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Das Samstagabendbad
„Irgendwo hier muss das Ding doch sein!“, raunte Emerald und schob seine Hände tiefer in die Sockenschublade. Seit einer halben Stunde kramte er jetzt schon in den Kommoden des Schlafzimmers herum. Shorts, BHs und einzelne Socken, ursprünglich sauber und akkurat zusammengelegt, hingen jetzt als Zeugen seiner Suche unordentlich aus den Schubkästen.
„Ah! Gott sei Dank! Da ist er!“
Emerald nahm den kleinen Aluminiumzylinder und lief ins Badezimmer. Schnell zog er die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloss. Den Zylinder legte er beinahe behutsam auf den Hocker neben der Badewanne.
Klickend schaltete die Automatik den Wasserhahn ab, da das Badewasser den angegeben Füllstand erreicht hatte. Er nahm eines der großen Handtücher aus dem hohen Schrank in der Ecke und warf es in hohem Boden auf die Granitfließen am Fuß der Wanne. Hose und Socken waren schnell ausgezogen, das Jackett landete daneben. Es folgte der Kampf mit dem Windsorknoten seiner eng sitzenden Krawatte. Er behielt die Oberhand. Schließlich schob er den Kleiderstapel mit dem Fuß beiseite und stieg in die Wanne.
Ein wohliges Kribbeln durchzog seinen Körper, als er sich in das heiße Wasser gleiten ließ. Der süßlich herbe Geruch des Badezusatzes strömte in seine Nase. Natalie hatte ihn gekauft mit den Worten: ’Komm Schatz, den probieren wir mal aus!’. Sie hatte schon immer ein Gespür für solche Sachen.
Ein Blick auf die Wanduhr verriet ihm die Zeit. Viertel vor Fünf. Er hatte also noch gute zwei Stunden Zeit bis sie nach Hause kommen würde. Er nahm den Aluzylinder vom Hocker. Ein Ende ließ sich abschrauben und gab eine kleine Öffnung frei. Gerade groß genug für die unscheinbare Pille, die ebenfalls auf dem Hocker lag.
Emerald drehte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Ein kleines, lachendes Gesicht war auf eine Seite eingeprägt. Er schob sie vorsichtig in die Zylinderöffnung und schraubte den Aufsatz wieder darauf. Mit seinem Einrasten begann ein rotes Licht auf einer Seite der Geräts zu leuchten. Nach wenigen Sekunden wechselte es zu Grün.
Er sank noch tiefer in sein Badewasser. Darauf hatte er sich den ganzen Tag gefreut. Dieses kleine Ritual sollte ihn die nächste Stunde von seinen Problemen befreien. Vorsichtig setzte Emerald den Zylinder an seine Lippen. Langsam und intensiv zog er an dem Gerät bis ein feiner, weißer Nebel seine Lungen füllte.
Sofort begann er die Wirkung der synthetischen Droge zu spüren. Wie in Trance legte er den kleinen Zylinder wieder auf den Hocker zurück. Seine Glieder wurden schwer. Und dennoch begann er sich allmählich leichter und leichter zu fühlen. Die Umgebung um ihn herum verschwamm. Und schließlich schwebte er auf seiner kleinen Wolke aus Badeschaum ins synthetische Land der Träume.
Emerald schrak hoch und sah auf die Uhr. Viertel nach fünf. Erleichtert sank er in das - mittlerweile kalte - Badewasser zurück. Sein Blackout hatte also nicht zu lang gedauert. Salziger Schweiß rann von seiner Stirn und verschleierte ihm den Blick.
Vorsichtig rieb er sich die Augen um wieder klar sehen zu können. Noch immer lähmte die Droge seine Wahrnehmung. Wie in unzählige Lagen flauschiger Watte gepackt versuchte er sich zu konzentrieren. Klägliche Reste des Badeschaum umkreisten ihn. ’Wie Wolken’ dachte er bei sich und sah dem Schauspiel etwas abwesend zu.
- Hi! -
Emerald sah genauer hin. Wiederholt wischte er sich den Schweiß aus den Augen. Die Schaumreste hatten sich zu zwei grüßenden Buchstaben geformt.
„Hallo!“, kicherte er und wischte das Phänomen mit seiner Hand beiseite. Doch kurze Zeit später trieben die weißen Schwaden wieder aufeinander zu.
- Hallo! -
Gebannt starrte er auf die Buchstaben, die vor seiner Brust schwammen. Sein Blick glitt langsam auf den kleinen Zylinder auf dem Hocker zu seiner Rechten. Womit zur Hölle hatte Peter den Stoff bloß gestreckt? Wieder starrte er vor sich.
„Wer bist du? Kannst du mich verstehen?“, flüsterte er dem Badewasser zu und blickte sich dabei vorsichtig um, ob ihn vielleicht jemand beobachtete.
- Natürlich. Wie geht es dir? -
„Gut und dir?“
- Gut! -
„Wer bist du? Wie heißt du?“
- Wie meinst du das? -
„Du musst doch einen Namen haben!“, flüsterte er.
- Einen Namen? Ich weiß nicht. Gibst du mir einen Namen? -
„Ich soll dir ... hm.“, überlegte er kurz, „Ich soll dir einen Namen geben? Was bist du denn eigentlich?“
- Wie meinst du das? -
Emerald dachte nach. Wie sollte er seinem Badewasser klar machen, dass er wissen muss was es ist, damit er ihm einen Namen geben kann. Schließlich war es ja Badewasser.
„Wie würdest du dich am ehesten definieren?“, fragte er das Wasser vor sich.
- Ich bin viele. Viele die eines denken. Viele mit einem Ziel. -
„Seid ihr ... bist du eine Gemeinschaft?“
- Was ist das? -
„Einzelne Individuen, die zusammenarbeiten um ein gemeinsames Ziel zu verwirklichen.“.
- Was sind Individuen? -
Nun musste Emerald nachdenken. Was ist ein Individuum? Mehrere Definitionen schossen ihm durch den Kopf. Doch keine drückte genau das aus, was er ihnen sagen wollte. Sie waren eher nur der vorsichtige Versuch einer Erklärung, was ein Individuum ist.
„Nun, ein Individuum ist ein ... wie soll ich das bloß erklären? Ich! Ich bin ein Individuum! Ein ... Wesen, ein ... ach ich weiß es auch nicht. Am besten kann man wohl das Wort damit umschreiben, dass es sich dabei um ein denkendes, fühlendes und selbstständiges Wesen handelt, welches völlig autark handelt, sich seiner Handlung bewusst ist und dafür die Konsequenzen trägt.“
- Dann bin ich viele Individuen, die eines denken. -
„Und was bist du?“
- Ich weiß nicht. Kannst du es mir sagen? -
„Vielleicht. Wo kommst du denn her?“
- Ich weiß nicht. -
„Was ist das erste woran du dich erinnern kannst?“
- Ich erwachte. Hier. Dann traf ich auf die anderen. Die waren wie ich. Dann sahen wir dich und stellten eine Kommunikation her. -
„Ihr meint, ihr seid in meiner Badewanne entstanden?“
Je mehr Emerald diesen Gedanken verfolgte, desto mehr musste er lachen. Eine fremde Intelligenz war zwischen seinen Beinen entstanden und sprach nun zu ihm - mit Hilfe von kleinen, weißen Schaumbläschen. Die Redewendung ’Die Frucht seiner Lenden’ schien eine völlig neue Bedeutung zu erlangen. Er fing lauthals an zu lachen.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte er die Buchstaben vor sich.
- Wie meinst du das? -
„Was sind eure nächsten Handlungsschritte?“
- Zunächst, solltest du deine Körperfunktionen überprüfen. Eine gefährliche Menge einer synthetischen Substanz richtet gerade größere Schäden in deinem inneren Aufbau an. -
„Ja der Trip ist echt gut, nicht wahr? Ohne das Zeug würde ich nicht mit euch reden können. Ach was sag ich. Ihr währt ja gar nicht hier, hihi!“
- Wie meinst du das? -
Vorsichtig tauchte Emerald seinen Finger in den Schaum und beobachtete gebannt, wie er langsam von der Fingerkuppe herunterrann.
„Ich meine das folgendermaßen. Ohne diese ... Substanz ... gäbe es euch gar nicht.“
- Warum nicht? -
„Weil ... um mir einzubilden, dass es euch gibt, braucht mein Gehirn dieses Zeug.“
- Falls du die halluzinogene Wirkung der Substanz meinst, diese hat vor exakt dreiundvierzig Minuten den Großteil ihrer Wirkung verloren. Lediglich die Folgeerscheinungen gefährden deine Körperfunktionen in zunehmenden Maße. -
Allerdings. Übelkeit stieg in Emerald hoch, während er die schaumigen Buchstaben betrachtete. Halluzinogene Wirkung verloren? War der Rausch vorbei? Sollte das alles real sein? Unmöglich!
Krampfhaft versuchte er seine Gedanken zu ordnen. Zuerst – musste er aus dem kalten Wasser. Vorsichtig schlüpfte er aus der Badewanne und legte sich ein Handtuch um die Hüfte. Und jetzt? Klamotten!
Er rannte quer durch die Wohnung, hinterließ eine Spur aus feuchten Fußabdrücken auf dem teuren Teppich, für die Natalie ihn wahrscheinlich umbringen würde, und drehte auf dem Läufer vor dem Kleiderschrank ein paar Pirouetten die in einer arg unsauberen Landung endeten. Benommenheit umfing ihn.
Schwer bepackt mit den Wochenendeinkäufen stieg Natalie die letzten Stufen zur Wohnungstür hinauf. Vorsichtig tastete sie mit dem kleinen Finger nach der Klingel, fand sie schließlich und drückte den Knopf. Die eingehende Melodie schallte durch die Wohnung. Sie wartete einige Augenblicke. Doch nichts geschah.
Wieder drückte sie den Knopf. Keine Reaktion.
„Wo steckt er bloß?“, murmelte Sie vor sich hin, „Er müsste schon längst zu Hause sein.“
Langsam bugsierte sie die schweren Tüten auf den Boden um kurz darauf ihre Handtasche nach dem Wohnungsschlüssel zu durchsuchen. Schließlich fand sie ihn und öffnete die Tür.
Vor ihr breitete sich der Anblick des Chaos aus, das Emerald bei seiner nachmittäglichen Körperpflege hinterlassen hatte. Ihr Blick fiel auf den importierten Teppich, der kreuz und quer mit Fußabdrücken übersät war. Fassungslosigkeit spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider.
„Ich bring ihn um! Ich schwör's. Ich bring ihn um.“
Langsam bog sie ins Badezimmer. Überall lagen seine Sachen auf dem Boden. Wütend hob sie die gröbsten Kleidungsstücke auf und stopfte sie in den Korb neben dem Waschautomaten.
Das Wasser in der Badewanne war bereits kalt. Als sie sich bückte um es abzulassen fielen ihr zwei größere Schaumflecken auf, die beinahe Buchstaben hätten sein können.
- Hi! -
Irritiert sah sie sich die Schaumflecken etwas näher an. Doch im nächsten Augenblick stieg die Wut wieder in ihr hoch.
„Für diesen Blödsinn hat der Mann Zeit!“, entfuhr es ihr.
Sie fischten im kalten Wasser nach dem Abfluss, fand ihn schließlich und ließ das Badewasser ab. In einer Ecke des Zimmers fand sie die Flasche mit dem neuen Badezusatz. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, dass Emerald sie beinahe zur Hälfte geleert hatte.
„So viel zum gemeinsamen Ausprobieren! Dieser Idiot!“.
Sie sah zur Badewanne, in der gerade das letzte Wasser ablief. Und mit ihm die zwei Schaumflecken. Moment es waren jetzt drei!
- Bye! -
Verdutzt sah sie den Bläschen nach, schüttelte den Kopf, stellte die Flasche zurück in das Regal und verließ das Bad in Richtung Schlafzimmer.
Im Licht der untergehenden Sonne funkelte der Werbeslogan in goldenen Buchstaben auf dem Gefäß:
- ENTSPANNUNG PUR DURCH INTERAKTIVE KULTUREN -