Das Schaf
Das Schaf
Ich bin jetzt eine Singlefrau. Erfolgreich im Job, mit toller Wohnung und einer Katze. Im besten Alter kann man sagen, schon etwas von einer reifen Frau, dieses gewisse „Ich nehme mir was ich will“ in den Augen, aber doch noch eine sehr jugendliche Ausstrahlung, besonders wenn ich lache und meine makellosen Zähne zeige. Ich bin auch schlank und meine langen Haare sind schön. Keine Kinder, die mir am Wochenende den Schönheitsschlaf rauben. Einmal in der Woche lasse ich meine Beine depilieren, und zweimal wöchentlich schwitze ich in einem hautengen Top mit siegessicherer Miene neben gutaussehenden Kraftpaketen am Laufband. Ich werde bemerkt.
Meine teuren Jeans sitzen perfekt, meine Schuhe kosten ein Vermögen, und an der Handtasche merkt man, dass ich eine Frau von Welt bin.
In verrauchten Bars sitze ich lässig mit überschlagenen Beinen am Hocker, rauche Cartier und trinke nur Martinis. Das habe ich in einer Fernsehserie so gesehen. In dieser Serie führen die erfolgreichen Singlefrauen ihr Opfer immer gut sichtbar für die neidvolle Menge ab und leben dann ihr erfülltes Singleleben für eine Nacht damit aus.
Das habe ich noch nicht gelernt. Die gute Ehefrau sitzt mir noch im etwas steifen Nacken.
Ich hatte das letzte Mal vor einem Jahr Sex. Ich hatte nie einen Orgasmus in meiner Ehe. Und für Selbstbefriedigung bin ich zu rationell, überlege immer genau, was und wie ich es mache, reibe und drücke und quetsche meine Finger rein, aber es passiert nie etwas.
Das letzte Mal, dass ich so was wie erregt war, war beim Zahnarzt. Das Ausgeliefertsein an die schwarzbehaarten Unterarme, die in mir herumstochern, hat mich angeturnt. Ich wünschte mir, er würde mich in Halbnarkose versetzen, um mich in Ruhe niederzuficken. An das Gesicht des Zahnarztes kann ich mich nicht erinnern, nur an den Geruch seines frischgestärkten Ärztekittels.
Ich begutachte die Anwärter für die Lücke in meinem schillernden Leben, und entscheide mich für den Besitzer einer Metzgereikette. Wohlhabend, mit gutem Auto und ein sogenannter Gesellschaftstiger. Meine Feuerprobe soll außerhalb des Reviers stattfinden, also verabrede ich mich mit ihm in einem kleinen tschechischen Dorf über der Grenze. Dort kennt uns niemand.
Wir verbringen den Tag gemeinsam, spazieren im Wald herum, sehen fette Weidekühe, bewundern die Landluft und wärmen uns danach für Stunden in einem Kaffeehaus auf. Er hat blaue Augen und spricht gerne über sich und seine Segelturns. Das macht es mir leichter, so brauche ich nicht von den fünf Jahren erzählen, in denen ich Hemden gebügelt habe und noch nicht wusste, wie man lässig auf Barhocker klettert. Sein Körper ist eher gedrungen, mit einem Stiernacken und sehr kräftigen Armen. Ich denke an meine Aufgabe. Schlage ihm vor, dass wir uns in einer Stunde in der Hotelhalle treffen. Ich habe getrennte Zimmer bestellt, für alle Fälle.
In meinem Hotelzimmer bereite ich mich vor. Ich lasse meine Locken lufttrocknen, im Stile von Pretty Woman, rasiere mich zwischen den Beinen und wähle die dunkellila Unterwäsche mit den BH-Einlagen und dem Stringtanga. Vamps haben große Brüste, ich nicht. Hoffentlich bemerkt er nicht, dass mein Hintern etwas schlaff wirkt. Ich denke an ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird und blöke ihn fast in der Hotelhalle an, als er mit seinen Stahlaugen meine Beine mustert.
Nach einer Flasche Wein beim Essen und fünf Drinks im verrauchten Jazzkeller bin ich unwiderstehlich. Ich versuche gar nicht mehr mich zu erinnern, wie ich das früher gemacht habe, sondern setze jetzt einfach voraus, dass er bemerkt hat, wie verführerisch ich bin. Als ich mich beim Tanzen an ihn klammere, um nicht umzufallen, versteht er das als Aufforderung, und hält mich mit seinen Fleischhauerhänden fest. Seine Zunge sucht sich ihren Weg in meinen alkoholverpesteten Mund und lässt mich nicht mehr los. Bereitwillig lasse ich mich von ihm nach draußen führen, wo er mich gegen eine Wand stellt und abknallt, nein, abknutscht. Ich torkle etwas, bin aber noch immer standfest, denn ich weiß dass ich auf dem Weg zu einem schillernden Singledasein bin.
In seinem Zimmer stehen wir uns gegenüber, und ich bete innerlich, dass er es sich jetzt nicht noch anders überlegt. Meine Kolleginnen wissen schließlich schon von meinem Ausflug aufs Land, den ich in der Abteilungssitzung so nebenbei mit einem verruchten Grinsen erwähnt hatte. Ich darf sie nicht enttäuschen.
Also lasse ich mich auf das Bett fallen, er lässt sich auf mich fallen. Er ist schwer. Mein Exmann war viel leichter. Ich habe keine Ahnung wie er es schafft so schnell meinen dunkellila Tanga auszuziehen und sich unter meinen Rock zu schieben. Was wenn er kein Kondom zur Hand hat, was sagt frau in solchen Momenten, ohne gleich alles zu zerstören. Das haben sie im Fernsehen nie gezeigt. Aber er zaubert es irgendwie schon drauf, und ist schon in mir drin. Schon ist es fast wieder vorbei. Er stöhnt. Ich stöhne auch, weil er so schwer ist.
Toll dieses Singleleben. Ich bin stolz auf mich.
Das Kondom ist gerissen. Er schwört mir, dass ihm das vorher noch nie passiert ist. Mir auch nicht, weil in meiner Ehe brauchte ich keine Kondome. Ich rechne nach, und stelle fest, dass ich jetzt wahrscheinlich schwanger bin. Der Duft von Windeln weht mir aus einer Ecke meines Singlefrauseins entgegen. Das war es dann wohl.
Ich drücke die ganze Nacht kein Auge zu. Frühmorgens krieche ich raus, und gehe in die nächste Klinik, eine Landklinik.
Die Gynäkologiestation ist totenstill und die Zeichnungen des Geschlechtsapparates an den Wänden erinnern mich an meine frühen Albträume nach dem Biologieunterricht. Der Stuhl, auf dem ich meine Beine auseinander schlagen muss, ist aus Metall und stammt wahrscheinlich noch aus der UDSSR. Ich will meine Beine nicht öffnen, will ja nur diese blöde Pille danach. Die Ärztin spricht nur tschechisch. Ich spreche nur Deutsch. „Kondom, kaputt“. Sie versteht, gibt mir die rettende Verschreibung und entlässt mich aus der Horroranstalt.
Ich stürze zum nächsten Bus, weg von meinem Lover, weg von der frischen Landluft, und will nur mehr nach Hause, in mein leeres Ehebett. So ist das also; kleine Sünden werden sofort bestraft, würde meine Mutter jetzt sagen. Es ist verdammt hart, ein Single zu sein.
Morgen gehe ich zum Zahnarzt.