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Das Schuhgeschäft
Problematik im Schuhgeschäft
Meine Schuhe sind kaputt. Das finde ich ziemlich ärgerlich, schließlich habe ich sie erst gestern neu gekauft. Das kann ja wohl nicht angehen! Ich bringe sie folglich zurück.
Ich gehe die Straße runter. Oder rauf? Egal, das Schuhgeschäft liegt zirka fünfzig Meter weiter auf der rechten Seite. Ich gehe schnell und verschwende keine Zeit damit, mir die Schaufenster anzugucken. Ich habe ja gestern schon genug Geld für neue Schuhe ausgegeben. Und was hat man davon? Ich betrete also den Laden und schaue mich suchend um. Eine Verkäuferin eilt auf mich zu. Sie geht auf die sechzig zu, hat einen fast schulterlangen, blondweißen Bob. Freundliches Gesicht.
„Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?“ Meine Schuhe wieder heil machen, denke ich mir und hebe an, um ihr das Problem zu erklären. Mitten in meinem zweiten Satz dreht die Dame sich plötzlich weg, und fängt eine Unterhaltung mir ihrer Kollegin an, die hinter ihr stand. Etwas jünger, kurze, blond-braun-gesträhnte Haare. Aber die Haare sind mir in diesem Moment ziemlich egal, ich finde die Aktion reichlich unverschämt.
Ich tippe der Dame vorsichtig auf die Schulter. Sie ignoriert mich komplett. Also stelle ich mich vor sie und ihre Kollegin und versuche, ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken. Woraufhin sie anfängt, mich anzuschnauzen. Ich würde ihre Unterhaltung stören. Aha! Und sie stört mein Kaufverhalten. Ich bin doch der Kunde und der Kunde ist König, habe ich immer gelernt. Ich fange also an, ihr so höflich wie möglich den Unterschied zwischen Kaffeekränzchen und kundenorientiertem Service in der Verkaufsbranche zu erklären. Schließlich ist Schuhe verkaufen eine Dienstleistung, oder? Innerlich platze ich, aber ich schaffe es, freundlich zu bleiben. Die Verkäuferin nicht. Die ist einfach nur unverschämt.
Mitten in unserem Austausch von Meinungsverschiedenheiten steht plötzlich ein Mann neben uns. Ich habe gar nicht bemerkt, wie er den Laden betreten hat. Die beiden Klatsch-Verkäuferinnen offensichtlich auch nicht, sie wirken etwas erschrocken. Der Mann gar nicht. Er ist sehr ruhig. Er hat kurz geschnittene graue Haare. Wirkt fast wie ein Armee-Haarschnitt. Und er schaut uns der Reihe nach ruhig an.
Die Verkäuferinnen begrüßen ihn halb unwirsch, halb irritiert. Der Mann jedoch sagt nichts, schaut einfach nur weiter. Ganz helle Augen hat er. Und während er uns so mustert, sagt mir irgendein Instinkt, dass seine Anwesenheit nicht wirklich etwas Gutes bedeuten kann.
Nicht, dass ich sonst sehr gut funktionierende Instinkte hätte. Aber diesmal scheinen sie es gut mit mir zu meinen. Ich behalte Recht. Der Mann bedeutet nichts Gutes. Denn plötzlich zieht er eine Waffe aus der Innentasche seiner Jacke. Ich habe zwar überhaupt keine Ahnung von Waffen, obwohl ich die meisten Quentin Tarrantino-Filme gesehen habe, aber ich vermute mal, dass es irgendein Kleinkaliber ist.
Ich frage mich, was das soll. Für einen Raubüberfall gibt es doch bessere Ziele, als ein Schuhgeschäft! Oder will er sich an irgendjemandem rächen? Aber das denke ich alles nur. Sagen tu ich auch etwas, und zwar zu den Verkäuferinnen. Die haben die Waffe offensichtlich noch gar nicht bemerkt, sie hatten nämlich wieder angefangen, sich weiter zu unterhalten. Von irgendwas getrieben, unterbreche ich die beiden: „Passen Sie auf. Der will uns alle umbringen.“ Ich denke das weniger, es rutscht mir irgendwie aus dem Mund. Und ich schicke einen erschrockenen Blick zu dem Mann.
Er schaut mir direkt in die Augen. Die sind wirklich ungewöhnlich hell. Und kalt. Aber ich schaue zurück. Und sehe aus dem Augenwinkel, dass er die Waffe hebt. Und damit auf mich zielt. Auf meinen Kopf. Er starrt mir dabei weiter in die Augen. Ich starre weiter zurück. Und während ich schon weiß, was nun passiert, drückt er ab.
Hätte ich noch Zeit dazu, ich würde denken, dass sich der Schuss wie der eines Luftgewehrs anhört. Das kenne ich nämlich aus meiner frühen Jugend. Da habe ich mit meinen Cousins ab und zu Dosen mit einem Luftgewehr von einem Holzklotz geschossen. Aber ich habe keine Zeit mehr zu denken. Ich spüre den Einschuss mitten in meiner Stirn und nehme noch wahr, dass mir Blut über meine Augenbrauen tropft. Ich habe den Impuls, zu schreien, aber ich kann nicht. In meinem Kopf wird es warm. Und weich. Die Gedanken kommen zur Ruhe.
Dann falle ich. Keine Antworten auf das Warum.