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Das Schwarze Loch
Das schwarze Loch
Frank o´Crow spürte seine innere Unruhe, als er seine Hand ausstreckte um den Knopf des Mikrophons zu drücken.
„Die Silbermöwe erbittet Starterlaubnis.“, stotterte er anschließend zum Kommandostand hinüber. Er spürte, wie stark er schwitzte.
„Startfreigabe erteilt.“, kam es unverzüglich zurück und die Erlaubnis traf ihn, wie ein Peitschenhieb auf den nackten Rücken eines durchgeschwitzten Sklaven.
Frank schaute auf den Boden und im Inneren der Silbermöwe wurde es noch stiller, als es bisher war. Nicht ein Besatzungsmitglied traute sich zu atmen. Diese Totenstille war greifbar, denn es gab kein zurück.
o´Crow und seine achtköpfige Besatzung schlossen die Augen und schickten ein Stoßgebet in den Himmel, als sie das leise Summen des Protonenumkehrgenerators vernahmen. Der Protonenumkehrgenerator war die einzige Antriebstechnik, mit der man ein Lichtjahr in der Stunde zurücklegen konnte.
Frank hoffte, dass er sich den leichten Ruck gerade nur eingebildet hatte. Obwohl er ihn deutlich gespürt hatte, schaute auf den Monitor. Die Maschine rollte auf die Landebahn und startete in wenigen Minuten. Sie konnten nicht mehr entkommen.
„Gehen Sie keine unkalkulierbaren Risiken ein. Ihre Aufgabe besteht nur in der Erforschung, wie unsere Erde entstanden ist. Bei Abweichungen kehren Sie sofort um und kommen zurück.“,ertönte die letzte Anweisung aus dem Tower.
Frank o´Crow blieb ein „Danke“ bereits im Hals stecken. In diesem Moment hasste er es, sich freiwillig gemeldet zu haben. Es war mit Sicherheit die schlechteste Idee, die er haben konnte. Nun aber begaben sie sich auf diese Mission.
Er schaute sich um, aber in den Gesichtern der übrigen Crewbesatzung konnte man die gleiche Unsicherheit ablesen.
Nach nicht einmal fünfzehn Minuten Flug hatten sie so weit beschleunigt, dass der Funkkontakt über die neueste Lichtwellentechnik abbrach. Nach weiteren dreißig Minuten hatten sie die Maximalgeschwindigkeit erreicht.
Bei dieser Geschwindigkeit sollte der Flug bis zum schwarzen Loch in weniger als sieben Stunden vonstatten gehen. Das ergaben jedenfalls die Berechnungen, die sie über die Jahre hinweg mit den neuesten Erkenntnissen angestellt hatten. Bis zu diesem Punkt hieß es warten.
In Gedanken ging er noch einmal alle Schritte durch. Er und seine Mannschaft hatten in den Proben alles bis zum Erbrechen durchtrainiert. Wie sie sich verhalten sollten, sobald sie sich dem schwarzen Loch näherten. Wann sie umdrehen mussten, bis zu welchem Punkt sie es riskieren konnten, weiter in das schwarze Loch vorzustoßen. Alles hatten sie trainiert.
Frank o´Crow fiel ein, dass alles nur in der Theorie stimmte. Niemand kannte die Wahrheit. Niemand konnte behaupten, dass sich eine Singularität zu erkennen gab und wenn ja, wie sich diese wirklich auswirkte. Niemand wusste, ob ihre Geschwindigkeit wirklich ausreichte um einem schwarzen Loch wieder zu entkommen
Das erste rote Lämpchen vor Frank riss ihn aus seinen Überlegungen heraus. An diesem Punkt musste die Silbermöwe verzögert werden. Sie sahen das schwarze Loch noch nicht, durften aber nicht das Risiko eingehen, zu schnell in das schwarze Loch einzutauchen. Die Eintauchphase mussten sie langsam erledigen. Sie mussten sich heran tasten, mussten zur Not in jeder Sekunde bereit sein, volle Kraft auf die Gegentriebwerke zu geben um aus diesem schwarzen Loch wieder zu verschwinden.
Das zweite der fünf roten Lämpchen blinkte.
Die Silbermöwe musste so weit verzögert werden, dass sie nur noch mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit flog. Jedes Teammitglied betrachtete den Monitor vor sich. Sie hofften, bereits etwas sehen zu können. So weit konnte das schwarze Loch nicht mehr sein. Vielleicht ein, maximal zwei Lichtjahre. Eine gigantische Entfernung, aber sie hatten die neuesten Formeln angewendet. Sie hatten berechnet, dass es ein riesiges Loch sein musste. Sobald man es sah, dachte man, man würde in das Maul von einem Wal schauen und selber war man nur eine Laus.
Das dritte Lämpchen.
Das schwarze Loch befand sich weniger als ein Lichtjahr vor ihnen. Zumindest dann, wenn die Berechnungen stimmten, die sie angestellt hatten. Immer noch konnte man Nichts erkennen.
Frank o´Crow schaute noch einmal genauer hin.
„Dort vorne“, sagte er schließlich und wies mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf einen Punkt, der nicht ins Bild passen wollte. Demzufolge war ein schwarzes Loch nicht schwarz. Es war rot. Rot wie ... wie Lava in einem Krater. Kochende Lava kurz vor der Eruption. Erst weiter innen wurde es orange, dann gelb und schließlich weiß, wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Noch war das Raumschiff schneller, als sie es geprobt hatten. Frank stellte alle Triebwerke auf Null und ließ sich nur von der Anziehungskraft leiten.
Das vierte Lämpchen.
Frank und die anderen acht Besatzungsmitglieder starrten nur noch auf diese rote Suppe mit ihrem weißen Punkt, die sich vor ihnen ausbreitete und zu sich zog. Sie waren auf alle Eventualitäten vorbereitet worden, auf eine Temperatur, die heißer sein musste, als die der Sonne nicht. Frank schwitzte nicht, trotzdem bildete er sich ein, zu schwitzen und die Temperatur bereits hier spüren zu können. Die Totenstille in diesem Raumschiff wurde noch angespannter.
Das fünfte rote Lämpchen.
„Weg von hier.“, befahl ein Teammitglied. Frank schaute sich um. Nichts. Er wusste, dass Ralf gesprochen hatte, aber er schaute auch nur starr vor sich hin und betrachtete diesen roten Teppich, auf den ihr Raumschiff unweigerlich zusteuerte. Frank wollte noch mehr Umschubkraft geben, hatte aber vergessen, dass er vorhin nur auf Null gestellt hatte und das Raumschiff nicht schneller als erlaubt war. Die Anzeigeinstrumente zeigten es zumindest so an.
„Wir können es noch riskieren.“, erwiderte er.
Schließlich waren sie dem schwarzen Loch so nahe, wie nie ein Mensch zuvor. Sie bildeten sich ein, es berühren zu können und durchflogen die gleißend weiße Stelle völlig unbeschadet.
Frank und seine Crew jubelten, aber der Jubel blieb ihnen im nächsten Moment in der Kehle stecken. Sie rieben sich die Augen. Sie schlossen sie und kniffen sich in die Wange. Sie versuchten Phantasiebilder aus ihren Gehirnen zu vertreiben, doch der Anblick war immer der Gleiche.
„So muss das Paradies aussehen.“, ergriff Yvonne als erste das Wort.
„Ja“, bestätigte Frank daraufhin: „So muss das Paradies aussehen.“
Frank sah wirklich das Paradies vor sich, aber er konnte es nicht einmal in Worte fassen, so schön war es. Keine reale Welt, nicht einmal eine Welt, die man anfassen konnte. Eine Welt aus Licht, aus verschiedenen Lichtern, die eine Umgebung zeigten. Diese Umgebung vermittelte Friede, idyllisches Leben, Harmonie und ... Stolz.
Jedes Crewmitglied konnte froh sein, solch eine Umgebung gesehen zu haben und doch wusste er, dass niemand der neun Personen, die sich an Bord der Silbermöwe befanden später beschreiben konnte, was sie wirklich gesehen hatten.
Sirenen holten sie aus ihren Betrachtungen. Wachposten erschienen in einer Entfernung von mindestens zehn Kilometern und näherten sich rasch. Eine erste Salve Lasergeschosse wurde auf sie abgeschossen. Ein geschicktes Ausweichmanöver verhinderte, dass sie getroffen wurden. Frank drehte sein Raumschiff herum und gab volle Kraft auf die Triebwerke. Sie wurden in die Sitze gedrückt, hatten es schwer zu atmen und bald viel es ihnen schwer, bei Bewusstsein zu bleiben. Am Ende der Beschleunigungsphase keuchten sie, waren aber am Leben. Direkt hinter ihnen flog ein Raumschiff hinter ihnen her.
Sie versuchten das Raumschiff abzuschütteln, aber dieses andere Raumschiff ließ sich nicht abschütteln. Erst kurz vor der Erde drehte es ab. Frank traute sich, die Silbermöwe zu verlangsamen und schließlich auf der Air Force Base zum Stehen zu bringen. Eine unnatürliche Hitze nahm sie in Empfang, als sie das Raumschiff verließen. Niemand meldete sich, aber das, was einst Menschen gewesen waren, schien ausgetrocknet zu sein. Sie torkelten vor sich hin, fielen um wie die Fliegen und starben.
„Was haben wir nur angerichtet?“, fragte Frank seine Mannschaft.