Das Rad der Zeit
Sie: „Du hörst mir nie zu und nimmst mich gar nicht ernst.“
Er rührt geistesabwesend seinen leeren Kaffee um, macht einen fetten Kringel um ein Angebot aus der ausgebreiteten Wochenzeitung und trommelt mit seiner linken Hand zu einer stummen Musik den Rhythmus auf dem Küchentisch.
Er: „Ja da hast du absolut Recht, Schatz. Wärst du so lieb und machst mir noch eine Tasse? Um 16 Uhr kommt übrigens der Nachbarsjunge und probiert die Daten von >Deinem< “ USB-Stick zu retten, den du gestern falsch herum in >meinen< Rechner gewürgt hast.“
Dazu wedelt er bedeutungsvoll mit seiner leeren Tasse durch die Luft und schüttelt zugleich in einem posttraumatischem Anfall von Sentimentalität fassungslos den Kopf.
„Der Rechner war erst 20 Jahre alt!“
Sie: „Siehst du! Genau das meine ich!
Sie stellt ihm eine neue Tasse Kaffee neben die Alte. Exakt zu 4 Fünfteln mit Kaffee und zu einem Fünftel mit Milch gefüllt.
Er: „Danke sehr Schatz, du bist die Beste.“ Sie zuckersüß: „Ja Schatz, ich weiß“.
Er: „Du, ich hatte dir doch erzählt, dass ich dieses Wochenende mal wieder mit meinen Jungs vom Fußball eine kleine Tour geplant habe?“
Er kramt verstohlen einen kleinen schwarzen Terminplaner aus der Jackett-Tasche und kritzelt hastig „Tour mit den Jungs planen“ hinein. Eingekreist, doppelt unterstrichen und mit drei Ausrufezeichen versehen. Währenddessen ist sie irgendwie zugleich in der Küche und im Wohnzimmer am Wüten.
Er nimmt einen Schluck Kaffee. Seine Finger bearbeiten wieder rhythmisch die Tischplatte.
Plötzlich ist Stille. Er verspannt sich. Irgendwas stimmt da nicht. Es ist sehr still.
Sie kommt bedrohlich ruhig aus dem Wohnzimmer. In ihrer linken Hand hält sie ein Staubtuch. In der rechten einen kunstvoll geschliffenen gläsernen Fußball-Pokal.
Auf einer kleinen Metallplatte steht eingraviert: „Für unseren Mannschaftskapitän, Kumpel und ewigen Glückspilz. Deine Jungs“
Ihr Gesichtsausdruck ist frei von jeglicher Emotion. Seine linkes Augenlid fängt beinahe unsichtbar an zu zucken.
Sie: „Weißt du eigentlich, welcher Tag heute ist?“
Er: „Klar, Mittwoch, habe doch gleich Training und Grillabend mit den Jungs“
Verdammt. Zu schnell. Das war nicht unbedingt die falsche Antwort aber definitiv auch nicht die richtige.
Sie: „Nein Schatz, das hast du heute garantiert nicht.“
Er steht vorsichtshalber auf. Nicht zu schnell. Behutsam. Sachte. Seine Gedanken rasen: Der Tag!! Welches Datum ist heute?! Mittwoch. April. Anfang April. Nicht der Erste.
Oh. Verdammt. Nicht gut.
Sie: „Hast du da nicht eine Kleinigkeit vergessen?“
Er: „Ja-ach-ja stimmt, die Tour war erst im Mai geplant, kleiner Scherz am Rande.“
Auch zu schnell. Auch nicht besser.
Sie lässt den Glaspokal los. Damit hat er gerechnet.
Er hechtet vor.
Sie rührt sich nicht.
Er wacht auf.
Immer der gleiche Traum. Er knetet sich die Stirn und wischt sich eine einsame Träne aus dem Augenwinkel.
Neben ihm liegt eine zierliche Schönheit. Sie ist 20 Jahre jünger als er.
Vorsichtig steigt er aus dem Bett. Sie murmelt im Halbschlaf „Schatz wohin gehst du?.“
Er streicht ihr durchs Haar. „Vorwärts, immer nur vorwärts“ murmelt er undeutlich.
„Wie bitte?“ fragt sie.
„Nur 'was trinken, bin gleich wieder da“ sagt er lauter.
Er geht in die Küche und macht sich einen Kaffee. Dann ins Wohnzimmer. Er nimmt ein Tuch und poliert einen Pokal. Es ist Anfang April.