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Das Schiff
Diese Geschichte wurde überarbeitet und weiter unten im Thread nochmal gepostet.
Wir befinden uns in der Zeit der Dämonen, Hexen, Seuchen und Drachen. Dem Mittelalter.
Kriege und andere Schrecken zogen durchs Land, als ein kleines Boot auf offener See ihrem Schicksal entgegensegelte.
Der Himmel war pechschwarz. Ab und zu zuckten Blitze durch die Wolkendecke, gefolgt von einem grollenden Donner. In einem solchen Moment sah Garion eine riesige Welle auf sich zurollen. Seine Reaktion kam zu spät. Die Welle erwischte ihn mit voller Wucht und ließ ihn über das Deck schlittern. Er prallte hart gegen die Reling und blieb bewusstlos liegen.
Ein paar Stunden später wachte er auf. Er hatte ein Rauschen im Ohr, sein Rücken schmerzte. Und er hatte Hunger. Offensichtlich waren sie nicht gekentert. Er wünschte fast es wäre so. Seine Frau und er hatten seit Tagen nichts mehr zwischen die Zähne bekommen. Auf einmal saß er kerzengrade im Bett. „Vella“ schrie er und raste durch die Tür. Er hechtete hoch und – da stand sie unversehrt an den Masten gelehnt und schaute auf die nun ruhige See hinaus. Sie hatte langes, dunkles Haar, das ihr ins Gesicht wehte. Durch ihre ausgelaugte, magere Figur viel gar nicht auf, wie klein sie eigentlich war. Garion eilte erleichtert zu ihr herüber. „ Mein Gott, hatte ich gerade einen Schrecken bekommen. Ich dachte schon du wärst über Bord gegangen bei dem Sturm Gestern.“ Vella drehte ihren Kopf und schaute ihn verwundert an? „Sag mal, kannst du dich vielleicht daran erinnern, wie du gestern auf deine Pritsche gekommen bist?“ „nein.“ „kannst du auch gar nicht. Ich musste dich nämlich da raufhieven, weil du vorher bewusstlos auf dem Deck hin und her geschlittert bist. Fast wärst du über Bord gegangen.“ Auf Garions Gesicht machte sich ein breites Grinsen bemerkbar. „Warum grinst du so?“ fragte Vella. „Schau doch mal in die Richtung“, sagte er und zeigte mit dem Arm nach Osten.
Wenn man sich anstrengte konnte man die Umrisse eines relativ großen Segelschiffes erkennen. „Lass uns versuchen ihm den Weg abzuschneiden“, sagte sie mit unruhiger Stimme Schweigend machten sich beide daran die Segel zu hissen und den Kurs zu ändern. Das Ehepaar war eigentlich auf dem Weg in das gelobte Land. Weg vom Krieg und all dem Grauen, das sie hinter sich lassen wollten. Nun waren sie schon mehrere Monate unterwegs. Mehr als sie eingeplant hatten. Die Nahrung war entweder verfault oder den Ratten zum Opfer gefallen, die jetzt mit zum Speiseplan gehörten. Auf die Krankheitserreger, die die Ratten von Zuhause eventuell in sich hatten, konnten sie keine Rücksicht mehr nehmen.
Das Schiff kam näher. Man konnte nun schon erkennen, dass die Segel eingeholt waren und das Schiff sich von der Strömung treiben ließ. Garion bekam einen Schrecken. Die schwarze Flagge war gehisst. Nein, keine Piraten. Es war die Seuchenflagge, die nur bei absoluten Notfällen gehisst wird. In so einem Falle darf kein anderes Schiff sich nähern oder gar an Bord kommen, sonst könnte sich die Seuche verbreiten. Garion überlegte. Vella gab ihm zu verstehen, dass sie es riskieren wolle. Es blieb ihnen auch keine andere Wahl. Entweder sie versuchten sich dort ein wenig Nahrung zu erbetteln und nahmen die Risiken in Kauf oder sie würden früher oder später verhungern.
Als das Schiff so nah kam, dass man eigentlich schon Leute darauf erkennen müsste, wurde Garion ein wenig mulmig zumute. Es war so still dort. Eine unheimliche Aura umgab das Schiff. Obwohl Garion keine größeren Schäden entdecken konnte, wirkte es irgendwie tot. „Hallo, ist da wer?“ rief Vella hinüber. „Kann mich irgendeiner hören?“ Nein, das konnte keiner. Es war nämlich keiner da. Garion überwand sich schließlich, warf einen Haken hinüber und zog das Schiff näher. Eigentlich zog er sein Boot näher als das Schiff, das war nämlich bedeutend größer. Deswegen mussten sie sich auch an dem Seil hochziehen um an Deck zu kommen.
Oben angekommen schauten sie sich erst einmal um. Erste Witterungseinflüsse machten sich hier und da bemerkbar. Das Schiff musste wohl schon länger auf dem Meer herumirren. Ein richtiges Geisterschiff. Sie gingen hinunter in das Schiffsinnere. „Mein Gott ist das hier dunkel“, flüsterte Vella. „Ja, man sieht die Hand vor Augen nicht. Und die Luft ist so trocken.“ Der Boden knarrte unter ihren Füßen. „Lass uns umkehren und Lampen holen“, sagte Garion nun etwas lauter, um die unheimliche Stille zu verdrängen. „Halt, warte mal.“ Vella hatte eine Lampe entdeckt, die sie sogleich entzündete.
Ein erstickter Schrei drang aus Vellas Brust. Mit geweitet Augen lief sie raus. Garion blieb wie angewurzelt stehen. Keine Zombies, keine Dämonen oder andere Ungeheuer. Überall lagen Skelette. Nicht wirr auf einem Haufen, oder auf dem Boden verstreut. Sie mussten wohl direkt in den Schlafraum gegangen sein, denn die Skelette lagen alle auf Pritschen, als hätten sie sich eben erst dort hingelegt. Der Gedanke durchfuhr Garion wie ein Blitz. Er sah sie schon aufstehen, um sich auf ihn zu stürzen und ihn zu zerfetzen. In Panik lief er aus dem Raum. An Deck traf er auf Vella. Er versuchte seine Angst nicht zu zeigen, aber sein bleiches Gesicht und seine Augen sprachen Bände.
Sie kehrten wieder zu ihrem Schiff zurück und warteten, jederzeit bereit sofort zu verschwinden, falls die Skelette doch zum leben erwachen um sich über sie herzumachen.
„Wahrscheinlich sind diese Leute der Reihe nach einer Seuche zum Opfer gefallen“, vermutete Garion. „Also ich würde ja meine Toten ins Wasser werfen anstatt auf Pritschen zu legen, um zu verhindern dass sich noch mehr anstecken. Ich vermute ja mal nicht, dass alle gleichzeitig krank geworden sind“, entgegnete Vella. „Ja, irgendetwas stimmt da nicht.“
Als sich nach einem halben Tag immer noch nichts rührte, gingen sie noch mal auf das Schiff und erkundeten es näher. Sie fanden einen Sack Reis. Das komische wahr jedoch, dass noch andere Lebensmittel dort waren. Zwar verdorben, aber sie waren da. Doch ohne darüber nachzudenken, warum die Menschen schneller verrottet waren als die Lebensmittel, nahmen sie den Reis mit. Sie waren glücklich, dass sich der Umweg zu diesem unheimlichen Schiff doch noch gelohnt hatte und sie nun keinen grausamen Hungertod erleiden mussten.
Drei Tage später.
Garion wachte auf. Er fühlte sich komisch. Nicht krank oder so, auch nicht schlapp. Halt komisch. Als wenn etwas nicht stimmen würde. Er stand auf und sah auf sich herab. Seine linke Hand hatte kein Fleisch mehr. Er konnte den blanken Knochen sehen. An seiner anderen Hand fehlte bereits ein Finger. Er ging zu seiner schlafenden Frau herüber. Ihr fehlte eine Brust. Stattdessen konnte er durch die Rippen ihr gleichmäßig schlagendes Herz sehen.
Sie hatten nicht mehr viel Zeit.
[Beitrag editiert von: Drumsmasher am 05.04.2002 um 11:59]