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Das süße Lächeln
Die Geschichte von F,
auf der Jagd nach ihm,
in 7 Teilen
1
F streifte gerne alleine durch ihre Stadt. Noch lieber würde sie dies gemeinsam mit einem süßen Lächeln tun. So eines traf sie dann eines Tages am Eingang zum Drogerie-Großmarkt. Sie kam von links und er von rechts. Er hatte es, dieses süße Lächeln. Es war eines, bei dem man nicht einfach wegschauen kann. Sie ging in den Großmarkt und spürte sein Lächeln hinter sich. Sie brauchte Eye-liner, Puder und De-Makeup. Das Lächeln begleitete sie. Wie sollte es weitergehen? Über dieser Frage kaufte sie noch eine Zahnbürste, die nach den neuesten medizinischen Erkenntnissen konzipiert und in Laborversuchen ausgiebig getestet worden war. Dann verließ sie den Laden. Auf dem Gehweg verlor sie die Geduld. Sie tat etwas, was sie sonst nie tat.
Sie blieb stehen und drehte sich um: „Willst du mit mir einen Kaffee trinken?"
Im Cafe unterhielten sie sich angeregt, er erzählte ihr viel, aber sie vermisste sein Lächeln. Wo war es nur? Warum hatte es seinen Körper verlassen? Dann tat sie etwas, was sie sonst nie tat: Sie erzählte einen Witz. Aufgeregt, mit klopfendem Herzen, steuerte sie auf die Pointe zu, in freudiger Erwartung. Er lächelte höflich, etwas säuerlich, ganz anders als zuvor. Sie blieb noch fünf Minuten anstandshalber sitzen, verabschiedete sich schnell und floh diesen Irrtum.
2
Sie wandte sich an ihre Freundin B und die sagte ihr:
„H ist ganz toll. Wenn Du mit dem ausgehst, langweilst Du Dich keine Sekunde. Er kann Dir über alles etwas erzählen.“
„Und wie ist sein Lächeln?“
„Schön, und er hat Humor!"
Das hörte sich doch gut an. Sie kannte H von einigen Partys her und richtete es so ein, dass sie sich am nächsten Tag zufällig begegneten. Sie gab sich eilig und ein wenig verwirrt, so dass es nicht lange dauerte, dass er vorschlug, doch mal essen zu gehen. Sie lächelte überrascht und stimmte dann zu.
Es war ein feines Restaurant und man kannte ihn dort. Er schäkerte mit der Bedienung und wandte sich dann lächelnd an sie. Schön ist er schon, dachte sie. Er brachte seine Freude über diesen Abend zum Ausdruck und erzählte eine lustige Anekdote, wie er sich hier an der Suppe verschluckt hatte. Seitdem versuche er, unmittelbar während des Essens nicht mehr zu reden. Er brachte das ganz witzig und sie musste lächeln. Er aß Flädlesuppe, Entenbrust, Klöße und Rotkraut, schloss mit Schokoladenmousse und erzählte - über seinen Beruf, seine Verwandtschaft, seine Freizeitbeschäftigungen, er kletterte und er segelte, und über das Leben als solches.
Er fragte: „Hat es geschmeckt?"
“Danke", sagte sie trocken.
Sie gingen noch tanzen. Er war ein guter Tänzer. Er bewegte sich sicher und geschickt und seine Augen und Hüften umgarnten sie. Dazwischen erzählte er lustige Geschichten - zum Beispiel aus seiner Jugend vom Abschlussball, wie er mit den rutschigen Tanzschuhen auf das Kleid seiner Partnerin geraten war und es fast ruiniert hatte. Er lachte herzlich. Sie hatte um Zwölf genug, ging alleine heim und ließ H etwas verdutzt zurück.
3
Ein anderes Mal hieß es: Du musst unter die Leute. Unter Leute, mit denen Du gemeinsame Interessen hast. Mach einen Volkshochschulkurs!
Sie buchte „Zu Gast bei Claude Monet", einen Kochkurs. Sie mochte das Bild mit den feinen Leuten, die mit Blick auf den schönen Garten köstliche Speisen verzehrten. Die Kursleiterin lächelte alle einzeln in der Runde an und stellte sich vor. Sie war gerlernte Irgendwas, schulte auf Dingens um, bekam dann Kinder, machte Erziehungsurlaub und entdeckte ihre Leidenschaft für die Kunst und fürs Kochen. Dann warf sie einen Ball zu F:
„Und was machst Du?“
Mist! Warum sollte sie die erste sein? Sie wollte nicht. Ja, was machte sie eigentlich hier? Wie so oft verspürte sie den Drang, die unheilvolle Szenerie zu verlassen. Aber plötzlich sagte sie:
„Was ich sonst mache, ist egal. Ich bin hier, um einen Mann kennen zu lernen.“
Stille im Raum. F dachte schon, sie hätte aus Versehen den Ton abgedreht. Dann gickelten die ersten Frauen und die Männer stimmten mit polterndem Lachen ein. F musste auch lachen, ärgerte sich aber über einige blöde Bemerkungen wie: Welchen denn?
Sie wurden eingeteilt. Vorspeise, Nachspeise, 2 Gruppen für die Hauptspeise. Sie erinnerte sich nicht mehr, was es an diesem Tag gab. Nur, dass sie Salat putzte, Kartoffeln schälte und später bei der Suppe aushalf, als ein Mann sie zu heiß kochte und fast anbrennen ließ. Der bemühte sich wenigstens, andere standen nur hilflos rum. Ok, es gab auch die stolzen Hausmänner, die alles in die Hand nehmen wollten und alles durcheinander brachten.
Das Essen verlief dann ganz lustig. Während des Nachtisches entschuldigte sich der Erste, dass er schon gehen müsste. Das brachte etwas Unruhe in die Runde. Andere tröpfelten nach. Am Ende stand sie mit 4 Frauen und einem Mann beim Abwasch. Sie spülte, die anderen trockneten ab und räumten weg. Der Mann war schon älter, aber durchaus attraktiv. Er erzählte von seiner Familie, während er bedächtig mit dem Trockentuch eine Gabel polierte. Die anderen 4 himmelten ihn an. F ließ das Wasser ab, verließ diesen Ort und freute sich auf ihr Bett.
4
Von anderer Seite hörte F: Du darfst nicht suchen. Warum neue Leute kennen lernen? Irgendwo unter denen, die Du schon kennst, wartet ein stiller Verehrer, der Dir bisher nie auffiel. Du musst nur die Augen aufmachen.
Sie schaute sich um. Da war P, den sie schon von Kindesbeinen an kannte, oder beinahe. In der Schule war er ihr mal hinterhergerannt. Oder, genauer erzählt, er hielt sie eines Tages an und sie sah schon in den Augen seine Knie zittern. Er gestand ihr seine Liebe, was sie völlig aus der Fassung brachte. Wie konnte er sie lieben, wo sie doch gar nichts dazu getan hatte? Ob sie nicht gemerkt hätte, dass er sie immer nur anschaue? Sie schwieg. Seitdem behandelten sie sich freundlich, aber beide mit einer gewissen Scham ob des peinlichen Ereignisses.
Das war ewig her. Sie zog in die große Stadt. Er blieb und heiratete. Sie trafen sich noch ab und zu, wenn sie auf Heimaturlaub war und erzählten sich die alten Geschichten. Sie war bislang sicher, dass diese Geschichte vergessen sei.
Doch nun wurde sie neugierig. Sie verabredete sich mit ihm in der dörflichen Pizzeria. Sie zog ein superenges und superschickes Abendkleid an, welches die rüden Gassenbuben zu unflätigen Bemerkungen verführte und kam extra eine viertel Stunde zu spät, obwohl ihr sonst sehr an Pünktlichkeit lag.
P betrachtete sie stumm und krächzte dann kurz: Hallo. Wieder verrieten ihn seine Augen. Während des kargen Gesprächs konzentrierte er seinen Blick auf die Pizza, als ob das Bearbeiten mit dem Besteck ein hochkomplizierter Vorgang wäre, der genauestens kontrolliert werden müsste. Sie schnitt ihre Pizza in 8 Teile und nahm diese dann nacheinander in die Hand. Sie lächelte fortwährend und wusste auch nicht genau warum. Sie fühlte sich stark.
Dann platzte sie in die Stille hinein: „Liebst Du Deine Frau?“
Er zuckte zusammen, unterbrach den Schneidevorgang und sah von seiner Pizza auf. Ihre Augen funkelten. Er sah sie lange an und sagte ruhig, wenn auch mit einem gewissen Vibrato in der Stimme: „Du hast immer noch keine Ahnung“.
Mit Gewalt hielt sie die Olive in ihrem Mund zurück. Dann lachte sie laut auf. Worüber? Sie putzte sich den Mund ab, entschuldigte sich und verließ das Lokal. P. starrte noch einige Minuten stumm auf das verwischte Rot auf ihrer Serviette.
5
F fuhr mit dem Rad zur Arbeit. Ein schöner Weg entlang der S-Bahn, durch ein Wohngebiet, dann durch einen kleinen Park, über einen Kreisel in eine kleine Gasse mit zweistöckigen Häusern.
Diesmal krachte es. Eine Frau im Auto hatte sie im Kreisel nicht gesehen. Sie fiel vom Rad, mit voller Wucht auf ihren Po. Es schmerzte höllisch. Sie wollte aufstehen und nach ihrem Rad schauen. Doch eine Männerstimme sagte scharf: „Liegenbleiben! Nicht bewegen!" Ihr war kalt und die Schmerzen hämmerten in ihren Rücken. Die Stimme legte sie auf die Seite und deckte sie zu. Die Polizei kam und nahm den Unfall auf. Ein Sanitätswagen fuhr sie ins Krankenhaus. Auf der Bahre schaute sie sich noch einmal um, konnte aber ihren Retter nicht entdecken. Ihr Steißbein war gebrochen. Sie musste wochenlang liegen. Sie rief die Polizei an. Die zuständige Polizistin durfte ihr die Telefonnummer des Helfers nicht geben. F bat sie, ihm ihre Nummer im Krankenhaus und von zuhause zu geben.
Sie blieb 3 Wochen im Krankenhaus. Weitere 3 Wochen musste sie sich zuhause schonen. Niemand rief an. Sie malte ihn sich aus. Sie erinnerte seine kräftige tiefe Stimme. Er war bestimmt groß. Dunkle kurze Haare, ohne Bart. Er würde meistens ernst schauen, weil er seinen Job ernst nahm und wenig Zeit für Privates hatte. Er war natürlich unverheiratet und insgeheim auf der Suche nach Liebe. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt, auf dass er erlöst würde. Er würde wunderbar lächeln können. Dann endlich klingelte das Telefon, als sie schon nicht mehr bei dem Ton zusammenschrak.
Er meldete sich mit Huber und sie erkannte seine Stimme. Sie erschien ihr seltsam hoch und dünn. Trotzdem musste sie zwischendurch immer wieder Luft holen. Sie bedankte sich für seine Fürsorge. Sie lud ihn zum Kaffee ein. Er erwiderte schroff, dass das nicht nötig wäre und er gerade wenig Zeit hätte. Nein, stop!, diese Antwort fürchtete sie nur, in Wahrheit druckste er etwas herum. Was sind das bloß alles für Männer, dachte sie.
„Kommen Sie morgen Mittag ins Cafe K.", sagte sie.
Im Cafe fragte sie ihn: „Warum haben Sie mich nicht früher angerufen?"
„Ich..." Er räusperte sich. „Ich weiß nicht."
Auweia, dachte sie. Sie war sowieso genervt wegen seines schon etwas schütteren dunkelblonden Haares samt gleichfarbigen Vollbartes, der unter den Ohren mit jenem verbunden war. Gegen die Sonne betrachtet leuchtete sein Kopf rundum. Der Elch auf seinem Pullover und der Ring an seiner Hand rundeten das Bild ab.
„Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar. Ohne Sie hätte ich mir eine Lähmung zuziehen können. Sie sind ein guter Mensch. Ihre Frau kann sich glücklich schätzen."
Sie zahlte ihren Kaffee und ging noch etwas alleine spazieren.
6
F rief ihre Freundin S an und klagte ihr Leid. S war eine gute Freundin, besonders zum Anrufen. Sie schwieg meistens. Aber man konnte ihr Zuhören hören. F schüttete ihr Herz aus. S schwieg. Doch war es ein angenehmes Schweigen. Kein Schweigen, dass ein Reden erwartete. Kein Schweigen, dass unangenehm berührte und peinlich war, dass unbedingt gebrochen werden musste. Es war ein Schweigen, dass F einhüllte und Mut machte, dass sie in ihrem Reden begleitete. Ab und zu sagte S etwas. Das hatte Kraft, kam fest und bestimmt, auch wenn es nur eine vage Andeutung war. Es kam aber nicht wie eine Keule in Fs Erzählung geschmettert, sondern führte ihren Gedankengang fort. F sagte einmal: Mit S am Telefon bin ich zuhause. Ich rede und rede, ich erzähle ihr alles, und wenn ich beginne auszuufern, hält sie mich sanft fest und bringt mich wieder auf die Bahn.
7
F saß auf der Bank und beobachtete die Züge. Seit diesem Tag fuhr ihre S-Bahn von einem anderen Gleis und alles schaute etwas ungewohnt aus. Sie sah hinüber auf die Bank auf dem nächsten Bahnsteig. Den Bahnsteig, von dem sie sonst immer abgefahren war. Die Bank, auf der sie sonst immer gesessen hatte.
Ein alter Mann mit Bart und schwarzem Hut saß krumm darauf und schaute etwas unsicher umher. Irgendetwas fehlte ihr. Jetzt fuhr dort eine Bahn ein und verdeckte den Bahnsteig. Durch die Fenster sah sie die Leute aussteigen, andere blieben sitzen. Dann stiegen welche ein. Warten. Die Bahn fuhr ab und gab den Bahnsteig frei.
Auf der Bank, neben dem alten Mann, saß nun ein junger in Lederjacke und las in einem Buch. Sie kannte ihn vom Sehen. Er stieg immer aus der S-Bahn vor ihrer aus, setzte sich auf die Bank und las. Sie hatte sich schon mal gefragt, warum und ob er wohl auf einen Anschluss wartete. Das Buch war rot. Er muss es heute angefangen haben zu lesen. Die letzten Tage hatte er immer ein blaues Buch dabei gehabt.
Jetzt schaute er auf. Er schien beunruhigt, stand auf und ging auf dem Bahnsteig hin und her. Er drehte seinen Kopf zu ihr herüber. Sie schaute weg und kramte in ihrer Tasche. Als sie wieder aufsah, war er verschwunden. Sie zuckte mit den Schultern, stand auf und ging nun ihrerseits auf dem Bahnsteig hin und her.
Er kam die Treppe herauf gerannt. Sie bekam eine Schreck. Er verlor das rote Buch und es polterte die Stufen hinunter. Er blieb unschlüssig stehen, sah dem Buch hinterher und wieder zu ihr hinauf. Sie war erstarrt.
„Willst du mit mir einen Kaffee trinken?" fragte er ganz außer Atem.
Sie lächelte. Und es war ein süßes Lächeln.