Was ist neu

Das Schloss

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28.12.2012
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Das Schloss

Blick aus dem Fenster. Der Samstagmorgen war grau. Tropfen auf dem Wagen vor unserem Haus erzählten mir, dass er auch nass sein musste.

Meine sorgsam gepflegte Liste von Argumenten "Warum ich HEUTE nicht joggen gehen kann", hatte gegen mein schlechtes Gewissen verloren.

So trabte ich langsam und allein zwischen den Häusern unserer Straße auf die bewaldete Flanke des kleinen Berges in der Nähe zu.

Der Weg war neu - jedenfalls für mich. Ich wohnte noch kein halbes Jahr in der Gegend und kannte daher nur die Durchgangsstraßen, durch die ich alltags mit meinem Auto hastete.

Die Straße stieg leicht an und bereitete mich auf die Steigung am Berg vor.

"Friedhof" stand auf einem schlichten Schild in Pfeilform. Das versprach Abgeschiedenheit und geordnete Verhältnisse - Steine, Kiesel, Hecken und ein paar gütige Bäume, die den “Hof” in viele kleine, gemütliche Ecken zerbrechen.

Frohen Mutes lief ich darauf los. Immer schön auf den Fußballen, nicht mit den Hacken zuerst auftreten. In der Schule der Jogging-Ausreden war auch das Kapitel "Ich will nicht durch falsches Laufen meine Gesundheit ruinieren" nicht ausgelassen worden. Und so hatte ich mich vor dem ersten Schritt mehrere Wochen lang ordentlich schlau gelesen.

Inzwischen war der Friedhof in Sicht gekommen. Als ich die Stufen zu den Gräbern hinaufstieg, verschwanden mit den heraufkommenden Grabsteinen die Häuserreihen hinter mir.

"Auf einem Friedhof darf man nicht joggen!", überzeugte ich mich und nutzte die Gelegenheit eine Weile gemütlich zu gehen. Namen Verstorbener zogen an mir vorbei. Ich dachte darüber nach, wie viel es die Hinterbliebenen gekostet haben muss, solch schöne Grabsteine aufstellen zu lassen. Beraube ich nachfolgende Joggergenerationen dieses Ge(h)dankenfensters, wenn ich mich einäschern lasse?

Da lag der Friedhof auch schon hinter mir.

Der jetzt beginnende Weg musste hier schon seit Jahrhunderten seinen Anfang haben, denn die Steine des Pflasters waren alt und ausgetreten.

Ich vergaß das Laufen und ging interessiert weiter. Äste hingen in den Weg hinein. Zur Rechten und zur Linken hatten sich Gräser und Sträucher bereits daran gemacht, alles zu überwuchern. Wie ein leiser Reißverschluss zog sich das Gestrüpp langsam über der alten Straße zu.

Weiter hinauf trugen mich meine neuen Turnschuhe. Einige mehr oder weniger süße Brombeeren fielen mir am Wegesrand zum Opfer, als mir zwischen den Ranken ein fast verwachsener Stufenweg ins Auge fiel. Neugierig blieb ich stehen und schaute mir den Eingang an. Ein kleines Tor - mehr ein Hinweis, denn ein Hindernis - hatte einst hier gestanden. Allerdings war es inzwischen fast zerfallen und hing offen an einem Scharnier in seinen Angeln.

Die alte Steintreppe dahinter sah stabil aus und war unter den Blättern der Jahre und den in den Ritzen sprossenden Halmen gut zu erkennen. "Wie lange wohl schon niemand hier hinaufgestiegen ist?", fragte ich mich. Ein Flecken Erde, der nicht gewartet, vermessen, bewertet und gestresst wird.

Vergessen. Das war die richtige Beschreibung für den Weg und seine Erbauer. Vielleicht lagen alle, die von diesem Weg wussten, unter den Grabsteinen da hinten? Das war Motivation genug. Ich stieg vorsichtig die Stufen hinauf, versuchte so gut wie möglich den Ästen und Zweigen der Sträucher sowie verwachsenen Obstbäumen auszuweichen.

Eine mit Moos überzogene, aber massiv wirkende Mauer erschien zwischen dem nassen Grün. Sie funktionierte auch nach all den Jahren noch tadellos - ich konnte nicht weiter. Fest entschlossen, diese Anlage, welche bestimmt schon seit dem Krieg nicht mehr betreten wurde, zu erkunden, drückte ich mich an der Mauer entlang.

Ich malte mir aus, wie verwildert der Garten hinter der Mauer im Laufe der Jahren sein musste. Wie er wohl früher von Gärtnern gepflegt aussah? Oder fand ich ein Haus dahinter vor? Ein altes Herrenhaus mit vielen dunklen Fenstern und einer zweiflügeligen Tür, die sich entweder laut knarrend öffnet oder staubend zusammenbricht, wenn man sie aufdrückte.

Ich bog um eine Ecke, da sah ich es: Das Schloss!

Es hing an einem Gittertor und war niegelnagelneu...
Es fing wieder an zu regnen.

 

Hallo Piepton!

Deiner Geschichte gelingt es, die Fantasie des Lesers anzuregen. Auch ich male mir aus, wer es sein könnte, der das neue Schloss angebracht hat. Ich glaube, deine Geschichte steht in einer langen Tradition: Ihr liegt das uralte Motiv des genius loci zugrunde.

In vorchristlichem, naturreligiösem Weltempfinden war der genius loci der Beschützer eines Ortes, und zwar eines Stücks vom Menschen unberührter Natur, eines Waldes, heiligen Haines oder Sumpfes. Oft war dieser genius loci eine Schlange, die dem Menschen gefährlich wurde, wenn er Raubbau an der Natur trieb, zum Beispiel Wälder rodete, exzessiv jagte oder systematisch Waldfrüchte sammelte - die Brombeeren, an denen dein Ich-Erzähler sich vergreift, sind solche Waldfrüchte, sie erinnern an die verbotene Frucht in einem vom Menschen nicht verschandelten Naturparadies. Wer immer nun in deiner Geschichte das neue Schloss angebracht hat, dürfte jemand sein, der ein Stück Natur beschützen will, also auch so eine Art genius loci, wenn auch keine Schlange - deine Kurzgeschichte ist ja kein Märchen, aber märchenähnlich.

Ein faszinierender Text!

Grüße
gerthans

 
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Hallo Piepton,
Willkommen auf kg.de
Leider muss ich einen Gegenpol zu gerthans setzen.
Was von ihm so poetisch als genius loci dem Text entnommen wird, ist für mich leider nur der lange Anfang einer Geschichte, die gerade da, wo sie spannend werden könnte, schließt.

Ich komm vom Horror, vielleicht mag ich auch einfach nur Geschichten, die Hand und Fuß und einen spannenden Verlauf haben, vielleicht trennt uns das. Ich will unterhalten werden oder nachdenken, dann aber über ein bestimmtes konkretes Problem.
Ich persönlich fühle mich von solchen Enden immer im Regen stehen gelassen, sie drücken sich für mich um die eigentliche Geschichte.
Und das liegt nicht, um Missverständnissen vorzubeugen, an dem offenen Ende, sondern an dem bestimmten offenen Ende.
Und was gerthans alles aus deiner Geschichte rausliest, mmhhh, das empfinde ich als sehr allgemein. Und nur weil da ein paar Bombeeren genascht werden?

Also mich würde es schon interessieren, was du dir gedacht hast mit deinem Schloss. Eine Naturschützerstory kann ich da jedenfalls nicht rauslesen oder eben so wie alles mögliche andere auch. Eine Selbstfindung? Das Schloss als Symbol für den Neubeginn des neu hinzugezogenen Helden? Undsoweiter.
Ich glaube, das ist eben das Schwierige an solchen kurzen Geschichten, dass man alles rauslesen kann oder nichts.

Zum Stil: Da sind ein paar nette Sachen drin, aber auch einiges, was mir in dem Zusammenhang übertrieben vorkommt.
Übrigens auch noch ein paar Komma- und sonst. Rechtschreibfehler.

Meine sorgsam gepflegte Liste von Argumenten "Warum ich HEUTE nicht joggen gehen kann." hatte gegen mein schlechtes Gewissen verloren.
Anbei: Kein Punkt vor den Anführungszeichen
Die Stelle mochte ich, das ist so nett dem üblichen Joggerleben abgeguckt. Bei den Ausreden ist man ja immer sehr kreativ. :)


Ich vergaß das laufen und ging interessiert weiter. Äste hingen in den Weg hinein. Zur Rechten und zur Linken hatten sich Gräser und Sträucher bereits daran gemacht die Fahrbahn zu überqueren. Der Reißverschluss des Lebens zog sich langsam über das tote Bauwerk zu.
Wenn Gräser und Sträucher die Fahrbahn überqueren, dann sind sie irgendwann drüben und somit auch wieder weg. Das hat das Überqueren so an sich. Da gebrauchst du ein Wort falsch. Du meinst: überwuchern
Und "der Reißverschluss des Lebens" ist schon sehr übertrieben für die profane Tatsache, dass da eine Straße zuwuchert.
Da muss man beim Schreiben unbedingt aufpassen: Niemals ganz alltägliche Vorgänge durch furchtbar ernste Bilder und Symbole überfrachten. Das wirkt sehr überhöht und der Sache nicht angemessen. Kann sogar ungewollt komisch wirken, was ja nicht in deiner Absicht lag.
Außerdem müsste es heißen: dem toten Bauwerk
Aber Bauwerk würde ich es auch nicht nennen an deiner Stelle, es ist eine Straße und kein Bauwerk.

Mal soviel. In der Hoffnung, du kannst mit den Anmerkungen was anfangen.
Viele Grüße
Novak

 

Tag piepton,
Vom Titel her bin ich von einem Schloss, dem Bauwerk, und nicht dem Torschloss ausgegangen, weshalb mich das Ende etwas amüsiert hat. Es erinnert an den Beginn eines Märchens, was du mit dem spontanen Ende und der Aufschlüsselung, dass es sich hier um ein Funktionsteil und nicht um ein Herrenhaus handelt, entzauberst. Ist im Prinzip keine schlechte Idee, jedoch hätte man in diesem Fall noch mehr Phantasie des Protagonisten einbringen können, damit die Ent-täuschung des Lesers noch mehr ins Gewicht fällt.
Liebe Grüße und weiterhin gutes Schreiben.

 
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Salü gerthans,
hallo Novak,

danke für das Feedback. Ich habe die herrlich überspitze Stelle mit dem "Reißverschluss des Lebens" entschärft und die Gräser "überqueren" jetzt auch nicht mehr die Staße. Gute Hinweise.

Was den Sinn der Geschichte angeht - so finde ich grade im "Nichtzeigen" der Lösung den Reiz. Wie früher in den Stummfilmen, in denen das Monster nicht gleich in HighDefinition gezeigt wurde, sondern nur sein Schatten, oder ein sich langsam mit Regenwasser füllender Fußabdruck...
Was der menschliche Geist aus solchen "Happen" macht ist oft viel spannender, als wenn es ihm fertig präsentiert wird.

Um Dir Novak eine Antwort zu geben - ich dachte bei dem "Schloss" an die Sehnsucht nach dem Unbekannten (Was ist hinter der Mauer? Entdecke ich etwas Verschollenes?), die durch etwas unscheinbares, profanes in einem Augenblick zerstört wird.
Natürlich ist das Gelände hinter der Mauer nicht mehr mysteriös und verwunschen, wenn jemand hier vor kurzem ein Vorhängeschloss angebracht hat. Ich bin nicht mehr der Erste auf diesem "Berg".

Außerdem spielte ich mit der Erwartungshaltung. Ich nehme an, die meisten gehen von einem Schloss im Sinne eines alten, festlichen Gebäudes aus. Der Satz

Es hing an einem Gittertor.
war der Dreh und Angelpunkt des Effektes. Ein Stolperstein der Dich denken lässt: "Was? Kein RICHTIGES Schloss mit Türmen und Graben - sondern ein blödes Vorhängeschloss?!"

Aufbauen und selbst niederreißen. Das geht nicht nur mit Holzklötzen sondern auch mit Stimmungen. Das hier am Ende eine Ernüchterung steht tut mir leid. Ich hätte auch lieber ein uraltes, brüchiges und unversehrtes Siegel an dem Tor gefunden, als ein neues Vorhängeschloss.

Die Geschichte ist nur ein kurzer Gedanke gewesen. Eine Art Testballon. Wie kommt meine Art zu schreiben an? Kann ich damit Menschen erreichen? Habt Ihr sie zuende gelesen oder mittendrin aufgehört?

Bezüglich gerthans Gedankengang mit dem "genius loci": Interessanter Ansatz. So habe ich das noch garnicht gesehen. Denkt man ihn weiter, teilt sich die Aufmerksamkeit... Was ist hinter der Mauer? Wer hat den Weg verschlossen? Wo ist derjenige, der den Weg versperrt hat?... Ich halte einen Moment inne und während ich das Schloss betrachte denke ich "Sind das da Blicke, die ich auf meinem Rücken spüre?" ...

 
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Hallo da draußen,

ich habe den Text überarbeitet und schon ein PM an Makita und Tserk geschicht. Die sind wohl im wohlverdienten Urlaub.

Fallen Euch noch Grammatik/Rechtschreib/Zeichensetzungs-Fehler auf?

Ciao
PiTo

 

Hallo,
weil dein Text schon angenehm korrigiert wirkt, hab ich es noch mal durchgeguckt.
Das hier habe ich noch gefunden:


Ich wohnte noch kein halbes Jahr in der Gegend und kannte daher nur die Durchgangsstraßen, durch die ich Alltags mit meinem Auto hastete.
Das wird hier als Adverb gebraucht, also klein: alltags.

In der Schule der Jogging-Ausreden war auch das Kapitel "Ich will nicht durch falsches Laufen meine Gesundheit ruinieren." (Kein Punkt hier) nicht ausgelassen worden.
Da kann ich dir keine Regel anbieten auf die Schnelle, aber der Satz ist ja hier mehr wie ein Titel verwendet, daher würde ich keinen Punkt vor die Anführungszeiche setzen.

Inzwischen war der Friedhof in Sicht gekommen. Als ich die Stufen zu den Gräbern hinauf stieg, verschwanden mit den heraufkommenden Grabsteinen die Häuserreihen hinter mir.
hinaufsteigen im Sinne von besteigen: zusammen. Also: hinaufstieg

"Auf einem Friedhof darf man nicht joggen!" (KOMMA) überzeugte ich mich und nutzte die Gelegenheit eine Weile gemütlich zu gehen.

Äste hingen in den Weg hinein. Zur Rechten und zur Linken hatten sich Gräser und Sträucher bereits daran gemacht KOMMA alles zu überwuchern.

Wie ein leiser Reißverschluss, (Kein Komma) zog sich das Gestrüpp langsam über der alten Staße zu.
Mit dem Reißverschluss hab ich immer noch meine Probleme. Aber das ist momentan egal. Rest siehst du.

"Wie lange wohl schon niemand hier hinauf gestiegen ist?", fragte ich mich.
hinaufgestiegen

Eine mit Moos überzogene, aber massiv wirkende Mauer, (KEIN KOMMA) erschien zwischen dem nassen Grün.

Ein altes Herrenhaus mit vielen dunklen Fenstern und einer zweiflügeligen Tür, die sich entweder laut knarrend öffnet oder staubend zusammenbricht, wenn man sie aufdrückte.
Keine Rechtschreibfehler, ich denke, du hast das Präsens hier extra verwendet? Falls doch nicht, ...

Ja und ansonsten kann ich dir nur empfehlen, ein bisschen Geduld zu haben.
Makita oder Tserk werden sich melden.
Viele Grüße
Novak

 

Bis auf wenige Fehler okay. Zurück nach Alltag und entschuldige bitte die Verspätung.

 

Feedback

Ojemine, was für Lücken in der Kommasetzung tun sich da bei mir auf! ;-)
Naja, ein paar Regeln zu pauken kann nicht verkehrt sein.
--

Schnell einen Themenwechsel aus der Tasche gezogen...
Ich freue mich immernoch über Feedback von Lesern.
Nicht, dass ich Alles gleich ändere, aber ich interessiere mich für Eure Meinungen und Geschmäcker. Je mehr Feedback, desto besser.

Ciao PiTo

 

Hi, ich noch mal, ich hab deine Änderungen alle gesehen und mich gefreut. Find ich gut, wenn jemand an seinen Geschichte arbeitet.

Wollte dir noch den Tipp geben, dass es immer gut ist, selbst zu kommentieren, dann erhält man in der Regel selbst auch mehr Kommentare.
Du hattest ja geschrieben, dass du dich über feedback freust. Verständlicherweise. Der Punkt ist ja, dass jeder seine Geschichte einstellt, weil er feedback will. Daher mein Tipp. Er klappt.
Viele Grüße und ... Lass es dir gut gehen.
Novak

PS: Du warst schneller als ich mit meinem Tipp. Ich musste lachen, als ich deinen Komm sah.

 

Hallo Piepton,

ich begrüße dich ebenfalls in unserem Kreis. Ich wünsche dir viele kreative Ideen und unzählige Kommentare von unseren Dichterkollegen. Ich bin seit Anfang Januar dabei. Ich gebe dir gerne einige Kommentare zu deiner Geschichte.

Die Atmosphäre in deiner Geschichte hat mich von Anfang an eingenommen. Ich bin quasi mit gelaufen. Die Schilderung des Friedhofes kann ich nachvollziehen. Ich gehe selbst hin und wieder gerne auf unseren Friedhof.

Bei deinem Layout sind mir die kurzen Absätze aufgefallen. Ich habe den Rat bekommen, dass ich nicht so ausgefranste Absätze schreiben solle. Seitdem achte ich darauf, dass ich zusammenhängende Gedanken in größere Absätze zusammenfasse. Meine Textbilder gefallen mit jetzt selbst besser.

Ich komme noch einmal zurück zur Story. Die Wendung mit dem Vorhängeschloß finde ich kreativ. Ich hatte auch ein Schloßgebäude erwartet. Und ich hätte gerne noch ein paar Blicke durch das Gittertor geworfen.

Ich bin gespannt, welche Geschichte dir als nächste einfällt.

Liebe Grüße. Sabine.

 

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