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Das Rummelplatzmonster
Thorben kriegt einen ganz schönen Schreck, als er plötzlich vor dem Monster steht. Aber er merkt sofort, dass das Monster sich ebenso erschreckt hat.
„Wo kommst du denn her?“, fragt er, ohne lange zu überlegen. Das Monster antwortet nicht, und so hat Thorben Zeit, es sich näher anzusehen. Es ähnelt einer Mischung aus Drachen und Dinosaurier, mit langem Hals und noch längerem Schwanz und zwei dicken Hinterbeinen und Vorderpfoten, die eher wie Hände mit langen Fingernägeln aussehen. Aber es ist dunkelblau und hat zwei Hörner auf dem Kopf, und es ist nur so groß wie Papa.
Höchstens.
Eher so wie Mama. Also ziemlich klein für ein echtes Monster. Aber noch etwas ist merkwürdig.
„Ich hab dich doch schon mal irgendwo gesehen“, meint Thorben. Er ist sich fast sicher. Aber wo kann das gewesen sein? Bestimmt war es nicht hier, hinter der Hecke am Spielplatz.
Endlich fällt es ihm ein.
„Natürlich, du bist das Monster aus der Geisterbahn!“ Vor zwei Tagen war Thorben nämlich mit Mama und Papa auf dem Rummelplatz. Er ist im Kettenkarussell gefahren und mit dem Autoscooter. Er hat Schmalzkuchen gegessen, und auch Zuckerwatte, und er durfte Cola trinken.
Mit der Achterbahn fahren durfte er nicht, weil seinen Eltern darin immer schlecht wird und er noch nicht alt genug ist, um alleine zu fahren. Um ihn davon abzulenken, war Papa mit ihm in der Geisterbahn. Es war ziemlich dunkel, und sie sind mit dem Wagen an Gespenstern vorbeigefahren, die ganz schön gruselig aussahen. Papa hat aber gelacht und Thorben verraten, dass die Gespenster nicht echt sind, nur große Puppen. Es gab auch Räuber mit langen Messern. „Ebenfalls nicht echt“, hat Papa geflüstert. Thorben war sich nicht so ganz sicher, ob das stimmte, aber als sie an dem blauen Monster vorbeifuhren, bekräftigte Papa noch einmal: „Alles nur nachgemacht.“
Da lag er ja nun wirklich voll daneben, und Thorben denkt kurz: Wenn das Monster echt war, wer weiß, ob dann die Gespenster... Aber das will er lieber gar nicht so genau wissen.
Viel lieber will er wissen, was ein Rummelplatzmonster hier hinter dem Spielplatz macht.
„Was macht ein Rummelplatzmonster hier hinter dem Spielplatz?“, fragt er.
„Verrätst du mich auch nicht, wenn ich es dir sage?“, fragt das Monster zurück.
Thorben schüttelt den Kopf. Da beugt sich das Monster ganz dicht heran – es riecht unangenehm aus dem Mund, aber das muss bei Monstern vielleicht so sein – und flüstert Thorben etwas ins Ohr.
Thorben nickt. „Ja, das versteh ich.“ Und als er noch einen Augenblick darüber nachgedacht hat, sagt er: „Weißt du was? Ich werde das für dich regeln. Du bleibst so lange hier und versteckst dich.“
Dann macht sich Thorben auf den Weg zum Rummelplatz. Auch wenn er da eigentlich nicht alleine hin darf.
Er findet die Geisterbahn und spricht den Mann im Kassenhäuschen an: „Sagen Sie, vermissen Sie ein Monster? So ein blaues, mit Hörnern auf dem Kopf?“
Der Mann kommt aufgeregt aus dem Häuschen heraus. „Weißt du etwa, wo es steckt? Sag es mir, los!“
Thorben schüttelt den Kopf. „Ich hab versprochen, es nicht zu verraten. Es will nämlich nicht zurück.“
„Was soll das heißen, will nicht zurück? Es gehört doch in die Geisterbahn! Dafür ist es ja da!“
„Es will aber trotzdem nicht. Den ganzen Tag in der dunklen Geisterbahn hocken, darauf hat es keinen Bock mehr.“ Mama mag es nicht, wenn Thorben so redet. Aber Mama ist ja nicht da. Und Thorben will sichergehen, dass der Mann ihn versteht. „Es möchte auch mal draußen an der frischen Luft sein, wo die Sonne scheint. Ist doch kein Wunder, oder?“
Der Mann zieht Thorben am Ärmel ein Stück beiseite, damit ihnen niemand zuhört, und sagt leise: „Das geht aber nicht, hörst du? Das Monster ist unsere große Attraktion. Wenn es nicht mehr da ist, kommen die Leute aus der Geisterbahn und erzählen allen, wie langweilig es war. Dann können wir unseren Laden gleich dicht machen. Die paar falschen Gespenster und Räuber, die wir noch haben, locken doch heutzutage niemanden mehr an!“
„Ich hab aber eine bessere Idee, wie Sie die Leute anlocken können“, erklärt Thorben. Er erzählt, was ihm unterwegs eingefallen ist, und schließlich ist der Mann einverstanden. Thorben läßt sich von ihm hoch und heilig versprechen, dass er das Monster nicht wieder in die Geisterbahn sperrt. Dann geht er zurück zum Spielplatz und holt das Monster aus seinem Versteck.
Als er das nächste Mal mit Mama und Papa auf dem Rummelplatz ist, dauert es nicht lange, bis er das Monster sieht. Es schlendert gemütlich die Gasse zwischen den Buden entlang und trägt zwei große Pappschilder – eines vor dem Bauch, eines auf dem Rücken. Auf den Schildern steht: „Wenn ihr euch vor mir schon fürchtet, traut euch bloß nicht in die Geisterbahn!“
In der Hand hält das Monster eine Eistüte, an der es genüsslich mit seiner langen Zunge schleckt, während die Sonne ihm die schuppige, blaue Haut wärmt. Nur ab und zu lässt es von dem Eis ab, um ganz plötzlich irgendein Kind anzufauchen und sich köstlich darüber zu amüsieren, wenn das Kleine schreiend zu seinen Eltern flüchtet. Thorben weiß natürlich, dass das Monster es nicht böse meint, aber es muss ja seinen Job machen.
Und den macht es gut. Eine große Zahl von Kindern folgt ihm und bestaunt es aus sicherer Entfernung, und als sie zur Geisterbahn kommen, fahren fast alle eine Runde.
Thorben darf mit seinen Eltern natürlich umsonst fahren. Als Mama von einem der Gespenster so erschreckt wird, dass sie aufkreischt, lachen Papa und Thorben laut.
„Ist doch alles nicht echt“, sagen sie wie aus einem Mund.