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Das rote Zelt

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20.04.2018
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Das rote Zelt

Hast du kurz Zeit, dann zeige ich dir was. Dauert nicht lange. Wir müssen hoch ins hintere Zimmer, ans Fenster. Aber sei bitte leise. Am Schreibtisch vorbei, auf dem die Blumen stehen. Ich habe ihnen schon neues Wasser gegeben, mit der kleinen Gießkanne. Ohne zu kleckern. Aber es hat nix geholfen, die Köpfe bleiben unten.
Meinen recke ich jetzt hoch, dann sehe ich es besser. Das rote Zelt, mitten im Garten vom alten Kratzbart. Drumherum wächst Löwenzahn. Und Gänseblümchen. Wenn ich mir die so angucke, könnte ich gleich rüber schleichen und mir eine Kette basteln, zum Zwei-Mal-um-den-Hals-wickeln, und für Mama auch eine. So viele sind das. Mache ich aber nicht. Obwohl es ginge, weil da kein Zaun ist. Nur die Hecke, durch die komme ich durch, hab´ schon oft den Ball wieder rüber geholt. Manchmal saß der Kratzbart dann auf seiner Terrasse und hat vor sich hin gebrummt, ich glaube, das sollte Hallo heißen.

Das letzte Mal ist schon länger her, da war das Gras kurz. Da hab´ ich noch Ball gespielt bei uns hinterm Haus, aber das ist jetzt zu laut und ich laufe lieber zum Schulhof und werfe ihn da. Ich würde sowieso nicht mehr durch die Hecke nach drüben krabbeln, und wenn alle meine Bälle rüber geflogen wären. So nah ans Zelt gehe ich auf keinen Fall, selbst wenn Mama nix gesagt hätte.

Der Reißverschluss ist immer zu. Max sagt, dass es da drin gar nicht auszuhalten ist, wenn die Sonne so draufknallt. Er war mit seinen Eltern letztes Jahr zelten, übers Wochenende. Sie waren den ganzen Tag draußen und sind nur zum Schlafen reingegangen. Max´ Zelt ist größer als das in Kratzbarts Garten. Ich habe ihm in der Schule davon erzählt und er wollte es unbedingt sehen, da haben wir uns verabredet, aber ich habe ihm verboten zu klingeln und an der Tür auf ihn gewartet.

Siehst du das plattgedrückte Gras? Da trampelt er immer lang, der Zeltmann. Deshalb stellt es sich nicht mehr auf, lohnt sich nicht, wenn`s dann gleich wieder runtergetreten wird. Ein richtiger Weg ist das geworden. Sieht wie eine Schlange aus. Die kriecht vom Zelt am Haus vorbei, bis zum Gartentor. Das kannst du von hier aus nicht sehen, aber ich hab´ von der Straße aus durchs Tor geguckt.

Den Zeltmann habe ich noch nie gesehen, aber ich bin mir trotzdem sicher, dass es ein Mann ist. Eine Frau stellt doch nicht einfach ein Zelt auf und wohnt dann darin. Mama konnten Papa und ich jedenfalls noch nie zum Zelten überreden, früher schon nicht. Jetzt erst recht nicht, da sie so viel im Bett liegen muss. Im Zelt wäre es zu unbequem für sie. Außerdem geht man beim Camping zum Duschen ins Waschhaus, sagt Max. Das würde sie stören, weil sie wieder eine Glatze hat, die soll außer uns keiner sehen. Obwohl das auch praktisch ist, die muss sie nicht föhnen. Der Zeltmann föhnt sich auch nie, der hat ja keine Steckdose da drin, und ein Waschhaus gibt es hier nicht. Und beim Haus vom Kratzbart sind alle Rollos unten, da geht der Zeltmann garantiert nicht rein. Vielleicht duscht er gar nicht. Dann will ich ihm erst recht nicht begegnen.

Ich hab´ ihn auch noch nie gehört. Los, mach´ mal das Fenster auf! Die Bibel legen wir hier rüber. Da steht zwar was über Zelte drin, aber in denen wohnt Gott, sagt Mama. Der hat das rote Zelt hundert pro nicht beim Kratzbart aufgebaut. Da passt er ja gar nicht rein. Allerhöchstens ein Engel, aber das wäre totaler Quatsch, wen soll er dann beschützen, der Kratzbart ist schon lange weg. Schutzengel verwechseln doch nicht die Häuser. Und er wüsste sowieso, dass er von da aus nix machen kann. Mama geht nämlich nicht mehr in den Garten, weil sie nicht in die Sonne soll.

Jetzt mach´ schon auf! Ja, so ist es gut. Hörst du die Amsel singen? Ich kann sie genau von den anderen unterscheiden, hat mir Opa beigebracht. Er besucht uns im Moment wieder öfter und das rote Zelt kennt er auch. Das gefällt ihm gar nicht, dass keiner weiß wer es aufgestellt hat und ob der das überhaupt darf. Und dass die Hecke so hochwächst und das Gras auch.
„Da muss man doch was machen“, hat er zu Papa gesagt. „Weiß der Alte überhaupt, dass da einer bei ihm im Garten zeltet?“
„Den kann keiner mehr fragen, weil sie ihn abgeholt haben. Der konnte nicht mehr alleine bleiben. Da kann man nichts machen.“
„Irgendwas kann man immer machen“, hat Opa geantwortet.
Papa hat mit den Schultern gezuckt und den Rasenmäher aus dem Schuppen gerollt. Er mäht unseren Rasen, damit er schön kurz bleibt und nicht so aussieht wie der vom Kratzbart.

Im Moment sitzt da nur die Amsel, Papa ist im Büro. Wenn die Amsel Luft holt, hört man das Gezwitscher von den anderen Vögeln, aber aus dem Zelt keinen Mucks. Da bewegt sich nichts. Da ist niemand drin. Aber er hat es auch nicht einfach hiergelassen. Siehst du das Küchenhandtuch an der Schnur? Das hing gestern noch nicht da. Er kommt bestimmt abends, wenn ich schon im Bett bin.
Einmal bin ich ins kleine Zimmer geschlichen, als es dunkel war. Von unten habe ich den Fernseher gehört und von oben nichts, weil Mama nur leise Geräusche macht, die schaffen es nicht die Treppe runter. Im Zelt war Licht an, Taschenlampenlicht. Das Fenster habe ich zugelassen, sonst wäre Papa hochgekommen und hätte geseufzt und mich ins Bett geschickt.
Ich bin lange am Fenster stehen geblieben, aber irgendwann ist mir langweilig geworden und mir haben die Beine wehgetan. Und außer dem Licht war gar nichts zu sehen. Ich weiß nicht, was der Zeltmann macht.

Aber manchmal denke ich drüber nach, dass sie den Kratzbart abgeholt haben. Warum durfte er nicht alleine bleiben? Vielleicht war er krank.
Außerdem hat Opa neulich was über Mama und mich gesagt, als er mit Papa in der Küche saß: „Das wird nicht mehr lange gutgehen, wenn die beiden den halben Tag allein sind“. Dass Papa doch arbeiten muss und dass es da Häuser gibt, die man sich mal anschauen könnte. Ehe Mama gar nicht mehr aufstehen kann.
Ich sag`s nur dir, bevor du wieder gehst. Ich überlege, ob sie den Zeltmann geschickt haben, um Mama zu holen. Den Papa frage ich nicht danach und den Opa auch nicht, der rubbelt sich sonst wieder so fest über die Augen und sagt „Kind, ach Kind“.

Kurz, nur kurz. Du musst gleich gehen, bevor sie wach wird. Dann kommt sie die Treppe runter und sie will nicht, dass du ihr Mondgesicht siehst. Das sagt sie selber, ich würde es nie so nennen. Denn da drin, in dem Gesicht, da ist immer noch sie. Obwohl es so dick ist, fühlt sich der Rest von ihr knochig an, wenn sie mich in den Arm nimmt. Ich drücke meinen Kopf nur an ihre gesunde Seite, weil die kuscheliger ist als die kranke und ich Mama nicht wehtun möchte. Da ist zwar der Knubbel, in den sie immer ihre Medizin bekommen hat, aber der stört mich nicht. Mein Kopf passt darunter. Früher war ihr Drücken fester als meins, aber jetzt sind wir gleichstark, obwohl ich nicht viel gewachsen bin. Wenn sie mich umarmt, weiß ich genau, dass sie nicht wegwill.

Es dauert immer länger, bis sie es zu mir runter schafft. Wenn oben die Tür aufgeht, haben wir noch genug Zeit. Mach´ das Fenster schon mal zu. Und leg´ die Bibel wieder zurück, vielleicht braucht sie die gleich. Sie sagt, das Einzige, was jetzt noch hilft, ist der Liebe Gott.
Ich habe mir einen Plan überlegt. Alleine traue ich mich nicht, aber ich frage Max, der kennt sich ja mit Zelten aus. Ich muss ihm bald alles erklären, bevor Mama es nicht mehr zu mir nach unten schafft. Wenn wir sicher sein können, dass der Zeltmann nicht da ist, krabbeln wir durch die Hecke nach drüben.

Hast du das gehört? Oben geht die Tür. Du musst dich rausschleichen. Guck´ in ein paar Tagen über das Gartentor. Dann ist das Zelt weg, glaub`s mir.

 

Hej Nelles und herzlich willkommen,

natürlich hast du mir etwas gegeben und mich berührt. Diese Mischung aus kindlicher Sicht und der Thematik hast du wundervoll vermischt. Ich habe mich so darüber gefreut, wie sehr du dabei geblieben bist, auch als es darum ging, mir von dem traurigen Alltag der kleinen Familie zu erzählen.

Ich ganz und gar beim dem Kind und es war mir völlig egal, wie alt es ist oder welches Geschlecht es hat. Der Ton und die Sätze sind harmonisch und melodisch und an keiner Stelle hab ich mich unwohl gefühlt oder nachgedacht, dass du es hättest anders machen können.

Ich mag deine Geschichte, so wie sie ist und freue mich auf weitere von dir. Herrje, bin noch ganz benommen. ;)

Lieber Gruß, Kanji

 

Hallo Nelles,

schön, geschrieben. Die kindliche Erzählweise gefällt mir echt gut, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich alles verstanden habe.

Ein paar Textstellen:

zum zwei Mal um den Hals wickeln
Vielleicht „zum Zwei-Mal-um-den-Hals-wickeln“

Deshalb stellt es sich nicht mehr auf, lohnt sich nicht, wenn`s dann gleich wieder runtergetreten wird.
Find ich super, den Satz!

Jetzt erst recht nicht, wo sie wieder keine Haare hat. Obwohl das auch praktisch ist, da muss sie nicht föhnen.
:cry:

weil Mama nur leise Geräusche macht, die schaffen es nicht die Treppe runter.
Auch super!

Aber manchmal, wenn ich drüber nachdenke, fällt es mir wieder ein. Dass der Papa gesagt hat, dass sie den Kratzbart abgeholt haben. Dem Papa sag´ ich das nicht und dem Opa auch nicht,
Die Stelle verstehe ich nicht. Sie hatte ja vorher schon erwähnt, dass der Kratzbart abgeholt wurde, da ist es verwirrend, dass es ihr jetzt wieder einfällt.
Und was will sie dem Papa und dem Opa nicht sagen? Dass sie das gehört hat?

Jetzt bin ich am Ende der Geschichte und etwas ratlos. Ich habe die Sache mit dem Zelt nicht verstanden. Warum steht das da? Und warum beunruhigt das die Eltern?
Und mit wem redet die kleine Erzählerin – für mich ist es ein Mädchen -, wenn sie „du“ sagt?
Die Krankheit der Mutter hast du sehr schön eingeflochten, traurig und gefühlvoll und eben auch kindlich naiv. Sehr gut gemacht, wie ich finde.

Gern gelesen, auch wenn ich nicht alles verstanden habe, sondern einfach deinen Worten gerne gefolgt bin.

Liebe Grüße und viele Spaß hier bei den Kriegern des Wortes,

Nichtgeburtstagskind

 
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Liebe Kanji, vielen Dank für Deine netten Worte! Ich habe mich natürlich sehr über dieses Feedback gefreut, zumal ich zum allerersten Mal getestet habe, wie mein Text auf andere wirkt. Du hast mir Mut gemacht, danke dafür! Liebe Grüße, Nelles

Liebes Nichtgeburtstagskind, danke für deine Rückmeldung! Ich glaube, ich hätte mir mehr Zeit nehmen sollen, um das Ganze schlüssiger zu erzählen. Du hast recht, wenn ich es so lasse ist es verwirrend. Da muss ich nochmal ran! Umso mehr habe ich mich gefreut, dass dir die zitierten Sätze gefallen haben. Dankeschön, das lässt mich frohen Mutes wieder an den Text gehen!

 

Hallo Nelles,

willkommen hier!
Mir geht es wie meinen Vorrednern, ich finde deine Geschichte sehr berührend,
fließend geschrieben, und ich verstehe nicht wirklich alles. Bin mir nicht ganz sicher, ob du es wirklich so rätselhaft möchtest. Wenn ja, ist es dir gelungen, falls nicht, kannst du ja noch etwas deutlicher werden am Ende. Auf jeden Fall ist das ein toller Einstieg hier. Es sind viele schöne Sätze und Bilder in deiner Geschichte, einige wurden schon zitiert, und auch das hier finde ich klasse:

...aber in denen wohnt Gott, sagt Mama. Der hat das rote Zelt hundertpro nicht beim Kratzbart aufgebaut. Da passt er ja gar nicht rein. Allerhöchstens ein Engel, aber das wäre totaler Quatsch, der Kratzbart ist schon lange weg und wen soll er dann beschützen. Der hätte sich doch nicht bei den Häusern vertan.

Kleinkram:
und sie will nicht, dass du ihr Mondgesicht siehst. Das sagt sie selber, ich würde sie nie so nennen.
Vielleicht besser "es", denn das Kind würde die Mutter doch nicht Mondgesicht nennen, sondern das Mondgesicht ...

Bin gespannt auf mehr von dir.
Liebe Grüße von Raindog

 

Liebe Ronja, vielen Dank für deine Zeit! Tatsächlich sprichst du genau das an, worüber ich mir schon beim Schreiben Gedanken gemacht habe. Die Apostrophe fand ich beim Tippen genauso nervig, wie sie jetzt beim Lesen sind. Die mache ich weg. Und aus dem titschen wird ein ditschen oder vielleicht was ganz anderes. Und die Verwirrung tut mir leid! Das ist ja doof, wenn‘s erst mitreißt und dann mit einem „Häh?“ endet. Ich war zu ungeduldig und wollte endlich auch mal was einstellen...Beim nächsten Mal zügele ich mich!

 
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Hey Nelles,


eigentlich bin ich kein Freund davon, wenn ich vom Erzähler direkt angesprochen werde, aber hier funktioniert das bei mir.

Ja, mich hat deine Geschichte auch berührt, wie könnte es auch anders sein. Ein Mädchen - für mich ist es ein Mädchen - versucht zu verstehen. Und der ruhebedürftigen, krebskranken Mutter - für mich hat sie Krebs (Port (der Knubbel), ein Rezidiv und (wieder) Chemo (die ausgefallenen Haare)) - dabei zu helfen, schlicht dazubleiben. Das Zelt will sie abreisen, weil der Zeltmann ja schon den Kratzbart geholt hat, weil der womöglich auch die Mutter holen will. So habe ich deine Geschichte jedenfalls gelesen, Fragezeichen habe ich da keine vor Augen.

Neben der oben erwähnten Erzählart schreibst du auch noch aus der kindlichen Perspektive heraus. Ganz schön mutig, das geht oft in die Hose, aber auch hier akzeptiere ich das. Deine kleine Erzählerin schlägt mich in ihren Bann und ich folge gerne ihren Gedanken, Wahrnehmungen und Ideen. Respekt, Nelles, dafür, dass dir das mit deinem Debüt gelungen ist.

Ich bin gespannt, was es noch von dir zu lesen gibt, wie du dich schlägst, wenn das gewählte Sujet nicht für sich stehend schon emotionale Wirkung erzwingt.
Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn du hier weitere Geschichten einstellen würdest. In diesem Sinne: Herzlich willkommen!

Textkram:

Wir müssen hoch ins kleine Zimmer, ans Fenster. Aber bitte sei leise. Am Schreibtisch vorbei, auf dem die Blumen stehen. Ich hab ihnen schon neues Wasser gegeben, mit der kleinen Gießkanne.
Wortwiederholungen würde ich vermeiden, wenn möglich, es sei denn, du verwendest sie als Stilmittel. Hier sehe ich keinen Mehrwert.

... und ich laufe lieber zum Schulhof und lasse ihn da titschen.
Darauf wurdest du schon aufmerksam gemacht.
Übrigens, es ist hier üblich, direkt im eingestellten Text Veränderungen/ Verbesserungen vorzunehmen. Dafür einfach auf "Bearbeiten" klicken und loslegen.

Der Reißverschluss ist immer zu, den ganzen Tag. Max sagt, dass es da drin gar nicht auszuhalten ist, wenn die Sonne so draufknallt. Er war mit seinen Eltern letztes Jahr zelten, übers Wochenende. Sie waren den ganzen Tag draußen und sind nur zum Schlafen reingegangen.
Vermeidbar.

... und dann da wohnen. Mama jedenfalls nicht, die konnten wir früher schon nie dazu überreden.
Ich weiß schon, was du meinst, hier lese ich aber, sie konnten Mama nicht dazu überreden, in einem Zelt zu wohnen. Das willst du ja nicht zum Ausdruck bringen, oder?
Dann hängt "wir" recht lose im Raum. Wer ist "wir"?
Ich würde hier insgesamt etwas präzisieren. Vielleicht auch einleiten, deutlicher machen, dass sie nicht mehr zelten (unter Leute) möchte, weil ihr ja die Haare ausgefallen sind, wie du später andeutest.

Jetzt erst recht nicht, wo sie wieder keine Haare hat. Obwohl das auch praktisch ist, da muss sie nicht föhnen. Der Zeltmann föhnt sich auch nie, der hat ja keine ...
Das "wo" ist natürlich sehr umgangssprachlich - und okay, da spricht ein Kind.
Dennoch mal folgender Vorschlag (zum Verdeutlichen, Überdenken): Jetzt erst recht nicht, da sie wieder eine Glatze hat. Obwohl das auch praktisch ist, sie muss ja nicht mehr Haare föhnen. Der Zeltmann auch nicht, der hat doch keine Steckdose.

Und beim Haus vom Kratzbart sind alle Rollos runter, da geht der Zeltmann garantiert nicht rein.
Kinder-/ Umgangssprech, okay, würde hier trotzdem "unten" vorziehen.

Allerhöchstens ein Engel, aber das wäre totaler Quatsch, der Kratzbart ist schon lange weg und wen soll er dann beschützen.
Ich finde den Bezug unsauber. Auf wen bezieht sich "er"? Ist schon klar, sind aber so Miniruckler, bei denen ich ganz kurz hängenbleibe.
Vorschlag (umstellen): Allerhöchstens ein Engel, aber das wäre totaler Quatsch, wen soll er dann beschützen, der Kratzbart ist schon lange weg.
Dann müsstest du aber anschließend wieder achtgeben - beim Folgesatz. Vielleicht den (Schutz-)Engel nochmals voranstellen. Finde die "Assoziationskette" deiner Erzählerin übrigens tolltraurig. Du machst das wirklich gut, Nelles.

... und das rote Zelt kennt er auch. „Da muss man doch was machen“ hat er zu Papa gesagt. Aber Papa meint, dass man da nichts machen kann. Weil sie den Kratzbart abgeholt haben.
„Irgendwas kann man immer machen“ sagt Opa. Papa zuckt dann mit den Schultern und rollt den Rasenmäher aus dem Schuppen. Er mäht unseren Rasen, damit er schön kurz bleibt und nicht so aussieht wie der vom Kratzbart.
Ich verstehe das so, dass sie die Aussage missversteht und auf das rote Zelt bezieht. Meintest du das so? Rein interessehalber. Schön, wie du andeutest, dass der Vater nicht weiter reden möchte, sich mit Gartenarbeit abzulenken versucht.
Ach, ich würde Kommata nach den wörtlichen Reden setzen, nutzt ja auch klassische Inquit-Formeln.
Zudem: Wiederholung (3x) von "machen" - hier stört mich das aber nicht so sehr, das akzeptiere ich als Verstärker und so - wie 'ne Aufforderung an deine Prota, dass es was zu "machen" gilt; z.B. den Zeltmann verjagen, durchs Zeltabreißen.

Vom Zelt kommt kein Mucks, da bewegt sich nichts. Da ist keiner drin. Aber er hat es auch nicht einfach hiergelassen. Siehst du das Küchenhandtuch an der Schnur? Das hing gestern noch nicht da. Er kommt bestimmt abends ...
Hier ist die WW (Wortwiederholung) allerdings klar vermeidbar, finde ich.

Einmal bin ich noch[ ]mal ins kleine Zimmer geschlichen, als es dunkel war.
Getrennt: noch [ein]mal.
Die Kombination: "Einmal-noch mal" würde ich aber eh vermeiden.

Das Fenster hab ich zugelassen, sonst hätte Papa was mitbekommen und wäre hochgekommen. Dann hätte er wieder geseufzt und geflüstert, dass ich ins Bett gehen soll.
Unschönes "hätte-wäre-hätte"-Konstrukt. Wenigstens der Doppler kann weg.
Vorschlag: Das Fenster hab ich zugelassen, sonst wäre Papa hochgekommen, hätte geseufzt und geflüstert, dass ich ins Bett gehen soll.

Aber manchmal, wenn ich drüber nachdenke, fällt es mir wieder ein. Dass der Papa gesagt hat, dass sie den Kratzbart abgeholt haben. Dem Papa sag´ ich das nicht und dem Opa auch nicht, der rubbelt sich sonst wieder so fest über die Augen und sagt[:] „Kind, ach Kind.“[.]
Ich sag`s nur dir, bevor du wieder gehst.
Du weißt schon.

Der Knubbel, in den sie immer ihre Medizin bekommen hat, stört mich nicht. Mein Kopf passt dadrunter.
Das hab' ich nicht kapiert. Der Knubbel ist doch nicht in ihrem "Mondgesicht"?
Vielleicht: Der Knubbel, weiter unten, in den sie immer ihre Medizin bekommen hat, stört mich nicht. Mein Kopf passt dadrunter.

Und leg die Bibel wieder zurück, vielleicht braucht sie sie gleich. Sie sagt, dass sie das Einzige ist, was jetzt noch hilft. Ich hab´ mir einen Plan überlegt. Alleine trau ich mich nicht, aber Max hilft mir, der kennt sich mit Zelten aus.
Vorschlag: Und leg die Bibel wieder zurück, vielleicht braucht sie die gleich. Sie sagt, das Einzige, was jetzt noch hilft, ist der Liebe Gott.
Ich hab' mir einen Plan überlegt. Alleine trau ich mich nicht, aber Max bestimmt, der kennt sich auch mit Zelten aus.

Und dann bauen wir es ab.

Hast du das gehört? Oben geht die Tür. Du musst dich rausschleichen. Guck in ein paar Tagen über das Gartentor. Dann ist das Zelt weg, glaub`s mir.

Den Satz würde ich streichen, wird ja dann klar und du hast das Problem mit "es" umschifft, weil du das Zelt ja erst am Ende erwähnst.


So, mehr hab' ich nicht gefunden.

Schöne Geschichte.


Vielen Dank fürs Hochladen!


hell

 

Hej Nelles,

schönes erstes Ding haste da abjeliefert! Respekt!

Mit dem "titschen" hab ich null Probleme, aber das mag regional sehr unterschiedlich sein. Ich Rheinländer kenne titschen als Äquivalent für aufprallen (lassen), Flummi = Titschball.
Kannst dir überlegen, ob du das zum besseren überregionalen Verständnis austauschen willst. Zwingend notwendig ist das nicht.

Die Nummer mit dem Zelt hat mich natürlich auch beschäftigt, allein schon des Titels wegen. Aber ich muss zugeben, einen schlüssigen Reim kann auch ich mir darauf nicht machen. In meiner Lesart könnte sich darin die Krankheit der Mutter verbergen? Das Zelt steht schon bedrohlich nahe, belebt ist es nur nachts, wenn Mama leise Geräusche macht, tagsüber sieht man nur leichte Spuren, nichts hilft außer der Bibel, aber man muss doch was machen, ja, denkt das Kind: das Zelt abbauen! Ist mir etwas zu verschwurbelt. Da könntest du dem Leser belastbare Brücken bauen.

Deine Beschreibungen aus kindlicher Perspektive fand ich glaubhaft und gelungen. Tatsächlich bin ich über nix gestolpert und emotional ergriffen von Plot und Prot.

Ein dringender Ratschlag zu allen Kommentaren, so auch meinem: Nimm was du brauchst, den Rest drück guten Gewissens in die Tonne. Es ist und bleibt dein Text!

Peace, linktofink

 
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"Blackbird singing in the dead of night
Take these broken wings and learn to fly
All your life you were only waiting
For this moment to arise

Blackbird singing in the dead of night
Take these sunken eyes and learn to see
All your life you were only waiting
For this moment to be free"​


Wa lakota hierorts bei (und auch schon: in) den Zelten der Wortkrieger,

Nelles,

und vielleicht wirst Du Dich fragen, warum der den Beatles'-Song (an sich ein Alleingang von McCartney) nimmt, aber die Amsel ("black bird") ist nicht nur eine besondere Drossel, sondern zugleich auch ein Totenvogel, mit dem wir jetzt das "rote Zelt" betreten, zu dem Mutter unterwegs ist - wenn auch nicht zum Nachbarn, dem

alten Kratzbart,
der mit Seinesgleichen auch die Prärie - selbst die in Dakota - plattgetreten bekäme.

Ich glaub, das ist ein besonderes Talent der Kratzbärte ...

Mama jedenfalls nicht, die konnten wir früher schon nie dazu überreden. Jetzt erst recht nicht, wo sie wieder keine Haare hat. Obwohl das auch praktisch ist, da muss sie nicht föhnen.

Schöner Einstieg hierorts, der mir auch dehalb schon gefallen muss, weil die gelegentlichen Konjuktiv-Einschübe gelingen, i. d. R. ohne würde-Konstruktion. Wie mich überhaupt die Sprache zwischen kindlich naiv, schnoddrig und schlitzohrig raffiniert fasziniert.

Hier, direkt zu Anfang aber sollten Kommas gesetzt werden wegen der eingeschobenen Position des "Bitte"

Aber[,] bitte[,] sei leise
i. d. R. macht sogar der Sprecher eine (man kann's getrost "theatralische") Pause nennen, denn für Kleist waren Kommas weniger bloße Satzzeichen als Regieanweisungen, wollte er doch ursprünglich Theater machen, was mit der Uraufführung des zerbrochenen Kruges im Hause Goethe danebenging. Der Meister hatte seine Finger drin, denn auch Olympier pflegen neben Großmut ihre Kleinkrämerseele, wenn sie Konkurrenz fürchten). Wie Du "bitte" auch positionierst ("Aber sei bitte leise" oder "Aber sei leise bitte") bestenfalls nur ein Komma lässt sich vermeiden.

kleinere Flüchtigkeiten

„Irgendwas kann man immer machen“[,] sagt Opa.
(Weiser Mann, der Opa!)

Gelegentlich musstu einen Fliegenschiss von Punkt nach wörtl. Rede löschen

... und sagt „Kind, ach Kind.“.
... den halben Tag allein sind.“.

"Blackbird singing in the dead of night
Take these broken wings and learn to fly
All your life you were only waiting
For this moment to arise

...

Blackbird singing in the dead of night
Won't you take these sunken eyes and learn to see?
All your life you were only waiting
For this moment to be free"
The Beatles, 1968​


Gern gelesen vom

Freatle

 

Hi Nelles,

Ich will nur ganz schnell Nichtgeburtstagskind in seiner Kritik bestärken: Super toll geschrieben, trotzdem verstehe ich nicht, was es mit dem Zelt auf sich hat. Das finde ich schade. Vielleicht magst du es ja erklären, das würde mich freuen.

Ein Punkt noch: Ich finde, du kannst die Apostrophe (hab' , mach' etc.) alle streichen. Schreib nur "hab", "mach" und so weiter, das ist nicht minder verständlich und stört den Lesefluss weniger.

Dennoch hab ichs gern gelesen.

Das soll's dann von mir auch schon gewesen sein.
Viele Grüße, Salomon

 

Hallo Salomon - trotz des ungewöhnlichen Ortes erst einmal herzlich willkommen hierorts!, begegnen wir uns doch das erste Mal - hier ein Zitat zum Apostroph von einem Größeren als wir alle hier zusammen:

(aus derSchändung der Pandora von Karl Kraus): "Der deutsche Apostrophenraub, der den Indikativ »ich raub'« nicht mehr vom Imperativ »raub« unterscheiden läßt und gar den Konjunktiv des Imperfekts »ich schrieb'« nicht mehr vom Indikativ »ich schrieb«, macht jede moderne Ausgabe eines Klassikerwerkes schon zur Augenqual, wenn nicht zur vorgestellten Ohrenpein. Abgesehen von der Verwechslungsgefahr, welche manchmal durch den Sinn paralysiert wird, ist das eindeutige Monstrum eines »ich bänd« unerträglich. Diese Zeitsparmaschinen ahnen nicht die Bedeutung eines im Apostroph nachschwingenden Vokals und setzen auch getrost ein raumhaftes »lang« für das zeithafte »lang'«, ohne daß doch in beiden Fällen »lank« zu sprechen wäre."

Und vielleicht lässt sich ja das rote Zelt in meinem Beitrag lösen ... Nelles, den Autor also sein eigenes Werk interpretieren zu lassen hat zwar einen gewissen Reiz - aber ist es nicht doll, wenn mehrere Wege möglich sind statt eines ausgetretenen Pfades?

Tschüss

Friedel

Nur mal so

 

Liebe Kommentatoren,

vielen lieben Dank fürs Lesen! Ihr habt mir den Start hier leicht gemacht und ich habe mich sehr über Eure Anregungen gefreut und einige übernommen. Wahrscheinlich ist es dem ein oder anderen jetzt immer noch zu verschwurbelt, aber hell und Friedrichard haben`s getroffen, besser kann ich es nicht erklären. Euch allen danke für Eure Zeit! Ob ich mich so bald traue, Eure Texte zu kommentieren, weiß ich noch nicht. Da bringen andere mit Sicherheit mehr Know How mit. Mir ist aber klar, dass es nicht einseitig bleiben darf.

Deshalb: bis demnächst, Nelles

 

Hallo Friedrichard,

Seit Wochen warte ich hoffnungsfroh, endlich einmal eine deiner legendären Weisheiten in Zitatform um die Ohren geschmettert zu bekommen! Jetzt lässt es mich natürlich vor Ehrfurcht und Scham erstarren, dass mir nun ein Lapsus in der Kritik einer anderen Geschichte gerügt wird. Hiermit ziehe ich meinen Vorschlag zum Löschen der Apostrophe freilich zurück, alles andere wäre frevelhaft, ob deiner unbestreitbaren Größe, Friedrichard (und, okay, nicht zu vergessen Karl Kraus). Erst mit deinem Willkommen fühle ich tatsächlich in den Reihen der Wortkrieger eingereiht. Großen Dank dafür! Es ist mir eine Ehre, deine Bekanntschaft zu machen.

Das wär's soweit mit meiner Hommage. Sorry, Nelles, dass diese ihren Platz unter deiner Geschichte findet.

Viele Grüße,
Euer Salomon

 

Den Zeltmann habe ich noch nie gesehen, aber ich bin mir trotzdem sicher, dass es ein Mann ist.

"Du, der in Licht sich hüllt wie in ein Gewand, der den Himmel ausspannt gleich einer Zeltdecke,
der seine Obergemächer errichtet in den Wassern, der Wolken macht zu seinem Wagen, der einherzieht auf den Flügeln des Windes, der Winde zu seinen Boten macht, Feuer und Lohe zu seinen Dienern ..." singt David im Psalm 104, Erinnerungen an Prähistorik, vor allem aber das nomadische Leben vor der Sesshaftwerdung und der Wandlung zu einer Ackerbaugesellschaft.

Ich noch mal, wenn ich darf,

Nelles,

denn Du nutzt in Deinem kleinen, feinen Erstling - abgesehen davon, dass jedes Wort an sich schon Symbol ist, ist es doch nur als Wort "Wort" identisch mit dem, was es bezeichnen soll, selbst der Buchstabe kommt nicht mehr vom Holz der Buche -mit bedeutungsschwerer Symbolik.

Da ist zunächst das "Zelt", das nicht nur eine Form der Behausung darstellt, sondern durch seine Beweglichkeit das irdische Leben als eine Wanderung von der Ankunft bis zum Abschied deutet, dem ab- und ausscheiden aus einer Gruppe, deren kleinste ein Paar ist. Die Farbe, die Du wählst, reicht vom Karminrot des Bluts bis zum Zinnoberrot des Feuers, das mit dem Mythos des Prometheus und damit der Bewusstwerdung (und Sprachbildung - denn wie äußert sich ein Bewusstsein anders als durch Sprache?) zusammenhängt, dass das Rot symbolisch die größten Gegensätze von der Liebe bis zur Aggression abdeckt, schmort die arme Seele doch je nach Verdienst in Fegefeuer oder Hölle oder frohlocket und singt Luja, wie der Dienstbote Alois.

Und selbst die gerade gegossenen Blumen trauern

Ich habe ihnen schon neues Wasser gegeben, mit der kleinen Gießkanne. Ohne zu kleckern. Aber es hat nix geholfen, die Köpfe bleiben unten.
Und ob je- oder niemand in dem Zelt ist ...

Wer weiß das schon, außer dem, der da rin ist. Oder eben nicht.

Dein im Profil selbst gestecktes Ziel ist - so meine ich - fürs Erste geglückt!

Tschüss und bis bald

Friedel

 

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