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Das Ringen des Reptils

Fux

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17.03.2015
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Das Ringen des Reptils

Friedrich erinnerte sich nur vage an seine Anfänge. Erst war da nichts; nichts außer Dunkelheit und raschelndem Papier, das ihn zwischen den Zehen kitzelte. Er hätte nicht sagen können, wie lange er so gelegen hatte, eingelullt in knisterndem Kitzelpapier. Eines Tages aber, und es war ein Tag wie jeder andere, öffnete sich ein Spalt. Eine Hand griff nach ihm, zog ihn ans Tageslicht, und hängte ihn an einen langen silbernen Stab. Zum ersten Mal blickte Friedrich an sich herab und er erkannte, wer er war. Er war Christbaumschmuck. Was genau das allerdings war, wurde ihm natürlich erst viel später klar, als er sich mit dem eingebildeten Glitzerstern über den Sinn des Lebens unterhielt. Darüberhinaus war er, nach allem was er beurteilen konnte, ein Krokodil: ein bisschen dickbäuchig vielleicht, was ihn aber seiner Meinung nach nur attraktiver machte.
Manchmal holte er sogar ganz tief Luft und pumpte sie in seinen kleinen Bauch, um ihn noch runder erscheinen zu lassen. Irgendwann einmal war ein Bus mit einem Filmplakat an seinem Schaufenster vorbei gefahren. „Godzilla kehrt zurück“ hatte dort in großen Buchstaben geprangt und unter der beeindruckend großen Schrift, ein bisschen weiter links, hatte man Godzilla sehen könne: Größer als jene Schrift und größer noch als die Häuser, die unter seinen Tritten zerbröselten wie die Gläser in Regal acht, wenn Iris müde und unachtsam beim Einräumen war. Manchmal, wenn Friedrich also ganz viel Luft in den Bauch gepumpt hatte, dachte er an Godzilla. Leise, kaum hörbar, flüsterte er dann mit tiefer Stimme „Muaaah!“, und stellte sich vor, wie er Häuser zertrampelte, wie Gläser aus Regal acht.
Friedrich war, soviel hatte er herausgefunden, nicht nur ein Krokodil, sondern sogar ein kitschiges Krokodil, worauf er, man kann es ruhig sagen, mehr als stolz war. Einmal, an einem dämmrigen Nachmittag, hatte ein Kind mit weit geöffneten Augen und Mund auf ihn gedeutet. Den zitternden kleinen Finger in Ehrfurcht erhoben, stieß es mit gedämpfter Stimme hervor: „Mama … so eins will ich haben“. Friedrich hätte auch fast gezittert; vor Aufregung. Obendrein hatte die Mutter dann auch noch gesagt: „Das Krokodil? Nein, das ist viel zu kitschig!“ Und da konnte sich Friedrich wirklich beinahe nicht mehr zusammenreißen. Er war nicht nur kitschig – er kannte das Wort nicht, war sich aber sicher, es musste wohl der Superlativ aller Komplimente sein – nein, er war sogar zu kitschig für Durchschnittsmenschen! Er, Friedrich das Krokodil, war die Helena des Christbaumschmucks. Zu schön, zu kitschig, um wahr zu sein!
Er wusste schon, dass normale Krokodile nicht glitzerten, oder Tütüs anhatten, oder Pompons in den Händen hielten wie Cheerleader. Die andern Krokodile an der Silberstange fanden es wohl auch nicht schön, kitschig zu sein. Sie blickten an sich herab, betrachteten das Tütü und seufzten tief. Friedrich aber mochte das Tütü, das über seinem kleinen Bauch hing, knapp oberhalb seiner kurzen Beinchen endete und so schön hin und her schwang, wenn ein zimtiger Luftzug durch den Laden flüsterte. Er fand, sein Schwingtütü hatte etwas majestätisch und er fühlte sich trotz der kurzen Beine und des Bäuchleins sehr elegant und glücklich. „Grins nicht so doof!“ sagte eine Rentier einmal, das neben ihm hing und weder ein Tütü trug noch glitzerte. Nun, er wäre auch gerne ein bisschen kitschig, dachte sich Friedrich, schloss die Augen und wenn keiner zusah summte er leise Schwanensee und wog seine Hüfte von links nach rechts und wieder zurück, so dass sein Tütü schwang wie die Glocke des großen Turms, die man vom Schaufenster sehen konnte.
Eines Tages überhörte Friedrich eine Konversation zwischen dem eingebildeten Stern und dem nostalgischen Rentier. „Ach Luise, wir sind zeitlos schön, das weist du doch. Wir werden sorgsam angefasst und im Jänner in eine Schachtel gelegt, nur um im nächsten Jahr wieder an dem Christbaum zu hängen.“ „Ja, Ludgar, da hast du wohl recht, nicht so wie dieses geschmacklose Krokodil. Das ist ja mal ganz lustig... aber für immer? Wer will denn das...“ Nur wer ganz aufmerksam war hätte beobachten können, wie die Pompon haltenden Hände des Krokodils ein klitzekleines bisschen sanken und die aufgemalten Augen ganz fest die Gläser in Regal acht fixierten.
In den folgenden Tagen pumpte Friedrich selten Luft in seinen Bauch oder schwang sein Tütü. Stattdessen setzte er sich intensiv mit dem Existentialismus auseinander. Er beschäftigte sich mit Camus, Kirkegaard und Nietzsche. Nach drei nervenaufreibenden, Godzilla- und Schwingtütülosen Tagen, blickte Friedrich fröstelnd auf und murmelte tonlos: „Gott ist tot...“ „Wer ist Gott?“ fragte ihn sofort ein Kerzenengel, der seit kurzem auf einem Tischen gegenüber stand. Friedrich drehte langsam seinen Kopf dem Engel zu, sah ihn eindringlich an und flüsterte noch leiser und eindringlicher: „Ich weiß es nicht.“ Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Wahrscheinlich der Christbaumverkäufer“, woraufhin der Kerzenengel, die Augen zusammen kniff und wissend nickte.
Von nun an empfand Friedrich seine Existenz als sinnlos. Sein Tütü erschien ihm absurd, seine Pompons essenzlos, sein Glitzer erinnerte ihn daran, dass es kein Zurück mehr gab, nachdem er nun die Kulissen der Selbsttäuschung eingerissen hatte. Wenn ein Zimtwind durch den Laden strich, ergriff ihn ein tiefer Daseinsschmerz ob der Schönheit der Empfindung. Mitleidig und neidvoll blickte er auf Ludgar und Luise, die sich daran erfreuen konnten zeitlos schöner Christbaumschmuck zu sein. Lieber die Pompons ins Korn werfen, als zeitlos sinnloser Christbaumschmuck sein, dachte er sich entschlossen, und streckte die Pompons energisch gen Himmel wie ein Revolutionär die Tricolore auf den Barrikaden in den Gassen von Paris.
Und dann eines Tages betrat eine Frau den Laden, die sich tief in ihren gelben Mantel gewickelt hatte. Fast ein bisschen so als wäre es Kitzelpapier in einem Karton. Sie sah Friedrich direkt an, lächelte und innerhalb von einer halben Minute hatte sie ihn gepackt und zur Kasse getragen. „Viva la Revolucion!“ rief er dem Kerzenengel noch zu, und Ludgar und Luise, dann hatte Iris ihn auch schon in eine Papiertüte gesteckt, die ihn seinem Leben als Christbaumschmuck entgegen tragen sollte. Friedrich fror fürchterlich in der Tüte, irgendwann fiel sogar eine Schneeflocke herein und schmolz auf seiner Nase. Plötzlich war es wieder warm, aber als Friedrich sich umsah, fand er sich nicht in einem kuscheligen Wohnzimmer mit Endstation Christbaum wieder, sondern in einem Krankenzimmer. Die Frau stellte ihn auf den Tisch neben dem Bett, in dem ein junger Mann lag und schlief. Max. Daneben legte sie eine Karte, auf die Friedrich schielte. In feiner, aber leicht unregelmäßiger, Handschrift war dort geschrieben: „Mutmachermotivationsreptil!“
Friedrich schluckte schwer, denn es fiel ihm wie Glitzerpartikel von den Augen und zum ersten Mal seit seiner philosophischen Studien vor einer Woche lächelte er. Er war kein schnöder Christbaumschmuck. Er war zu kitschig! Er war Friedrich, das absurde Motivationskrokodil! Er glitzerte, hatte Cheerleader-Pompons in den Händen, einen kleinen Bauch, kurze Beine, und Teufel ja, ein Tütü! Und er war stolz darauf. Von nun an widmete er sich seiner Aufgabe und Max, blickte ihm sehr konzentriert und tief in die Augen, wenn der ihn in der Hand hielt oder fragend ansah, den Kopf in die Hände gestützt und die Schultern hängend. Dann streckte er ihm, soweit es seine kurzen Arme eben zuließen, seine Glitzerpompons entgegen und glaubte ganz fest an Max.
Es dauerte nicht lange bis Friedrich immer häufiger wieder so tat, als ob er Godzilla wäre und Häuser zertrampelte, wenn er da so in Maxs Wohnung stand. Und dann genoss er den Wind wieder. Nach einiger Zeit roch es nicht mehr nach Zimt, sondern nach Regen, und dann nach Blumen, und irgendwann nach heißem Asphalt, und noch bevor es nach Blättern roch, dachte Friedrich an Ludgar und Luise, die nun in ihrem Karton lagen, ganz sinnlos und stolz auf das nächste Weihnachten wartend, während er, Friedrich, Schwanensee summend und Tütü schwingend, überall dort hin ging wo Max hinging, vereint in der Revolution gegen die Absurdität des Lebens. Manchmal erwischte er sich dabei wie er sehr laut, vielleicht sogar zu laut, summte, an besonderen Asphaltluft Tagen inzwischen auch mal den Bossa Nova, und seine Hüfte kreisen lies, dass sein Tütü nur so flatterte. Und dann blickte er verstohlen zu Max, ob der etwas gemerkt hätte.
Viele Zimtwinde, später fragte eine Frau Max einmal, was das für ein irrwitziger Christbaumschmuck sei, als ihre Augen auf Friedrich fielen. „Christbaumschmuck“ hatte ihn schon lange niemand mehr genannt; er atmete scharf ein und hielt die Luft an. „Ich sehe keinen Christbaumschmuck“, hörte Friedrich Max lachen und dann war es ihm als ob Max ihm ganz blitzschnell zuzwinkerte bevor er ergänzte: „Er hat mir seinen Namen nie verraten, aber er mag Schwanensee.“
Ungeklärt bleibt was Friedrich übermannte: die Rührung, das Glück, das Gefühl des ertappt worden seins, oder die Tatsache, dass er immer noch die Luft anhielt. Aber kurz bevor es ihm ganz leer im Kopf, und er ohnmächtig wurde dachte er „Scheiß auf Nietzsche!“ und riss die Pompons hoch.

 
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Hallo Fux und herzlich willkommen hier!

Dein Text ist irgendwie ein bisschen durchgerutscht und nun will ich doch einmal etwas dazu schreiben. Zunächst Formalia: Ich denke, ein paar Absätze würden der Struktur ganz gut tun. Also nicht nur Zeilenumbrüche, sondern optisch sichtbare Einschnitte, das erleichtert den Lesefluss. Dann finde ich den Tag „Philosophisches“ nicht so ganz angebracht, dafür würde „Weihnachten“ vielleicht besser passen. Außerdem benutzt du manchmal Semikola an Stellen bei denen ich denke, dass ein normales Komma es auch tun würde.

Den Einstieg finde ich ganz gelungen. Man bekommt ein paar Indizien, die Fragen aufwerfen, diese schaffen es auch die Spannung zu halten.

Er hätte nicht sagen können, wie lange er so gelegen hatte, eingelullt in knisterndem Kitzelpapier.
Das „knisternde Kitzelpapier“ fand ich ganz famos, das „einlullen“ verbinde ich eher mit sowas wie „wegdämmern“ oder „nicht ganz bei Sinnen sein“, da fände ich vielleicht sowas wie „gebettet“ oder „eingeschlagen“ besser, das würde denke ich auch dem Spannungsbogen dienlich sein.

Eines Tages aber, und es war ein Tag wie jeder andere, öffnete sich ein Spalt.
Das stimmt so nicht. „Eines Tages“ war ja gerade eben kein Tag wieder jeder andere, sondern ein besonderer: ein Spalt öffnet sich!

Zum ersten Mal blickte Friedrich an sich herab und er erkannte, wer er war. Er war Christbaumschmuck.
Das finde ich genial aber bei dem Sujet Subjektivierung von Dingen hast du in mir auch eine sehr dankbare Leserin gefunden! :)

Den Gozilla-Absatz mag ich ebenfalls, nur der letzte Satz:

Leise, kaum hörbar, flüsterte er dann mit tiefer Stimme „Muaaah!“, und stellte sich vor, wie er Häuser zertrampelte, wie Gläser aus Regal acht.
der ist zu stark verkürzt: „... und stellte sich vor, wie er Häuser zertrampelte, die dann barsten,wie Gläser aus Regal acht“ oder so.

Er, Friedrich das Krokodil, war die Helena des Christbaumschmucks.
Das Friedrich nur kennt, was er dort von seinem Schaufenster aus sehen oder hören kann, frage ich mich: woher kennt er antike Mythen? Dasselbe trifft auf den „Schwanensee“ zu. Da du sonst sehr viel erklärst, was Friedrich woher kennt und weiß, wäre das hier auch angebracht.

Eines Tages überhörte Friedrich eine Konversation zwischen dem eingebildeten Stern und dem nostalgischen Rentier.
Nostalgisch? Vielleicht eher neurotisch, oder? Oder konservativ …

Stattdessen setzte er sich intensiv mit dem Existentialismus auseinander. Er beschäftigte sich mit Camus, Kirkegaard und Nietzsche.
Find ich im Prinzip gut – aber auch hier: Woher kennt er die? Woher weiß er das alles? Dadurch, dass das nicht klar wird, funktioniert auch leider der Gott-Christbaumverkäufer-Witz nicht, meiner Meinung nach.

Lieber die Pompons ins Korn werfen, als zeitlos sinnloser Christbaumschmuck sein, dachte er sich entschlossen, und streckte die Pompons energisch gen Himmel wie ein Revolutionär die Tricolore auf den Barrikaden in den Gassen von Paris.
Das finde ich jetzt auch nur ncoh übertreiben, sorry.

Die Frau stellte ihn auf den Tisch neben dem Bett, in dem ein junger Mann lag und schlief. Max.
Hier wieder: Woher weiß das Krokodil das?

Von nun an widmete er sich seiner Aufgabe und Max, blickte ihm sehr konzentriert und tief in die Augen, wenn der ihn in der Hand hielt oder fragend ansah, den Kopf in die Hände gestützt und die Schultern hängend.
An den Satz musst du nochmal ran, der ergibt so keinen Sinn.

Es dauerte nicht lange bis Friedrich immer häufiger wieder so tat, als ob er Godzilla wäre und Häuser zertrampelte, wenn er da so in Maxs Wohnung stand.
In seiner Wohnung? Ich dachte im Krankenhaus? Auch das mit dem Wind geht dann zu schnell: steht er am Fenster? Im Laden war der Zimtgeruch ja erklärbar aber hier gehst du nicht weiter darauf ein.

Und das Ende erschließt sich mir dann auch nich so ganz: wieso wird er ohnmächtig?

Fazit: Ich mag, wie gesagt, solche Vermenschlichungen und deine fängt stark und reflektiert an, verliert dann aber leider an Substanz, als sie immer stärker den Versuch unternimmt „philosophische Pointen“ einzubauen bis hin zur Krankenhausszene. Das gibt die Story in der kurzen Form jedoch nicht her, das müsste dann viel stärker ausgebaut werden. Und dann hat man den Eindruck, du willst deiner an sich gute Idee nur noch möglichst schnell zu einem Ende bringen – egal, wie verkürzt oder abgehakt es dann ist. Und das finde ich schade!

Also, nochmal ran und hau in die Tasten! :)
Rät
die heiterbiswolkig

 

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