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Das Salz des Pazifiks
Was war wichtig? Ein schöner Busen, ein straffer Bauch und Oberschenkel, die nicht durch mehrere Hektar Orangenhaut abgewertet wurden? Oder drehte sich das Leben doch eher darum, jemanden zu haben, der, wenn auch nicht attraktiv, doch zumindest da war, um einem den Hintern zu wärmen? Zeit ihres Lebens tendierte Betty (ihren wirklichen Namen ‚Lisbeth’ hasste sie) zu letzterer Ansicht. Das mochte damit zusammenhängen, dass sie nicht gerade das war, was Mann landläufig als ‚geile Schnitte’ bezeichnete. Das Gegenteil war der Fall und Betty hatte pummelig ihren Vierziger überschritten, nur um festzustellen, dass sich die Anzahl ihrer Hinternwärm-Erlebnisse an einer Hand abzählen ließ. Daumen und Zeigefinger blieben dabei sogar noch unbeschäftigt.
Den Verdruss darüber hatte sie sich schon am Anfang ihrer Dreißiger abgewöhnt, genau so wie sie auch erfolgreich das Ticken ihrer biologischen Uhr ignoriert hatte. Und so saß Betty heute hier: Single, ganz und gar kinderlos, nach Einschätzung des gesamten Universums (was sie mit einschloss) völlig unattraktiv und im Begriff den Sonnenbrand ihres Lebens zu bekommen; ihre Abneigung gegen ihre bleiche Haut wurde nur noch vom Lisbeth-Groll übertroffen. Aber seit gestern hatte ein neues Subjekt die Top-Platzierung von Bettys Hass-Charts eingenommen. Sie hieß Ama und lag im Moment, braungebrannt und makellos und botoxbegradigt, auf der Liege neben Betty am Pool ihres Feriendomizils.
Die Geschichte, warum Ama Ama hieß, war mindestens so nervtötend wie Amas Story über ihren letzten Wellness-Urlaub in der Steiermark, oder wie Amas schwärmerische Erzählung über Serge, den Salonwagenschaffner auf ihrer letzten Zugreise zwischen Berlin und Bad Wiessee. Betty ließ sich den Grad ihrer Genervtheit durch dieses Weib aber nicht anmerken, sah man einmal von ihrem fünften Gintonic ab, den sie sich eben genehmigte. Sie dankte Gott, dass sie sich auch dieses Jahr für dieses All-inclusive Arrangement entschieden hatte, denn für sie war der kostenlose Alkohol der einzige Weg, um geistig unbeschadet die Klippen von Amas neuester Schilderung zu umschiffen.
„Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, meine Gute,“, zirpte Ama, einen Strawberry Daiquiri in der rechten Hand, „aber der Sex in einem Schlafzimmer, das nach den Lehren des Feng Shui eingerichtet ist, ist einfach so anders!“ Über Feng Shui wusste Betty nichts, aber angeregt durch den Gintonic nahm sie sich fest vor, einen Taekwondo-Kurs zu belegen, um künftig den Amas dieser Welt ordentlich eine aufs Maul geben zu können. „Ich wollte es ja selbst nicht glauben,“ laberte Ama weiter, „aber mein Feng Shui Guru bot mir eine persönliche Demonstration an!“ Sie kicherte dämlich. „Und das ganze Event war ja so etwas von erfüllend!“ Sie nahm einen so winzigen Schluck ihres Cocktails zu sich, dass selbst ein Kolibri daran verhungert wäre. „Schattenparkerin“, dachte Betty verächtlich und kippte ihr halbes Glas in einem Zug hinunter. Sie rülpste genüsslich, beugte sich zu ihrer Liegenachbarin hinüber und offenbarte ihr über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg: „Walhaisperma“
Amas mahagonigefärbte Augenbrauen wanderten nach oben, ihre Kinnlade schlug die entgegengesetzte Richtung ein, ihre Stirn hatte durch das Botox nicht die Chance, sich in Falten zu legen. „Wie bitte?“ Ama war über die Wendung, die ihre Unterhaltung mit dieser schrecklichen Person plötzlich genommen hatte, mehr als irritiert. „Wahlhaisperma“, wiederholte Betty, „Massen davon. 1800 Liter pro Walhaifick. Das nenn ich erfüllend!“ Sie grinste ihr Gegenüber anzüglich an. „Du machst Witze“, sagte Ama unsicher. „Keine Spur“, entgegnete Betty. „Und weißt du, was das Schlimmste dabei ist? Nur zehn Prozent davon landen in der Walhaimama. Der Rest fließt ins Meer. Darum ist der Salzgehalt des Pazifiks auch höher als in allen anderen Ozeanen.“ „Du meinst...“, begann Ama. „Ganz genau. Wer im Pazifik badet, schwimmt im Grunde durch verdünntes Walhaisperma.“
Betty genoss den entsetzten Ausdruck im Gesicht ihrer Gesprächspartnerin. Sie setzte noch eins oben drauf. „Hast du nicht erst gestern etwas von einem Wintertrip nach Südkalifornien erwähnt?“, fragte sie süffisant. „Liegt das etwa am Pazifik?“, wollte Ama wissen. „Mhm.“ Betty fischte mit unschuldiger Miene nach einem Eiswürfel. Ama stellte ihren Daiquiri zur Seite und kramte in ihrer gewaltigen Badetasche nach ihrem Handy. „Ich muss sofort Serge anrufen“, murmelte sie. „Dieser Arsch will mich doch tatsächlich in... in... in Fischsperma ersäufen!“ Betty lehnte sich entspannt zurück. Ein glückliches Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie langsam wegdämmerte, erfüllt von der Gewissheit, dass es sie doch noch gab: die eine große Gerechtigkeit im Leben.