, ja fast ausschließlich nur stille Wasser zu mir nehme?“
„Hat man nicht - und schon gar nicht mir.“
Andrack steht auf und ergreift einen Kugelschreiber, der neben dem Manuskript auf dem Schreibtisch liegt.
Er setzt sich wieder und rührt - ungerührt von dem zugleich erstaunten wie entsetzten Blick von Schmidt - wild in dem Glas herum, um aus dem nicht ganz so stillen Wasser die Kohlensäure zu vertreiben. –
Jetzt hält Andrack den Kugelschreiber hoch.
„Der war aber nicht kostbar, - oder?“, fragt Andrack wie nebenbei, bevor er einen Schluck nimmt.
„Nun, Frau Bundeskanzlerin: -
Doch, das war er! –
Lassen Sie uns besser mit dem Gespräch fortfahren.“ –
Für gewöhnlich könnten wir ihr beim Schweigen nicht zuschauen, meint Schmidt. Frau Will berichte aber, dass es einen solchen Moment gegeben hätte und zwar in der Elefantenrunde am Wahlabend: „Herr Schröder geht sie offen an und Sie sagen kein Wort. Da haben Frau Will und alle, die’s gesehen haben, gedacht, sie wären in einem andern Film. –
War’s so?“
„Na, ich war ja schon im selben Film“, sagt Andrack, zumindest wäre sie parallel anwesend und verwundert gewesen. Dies wäre eine Situation, in der man sich sagte: „Schau’n mer mal, was jetzt passiert.“
Wieder unterbricht Mme. Licard: So spräche kein’ Frau, das sei die Sprache von deutschen Kaisern: „Frauen sprä(s)chen etwa so: ‚Wollen wir doch mal gycken, was jetzt noch passiert’.“
Dies sei aber jetzt vorbei, meint Andrack unbeeindruckt. Es gebe Situationen, da wirkten Stille und Schweigen vornehm.
Schmidt fragt, ob ihr das in solchen Momenten klar werde oder ob sie grundsätzlich Konflikte mit Stillschweigen sanktioniere.
Es läge ihr näher, antwortet Andrack. In nicht erwarteten Situationen hülfe das eingespielte Verhaltensmuster. Da gebe es Menschen, die in besonders spannungsgeladenen Situationen ruhiger würden; und da seien Menschen, die würden dann lebendiger, - „will ich mal so sagen. Alles eine Frage der Veranlagung.“
Sie neige in besonderen Situationen dazu, ruhiger zu werden, nachzudenken. Schmidt habe behauptet, ihr könnte man beim Schweigen nicht zuseh’n. Aber im Fernsehen könnte man ihr beim Stillschweigen immer zusehen – „und für mich sind Sendungen, bei denen ich eingeblendet werde, auch wenn ich still bin, die gefährlichsten. Weil ich nämlich glaube, dass ich zu den Leuten gehöre, denen man ansieht, was sie gerade denken. Es gibt da ja auch dieses Wort vom ‚beredten Schweigen’. -
Was ja auch viel darüber aussagt, dass im Kopf beim Schweigen eine Menge ablaufen kann. Ich finde stille Menschen, die sich trotzdem nicht verstellen, also die nicht zu einer Maske verkommen, interessant; zu beobachten.“
Schmidt wirft nun ein, dass sie am Wahlabend wohl etwas gedacht haben möge, doch gesagt habe sie kaum etwas.
Ob ihr das in dem Moment klar gewesen wäre?
Andrack behauptet, es wäre falsch gewesen, etwas zu sagen, als noch nicht einmal das endgültige Wahlergebnis vorgelegen hatte. In ihrem Leben gebe es immer wieder Situationen, wo es nichts zu sagen gäbe und zunächst die eigenen Gedanken zu ordnen wären.
Schmidt kann sich eine Bemerkung gegenüber dem hohen Gast nicht verkneifen: „Erst sprechen und plappern und dann darüber nachzudenken, was hab ich denn da gerade erzählt, ist nur der zweitbeste und somit schlechtere Weg. Erst denken, dann reden ist der bessere, allemal.“
Er fragt, was sie nun still und kommunikativ vorsichtig habe werden lassen.
Andrack weiß nicht, ob sie vorsichtig ist. Als Kind hätte sie unglaublich gern geredet, sei eine Sabbeltasche gewesen …
So spräche keine Frau, unterbricht Mme. Licard. „Eine fyrnehm’ Dame sagt nicht Sabbértasse sondern Plappérmaul, - viellei(s)cht …“
Schmidt lacht: „Da verwechselst du etwas miteinander:
Der Sabbertasche fließen überflüssige Wörter aus dem Mund, dem Sabbermaul überflüssige Säfte, - hm, - Speichel …“
Andrack will sich nicht unterbrechen lassen von einer Randfigur und wiederholt: Als Kind habe sie viel geredet und sie rede auch heute noch gern. Wenn sie erschöpft sei, plappere sie sehr viel bis zu dem Punkt der totalen Erschöpfung, ab dem sagte sie nichts mehr. Da sei Schweigen und Stille auch Erholung. Dann suchte sie Dinge durch Nachdenken zu lösen. Nachdenken sei Arbeit, selbst wenn man nur so dasitze und ins Leere starre.
Schmidt nickt wohlwollend und zustimmend.
„Womit wollen wir denken, wenn wir nichts mehr im Kopf haben?“
Andrack lässt sich nicht unterbrechen und meint weiter, dass man stille und schweigsame Menschen stets anspräche, selbst wenn es gerade in ihrem Kopf arbeitete, weil man ihnen nachsagte, sie könnten gut zuhören.
Schmidt fragt jetzt, ob und wie viel Verschwiegenheit Politik brauche. Und ob Demokratie nicht viel mehr Öffentlichkeit statt Geheimniskrämerei benötige.
Eine interessante Frage, findet Andrack. „Wer hat wie viel Recht auf was?“ Dürfte ein Politiker schweigen und wenn ja, wie lang und wie viel? Müsste er nicht still arbeiten können? Wie viel müsste öffentlich ausgebreitet werden, fragt Andrack. Alles, was man bespräche, müsste nachher sich vom Ergebnis her vertreten lassen. Aber dass es auf alles, also vom Weg bis hin zur Entscheidung, einen Rechtsanspruch auf Offenlegung gäbe, bezweifle sie.
Ob sie lieber simse statt zu telefonieren.
Andrack hält SMS für ein interessantes Kommunikationsmittel. Es spare Zeit. Leere Floskeln könnten unterbleiben. Zudem müsste der Absender nicht offenbaren, wo er sich befinde. Diese Freiheit gälte gleichermaßen für den Empfänger, der auch selber aussuchen könnte, wann er die SMS anschaue und wann er sie beantworte.
Auf eine entsprechende Anfrage Schmidts gibt Andrack zu, mit Grinsemännchen zu arbeiten.
„Können Sie eigentlich blind schreiben wie etwa unterm Tisch?“, fragt Schmidt.
Andrack antwortet, dass man es zwar behaupte, aber sie könne es nicht. Sie arbeite mit T9, „aber sehend, denn blind kann ich nicht schreiben. Ich danke jeden Tag dafür jenem unbekannten höheren Wesen, welches wir alle verehren, dass ich sehen kann. -
Was soll mir da diese vorgetäuschte Blindheit?“
Schmidt sagt, Frau Will behaupte, man sähe nun, dass sie es wäre, die aus einer Sitzung etwas heraustrüge. Gäbe sie Geheimnisse aus vertraulichen Sitzungen preis? Frau Will glaube auch, es hätte mal eine Situation gegeben, „ in der Sie gesagt haben: Ich war es nicht. -
Oder?“
Solche Situationen gäbe es öfter. Sie gehöre nicht zu den unauffälligen Simsern.
Die unsichtbare Stimme vom Anfang unterbricht das Gespräch und dröhnt: „Der Gast ist da!“
„Wir haben mit dem wunderbaren Dr. Murke angefangen. –
Frau Merkel, wollen wir auch mal einige Sekunden beschweigen, bis Dr. Murke hier ist?“
Andrack tut erstaunt: „Dr. Murke gibt’s wirklich?
Und er lebt noch?“
„Sie werden seh’n! –
Wollen wir nun ein paar Sekunden konzentriert schweigen?“
Für zehn Sekunden herrscht Stille … unterbrochen allein durch das Ticken einer Uhr, die jeder jetzt deutlich hören kann und mit jeder Sekunde wird das Ticken aufdringlicher.
Mme. Licard muss lachen. „Darf frau lachen?“
Andrack schaut streng,
Schmidts Blick will strafen.
Sie schweigen, bis das Publikum unruhig wird, denn ein kleiner, älterer Herr von vielleicht achtzig Jahren betritt den Saal und geht hinter Andrack aufs Podest zu. Als die Hälfte des Weges zurückgelegt ist, spielt die ARD Showband das „Hildebrandtslied“ an …
Andrack dreht sich um und ruft überrascht: „Das ist doch …“
Schmidt fährt ihm ins Wort: „Richtig, das ist der leibhaftige Dr. Murke:
Begrüßen Sie mit mir Dr. Murke!“
Das Volk tobt, dass man nicht hören kann, was die drei auf dem Podest bei der Begrüßung sprechen.
Dr. Murke setzt sich. Applaus und Lärm klingen ab.
Schmidt, eher beiläufig: „Muss die Sendung wie damals die von Prof. Bur-Malottke auch um eine halbe Minute gekürzt werden?“
Dr. Murke: „Sie sollte um wenigstens dreißig Minuten gekürzt werden. Besser noch, sie hätte gar nicht stattgefunden. -
Schneiden sie das Interview heraus!“
Andrack: „Sammeln Sie immer noch Tonbänder …?“
Als die beiden ihn mit großen Augen anschau’n, meint er kleinlaut: „Versteh ich nicht. – Warum soll Frau Merkel herausgeschnitten werden? – Sie glauben gar nicht, wie viel Arbeit es macht, die Wirklichkeit in eine Talkshow zu holen!“
Dr. Murke: „Schäuble hat einige Freunde und andere Kreaturen im Rundfunkrat, die uns mit Sicherheit beobachten. Wenigstens sechs sind von ihm abhängig und von mindestens dreien weiß er was.“
Schmidt: „Und wer weiß was von Schäuble?“
Dr. Murke: „Alle wissen wir was.“
Schmidt: „Was?“
Dr. Murke: „Das weiß keiner so richtig.“
Andrack: „Wissen Sie was?“
Dr. Murke: „Ich weiß nur, dass Schäuble ein guter Freund von ihrer Intendantin ist. -
Aber das auch nicht so richtig.“
Andrack: „Das weiß hier jeder …“
Schmidt: „Und warum sollten wir die Sendung um die Hälfte kürzen?“
Dr. Murke: „Selbst wenn es nicht jedem aufgefallen ist: Es wird behauptet, Frau Bundeskanzler habe gestanden, gelegentlich Beihilfe zum Geheimnisverrat begangen zu haben. –
Herr Schäuble und seine Freunde werden sich die Aufzeichnung sehr gründlich anschauen.
Herr Profalla wird noch etwas blasser werden, als er ohnehin schon ist.
Und Herr Kauder wird vorsorglich die Justiz einschalten …
Die Justiz wird sagen, alles sei Scheiße, aber erst mal wird sie was tun …
Und man sollte sich historischer Vorbilder erinnern, wie etwa, dass der zuletzt viel gelobte Rainer Barzel dem Ludwig Erhard ein Bein stellte und der sich nicht einmal wehren konnte, als ein abgewrackter Nazi sein Nachfolger als Bundeskanzler wurde, dem Vorgänger Filbingers im Schwabenland, wo bis heute die ganz besonders braunen Widerstandskämpfer geehrt werden.
Zum Glück ist Barzel nie Kanzler geworden und Sie erinnern sich des Spruchs, der nach dem Misstrauensvotum gegen Brandt aufkam:
Keiner wäscht Rainer. Rainer muss sich selber waschen.
Den Rücktritt oder Sturz Brandts hat dann dessen eigene Partei besorgen müssen.“
Die ARD Showband spielt „Why don’t we do it in the road”.
Ob er noch einmal in seinem Leben etwas mit “Schweigen” oder “Stille” zu tun gehabt habe, fragt Schmidt.
Ja, aber mehr am Rande, als er Matthias Claudius auf einen der Vorgänger Merkels verarbeitet habe.
Ob das auch auf Merkel ginge?
Nun, Frau Merkel sei so lang noch nicht im Amt, dass ihr eine solche Würde zukomme. „Aber versuchen können wir’s mal“, sagt Dr. Murke und schlägt vor, dass Mme. Licard es versuche.
Und die versucht’s: „Le Monde,
meine Damen ound ’erren,
ounde das mö(s)chte i(s)ch ’ier in allé Offen’eit sagen,
ist aufgegangen …
…
La forrêt steht schwatz und schweiget,
und aus les Wiesen steiget
le blanche Nebel wounderbar.
...“
Mitternacht wird und es ist still geworden um jenes Wesen, das wir alle verehren.
Doch das Wesen, das wir alle verehren, schweigt eigentlich schon immer.