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Das Puzzle

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01.01.2010
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Das Puzzle

Als Jürgen die graue Schachtel aus seinem Schrank zog, konnte er sich nicht erinnern, sie jemals gesehen zu haben. Sie war etwas kleiner als ein Schuhkarton und wirkte unscheinbar. Keine Schrift, kein Logo zierte ihre Oberfläche.
Er schüttelte sie und hörte, wie ihr Inhalt raschelte. Er legte seine Stirn in Falten und überlegte, ob sie ihm nicht doch bekannt vorkam. Vielleicht stammte sie aus dem aufgelösten Haushalt seiner Mutter. Sie war vor über drei Jahren gestorben, und damals hatte er viele Dinge, von denen er sich nicht trennen konnte – oder wollte – in seinem Hobbyraum im Keller in verschiedenen Schränken verstaut.
Er trug die Schachtel zu seinem Schreibtisch, öffnete sie und lachte laut auf, als er sah, dass sie unzählige Teile eines Puzzles enthielt.
„Ach du Scheiße“, sagte er und schüttelte den Kopf. In seiner Jugend war er ein begeisterter Puzzler gewesen, doch noch nie hatte er ein Puzzle gemacht, zu dem er das Motiv nicht kannte. Er kramte in der Schachtel und hoffte auf eine Zeichnung oder ein Bild, welches das Motiv zeigen würde, doch die Schachtel enthielt nur die einzelnen Teile.
Vermutlich stammte es tatsächlich aus dem Haushalt seiner Mutter. Vielleicht hatte sie ihm dieses Puzzle irgendwann einmal gekauft, und es war aus irgendeinem Grund in Vergessenheit geraten und in einer grauen Schachtel gelandet. Und so war es irgendwie in Jürgens Hobbyraum gelandet.
In diesem Raum ging Jürgen verschiedenen Hobbys nach – hauptsächlich malte er. Er besaß einen langen, rechtwinkligen Schreibtisch, auf dessen einer Seite sein Computer und seine Musikanlage standen. Die andere Seite enthielt nur ein paar Bücher und gerahmte Bilder von ihm und Kerstin. Er betrachtete die Fläche und schätzte, sie würde für ein etwas größeres Puzzle ausreichen.
Könnte eine interessante Herausforderung werden, dachte er.
Obwohl er sich noch nicht entschlossen hatte, das Puzzle zusammenzusetzen, leerte er aus Neugier die Schachtel auf der Tischfläche aus und begann, die Teile zu sortieren. Er schätzte ihre Anzahl auf etwa 1000. Vor zwanzig Jahren wäre das eine Kleinigkeit für ihn gewesen, obwohl das fehlende Motiv den Schwierigkeitsgrad deutlich steigerte.
Man beginnt immer mit dem Rand, erinnerte er sich.
Er nahm jedes Teil in die Hand und prüfte, ob es zum Rand gehörte. Falls ja, landete es zu seiner Linken, falls nein, legte er es mit der korrekten Seite nach oben zurück in die Mitte. Schon nach kurzer Zeit stellte er fest, dass es sich um ein überwiegend dunkles Motiv handelte. Die meisten Teile waren schwarz oder zumindest sehr dunkel, einige Andere leuchteten dafür in hellem Orange oder Rot.
Könnte schwierig werden. Der rote Teil wird einfach, aber die vielen schwarzen Teile sehen sich so ähnlich.
Die Randteile nach links, der Rest in die Mitte. Die Arbeit war monoton, doch Jürgen stellte fest, dass er immer schneller wurde. Noch immer war er nicht sicher, ob er das Puzzle wirklich zusammensetzen wollte. Eigentlich hatte er an seinem aktuellen Bild weitermalen wollen, doch was sprach dagegen, dem Puzzle eine Chance zu geben?
Es interessierte ihn, welches Motiv am Ende herauskommen würde.
Bei all den schwarzen Teilen.

„Du warst lang im Keller gestern Abend“, sagte Kerstin beim Abendessen am nächsten Tag. Es klang nicht vorwurfsvoll, obwohl Jürgen das erwartet hätte. Sie waren beide berufstätig – er in einer Versicherung, sie in einer Bücherei – so dass sie meist nur den Abend gemeinsam hatten.
„Ja, bin an einem neuen Bild dran“, log Jürgen. Er wollte ihr nichts von dem Puzzle erzählen, so lange er noch nicht sicher war, es auch zu beenden.
Kerstin fragte ihn nicht, was das Bild darstellte. Jürgen fand, sie zeigte immer weniger Interesse an seiner Person. Das Schweigen zwischen ihnen war mittlerweile zu einem ständigen Begleiter geworden, und Jürgen kam es so vor, als wog es immer schwerer. Sie versuchten, seit mehr als einem halben Jahr ein Baby zu bekommen, doch es klappte nicht. Auch wenn Kerstin das niemals gesagt hatte, so vermutete Jürgen, gab sie ihm die Schuld daran.
„Wie läuft die Arbeit?“, fragte er, doch es klang uninteressiert, gezwungen.
„Viel Stress momentan. Matthias hat sich krank gemeldet, da bleibt die ganze Arbeit an mir hängen.“
Jürgen wünschte, er hätte nicht gefragt. Er hatte ihren Kollegen einmal gesehen, einen jungen, sportlichen Mann. Ihm gefiel der Gedanke nicht, dass sie den ganzen Tag zusammen waren, insbesondere jetzt nicht, wo ihre Beziehung eine womöglich ernsthafte Krise durchmachte. Auch ohne konkreten Anlass fühlte er jedes Mal einen Stich im Herz, wenn sie seinen Namen erwähnte.
„Weißt du schon, was du heute Abend im Fernsehen schauen willst?“, fragte ihn Kerstin. Jürgen dachte an das Puzzle im Keller und verspürte auf einmal große Lust – beinahe einen Drang – daran weiterzuarbeiten. Es würde ihn von attraktiven Männern in Kerstins Nähe und unerfüllten Schwangerschaftswünschen ablenken.
„Nein, ich denke, ich werde noch ein wenig malen“, antwortete er.
Kerstin sagte nichts darauf, doch Jürgen fand, das drückte mehr aus als tausend Worte.

Kurze Zeit später setzte er sich wieder an das Puzzle. Er hatte beinahe den kompletten Rand geschafft und wunderte sich, wie schnell er vorankam. In vielen Fällen griff er – trotz des fehlenden Motivs – zielsicher nach den richtigen Teilen.
Nur eine halbe Stunde, sagte er sich. Dann würde er sich zu Kerstin auf das Sofa setzen und mit ihr gemeinsam fernsehen. Vielleicht würden sie sogar ein wenig miteinander sprechen.
Die Arbeit lief flüssig. Jürgens Hände flogen förmlich über die ausgebreiteten Teile, nahmen immer wieder eines davon heraus und setzten es an seinen richtigen Platz. Das Motiv nahm langsam Gestalt an, doch er konnte es noch nicht erkennen. Es enthielt einfach zu viel Schwarz.
Plötzlich spürte er, wie ihm eine Schweißperle die Schläfe hinunterlief. Er empfand seinen Hobbyraum auf einmal als stickig, und er meinte, Motorengeräusche zu hören.
Er richtete sich auf. Motorengeräusche?
Sie waren verschwunden, und er war sicher, sich diese nur eingebildet zu haben. Er musste an ihre Fahrt nach Italien im letzten Sommer zurückdenken, als sie für zwei Wochen auf einen Campingplatz gefahren waren. An das monotone Surren des Motors, während Kerstin geschlafen hatte.
Warum denke ich ausgerechnet jetzt an diese Fahrt?, fragte er sich, doch er ging der Frage nicht weiter nach. Er konzentrierte sich nur auf das Puzzle und dessen Motiv, von dem immer mehr sichtbar wurde.
Da waren Autos. Zwischen den schwarzen Stellen konnte er Autos erkennen. Ein Teil von ihnen wurde sogar durch einen Lichtschimmer erhellt, doch Jürgen konnte die Quelle nicht sehen. An dieser Stelle klaffte noch ein großes Loch. Er sah auch einzelne Menschen. Einige von ihnen waren aus ihren Autos gestiegen und blickten in Richtung der unbekannten Lichtquelle. Ihre Gesichter beunruhigten Jürgen. Sie wirkten -
„Tina! Tina!“
Jürgen schreckte hoch und fegte dabei einige Puzzleteile auf den Boden.
Was war das?
Es hatte sich angehört, als würde ein Mann direkt hinter ihm schreien. Jürgen wirbelte herum und erwartete, einen Mann in seinem Hobbyraum zu sehen. Doch natürlich war da niemand.
Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und stellte fest, dass es schweißüberströmt war. Sein Hemd klebte an seinem Oberkörper, und sein Herz pochte.
Was war das gewesen? Wer hatte da geschrien?
Er blickte auf die Uhr und schluckte. Er hatte beinahe vier Stunden an dem Puzzle gearbeitet. Kerstin war inzwischen bestimmt längst ins Bett gegangen.
„Nicht zu glauben“, flüsterte er. Ein großer Teil der linken Hälfte des Puzzles war fertig. Er zeigte Autos, die mit hoher Geschwindigkeit ineinander gefahren waren. Einige davon waren kaum mehr als Autos zu erkennen, so sehr hatten sich die Wracks ineinander verkeilt. Jürgen sah zerborstene Scheiben und zusammengedrückte Karosserien.
In manchen Autos konnte man vage die Silhouetten von Menschen sehen, doch die meisten – zumindest die Unverletzten – waren ausgestiegen. Einige bluteten, und ein Teil von ihnen beugte sich in die Fahrzeuge, um nach Insassen zu sehen. Andere blickten auf die rechte Seite, wieder andere schienen davor zu flüchten. Zwischen ihnen befanden sich immer wieder große, schwarze Flächen, die das eigentliche Motiv bedeckten.
Jürgen blickte schockiert auf die Gesichter der Menschen, die zu erkennen waren. Sie wiesen alle eine Gemeinsamkeit auf. Sie waren zu Fratzen verzerrt, die wildes Entsetzen, Angst und Panik ausdrückten.
Sie schrien alle.

Am nächsten Tag musste er ununterbrochen an das Puzzle denken. Er hatte leichte Kopfschmerzen bekommen, doch er fieberte dem Moment entgegen, wenn er es beenden und endlich das komplette Motiv würde sehen können.
Kerstin war direkt nach der Arbeit mit Freundinnen ausgegangen, so dass Jürgen kein weiteres, mit unangenehmem Schweigen durchsetztes Abendessen ertragen musste und statt dessen direkt in den Keller gehen konnte.
Er blickte lange auf das Puzzle mit den verängstigten und verletzten Menschen und überlegte, dass es besser sein könnte, es nicht zu beenden. Mit seinen vielen Löchern erinnerte es ihn an ein klaffendes Maul, dem Zähne fehlten. Es war unheimlich, doch es übte gleichzeitig eine düstere Faszination auf ihn aus. Es war wie eine schreckliche Szene in einem Horrorfilm, bei der man sich zwar die Hände vor die Augen geschlagen hatte, gleichzeitig aber durch die Finger lugte, weil man unbedingt sehen musste, was da kam.
Er musste dieses Puzzle beenden. Er musste einfach das komplette Motiv sehen.
Jürgen setzte sich hin, nahm ein weiteres Teil und setzte es beim ersten Versuch an den passenden Platz.
Seine Gedanken schweiften ab, während er puzzelte. Er spürte, wie seine Augen schwerer wurden. In der Ferne meinte er wieder, die Geräusche von fahrenden Autos zu hören. Der Beginn eines Traums? War er dabei, einzuschlafen?
Die Geräusche wurden intensiver, klangen jetzt lauter. Nicht weil sie näher gekommen waren, sondern weil er -
Weil ich durch einen Tunnel fahre, dachte er.
Das eintönige Brummen des Motors wirkte noch einschläfernder. Jürgen schloss seine Augen, doch seine Hände bewegten sich wie in Trance weiter.
Als er das laute Quietschen von Bremsen hörte, riss er seine Augen auf. Er saß immer noch in seiner gewohnten Umgebung, doch es waren fremde Geräusche, die auf ihn hereinbrachen. Für einen Moment hörte er lautes Prasseln und schreiende Menschen. Wieder erklangen Rufe nach einer Tina, doch diesmal waren sie leiser und gingen in dem anderen Lärm unter.
Panik kroch in ihm hoch, sie fühlte sich an wie ein eiskalter Finger, der seinen Rücken entlang strich. Er öffnete den Mund, um selbst zu schreien, um aus diesem Albtraum endlich vollständig zu erwachen.
Dann verstummten die Geräusche um ihn herum. Die einsetzende Stille wirkte bedrückend. Jürgen hörte sein eigenes Keuchen und war sich nicht sicher, ob er selbst auch geschrien hatte.
Er blickte hinunter und sah, dass das Puzzle fertig war. Jetzt sah er, wovor die Menschen flüchteten und woher all die dunklen Stellen kamen.
Das Motiv zeigte einen brennenden Lastwagen und mehrere brennende Autos in einem Tunnel. Andere Autos waren vor dem Feuer zum Stehen gekommen und ineinander gefahren. Die orange-roten Teile gehörten zu Flammen, die aus den Fahrzeugen schossen. Schwarzer Rauch zog durch die schmale Tunnelröhre und verdichtete sich an der Decke.
Einige der Menschen auf dem Motiv flüchteten vor dem Rauch und den Flammen, doch im Prinzip war das aussichtslos.
So wie es aussah hatten sie nicht die geringste Chance.

Er erfuhr es am nächsten Tag aus den Nachrichten, kurz nachdem er von der Arbeit nach Hause gekommen war.
Er hätte überhaupt nicht gehen sollen. Trotz zweier Aspirin hatte er den ganzen Tag Kopfschmerzen gehabt, und immer wieder waren seine Gedanken zu dem Puzzle zurückgekehrt. Im Laufe des Tages war er zum Entschluss gekommen, es wieder zu zerstören. Ein solches Motiv konnte er ohnehin nicht an die Wand hängen. Er glaubte, sich ohne dieses unheimliche Puzzle im Haus wohler zu fühlen. Nachdem er diese Entscheidung getroffen hatte, fühlte er sich besser. Bis er am Abend den Fernseher einschaltete und die Nachricht erfuhr, über die in einer Sondersendung berichtet wurde.
Er blickte mit offenem Mund auf den Fernseher. Seine Knie wurden weich.
Oh nein. Bitte, lieber Gott, nein.
Als Kerstin zu ihm trat und mit wachsendem Entsetzen den Bericht im Fernsehen verfolgte, bemerkte er das kaum.
Es hatte einen Unfall in der Schweiz gegeben. Im Gotthard-Tunnel war aus bislang nicht bekannter Ursache ein Feuer ausgebrochen und hatte den Tunnel innerhalb kürzester Zeit in eine Flammenhölle verwandelt. Jürgen sah Bilder, die vor der Tunnelröhre aufgenommen worden waren. Rettungs- und Feuerwehrwagen verteilten sich vor dem Eingang, aus dem eine dichte Rauchwolke aufstieg.
Es war das reine Inferno.
Aus den Nachrichten erfuhr er, dass die Feuerwehr aufgrund der enormen Hitzewelle nicht zum Brandherd vordringen konnte. Im Tunnel herrschte eine Hitze von über 1000 Grad, und die Behörden gingen von einer hohen zweistelligen Zahl an Opfern aus.
„Meine Güte, Jürgen, da sind wir auch schon durchgefahren“, sagte Kerstin. „Letzten Sommer erst.“
Jürgen nickte beiläufig. Er erinnerte sich an das prasselnde Geräusch, das er am vorigen Abend in seinem Keller gehört hatte. Es war das Geräusch von Flammen, die sich ihren Weg durch den Tunnel bahnten. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass es ein LKW war, in dem das Feuer ausgebrochen worden war.
„Weißt du noch, wie ich gesagt habe, wie gefährlich das ist? Dass es nur eine Röhre für beide Richtungen gibt?“
Jürgen antwortete nicht.
Er dachte an die Menschen, die aus ihren Autos gestiegen waren und panisch versucht hatten, der Hölle zu entkommen. Er dachte an ihre Schreie. Über 1000 Grad. Er fröstelte.
Natürlich konnten noch keine Einzelheiten zu den Opfern veröffentlicht werden, doch Jürgen war sich sicher, dass auch eine Frau oder ein Mädchen namens Tina dabei war.

Spät an diesem Abend ging Jürgen zurück in den Keller. Er kostete ihn viel Überwindung, er wollte keinen weiteren Blick auf das entsetzliche Puzzle werfen. Ein Unfall in einem Tunnel war vermutlich der schlimmste Albtraum eines jeden Autofahrers, ganz zu schweigen von einem Tunnelbrand.
Das Puzzle zeigte einen solchen Unfall, und heute war tatsächlich einer geschehen. Ein Zufall?
Was sonst?
Er weigerte sich, mehr darin zu sehen.
Du hättest den Unfall vielleicht verhindern können. Vielleicht war es eine Warnung.
Klar. Was hätte er tun sollen? Die Behörden verständigen, ihnen das Puzzle zeigen? Ihnen von den Autogeräuschen und Schreien erzählen, die er während des Zusammensetzens gehört hatte? Sie hätten ihn für verrückt erklärt.
Er betrat seinen Hobbyraum und beschloss, an seiner ursprünglichen Idee festzuhalten und das Puzzle zu zerstören. Er wollte es nicht länger im Haus haben. Er würde –
Er bliebt abrupt stehen. Lange blickte er auf das Puzzle auf seinem Schreibtisch und wollte nicht glauben, was er da sah.
Es war nicht mehr zusammengesetzt. Auf dem Tisch lagen nur noch die Einzelteile.
Jürgens Magen zog sich zu einem heißen, schmerzhaften Klumpen zusammen, und er stöhnte.
Sein erster Gedanke war, dass Kerstin es auseinander genommen hatte. Doch das war unmöglich, so etwas würde sie nicht tun. Sie hätte ihn darauf angesprochen.
Hatte er sich das Motiv gestern Abend nur eingebildet? War er vielleicht wirklich eingeschlafen und hatte es niemals zusammengesetzt? Das würde zumindest seine Halluzinationen erklären.
Nein. Unmöglich. Ich habe das Bild gesehen. Da waren Flammen, da waren kaputte Autos, da waren schreiende Menschen.
Er schloss die Augen, versuchte seine rasenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen.
Er wollte an seinem Entschluss festhalten und es entsorgen, es nie wieder sehen, weder in Einzelteilen noch zusammengesetzt. Als er die Teile in die Schachtel werfen wollte, sah er, dass es nicht mehr dasselbe Puzzle war. Während das erste Motiv hauptsächlich aus dunklen und einigen roten Teilen bestanden hatte, gab es bei diesem hier viele helle Teile mit verschiedenen Brauntönen.
Was soll das? Was geht hier vor?
Jürgen zögerte. Er blickte auf die Teile. Welches Motiv würden sie wohl ergeben?
Lass es. Denk nicht dran. Wirf es weg.
Wieder fühlte er eine unheimliche Faszination und spürte den Drang, es zusammenzusetzen. Mit unsichtbaren Fingern schienen die Teile nach ihm zu greifen, ihn zu liebkosen, ihn in ihren Bann zu ziehen. Er spürte ein Jucken in seinen Fingern, wollte sie bewegen, wollte die Teile damit zusammensetzen.
Tus nicht. Es ist ein Fehler.
Doch statt auf seine innere Stimme zu hören, setzte er sich auf seinen Stuhl. Wenn das erste Puzzle nur eine Einbildung gewesen war – und es musste eine gewesen sein, das war offensichtlich – dann war das hier das echte Puzzle, das aus dem Nachlass seiner Mutter stammte.
Jürgen fragte sich, was es wohl tatsächlich darstellte.
Er begann, die Teile zu sortieren.

Es war nach Mitternacht, als er sich neben Kerstin ins Bett legte. Er hatte alle Teile sortiert und begonnen, den Rand zusammenzusetzen. Diesmal ohne Einbildungen. Das war ein weiteres Indiz dafür, dass er das Zusammenbauen des Tunnelbrands wirklich nur geträumt hatte.
In dieser Nacht schlief er unruhig. In seinem Traum stand er vor einer verschlossenen Tür, hinter der er ein leises, sich ständig wiederholendes Quietschen hörte.

Am nächsten Morgen fühlte er sich wie gerädert. Sein Kopf pochte, und sein Hals schmerzte beim Schlucken. Er musste sich eine Erkältung eingefangen haben und beschloss, sich heute krank zu melden.
Kerstin hatte Verständnis dafür. „So wie du aussiehst, gehört du wirklich ins Bett“, sagte sie, während sie in der Küche ihr Frühstück vorbereitete. „Kein Wunder, wenn man die halbe Nacht im Keller verbringt. Was machst du da unten denn die ganze Zeit?“
„Bin an meinem neuen Bild dran“, log Jürgen. Er wollte Kerstin nicht von dem Puzzle erzählen, so lange er das Motiv noch nicht kannte. „Aber es war kaum die halbe Nacht. Ich war um halb eins im Bett.“
Er nahm eine Aspirin und spülte sie mit einem Schluck Kaffee hinunter. Das Schlucken bereitete ihm Schmerzen, und er verzog sein Gesicht.
Kerstin lachte trocken. „Ja, und um drei oder so bist du wieder aufgestanden.“
Jürgen blickte sie mit verschlafenen Augen an. „Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst.“
„Bist du jetzt unter die Schlafwandler gegangen, oder was? Du bist heute Nacht gegen drei aufgestanden und erst am frühen Morgen wieder ins Bett gekommen. Du hast doch gemalt, oder?“
Jürgen sagte nichts mehr und blickte seine Freundin mit großen Augen an. Er hatte das Gefühl, er sei zu einer Salzsäule erstarrt.
Sein Kopf pochte und pochte.
„Was?“, fuhr Kerstin ihn an. „Willst du mir erzählen, du würdest dich daran nicht mehr erinnern?“

Er erinnerte sich nicht mehr.
Es war ihm gelungen, Kerstin nicht zu sehr zu beunruhigen, indem er erzählt hatte, er erinnere sich doch, sei aber nicht im Keller gewesen, sondern auf dem Sofa und sei dort vor dem Fernseher eingeschlafen. Sie hatte nicht überzeugt ausgesehen.
Jürgen rief bei seinem Chef an und meldete sich krank. Dann ging er wieder in den Keller.
Das Puzzle war beinahe komplett zusammengesetzt. Jürgen war auf einen solchen Anblick vorbereitet; dennoch erschrak er. Hatte er das wirklich heute Nacht gemacht, ohne sich daran erinnern zu können?
Wenigstens zeigte es diesmal kein Unglück. Es zeigte einen Raum, der seinem Hobbyraum nicht unähnlich war. Die Wände waren aus Kork, und an den Seiten standen Bücherregale. An der Wand hing ein Bild von Wassily Kandinsky. Das Zimmer wirkte warm, gemütlich. Doch er konnte nicht alles sehen – in der Mitte klaffte noch ein großes Loch.
Lass es. Bau es nicht zusammen.
Diesmal schien keine Gefahr davon auszugehen. Es zeigte kein Unglück, und warum sollte es auch? Beim ersten Mal war es schließlich nur ein Traum gewesen.
Es fehlten vielleicht noch hundert Teile. Das war eine Kleinigkeit.
Tu das nicht. Zerstöre es. Wirf es weg.
Es wirkte harmlos. Beinahe schon zu langweilig. Er ignorierte seine innere Stimme erneut, tat sie als Nachwirkung des ersten Puzzle-Traums ab.
Seine Hände griffen wieder zielsicher nach den richtigen Teilen. Irgendwo hörte er ein gleichmäßiges, leises Quietschen, wie in seinem Traum, doch er achtete kaum darauf. Statt dessen blickte er gebannt auf das Motiv, das sich langsam vervollständigte.
Jürgen sah, dass in der Mitte des Raumes eine Person stand. Er hatte die Beine und den Rumpf schon zusammengesetzt. An der Statur erkannte er, dass es der Körper eines Mannes war. Seine Arme hingen schlaff am Körper herunter. Am rechten Handgelenk befanden sich mehrere Armbänder, und Jürgen wunderte sich, weshalb ein Mann mehrere Armbänder –
Er stockte. Sie kamen ihm bekannt vor. Wo hatte er diese Armbänder schon einmal gesehen?
Das Quietschen im Hintergrund wurde lauter.
Es fehlten nur noch ein paar wenige Teile, dann würde er sehen, wer –
Jürgen setzte das letzte Teil an seinen Platz und blickte auf das fertige Bild. Kaltes Entsetzen legte sich über seinen Verstand, und er spürte, wie sich ein Schrei in den Tiefen seiner Kehle bildete. Er wollte schreien, so lang und so laut, bis dieses schreckliche Bild vor ihm verschwinden würde.
Das Puzzle zeigte einen Mann, der ihn direkt anblickte. Seine Augen waren groß und dunkel. Sein Blick wirkte erschöpft, ausgelaugt und traurig. Dieser Blick traf Jürgen mit voller Wucht und schien sich direkt in sein Gehirn zu bohren.
Dann fiel ihm der Hals des Mannes auf. Er war dunkelblau angelaufen und schien geschwollen.
Doch das Schlimmste von allem war, dass er diesen Mann kannte. Es war Matthias Reibmeier, Kerstins Kollege aus der Bücherei.

Sie weckte ihn, als sie in das Schlafzimmer stürmte.
„Jürgen. Jürgen, wach auf.“
Es war früher Abend. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und tauchte das Schlafzimmer in orange-rotes Licht.
Nachdem er das Puzzle beendet hatte, waren seine Kopfschmerzen zu einem unerträglichen Hämmern angewachsen. Nach zwei weiteren Aspirin war er ins Bett gegangen. Jeden Gedanken an das Puzzle oder den seltsamen Umstand, dass es eine bekannte Person zeigte, hatte er beiseite gewischt. Er wollte schlafen, nur noch schlafen.
Jetzt schreckte er hoch. Seine rasenden Kopfschmerzen waren einem entfernten Pochen gewichen.
Kerstin setzte sich zu ihm ans Bett. „Bist du wach?“
Er sah, dass Tränen in ihren weit aufgerissenen Augen standen. Sein Herz machte einen Sprung, und sämtliche Schläfrigkeit wurde aus seinem Körper gejagt.
„Ja. Was ist passiert?“
„Es ist schrecklich. Jürgen, es ist was Schreckliches passiert.“ Ihre Stimme brach beinahe, und Jürgen schoss ein entsetzlicher Verdacht in den Kopf.
„Ist dir was passiert?“ Er packte seine Freundin an den Schultern.
Jetzt liefen Kerstin Tränen über die Wangen. Sie schüttelte den Kopf, und Jürgen fühlte sich zumindest etwas erleichtert. „Nein, das nicht. Es ist ... es ist Matthias.“
Alle Kraft wich aus Jürgens Körper, und er ließ seine Arme langsam sinken.
„Was ist mit ihm?“, fragte er, doch die Frage war überflüssig. Er wusste es, hatte es bereits gewusst, als er an diesem Morgen das letzte Teil an das Puzzle angefügt hatte.
Das ist nicht wahr. Ich wusste nichts. Ich konnte vor lauter Kopfschmerzen nicht mehr klar denken.
„Er ist tot“, sagte Kerstin und schluchzte dabei laut. „Es ist furchtbar. Ich wollte nach der Arbeit schnell bei ihm vorbei, da haben sie ihn –“ Ihre Stimme brach erneut, und sie wischte sich mit der Faust über die Nase und schniefte. „Sie haben ihn aus seiner Wohnung getragen. In einem Sarg. Seine Schwester war auch da, sie hat ihn gefunden. Sie hat gesagt ... sie hat gesagt ...“ Kerstin gelang es kaum, diese Worte über die Lippen zu bringen, doch Jürgen wusste, was sie sagen würde. Er versuchte, sich innerlich dagegen zu wappnen, doch ihre Worte trafen ihn mitten ins Herz.
„Sie hat gesagt, er hat sich umgebracht.“
Kerstin schlug sich die Hände vor ihr Gesicht und weinte hemmungslos.

In dieser Nacht träumte Jürgen erneut von der verschlossenen Tür. Dahinter erklang wieder das leise Quietschen, das immer wieder kurz aussetzte, nur um dann von Neuem zu beginnen.
Er streckte seine Hand aus, doch noch bevor er die Klinke berührte, flog sie auf. Er blickte in einen Raum, den er schon einmal gesehen hatte. Er erkannte die Wände aus Kork, er erkannte das Bild von Wassily Kandinsky. Und er erkannte Matthias Reibmeier, der in der Mitte des Raumes an einem Strick baumelte. Sein Gesicht war blau und aufgedunsen, die Augen geschlossen. Das Seil drehte sich langsam und quietschend von einer Seite auf die andere und ließ den toten Körper immer wieder frontal durch Jürgens Gesichtsfeld schweben.
Er wusste, dass dies ein Traum war, doch diese Erkenntnis konnte sein Entsetzen nicht schmälern. Er wollte schreien, aber sein Mund öffnete sich nur in Zeitlupe.
Plötzlich schlug Matthias die Augen auf und blickte Jürgen an. Auch diesen erschöpften Blick hatte er schon einmal gesehen.
„Tina“, sagte Matthias, doch es war kaum mehr als ein Röcheln. „Tina. Tina.“
Er sagte das wieder und wieder.
Auf einmal veränderte sich sein Gesicht, wurde zu einer Fratze des Zorns. Immer wieder röchelte er nur dieses eine Wort. „Tina. Tina. Tina.“ Dann riss er seine Arme nach oben und die Hände in sein Gesicht, fuhr sich mit seinen Fingern über die Wangen, kratzte blutige Striemen in seine Haut, und schrie immer wieder diesen einen Namen.
Tina. Tina. Tina.
Wieder und wieder bohrte er seine Finger in die blutigen Wunden, kratzte immer tiefer, riss sich selbst das Fleisch aus dem Gesicht. Dann knallte die Tür vor Jürgen mit einem lauten Schlag zu, und er wachte auf.

Jürgens Hand zitterte, als er am nächsten Morgen seinen Kaffee trank. Unerträgliche Schmerzen hämmerten in seinem Kopf.
Kerstin war blass, ihre Augen immer noch gerötet. Sie hatte beschlossen, in die Bücherei zu fahren.
„Du solltest zu Hause bleiben“, sagte Jürgen.
„Als ob das irgendwas besser machen würde“, antwortete Kerstin kalt. „Als ob ihn das wieder lebendig machen würde.“
Jürgen sagte nichts. Er wollte, dass sie zu Hause blieb, weil er sich davor fürchtete, wieder in den Keller zu gehen. So lange sie hier war, würde er dem Drang widerstehen können, doch er befürchtete, sobald er allein war, würde es ihn wieder rufen. Doch er hatte kein Ahnung, wie er ihr das hätte erklären sollen.
„Bitte, Kerstin, überleg es dir doch nochmal.“ Seine Stimme war leise, schwach. Er sah immer wieder Matthias' aufgedunsenes Gesicht. Sah, wie er sich das Gesicht zerfetzte.
„Ich glaube nicht, dass es mir gut tut, hier zu bleiben“, sagte Kerstin, und Jürgen wusste nicht, was er von dieser Aussage halten sollte. Ein paar Minuten später war sie verschwunden, und Jürgen spürte, wie seine Finger zu jucken begannen.

Er konnte bis in den frühen Nachmittag widerstehen, doch dann gab er nach.
Er musste sehen, was das Puzzle zeigte. Die Erinnerung daran begann wie ein Traum langsam zu verblassen.
Ohne große Überraschung stellte er fest, dass das Puzzle nicht mehr zusammengesetzt war. Die Teile lagen wieder einzeln auf seinem Tisch.
Vielleicht, weil du es noch nie zusammengebaut hast.
Jürgen fragte sich, ob er durchdrehte, ob er langsam verrückt wurde.
Er überlegte, ob er beide Unglücke ausgelöst hatte, indem er das Puzzle zusammengesetzt hatte.
Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Wirf es endlich weg.
Und wenn es statt des Auslösers eine Warnung gewesen war? Vielleicht wollte ihm das Puzzle – oder eine höhere Macht durch das Puzzle – die Möglichkeit geben, Unglücke zu verhindern?
Matthias Reibmeier konntest du jedenfalls nicht retten.
Vielleicht hätte er es gekonnt. Wenn er es wirklich gewollt hätte. Aber selbst wenn er gewusst hätte, dass das Bild eine Warnung darstellte, und selbst wenn er eine Möglichkeit gesehen hätte, den Mann zu retten – hätte er es getan?
Natürlich hättest du.
Aber er war sich da nicht so sicher. Vielleicht war es besser, diese Frage nicht zu stellen.
Er begann, die Teile in die Hand zu nehmen und in die Schachtel zurück zu legen. Sein Entschluss stand fest, er würde sich endgültig davon trennen. Er konnte nicht riskieren, ein weiteres Unglück auszulösen.
Wirf es weg. Wirf es endlich weg.
Immer wieder füllte er seine Hände mit Einzelteilen und warf sie in die Schachtel. Er sah, dass es wieder ein anderes Motiv war. Die Teile waren erneut überwiegend hell, doch der Anteil von braunen Teilen war geringer. Das Motiv schien bunter zu sein.
Was es wohl darstellte?
Denk nicht dran.
Ein weiteres Unglück, das er auslösen würde?
Denk nicht dran.
Oder eines, das er würde verhindern können?
Denk nicht dran.
Er fuhr fort, die Teile in die Schachtel zu werfen, und wünschte sich, die Stimmen in seinem Kopf würden endlich Ruhe geben. Plötzlich stellte er mit Entsetzen fest, dass er die Teile statt in die Schachtel hinein wieder aus der Schachtel heraus nahm und wieder auf den Tisch warf.
„Nein“, flüsterte er. „Bitte lieber Gott, nein. Ich kann nicht mehr.“
Sein Kopf hämmerte, seine Finger juckten. Es gab nur eine Möglichkeit, diese Schmerzen loszuwerden.
Er setzte sich auf seinen Stuhl und begann zum dritten Mal, die Randteile auszusortieren.
Er würde es einfach zusammenbauen und schauen, was es zeigte. Wenn es wieder ein Unglück war, würde er alles in seiner Macht Stehende tun, um es zu verhindern.
Vergiss es, Jürgen. Du weißt, es ist zu spät.

Er bekam erst mit, dass Kerstin wieder zu Hause war, als sie an die Tür seines Hobbyraumes klopfte. Er schreckte hoch.
„Jürgen?“, rief Kerstin. „Bist du da drin?“
Er konnte sich nicht erinnern, die Tür abgeschlossen zu haben. Aber er durfte sich jetzt nicht unterbrechen lassen. Er musste sich beeilen. Je schneller das Puzzle fertig war, umso besser. Er musste einfach sehen, was es darstellte.
Er antwortete nicht, nahm statt dessen ein weiteres Teil und setzte es an seinen Platz. Das Motiv schien ein Büro darzustellen. Er sah Ansätze eines Regals und eines Schreibtisches. Noch wirkte es harmlos, doch Jürgen wusste, dass es das nicht war.
Jürgen?“ Es klang jetzt drängender, und Kerstin rüttelte an der Tür. „Jürgen, wenn du da bist, mach die Tür auf.“
Wie im Wahn nahm Jürgen ein Teil nach dem Anderen. Das Regal wuchs in die Höhe.
„Jürgen, warum machst du nicht auf?“ Ihre Stimme war jetzt leiser, und er hörte, dass sie weinte.
Ich würde gern öffnen, Kerstin, dachte er. Aber es geht nicht. Ich muss das hier erst fertig machen. Ich muss erst sehen, was es diesmal zeigt.
Nach einiger Zeit verschwand Kerstin wieder, und Jürgen arbeitete weiter. Er setzte weitere Teile an das Puzzle und sah, dass es sich um ein Bücherregal handelte. Für ein normales Zimmer war es sehr untypisch, fast zu groß. Bücherregale dieser Art fand man eher in Buchhandlungen.
Oder in Büchereien.

Er arbeitete bis in den frühen Morgen.
Er konnte sich nicht an alle Einzelheiten erinnern und vermutete, manchmal eingeschlafen zu sein. Allerdings hatte er das Gefühl gehabt, seine Hände seien ständig in Bewegung gewesen, selbst als er schlief. Für Jürgen spielte das keine Rolle mehr. Wichtig war, dass seine Kopfschmerzen verschwunden waren, und wichtig war, dass er das Motiv möglichst schnell erkennen konnte.
Um kurz vor acht Uhr am Morgen war es beinahe geschafft.
Das Motiv zeigte das Innere einer Bücherei. Im Vordergrund standen zwei Schreibtische hinter einer kleinen Theke, im Hintergrund waren Regale voller Bücher zu sehen.
Jürgen kannte diesen Ort.
An einem der Schreibtische saß eine Person, eine Andere stand links daneben. Es war ähnlich wie bei Matthias – die Gesichter der Personen waren das Letzte, was er zusammensetzte. Weil es das Puzzle so wollte.
Es waren noch etwa fünfzehn Teile übrig.
Jürgen begann mit der Person neben dem Schreibtisch. Er setzte das Gesicht zusammen und erkannte zu seinem großen Entsetzen, dass es sein Eigenes war. Es war zu einem Schrei verzerrt und blickte auf die Person am Schreibtisch hinunter.
Was soll das?
Er wusste jetzt, dass er einen Fehler gemacht hatte. Doch es war zu spät, er musste auch sehen, wer die andere Person war – auch wenn er es bereits wusste. Doch er musste sie sehen.
Mit zitternder Hand setzte er die letzten fünf Teile an das Puzzle und sprang auf.
Die Person, die am Schreibtisch saß, war Kerstin. Sie lächelte, obwohl sie auf dem Puzzle nur ein Auge hatte. An der Stelle ihres rechten Auges klaffte ein dunkles Loch.
Nein“, brüllte Jürgen und fegte das Puzzle auf den Boden. Die meisten Teile blieben ineinander verkeilt.
Kerstin. Wo war sie? Gestern Abend wollte er ihr nicht aufmachen, doch wo war sie jetzt?
Kerstin“, rief er und rannte nach oben. Das Haus war still. Er rannte ins Schlafzimmer, doch da war sie nicht. War sie etwa schon –
Jürgen rannte zurück in die Küche und sah den Zettel, den Kerstin ihm auf dem Tisch zurückgelassen hatte.
Jürgen, bin zur Arbeit gefahren. Ich weiß nicht, wo du bist. Falls du mich verlassen hast, sag mir das bitte. Ich hoffe du liest diese Nachricht. Gruß, Kerstin.
Sie war in der Bücherei. Er schrie erneut auf.
Dann rannte er nach draußen, sprang in seinen Wagen und fuhr zu Kerstins Arbeitsplatz.

Die Bücherei hatte um diese Uhrzeit – es war kurz nach acht – noch nicht viele Besucher. Auf dem Parkplatz davor standen nur zwei Autos.
Jürgen hörte ein leises Ticken in seinem Kopf. Die Zeit lief ab.
Er stürmte in das Gebäude. Im Erdgeschoss konnte er nicht einen Besucher sehen, doch dafür entdeckte er Kerstin. Sie saß hinter der Ausgabetheke an einem Schreibtisch und blätterte in einem Ordner. Es ging ihr gut, und Jürgen fiel ein Stein vom Herzen.
Es war dieser Schreibtisch, den das Puzzle dargestellt hatte.
„Kerstin“, rief er, und sein Schrei klang ungewöhnlich laut und fremd in diesem Gebäude.
Sie blickte hoch, und ihr Ausdruck entwickelte sich von erschreckt über verblüfft zu verärgert. Jürgen rannte hinter die Theke. Kerstin stand auf.
„Was machst du hier?“
„Mein Gott, bin ich froh, dass es dir gut geht“, sagte er und keuchte. Er wollte ihren Arm fassen, doch sie zog ihn zurück.
„Lass das. Wo warst du, verdammt nochmal?“
„Das erzähl ich dir später. Komm jetzt mit. Wir müssen uns in Sicherheit bringen.“
„Was?“
Er sah, dass auf dem Schreibtisch, der ihrem gegenüberstand, eine einsame rote Rose lag.
„Hör zu Kerstin, jetzt ist keine Zeit für Erklärungen. Ich weiß nicht, was passiert, aber etwas wird passieren. Und es wird hier passieren. Wir müssen verschwinden.“
Wieder griff er nach ihrem Arm.
„Lass mich los“, rief sie wieder. „Ich gehe nirgendwo mit. Was ist los mit dir? Erklär mir lieber, wo du heute Nacht warst. Ich hab mir riesige Sorgen gemacht. Wie kannst du mich nur allein lassen, ohne mir zu sagen, wo du –“
„Kerstin Merkel?“
Jürgen drehte sich überrascht um. Vor der Theke stand eine ganz in Schwarz gekleidete Frau, vermutlich eine Besucherin. Sie war bleich und wirkte erschöpft. Sie musste die Bücherei nach ihm betreten haben, denn eben war sie noch nicht hier gewesen. Vielleicht hatte sie in einem der Autos auf dem Parkplatz gesessen.
„Ja?“ Auch Kerstin blickte die Frau verblüfft an. Sie schien sie nicht zu kennen.
Die Frau zog ihre rechte Hand aus der Tasche ihres Mantels, und Jürgen sah, dass sie eine Pistole umklammerte. Sie richtete die Mündung auf Kerstin.
„Verdammt, was soll das? Packen Sie die weg!“ Er spürte, wie Adrenalin in seine Blutbahn gepumpt wurde. Das Licht war auf einmal viel greller, jedes Geräusch viel deutlicher. Er stellte sich schützend vor Kerstin und spürte ihren heißen Atem in seinem Nacken.
„Mein Name ist Julia Frentzen, und ich bin die Verlobte von Matthias Reibmeier.“
Kerstin sog laut hörbar Luft ein und begann panisch zu sprechen. „Hören Sie, es war vorbei. Ich wollte das nicht, ich wollte das nicht, ich hab ihm gesagt dass es vorbei war.“
Vor Jürgens innerem Augen fügten sich Bilder wie die Teile eines Puzzles zusammen. Kerstins leuchtende Augen, wenn sie von Matthias sprach. Die Abende, die sie angeblich gemeinsam mit ihren Freundinnen verbrachte. Die Tatsache, dass sie vorgestern nach der Arbeit zu seiner Wohnung gefahren war.
War da doch mehr gewesen?
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er wusste nicht, was. Er wollte etwas Beruhigendes sagen, etwas, das die Situation entschärfen würde, doch ihm fiel nichts ein.
Dann drückte die Frau ab. Jürgen sah das Mündungsfeuer. Der Knall war ohrenbetäubend laut, und er spürte, wie dicht an seinem rechten Ohr etwas vorbei zischte.
Nein“, rief er und wirbelte herum. Kerstin sackte zusammen. Die Kugel war durch ihr rechtes Auge in ihren Kopf eingedrungen. Er konnte in das Loch sehen, doch darin war es dunkel. Wie in einem Tunnel, wenn die Lichter ausgingen.
Nein“, schrie er erneut und rechnete damit, jeden Moment aufzuwachen. Das konnte nur ein Albtraum sein.
Er kniete sich neben sie, wollte sie berühren, doch er hatte Angst, ihr weh zu tun.
Er drehte sich zu der Frau um. Ihr Blick war kalt und völlig ausdruckslos. Jürgen hörte sich selbst schreien. Er sprang auf und stürzte auf die Frau mit der Pistole zu. Er sah, wie sie die Waffe hob und auf ihn richtete. Er war so langsam, so unendlich langsam.
Sein letzter Gedanke galt dem Puzzle in seinem Hobbyraum. Er wusste, dass es jetzt nicht mehr zusammengesetzt war und wünschte sich, es niemals angefasst zu haben.
Was hätte das geändert?
Dann sah er erneut das Mündungsfeuer aufblitzen, doch den Knall dazu hörte er nicht mehr.

Alexander setzte sich an seinen Esstisch.
Er war betrunken, doch es war nicht so schlimm wie an manch anderen Tagen der vergangenen Monate. Seit sein Bruder und dessen Freundin bei einem Amoklauf ums Leben gekommen waren, hatte er den Halt verloren.
Er schlug die Hände vor das Gesicht, atmete schwer.
Wieder und wieder fragte er sich, warum Jürgen an diesem Tag in der Bücherei gewesen war, doch er konnte sich keinen Grund vorstellen. Er war an dem Tag krank gewesen und nicht zur Arbeit gefahren, doch das war alles, was Alexander wusste.
Es gab einen Zusammenhang zwischen der verrückten Frau und Kerstin. Ihr Verlobter war Kerstins Kollege gewesen, der sich zwei Tage zuvor das Leben genommen hatte. Mehr wusste Alex nicht, der Rest war reine Spekulation. Die Frau konnte er nicht mehr fragen, da sie sich am Ende selbst eine Kugel in den Kopf geschossen hatte.
Er nahm seine Hände nach unten und griff nach der grauen Schachtel, die vor ihm stand.
Er konnte sich nicht erinnern, sie jemals gesehen zu haben. Sie musste zu Jürgens Sachen gehören. Bei der Räumung seines Hauses hatte er viele davon abgeholt. Die Schachtel enthielt ein Puzzle, doch kein Bild des Motivs. In seiner Jugend war Jürgen begeisterter Puzzler gewesen, doch Alex hätte nicht gedacht, dass er sie bis zuletzt gern gemacht hatte.
Vielleicht würde es ihn ablenken. Ein Versuch konnte sicher nicht schaden.
Er breitete die Teile auf seinem Esstisch aus. Die meisten zeigten verschiedene Blautöne, und Alex vermutete, sie stellten eine Unterwasserwelt dar. Er liebte Unterwasserwelten, war selbst begeisterter Sporttaucher. Seit Jürgens und Kerstins Tod war er nicht mehr im Wasser gewesen, aber sehr bald würde er wieder tauchen. Das Leben musste weitergehen, das sagte jedenfalls sein Psychologe.
Alex kannte sich nicht aus mit Puzzles, doch es war sicher eine gute Idee, mit dem Rand zu beginnen. Er fing an, die Randteile auszusortieren.
Und fragte sich, was das fertige Puzzle wohl darstellen würde.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Schwups!

Hat ja eine Monsterlänge, Deine Story! Über weite Strecken ganz gut verfasst, muss ich schon sagen, aber da gibt es ein paar Dinge, die mich gestört haben. Also, zu erstmal hast Du ein hatte Problem. Für meinen Geschmack kommt dieses Wort in manchen Passagen viel zu häufig vor:

Als Jürgen die graue Schachtel aus seinem Schrank zog, konnte er sich nicht erinnern, sie jemals gesehen zu haben. Sie war etwas kleiner als ein Schuhkarton und wirkte unscheinbar. Keine Schrift, kein Logo zierte ihre Oberfläche.
Er schüttelte sie und hörte, wie ihr Inhalt raschelte. Er legte seine Stirn in Falten und überlegte, ob er sie nicht doch schon einmal gesehen hatte. Er vermutete, dass sie aus dem aufgelösten Haushalt seiner Mutter stammte. Sie war vor über drei Jahren gestorben, und damals hatte er viele Dinge, von denen er sich nicht trennen konnte – oder wollte – in seinem Hobbyraum im Keller in verschiedenen Schränken verstaut.
Er trug sie zu seinem Schreibtisch und öffnete sie. Er lachte laut auf, als er sah, dass sie unzählige Teile eines Puzzles enthielt.
„Großer Gott“, sagte er und schüttelte den Kopf. In seiner Jugend war er ein begeisterter Puzzler gewesen, doch noch nie hatte er ein Puzzle gemacht, zu dem er das Motiv nicht kannte. Er kramte in der Schachtel und hoffte auf eine Zeichnung oder ein Bild, welches das Motiv zeigen würde, doch die Schachtel enthielt nur die einzelnen Teile.
Vermutlich stammte es tatsächlich aus dem Haushalt seiner Mutter. Vielleicht hatte sie ihm dieses Puzzle irgendwann einmal gekauft, und es war aus irgendeinem Grund in Vergessenheit geraten und in einer grauen Schachtel gelandet. Von dort hatte es seinen Weg in Jürgens Hobbyraum gefunden. Er hatte keine Idee, wo es sonst herkommen sollte.

Das kommt in Deiner Story des öfteren vor. Das kann man nicht immer umgehen, aber da gibt es doch bestimmt dicke Alternativen;). Und dann die Struktur, der gesamten Angelegenheit; also, dass Jürgen jetzt dreimal puzzeln muss, zieht tierisch Tempo aus der Story. Du legst viel Wert auf Atmösphäre und einen langsamen Aufbau a'la King (;)). Aber ehrlich, Du kannst hier wahnsinnig viel rausnehmen. Das erste Ereigniss soll klar machen, was das Puzzle kann, dass zweite schlägt dann die Brücke zu den Protagonisten. Das nimmt aber auch einen gewissen Überraschungseffekt vorweg; die Story ist ab einem gewissen Punkt zu durchsichtig, was jetzt keineswegs schlecht bedeuten soll - die Arbeit und die Mühe ist deutlich zu spüren. Aber es ist schlicht (für mich) zu viel Text, für so eine Auflösung.

Gut geschriebene Geschichte, die aber so ein wenig zäh daher kommt.

Gruß,
Satyricon

 

Hallo, Schwups!

Hab mich gut unterhalten gefüllt beim Lesen.
Die Geschichte für mich war vorhersehbar, was der Spannung jedoch keinen Abbruch tat.

Dass er das Puzzle drei Mal zusammensetzen muss, ist natürlich zu viel, - man könnte es aber auch aus der anderen Seite betrachten: Als Leser weißt man, es wird wieder etwas Schlimmes passieren und möchte Jürgen am liebsten sagen, er soll damit aufhören.

Eine Frage: Wer ist Tina? - Oder habe ich etwas übersehen?
Ich weiß nur, als das erste Mal der Name fiel, ich habe die ganze Zeit auf das Auftreten von Tina gewartet, doch dazu kam es nicht.

Der Text ist lang, aber von dir kenne ich nur solche, deswegen wusste ich schon im Vorraus worauf ich mich da einlasse, habe an dieser Stelle auch nicht viel zu meckern, - dazu hat auch die fehlerlose Schreibweise beigetragen.

mfg
Geert

 

Hallo Satyricon, hallo Geert,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Hab mir schon gedacht dass die Länge erwähnt wird. Ich weiß dass die Geschichte recht lang ist und überlege, sie dahingehend zu kürzen, den kompletten ersten Teil mit dem Tunnelbrand zu streichen. Ich weiß nur nicht ob sie mir dann noch gefällt ... war mir schon vor dem Posten nicht sicher ob das gut ist und dachte ich warte mal das erste Feedback ab. Naja mal sehen.

Satyricon, danke für die Info mit den Wortwiederholungen. Ich hab einige der Stellen umgeschrieben und es sind jetzt weniger hatte drin.

Geert, zu Tina: Die Person kommt nie wirklich vor. In seiner Halluzination über den Tunnelbrand hört Jürgen eine Person diesen Namen schreien. Er vermutet daher, dass beim Brand eine Person namens Tina ums Leben kam, auch wenn er das nie sicher weiß. In seinem Traum hab ich einfach versucht, Elemente aus beiden Motiven zu verbinden, um zu zeigen, wie sehr sich Jürgen mit dem Puzzle beschäftigt.

Zur Vorhersehbarkeit: Ja stimmt, das Ende ist nicht wirklich überraschend. Generell hab ich in der Geschichte eher versucht, die Abhängigkeit von Jürgen zu dem Puzzle zu schildern und die Macht, die es immer mehr auf ihn ausübt (deshalb denke ich auch, für die Geschichte ist es besser wenn er dreimal puzzelt anstatt zweimal).

Danke nochmal für eure Kommentare!

Viele Grüsse.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Schwups,

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Gut geschrieben (aber das kenne ich ja von Dir), spannend und originell.

Die Stellen über die ich gestolpert bin, habe ich mal rausgesucht:

Er betrachtete die Fläche und schätzte, sie würde für ein etwas größeres Puzzle ausreichen.
Könnte eine interessante Herausforderung werden, dachte er.
Er hatte nicht wirklich vor, das Puzzle zusammenzusetzen, ...
Das wiederspricht sich alles ein bisschen. Dass er nicht rein rational puzzeln möchte, sondern eher "gezwungen" wird, kommt im Folgenden noch gut raus.

Auch wenn Kerstin das niemals gesagt hatte, so vermutete Jürgen, sie gab ihm die Schuld daran.
Die Satzstellung ist komisch. So vielleicht besser? Auch wenn Kerstin das niemals gesagt hatte, so vermutete Jürgen, gab sie ihm die Schuld daran.

Es war einfach zu viel Schwarz enthalten.
Ich würde entweder "Es enthielt einfach zu viel Schwarz" oder "Es waren einfach zu viele schwarze Teile enthalten" schreiben. Liest sich flüssiger.

Doch ihre Gesichter beunruhigten Jürgen.
Das "Doch" würde ich weglassen, schließlich steht dem nichts entgegen.

... über die in einer eigenen Sondersendung berichtet wurde.
Das "eigene" auch weglassen. Das wirkt in Verbindung mit der Sondersendung doppelt gemoppelt.

Das Puzzle war beinahe komplett zusammengesetzt. Jürgen war auf einen solchen Anblick vorbereitet; dennoch erschrak er heftig.
Erschrecken ist schon ein heftiges Gefühl. In diesem Fall wirkt das Erschrecken eher ungewollt lächerlich, wenn man es noch als heftig beschreibt.

doch das war nicht das Schlimmste.
Schlimmer war der Hals des Mannes. Er war dunkelblau angelaufen und schien geschwollen.
Doch das Schlimmste von allem war, ...
Hier hast Du Dich etwas verschlimmdingst. ;) Das Schlimmste ist schlimm, aber das Schlimmste von allem noch schlimmer. Dat jet net.

Dann riss er seine Arme nach oben und die Hände in sein Gesicht, ...
Wirkt auch unfreiwillig komisch. Würde den Satz einfach streichen, den brauchts net.

Jürgen begann mit der Person auf der linken Seite. Er setzte das Gesicht zusammen und erkannte zu seinem großen Entsetzen, dass es sein Eigenes war. Er schlug sich mit der Hand vor den offenen Mund.
Großer Gott, was soll das?
Ich kann mir nocht vorstellen, dass man sich wirklich die Hand vor den Mund "schlagen" würde in so einer Situation (Abgesehen davon, hast Du die Hand vorm Mund drei Mal in der Geschichte, glaube ich). Also die Hand lieber weglassen. Wenn Du einen Ersatz für diesen Satz (das ist ja fast ein Wortspiel ;)) brauchst, dann könnte ihm doch zum Beispiel der Mund offen stehen bleiben bzw. der Kiefer herunter klappen ...

Die Frau zog ihre rechte Hand aus der Tasche ihres Mantels. Sie hatte sie um etwas geklammert, das Jürgen im ersten Moment für eine Fernbedienung hielt. Dann stellte er mit Entsetzen fest, dass es eine Pistole war. Sie richtete die Mündung auf Kerstin.
Diese Szene ist leider recht vorhersehbar - auch, dass diese Person etwas mit dem Kollegen zu tun hat. Das ist aber vielleicht gar nicht so schlimm. Doch das mit der Fernbedienung ist für den Leser, der eh weiß was passiert, eher überflüssig.

Seit sein Bruder und seine Freundin bei einem Amoklauf ums Leben gekommen waren, hatte er den Halt verloren.
Seit SEIN Bruder und SEINE Freundin ... würde sich auf die gleiche Person beziehen. Also lieber "Seit sein Bruder und dessen Freundin ..."

In seiner Jugend war Jürgen begeisterter Puzzler gewesen, doch Alex wusste nicht, dass er sie bis zuletzt gern gemacht hatte.
Zum Schluss hat er das Puzzel doch nicht mehr wirklich gerne gemacht ... Oder möchtest Du einen Gedanken des Bruders ausdrücken? Dann wäre "doch er hätte nicht gedacht, dass ..." besser.

Alex kannte sich nicht aus mit Puzzles, doch es war sicher eine gute Idee, mit dem Rand zu beginnen. Er fing an, die Randteile auszusortieren.
Und fragte sich, was das fertige Puzzle wohl darstellen würde.
Kuhler Schluss, allerdings fänd ich ihn persönlich wirkungsvoller, wenn Du die letzten beiden Sätze wegstreichen würdest. ... zu beginnen PUNKT - ENDE. HORROR!

So, und nun zu Deinen "Fragen":

Ich würde den Tunnelbrand nicht weglassen. Ich finde auch drei Bilder besser als zwei. Die Geschichte ist zwar lang, aber nicht langweilig, insofern finde ich das vollkommen okay. Vielleicht kannst Du einzelne Sätze kürzen, aber eine ganze Szene würde ich nicht löschen.

Und dass das Ende absehbar ist, stört mich gar nicht. :) Falls es interessiert haha

Gerne gelesen, danke!

Liebe Grüße

elisabeth

 

Hallo Schwups.

Du hast gut geschrieben. Mir hat sie dennoch nicht gefallen, ist aber nur darauf zurückzuführen, daß ich etwas gegen das unbesiegbare, ewige Böse habe (ich erinnere mich u.a. an "Ring", "Der verbotene Schlüssel" etc. oder diverse Kurzgeschichten von Stephen King)... ist ja in letzter Zeit wieder sehr in Mode gekommen

F

 

Hallo elisabeth,

vielen Dank fürs Lesen und deine hilfreichen Kommentare, viele davon habe ich übernommen. Der Satz mit dem "schlimm" "schlimmer" "am Schlimmsten" kam mir schon beim Schreiben komisch vor, keine Ahnung warum der es in die endgültige Fassung geschafft hat ... ;)

Die letzten beiden Sätze hab ich stehen lassen. Ich finde, sie runden die Geschichte besser ab.

Danke auch für deinen Kommentar bzgl. einer umfangreicheren Änderung. Ich denke auch ich werde es bleiben lassen. Weil ich glaube, dass es die Geschichte zwar kürzer machen würde, aber nicht besser.

Hallo Schwups.

Du hast gut geschrieben. Mir hat sie dennoch nicht gefallen, ist aber nur darauf zurückzuführen, daß ich etwas gegen das unbesiegbare, ewige Böse habe (ich erinnere mich u.a. an "Ring", "Der verbotene Schlüssel" etc. oder diverse Kurzgeschichten von Stephen King)... ist ja in letzter Zeit wieder sehr in Mode gekommen

F


Hallo Felix-Florian,

auch dir danke dass du die Geschichte gelesen und einen Kommentar dazu geschrieben hast. In Horror-Kurzgeschichten gewinnt das Böse natürlich sehr oft (was ich wiederum gut finde, ich kann mit Happy-Ends in der Regel wenig anfangen... :)). Wobei ich in dieser Geschichte hier Wert darauf gelegt habe, offen zu lassen, ob die Ereignisse nun durch das Puzzle ausgelöst werden ... oder ob das Puzzle nur davor warnt und sie ohnehin passiert wären. Jürgens eigener Tod ist direkt auf das Puzzle zurückzuführen, bei allen anderen weiß mans nicht so genau ...

Viele Grüsse.

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin Schwups,

Er schüttelte sie und hörte, wie ihr Inhalt raschelte. Er legte seine Stirn in Falten und überlegte, ob sie ihm nicht doch bekannt vorkam. Er vermutete, dass sie aus dem aufgelösten Haushalt seiner Mutter stammte. Sie war vor über drei Jahren gestorben, und damals hatte er viele Dinge, von denen er sich nicht trennen konnte – oder wollte – in seinem Hobbyraum im Keller in verschiedenen Schränken verstaut.
Er trug sie zu seinem Schreibtisch und öffnete sie. Er lachte laut auf, als er sah, dass sie unzählige Teile eines Puzzles enthielt.

Pronomen als sich wiederholende Satzanfänge finde ich eigentlich gar nicht schlimm, aber hier kommt's ein bisschen heftig.

„Großer Gott“, sagte er

Das sind immer so „filmreife“ Sachen, die Leute sagen. „Großer Gott“ – wann hast du das das letzte Mal benutzt? „Meine Fresse“ oder „Ach, du Scheiße“ fände ich authentischer.

Sie versuchten, seit über einem halben Jahr ein Baby zu bekommen, doch es klappte nicht.

Einmal gerade ganz pingelig: „über“ ist eine lokale Präposition, du meinst „mehr als“. Das erste Komma muss glaube ich nicht sein, ich bin beim Lesen drüber gestolpert.

Er sah auch einzelne Menschen. Einige von ihnen waren aus ihren Autos gestiegen und blickten in Richtung der unbekannten Lichtquelle. Ihre Gesichter beunruhigten Jürgen. Sie wirkten -

Sie haben einen Unfall gehabt. Die Menschen sehen das brennende Auto, in dem Jürgen und Kerstin gestorben sind. Bin gespannt, ob ich recht behalte.

….

Naaaa … fast. :)

das Puzzle denken. Er hatte leichte Kopfschmerzen bekommen, doch er fieberte dem Moment entgegen, wenn er das Puzzle

War er war dabei, einzuschlafen?

riss er seine Augen auf.

Wessen sonst?

doch es waren fremde Geräusche, die auf ihn hereinbrachen.

Eine bessere Lösung habe ich spontan nicht parat, aber Geräusche, die auf einen hereinbrechen, klingt irgendwie windschief.

von über 1000 Grad

Ähem.

schlafen, nur noch schlafen.
Jetzt schreckte er hoch. Seine Kopfschmerzen waren nur noch

Alles Kleinigkeiten, dein Stil ist reif genug, dass man sich auf die Story konzentrieren kann. Und die ist spannend. Man hört nicht auf zu lesen, weil man wissen will, wie es weiter- und schließlich ausgeht. Das klingt banal, aber das ist nunmal die Kunst. Wenn's jemand macht, der's kann, sieht es einfach aus.

Als Genre-Freund hat mir besonders das Rätselraten Spaß gemacht. Wenn man gewisse Strukturen wiedererkennt, geht’s los: Aaah, das kenn ich … jetzt, pass' auf, die ist bestimmt … doch nicht, aber er jetzt mit Sicherheit …

Sehr schön!

Grüße
JC

 

Hi Schwups,
vorerst um es direkt zu sagen: Richtig geile Story!
Fesselnd, spannend, fies ...

Nur ein paar kleine Anmerkungen:

War er war dabei, einzuschlafen?

da is wohl ein war zuviel dazwischen geraten^^

Sie haben ihn aus seiner Wohnung getragen. In einem Sarg.

Ich kenn mich da nicht aus, aber ich glaube nicht das Leichen in einem Sarg vom Tatort getragen werden. Es ist nur eine Kleinigkeit,aber es fällt einem doch ins Auge. Ich glaub Tote werden normal mit der Krankenwagentrage abtransportiert oder in Leichensäcken oder sowas. Aber der Sarg kommt garantiert ers später (wäre auch ziemlich schwer einen toten in der sperrigen Holzkiste aus der Wohnung zu schaffen, nebenbei bemerkt)

Jürgen fragte sich, ob er durchdrehte. Ob er langsam verrückt wurde.

das würde ich in einen satz kürzen.

Er konnte bis in den frühen Nachmittag widerstehen, doch dann gab er nach.
Er musste sehen, was das Puzzle zeigte. Die Erinnerung daran begann wie ein Traum langsam zu verblassen.
Ohne große Überraschung stellte er fest, dass das Puzzle nicht mehr zusammengesetzt war. Die Teile lagen wieder einzeln auf seinem Tisch.
Vielleicht, weil du es noch nie zusammengebaut hast.
Jürgen fragte sich, ob er durchdrehte. Ob er langsam verrückt wurde.
Er überlegte, ob er beide Unglücke ausgelöst hatte, indem er das Puzzle zusammengesetzt hatte.
Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Wirf es endlich weg.
Und wenn es statt des Auslösers eine Warnung gewesen war? Vielleicht wollte ihm das Puzzle – oder eine höhere Macht durch das Puzzle – die Möglichkeit geben, Unglücke zu verhindern?
Matthias Reibmeier konntest du jedenfalls nicht retten.
Vielleicht hätte er es gekonnt. Wenn er es wirklich gewollt hätte. Aber selbst wenn er gewusst hätte, dass das Bild eine Warnung darstellte, und selbst wenn er eine Möglichkeit gesehen hätte, den Mann zu retten – hätte er es getan?
Natürlich hättest du.
Aber er war sich da nicht so sicher. Vielleicht war es besser, diese Frage nicht zu stellen.
Er begann, die Teile in die Hand zu nehmen und in die Schachtel zurück zu legen. Sein Entschluss stand fest, er würde sich endgültig davon trennen. Er konnte nicht riskieren, ein weiteres Unglück auszulösen.
Wirf es weg. Wirf es endlich weg.
Immer wieder füllte er seine Hände mit Einzelteilen und warf sie in die Schachtel. Er sah, dass es wieder ein anderes Motiv war. Diesmal überwogen hellblaue und grüne Teile.
Was sie wohl darstellten?
Denk nicht dran.
Ein weiteres Unglück, das er auslösen würde?
Denk nicht dran.
Oder eines, das er würde verhindern können?
Denk nicht dran.
Er fuhr fort, die Teile in die Schachtel zu werfen, und wünschte sich, die Stimmen in seinem Kopf würden endlich Ruhe geben. Plötzlich stellte er mit Entsetzen fest, dass er die Teile statt in die Schachtel hinein wieder aus der Schachtel heraus nahm und wieder auf den Tisch warf.
„Nein“, flüsterte er. „Bitte lieber Gott, nein. Ich kann nicht mehr.“
Sein Kopf hämmerte, seine Finger juckten. Es gab nur eine Möglichkeit, diese Schmerzen loszuwerden.
Er setzte sich auf seinen Stuhl und begann zum dritten Mal, die Randteile auszusortieren.
Er würde es einfach zusammenbauen und schauen, was es zeigte. Wenn es wieder ein Unglück war, würde er alles in seiner Macht Stehende tun, um es zu verhindern.
Vergiss es, Jürgen. Du weißt, es ist zu spät.

Beste Stelle, könnte glatt eine Stephen King-Geschichte sein!

Das Ende ist auch typisch böse und schließt das ganze gut ab. Der innere Konflikt Jürgens kommt sehr gut rüber. Das einzige was ich inhaltlich zu kritisieren hätte, dass die Affäre zwischen Matthias und Kerstin ziemlich offensichtlich ist und der Leser sich fragt ist prot so blöd oder warum hat der das nicht eher schon gemerkt?

Ansonsten hat mich wirklich gut unterhalten!


mfg Leos

 

Hallo Proof und Leos,

auch euch vielen Dank fürs Lesen, Kommentieren und das Lob :). Waren ein paar sehr hilfreiche Sachen dabei, die ich auch eingearbeitet habe.

@Proof: Ich glaube, ich sage manchmal wirklich "Großer Gott", aber bin mir nicht sicher. "Ach du Scheiße" klingt in einer solchen Situation vermutlich schon realistischer, habs mal ersetzt.

Ich habe ein paar Online-Artikel zu Tunnelbränden gelesen, als ich die Geschichte geschrieben habe. In irgendeinem davon war von einer Hitze von über 1000 Grad die Rede, und dass die Helfer aus diesem Grund eine ganze Weile nicht zum Brandherd vordringen konnten. Das hab ich mal so in die Geschichte übernommen. Kann mir schon gut vorstellen dass es so heiß wird.

@Leos: Stimmt, in einem Sarg werden die Leute glaub wirklich nicht getragen. Habs mal durch "Tuch" ersetzt.

Danke nochmal und viele Grüße.

 

Ich melde mich demnächst auf deine Kritik zu meiner Geschichte, hab gerade nicht so viel Zeit, deshalb kurz: Ich bezog mich nicht auf die 1000 Grad sondern auf die umgangssprachliche Verwendung von "über". Und soweit ich weiß werden Leichen in Deutschland tatsächlich mit einem Sarg abtransportiert. Nicht der, in dem sie dann beerdigt werden, aber so ein Zinkding. Hygienevorschrift.

Grüße
JC

 

Hi Proof,

ja hast Recht, ich hab auch erst neulich in den Nachrichten wieder gesehen wie sie einen Sarg aus einem Haus getragen haben. War natürlich nicht der, in dem der Tote später beerdigt wird, aber nichtsdestotrotz ein Sarg. Hab das korrigiert, auch das mit den "über 1000 Grad". Danke nochmal für den Hinweis und viele Grüße.

 

Tach Schwups,

die Geschichte ist ordentlich geschrieben, die Idee nicht mitreißend, aber doch interessant. Gute Voraussetzungen also für eine halbe Stunde spannende Unterhaltung. Diese Spannung aber leidet sehr unter der dreimaligen Wiederholung der Puzzle-Szene, wobei die erste entbehrlich ist. Sie trägt zur Handlung nichts bei, außer dass man als Leser erfährt, was es mit dem Puzzle auf sich hat, was du aber in den nächsten beiden Szenen ohnehin beschreibst. Ich sehe zwei Möglichkeiten, diesen „Kaugummi“-Effekt zu beheben, ohne den ersten Teil zu löschen: entweder verzahnst du die erste Szene mit dem Rest der Geschichte, oder du bringst mehr Abwechslung in den Laden (z.B. ein Ortswechsel); denn letztlich passiert immer das gleiche: Jürgen geht in den Keller und puzzelt heimlich Katastrophenbilder. Dreimal. Das ist auf die Dauer ermüdend.

Ich habe die Geschichte gerne gelesen, das noch mal betont.

Ein paar Anmerkungen zur Sprache:

Er hatte nicht wirklich vor, das Puzzle zusammenzusetzen, doch aus Spaß leerte er die Teile auf der Tischfläche aus und begann, sie zu sortieren.
Das „wirklich“ kannst du streichen, es sagt nichts aus.
„Aus Spaß“ passt nicht. Du verwendest es hier mit der (unpassenden) umgangssprachlichen Bedeutung von „nur mal so“; es kommt auch dem einleitenden Halbsatz „Er hatte nicht (wirklich) vor“ in die Quere, denn wenn mir etwas Freude bereitet, ja, warum zum Teufel verzichte ich dann freiwillig darauf?
„Er leerte die Teile auf der Tischfläche aus“ ist sinnentstellend. Er leert die Schachtel, aber nicht die einzelnen Teile, es sei denn, diese sind mit Sahne, Quark oder was weiß ich gefüllt.

„Ja, bin an einem neuen Bild dran“, log Jürgen. Er wollte ihr nichts von dem Puzzle erzählen, so lange er noch nicht sicher war, es auch zu beenden.
Kerstin fragte ihn nicht, was es darstellte.
Falscher Bezug. Es ist ja nicht das Puzzle, dessen Motiv Kerstin nicht die Bohne interessiert.

Kerstin fragte ihn nicht, was es darstellte. Jürgen fand, sie zeigte immer weniger Interesse an seiner Person. Das Schweigen zwischen ihnen war mittlerweile zu einem ständigen Begleiter geworden, und Jürgen kam es so vor, als wog es immer schwerer. Sie versuchten, seit mehr als einem halben Jahr ein Baby zu bekommen, doch es klappte nicht. Auch wenn Kerstin das niemals gesagt hatte, so vermutete Jürgen, gab sie ihm die Schuld daran.
Du schreibst häufig „er fand“, „er vermutete“, „es kam ihm so vor“ ... Das nimmt ordentlich Fahrt aus der Geschichte. Wie wäre es, wenn du solche Szenen straffst? Vorschlag:
„Kerstin fragte ihn nicht weiter nach dem Bild. Sie zeigte ohnehin immer weniger Interesse an seiner Person – die meiste Zeit schwiegen sie sich an. Nicht mal über das Baby verlor sie ein Wort; sie versuchten es seit einem halben Jahr, es klappte einfach nicht, und sicher gab sie ihm die Schuld daran.“

Es würde ihn von attraktiven Männern in Kerstins Nähe und erfolglosen Schwangerschaftsversuchen ablenken.
Es gibt keine Schwangerschaftsversuche. Was soll das sein?

Er hatte mittlerweile beinahe den kompletten Rand geschafft, und wunderte sich, wie schnell er vorankam. In vielen Fällen griff er – trotz des fehlenden Motivs – sehr zielsicher nach den richtigen Teilen.
„mittlerweile“ kann (und sollte) raus
„sehr zielsicher“ kannst du auf „zielsicher“ eindampfen, denn entweder ist er zielsicher, oder er ist es nicht

Jürgen wirbelte herum und erwartete, einen Mann in seinem Hobbyraum zu sehen. Doch natürlich war da niemand. Auch das musste er sich eingebildet haben.
Überflüssig, redundant, Doppelmoppel, wie auch immer: Der letzte Satz kann wech.

Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und stellte fest, dass es schweißüberströmt war.
Auch hier stellt Jürgen wieder unnötigerweise etwas fest, und das bremst den Lesefluss. Warum nicht knackiger:
„Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht; es war schweißüberströmt.“
Oder noch besser:
„Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht; es war schweißnass.“
Stenofassung:
„Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht: schweißnass.“

Es war das reinste Inferno.
Das ist die gleiche Nummer wie einzig – einzigste. Es gibt keine Steigerung zu rein.

Über 1000 Grad. Er fröstelte.
Dieser Kontrast gefällt mir richtig gut!

Lange blickte er auf das Puzzle auf seinem Schreibtisch und wollte nicht glauben, was er da sah. ... Sein erster Gedanke war, dass es Kerstin auseinander genommen hatte.
Weia, die arme Kerstin. Du schreibst, dass das Puzzle Kerstin auseinandergenommen hat, meinst aber sicher das Gegenteil: „Sein erster Gedanke war, dass Kerstin es auseinandergenommen hatte.“

Sein Herz machte einen Sprung und jagte sämtliche Schläfrigkeit aus seinem Körper.
Der Schreck mag die Müdigkeit verjagen, aber das (ein) Herz?

Er versuchte, sich innerlich dagegen zu wappnen, doch ihre Worte trafen ihn dennoch mitten ins Herz.
Das „dennoch“ kannst du streichen.

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er wusste nicht, was. Er wollte etwas Beruhigendes sagen, etwas, das die Situation entschärfen würde, doch ihm fiel nichts ein. Statt dessen stand er nur mit offenem Mund da.
Hier sagst du in drei Sätzen über mehrere Zeilen nur eines: dass er nichts sagen kann. Da solltest du noch mal durch die Sätze feudeln.

„Nein“, rief er und wirbelte herum. Kerstin sackte zusammen. Die Kugel war durch ihr rechtes Auge in ihren Kopf eingedrungen. Er konnte in das Loch sehen, doch darin war es dunkel. Wie in einem Tunnel, wenn die Lichter ausgingen.
Auch hier, wie an so vielen Stellen zuvor, bremst du den Fortgang der Geschichte mit „Er konnte xyz sehen“. Das ist unnötig beschreibend, denn es ist klar, dass er sie gerade ansieht. Vorschlag:
„Nein“, rief er und wirbelte herum. Kerstin sackte zusammen. Die Kugel war ihr durchs rechte Auge in den Kopf gedrungen. In dem Loch / In der Wunde (was weiß ich, lass dir was einfallen) war es dunkel wie in einem Tunnel, in dem die Lichter ausgehen.“
Wobei ich sagen muss, dass mir der Tunnelvergleich nicht sonderlich gut gefällt.


Gut, dabei belasse ich es mal. Mir fällt auf, dass du häufig unnötig viel beschreibst und weniger zeigst. Es sind eine Menge Passagen drin, die man lebendiger gestalten könnte, allein schon durch den Verzicht auf Einschübe wie „vermutete er“, „konnte er erkennen“ und dergleichen; dadurch wärst du fast schon gezwungen, anschaulichere Formulierungen zu finden.

Ich hoffe, du konntest mit der Kritik etwas anfangen.

Viele Grüße,
Some

 
Zuletzt bearbeitet:

Moikka Schwups,

ich habe das Stück natürlich nach dem Posten schon gelesen gehabt, und erstmal ein generelles Lob vorweg: Du bist sicher einer der wenigen Autoren hier, bei denen man sich mit Vorfreude eine Tasse Kaffee holen und sich zurücklehnen kann, bzw. davon ausgehen kann, etwas tatsächlich Literarisches, Durchdachtes zu bekommen. Insofern hat mich auch dieser Text nicht enttäuscht.

Mir gefällt die Ruhe, und auch die (grundsätzliche) Länge, und da ich gutes tell oft sogar ketzerisch dem show vorziehe, mag ich das ebenfalls. Selten bei mir, aber bei zwei Dingen hier bin ich zwiegespalten:
* Tempo/Erzählfluß
* Länge im Verhältnis zur Handlung

Mir hat am allerbesten die Tunnelsache gefallen, weil dies eines solcher Unglücke ist, die grausamer als andere erscheinen (als 'einfache' Massenkarambolagen, die ja genauso tödlich und katastrophal sein sollten). Wie der umgestürzte Tanklaster damals in Tarragona; wie zwei Flugzeuge, die im Nebel kurz über der Startbahn ineinandercrashen ... Von daher wäre ich leidenschaftlich dafür, daß die Szene nicht gestrichen würde. Und ich finde für sie auch den Anfang gut. Eine hübsche Entsprechung Tunneldunkel/Kellerdunkel. Ein originelles Motiv außerdem.
Dann wiederholt sich das Spiel zweimal, ganz klassisch - eigentlich habe ich die Geschichte gern gelesen, und bin Dir bei den meisten Szenen gefolgt. Aber diese Kellersache hat was von dem Amityville Horror-Remake, und wird tatsächlich etwas eintönig. Zumal ja klar ist, daß sich die Katastrophen auch irgendwann auf Jürgen oder seine Freundin beziehen werden. Also fragt man sich eher wie und nicht ob. Da ist der folgende Teil bis zum Ende mit Alexander weniger spannend. Und hier wäre mein Vorschlag, leicht zu kürzen - im Sinne von mehr Tempo in die Formulierungen bringen, alles etwas atemloser, knapper. Dann das ruhige Ende (Neuanfang) mit Alexander ist wieder ok.

Was mich so zwiespältig macht, ist, daß dieses langsame Abgleiten, gerade mit der Kellerobsession, wieder sehr eindringlich geschildert ist; davon lebt ja die story, und Dein Erzählstil. Für mich hakt nun die Geschichte zwischen dem Beginn des dritten Bildes bis zur Abschlußszene mit Alexander. Ab dort, wo der Alltag beginnt, zusammenzubrechen.

Ich hatte mal für einen Text intensiv Hitze/Verbrennungen recherchiert - "mehr als" 1000°C werden Dir da nicht reichen. Eine Feuerzeug- oder Kerzenflamme kommt an der heißesten Stelle schon auf die 1000. Willst Du einen Körper auf dem Scheiterhaufen verbrennen, dauert das 6-8 Std. bis nur noch Knochen über sind, vllt 2, 3 Std. weniger, wenn vorher die Organe (= viel naß) entnommen würden. Bei einer Feuerwalze, die Menschen in Minuten zumindest bis zum mittleren Fleischlevel verkohlt, brauchst Du sicher wesentlich höhere Temperaturen.

Dann - sori, damit kam ich Dir schonmal - steige ich bei was nicht ganz durch. Vllt war das aber auch nicht Deine Intention: ich begrüße es sehr, daß die Herkunft und das Erscheinen des Puzzles nicht erklärt wird. Aber seine Funktion schnalle ich nicht. Vergleich: Der Würfel in Hellraiser öffnet, vorausgesetzt man knackt den Mechanismus, immer das Tor zur Hölle. Ob das jemand schafft, der dort hin wollte, der die Wächter herausfordern will, oder sie zerstören, oder ob es ein spielendes Kind ist, das keinen Plan hat - es passiert immer dasselbe, weil der Würfel eben ein Türöffner ist. Nochmal Barker: Candyman - fünfmal den Namen in den Spiegel gesprochen, erscheint der Candyman, die Grenze zwischen den Dimensionen wird geöffnet. Egal warum wer wieso. Nun das Puzzle: Es taucht auf, es zeigt offenbar 1:1 einen Tag zuvor eine Katastrophe. Unabhängiges Geschehen. Dann zeigt es auch 1:1 einen Tod, dieser steht in Zusammenhang mit dem Leben des Puzzelnden (über seine Frau). Auch gut. Dann zeigt das Puzzle aber eine verfremdete Szene in der Zukunft - eine Unmöglichkeit: Die Toten am Grab, das Loch im Kopf/Auge, der Grabstein. Auch ist klar, daß das Puzzle hier den Mann und die Frau als Geister bei ihrer eigenen Beerdigung zeigt. (Ein Grabstein wird übrigens erst 6 Wochen nach einer Beerdigung gesetzt, weil die Erde bis dahin noch absinkt, und er kippen würde. Daher bis dahin ein provisorisches Holzkreuz. Somit wußte ich hier sofort, daß etwas mit dem Bild 'nicht stimmen' kann.).

Wie das? Warum erst die 1:1-Realität und dann diese Verfremdung? Und hier frage ich mich, was denn das Puzzle bezwecken "will". Warum soll der Mann erst verrückt gemacht werden, wenn er an einer von dem Puzzle völlig unanbhängigen Sache stirbt? Damit er in die Biblio getrieben wird, um dort zu sterben? Sonst wäre nur die Frau erschossen worden ... Denn die Frau ist ja wohl schon fremdgegangen, bevor er sie wegen des Hobbykellers vernachlässigt hat - das steht in keinem Zusammenhang (?). Und was wäre dann der Grund - außer, daß Du es für uns Leser undurchsichtig & spannend halten willst - daß das Puzzle hier nicht wie vorher realitätsnah die Amok/nach-Todesszene in der Bibliothek zeigt? Also hat es eine Art Willen - es wäre schon logisch, wenn es Dinge sucht, die ein Puzzler als besonders beängstigend empfindet. Aber mir entgeht hier völlig der Zusammenhang zwischen dem Puzzle als Mechanismus/Willen, und dem Schicksal der darin verwickelten Menschen.

Und zuletzt ist der Bruder dran. Also: von der Mutter auf den einen Sohn, auf den anderen Sohn. Ein Familiengeheimnis? Durch Deinen letzten Dreh muß ich mich gegen meine Gewohnheit doch fragen, woher das Puzzle stammt - weil Du eine Logik andeutest, aber sie mEn nicht ausführst. Löscht es ganze Familien aus, einfach so? Gibt es nur eines davon? Warum gerade bei diesen Menschen? Geht es um die Versuchung, das Nachgeben in eine Sucht, Willensschwäche?
Aber: Angenommen, das Puzzle wäre nie aufgetaucht - die Frau hätte ihr Handy zu Hause liegen lassen, der Mann hätte es ihr in die Biblio gebracht, die Amokläuferin usw. Es wäre für mich anzunehmen gewesen, daß das Puzzle den Mann durch seine Obsession mit den gezeigten Bildern zu etwas treibt, was er vorher nie in Erwägung gezogen hätte. Etwas schrecklich Absurdes, Katastrophales. Dann hätte sich für das Puzzle "der Aufwand" gelohnt. Und somit entläßt mich die Geschichte doch etwas unzufrieden, obwohl ich das offene Ende auch sehr gut finde, an sich.
Möglicherweise bin ich mit all diesen Gedanken auch völlig auf dem Holzweg :-)

Was ich meinte mit "es hakt für mich": ein Tunnelbrand ist schrecklich, weil man sowas nicht erwartet, es selten ist, aber möglich, vllt sogar wahrscheinlich, unausweichlich. Ein Selbstmord ist leider nicht so selten. Der Amoklauf einer bislang ganz biederen Frau, mit scharfer Schußwaffe (die man nicht so einfach bekommt), in einem öffentlichen Gebäude, aus Eifersucht, noch mit einem eiskalten Spruch auf den Lippen ist nun etwas wirklich extrem Unwahrscheinliches. Es geht ja nicht um den Fall Bachmann, sondern eine betrogene Frau. Das schlucke ich so nicht. Ein schicksalhaftes Puzzle, Obsession, Unglücke ... das paßt alles in eine solche story. Dann rutscht der Schrecken rüber in die Realität (ja, muß so sein in einer Geistergeschichte) - und dann wird das Übernatürliche gepaart mit einer nahezu-Unmöglichkeit. Und dadurch gelingt mir das suspending disbelief einfach nicht mehr.
Amokfrau in Biblio paßt für mich auch 'stilistisch/motivisch' nicht zum Tunnelbrand.

Und noch eine letzte Nölerei: "Oh mein / großer Gott" ist so ... neee. Es käme ohne aus, und würde die umgebenden Sätze stärker wirken lassen;bzw. nur mit der "ach du Scheiße" am Anfang. Mag sein, daß Leute das so sagen, aber das wird zu häufig für eine Vorsicht, es wird jetzt schrecklich-Szene hervorgezogen. Das brauchst Du bei Deinem Schreibstil gar nicht.

Was mir sehr gut gefiel, außer, daß sich die story wirklich angenehm lesen ließ - auch ich muß das nochmal betonen - sind die Dialoge, das langsame Abgleiten, die Entfremdung. Das hat etwas Leichtes, und dennoch Bedrückendes. Das sind seine intensiven Gedanken (von daher stört mich nicht, daß er sehr viel über sich selbst & seine Beobachtungen reflektiert, im Gegenteil), die kurz von seiner Frau durch ihre 'normale' Außensicht durchbrochen werden. So fühlen wir uns mit ihm gefangen, und sehen ihn/uns gleichzeitg zu, wie weit er/wir schon abgedriftet ist/sind. Sehr elegant.

Ich fand auch den Anfang extrem spannend, bei dem die Teilchen beschrieben werden, wir wissen, daß etwas Scheußliches kommt, und müssen warten, bis er fertiggepuzzelt hat - das hier ist tolles Timing, weil Du uns hier in Deine story reinzwingst, postitiv gesehen. So wie im Film eine subjektive Kamera, die uns langsam durch einen Korridor führt, den wir niemals nie so genau sehen wollten - und schon gar nicht, was da am Ende lauern mag! :) Sehr schwer, das in eine KG zu packen, und hier sehr gut gelungen.

Sori, wenn ich mich entsetzlich umständlich ausgedrückt habe, es war nicht ganz einfach bei diesem Stück, zu trennen was mich stört und was mir gleichzeitig teils gefällt - hoffe auch, Du kannst hiermit was anfangen.

Herzlichst,
Katla

 

Hi Some,

danke dir fürs Lesen und ausführliche Kommentieren. Freut mich wenn dich die Geschichte gut unterhalten hat.

Diese Spannung aber leidet sehr unter der dreimaligen Wiederholung der Puzzle-Szene, wobei die erste entbehrlich ist. Sie trägt zur Handlung nichts bei, außer dass man als Leser erfährt, was es mit dem Puzzle auf sich hat, was du aber in den nächsten beiden Szenen ohnehin beschreibst. Ich sehe zwei Möglichkeiten, diesen „Kaugummi“-Effekt zu beheben, ohne den ersten Teil zu löschen: entweder verzahnst du die erste Szene mit dem Rest der Geschichte, oder du bringst mehr Abwechslung in den Laden (z.B. ein Ortswechsel); denn letztlich passiert immer das gleiche: Jürgen geht in den Keller und puzzelt heimlich Katastrophenbilder. Dreimal. Das ist auf die Dauer ermüdend.

Wie gesagt, habe eine Weile überlegt, die Szene zu streichen, mich aber inzwischen dagegen entschieden. Eine Verzahnung mit dem Rest macht mE nicht viel Sinn, da das der Sinn des zweiten Motivs ist. Ich wollte bei der Auswahl der Motive zwei Steigerungen in die Geschichte bringen: Zum Einen werden die Unglücke für Jürgen immer persönlicher, zum Anderen hat man die Steigerung Unfall - Selbstmord - Mord. Hm, Ortswechsel ist auch schwierig. Das Puzzeln wird für Jürgen ja quasi zu einer "heimlichen Obsession", der er versucht sich in den Weg zu stellen, aber daran scheitert. Es muss im Keller passieren. Es stimmt, einige Dinge wiederholen sich. Ich weiß aber nicht, wie ich das Zwanghafte und Jürgens inneren Kampf anders rüberbringen kann.

Das „wirklich“ kannst du streichen, es sagt nichts aus.
„Aus Spaß“ passt nicht. Du verwendest es hier mit der (unpassenden) umgangssprachlichen Bedeutung von „nur mal so“; es kommt auch dem einleitenden Halbsatz „Er hatte nicht (wirklich) vor“ in die Quere, denn wenn mir etwas Freude bereitet, ja, warum zum Teufel verzichte ich dann freiwillig darauf?
„Er leerte die Teile auf der Tischfläche aus“ ist sinnentstellend. Er leert die Schachtel, aber nicht die einzelnen Teile, es sei denn, diese sind mit Sahne, Quark oder was weiß ich gefüllt.

Ich habs mal folgendermaßen umgestellt: "Obwohl er sich noch nicht entschlossen hatte, das Puzzle zusammenzusetzen, leerte er aus Neugier die Schachtel auf der Tischfläche aus und begann, die Teile zu sortieren."

Falscher Bezug. Es ist ja nicht das Puzzle, dessen Motiv Kerstin nicht die Bohne interessiert.

Stimmt, ist korrigiert.

Du schreibst häufig „er fand“, „er vermutete“, „es kam ihm so vor“ ... Das nimmt ordentlich Fahrt aus der Geschichte. Wie wäre es, wenn du solche Szenen straffst?

Die Szene wäre dann zwar gestrafft, aber ich finde man spürt als Leser nicht mehr, welche Gedanken sich Jürgen macht und wie sehr er eigentlich unter der Situation leidet, so dass er (später) die "Flucht" in den Keller vorzieht. Ich sage dann zwar als Erzähler, so ist es eben, aber was geht im Kopf des Prot. vor? Das geht verloren, finde ich.

Es gibt keine Schwangerschaftsversuche. Was soll das sein?

Gemeint waren Versuche, schwanger zu werden. Aber ich sehs, das Wort gibts wohl tatsächlich nicht. Habs mal ersetzt durch "unerfüllte Schwangerschaftswünsche". Ich denk das geht.

„mittlerweile“ kann (und sollte) raus
„sehr zielsicher“ kannst du auf „zielsicher“ eindampfen, denn entweder ist er zielsicher, oder er ist es nicht

Ja geb ich dir Recht, ist beides korrigiert.

Überflüssig, redundant, Doppelmoppel, wie auch immer: Der letzte Satz kann wech.

OK, bei dem Satz war ich mir selbst sehr unsicher. Aber stimmt, ohne ihn liest sich die Stelle flotter.


Auch hier stellt Jürgen wieder unnötigerweise etwas fest, und das bremst den Lesefluss. Warum nicht knackiger:
„Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht; es war schweißüberströmt.“
Oder noch besser:
„Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht; es war schweißnass.“
Stenofassung:
„Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht: schweißnass.“

Gefällt mir ehrlich gesagt nicht so gut. Ich finde, die "Feststellung" drückt irgendwie auch seine Überraschung darüber aus. Er merkt eben erst, dass sein Gesicht schweißüberströmt ist, als er mit der Hand drüber fährt, und ich finde die Info geht sonst verloren.

Das ist die gleiche Nummer wie einzig – einzigste. Es gibt keine Steigerung zu rein.

Ja, da hast du Recht. Ist korrigiert.

Weia, die arme Kerstin. Du schreibst, dass das Puzzle Kerstin auseinandergenommen hat, meinst aber sicher das Gegenteil: „Sein erster Gedanke war, dass Kerstin es auseinandergenommen hatte.“

:) Ist korrigiert.

Der Schreck mag die Müdigkeit verjagen, aber das (ein) Herz?

Ja, hab das auch umformuliert.

Das „dennoch“ kannst du streichen.

Jaja ... immer diese unnötigen Füllwörter. Ist rausgeflogen.

Was den Schlußteil angeht, da will ich ohnehin nochmal drüber gehen. Denke das muss ich alles noch ein bißchen gründlicher überarbeiten. In dem Zug werde ich dann auch nochmal über deine Punkte gehen.

Wobei ich sagen muss, dass mir der Tunnelvergleich nicht sonderlich gut gefällt.

Das ist natürlich ein Bezug aufs erste Puzzlemotiv ;)

Danke dir nochmal fürs Lesen und ausführliche Kommentieren.

Hallo Katla (seit die isländischen Vulkane in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt sind, weiß ich jetzt auch, was dein Name bedeutet ;)),

auch dir ein herzliches Dankeschön fürs Lesen, Feedback und das Lob. Du sprichst einige sehr gute Punkte an.

Aber diese Kellersache hat was von dem Amityville Horror-Remake, und wird tatsächlich etwas eintönig. Zumal ja klar ist, daß sich die Katastrophen auch irgendwann auf Jürgen oder seine Freundin beziehen werden. Also fragt man sich eher wie und nicht ob. Da ist der folgende Teil bis zum Ende mit Alexander weniger spannend. Und hier wäre mein Vorschlag, leicht zu kürzen - im Sinne von mehr Tempo in die Formulierungen bringen, alles etwas atemloser, knapper.

Wie du feststellst, ist das halt ein schmaler Grad. Ich versuche ja gerade, mit gewissen Umschreibungen, mit teilweise sehr ausführlich beschriebenen Szenen und mit vielen Gedanken von Jürgen, seine Obsession, seine zunehmende Abhängigkeit und seine Verzweiflung darüber zum Ausdruck zu bringen. Das finde ich an der Geschichte mindestens genauso wichtig wie die Motive und ihre Konsequenzen. Was ich definitiv machen möchte, ist das Ende umkrempeln, so ab Beginn 3. Motiv. Da werde ich versuchen, mehr Tempo in die Geschichte zu bringen.

Dann - sori, damit kam ich Dir schonmal - steige ich bei was nicht ganz durch.

Ich möchte es bewusst dem Leser überlassen, welchen Zweck er dem Puzzle gibt. Zwei Alternativen sind in der Geschichte ja kurz angerissen. Dazu und auch zur Herkunft möchte ich mich gar nicht ausführlicher auslassen, weil ich finde, das sollte unerklärt bleiben. Dass es von Familienmitglied zu Familienmitglied springt, muss übrigens gar keine tiefere Bedeutung haben: Zum Einen ist sich Jürgen ja gar nicht sicher, dass es von seiner Mutter kommt. Das ist also gar nicht gesagt. Und Alexander hat es bekommen, weil Jürgens Besitz auf ihn übergegangen ist.

Zu deinen Anmerkungen zum 3. Motiv muss ich dir Recht geben: Es passt nicht ins Schema. Da hab ich mich hinreißen lassen, weil ein Friedhof nochmal zusätzlichen Grusel / Horror in die Geschichte bringen sollte. Aber es stimmt, es gehört nicht rein, und wenn ich die Geschichte heute mit ein wenig Abstand nochmal lese, gefällt mir der Teil nicht mehr so gut. Ich werde das - und den Schluß allgemein - in einer ausführlicheren Überarbeitung nochmal umschreiben.

Warum soll der Mann erst verrückt gemacht werden, wenn er an einer von dem Puzzle völlig unanbhängigen Sache stirbt?

Das tut er eben nicht, finde ich. Wie du schon richtig erwähnst, treibt ihn ja erst das Motiv zur genau richtigen Zeit in die Bibliothek. Darin liegt schon die Absicht des 3. Motivs: Es soll in letzter Konsequenz zu seinem eigenen Tod führen. Außerdem ist auch der Mord an sich nicht unabhängig vom Puzzle, wenn man das Puzzle so interpretiert, dass es Auslöser für die Unglücke ist. Denn dann hätte sich Matthias ohne das Puzzle nicht umgebracht, und die Frau wäre nicht Amok gelaufen. In einer solchen Interpretation ist das Puzzle für den Tod von allen Personen (direkt oder indirekt) verantwortlich. Wenn man das Puzzle lediglich als "Warnhinweis" betrachtet, kommt eine andere Tragik in die Geschichte: Es versucht, Jürgen zu sagen, hey, pass auf, deine Freundin ist in Gefahr. Und beim Versuch, sie zu retten, kommen beide ums Leben, weil es Jürgen nicht gelungen ist, eine andere Warnung des Puzzles (den Selbstmord von Matthias) richtig zu interpretieren und zu verhindern. Es zeigt dann eine gewisse Ohnmacht von Jürgen. Ich finde beide Interpretationen gut, und möchte bewusst beide für den Leser offen lassen.

Dass der Amoklauf am Ende unrealistisch ist, stimmt. Aber ich finde, er geht noch als im Bereich des Möglichen durch, ist also nicht vollkommen abwegig. Ich möchte halt gerne den Bezug zum Selbstmord aufrecht erhalten, weil sonst die obigen Überlegungen nicht mehr richtig hinhauen (und weil der Schluß auch zeigt, dass Jürgens Befürchtungen zu Beginn doch der Wahrheit entsprachen). Mal schauen, was sich da machen lässt.

Und noch eine letzte Nölerei: "Oh mein / großer Gott" ist so ... neee.

Ja das stimmt. Daran muss ich wirklich noch arbeiten. Ich gehe die Geschichte nochmal durch und streiche solche Stellen raus. Danke für den Hinweis.

Ich hoffe, ich konnte einigermaßen erklären, wie ich die Zusammenhänge sehe. Vielleicht hab ich auch versucht, zu viel in die kleine Geschichte zu packen, so dass nicht alles immer zu 100 Prozent rüberkommt. Also ich nehme mir mal vor, ab dem 3. Motiv die Geschichte zu überarbeiten, dahingehend, dass es besser ins Schema passt und allgemein mehr Tempo in den Schluß zu bringen.

Danke nochmal und viele Grüße.

 

Hallo Schwups,
Eine schöne klassische Horrorgeschichte ist das. Am Anfang ging es mir zu langsam, es schien als würdest du dich erst warmschreiben. Dann aber war die GEschichte sehr spannend und das Ende, natürlich vorhersehbar, aber hat mir trotzdem sehr gut gefallen. ICh glaube, den Anfang solltest du straffen. Es sind da zu viele reflektierende Sätze eingebaut wie

ürgen fragte sich, ob er durchdrehte, ob er langsam verrückt wurde.
Er überlegte, ob er beide Unglücke ausgelöst hatte, indem er das Puzzle zusammengesetzt hatte.
oder
Vermutlich stammte es tatsächlich aus dem Haushalt seiner Mutter. Vielleicht hatte sie ihm dieses Puzzle irgendwann einmal gekauft, und es war aus irgendeinem Grund in Vergessenheit geraten und in einer grauen Schachtel gelandet. Und so war es irgendwie in Jürgens Hobbyraum gelandet. Er wusste nicht, wo es sonst herkommen sollte.
Ansonsten finde ich den Aufbau gut gelungen.

LG
Bernhard

 

Hallo Bernhard,

vielen Dank fürs Lesen der Geschichte und das Lob. Freut mich wenn sie dir gefallen hat.

Ich habe jetzt auch die Gelegenheit genutzt und das Ende ein wenig umgeschrieben. Das letzte Motiv ist jetzt nicht mehr so abstrakt auf einem Friedhof, sondern näher am tatsächlichen Unglück angelehnt. Dieses letzte Unglück hab ich nicht geändert, weil mir ehrlich gesagt nichts Gleichwertiges eingefallen ist. Ich wollte die Verbindung zum zweiten Motiv drin behalten, daher ist es jetzt beim "Amoklauf" geblieben. Habe aber ein paar Teile rausgeworfen, auch den Anfang habe ich ein wenig gestrafft.

Danke nochmal allen fürs Lesen & Kommentieren.

Viele Grüße.

 

Hallo Schwups,

vieles ist schon recht scharfsinnig herausgearbeitet worden, vor allem von Katla. Leider habe ich auch die wenigen Textstellen, wo ich noch einige Ideen zum Feilen hätte, nicht sofort markiert, so dass ich wohl den Text noch einmal lesen werde um den Kleinkram hoffentlich in Kürze nachzureichen, was aber keine Strafe ist, denn Du schreibst ausgesprochen angenehm und man kann etwas von Dir lernen.

Was mich fasziniert ist, wie Du Spannung aufbaust und über einen extrem weit gespannten Bogen aufrecht erhalten kannst.

Zuallererst: Deine Entscheidung bei der dreifachen Wiederholung des Puzzelns zu bleiben, halte ich für gut. Die Geschichte bekommt dadurch etwas Märchenhaftes. Natürlich rutscht man in die Spur der Vorhersehbarkeit. Es ist klar, dass da "a la täglich grüßt das Murmeltier" ein neues Puzzle wartet. Aber das macht nichts, denn ich habe Deinem Protagonisten gerne über die Schulter gesehen. Auch waren für mich während des Lesens eine Vielzahl von Varianten denkbar, sei es das Abgleiten in die Zwanghaftigkeit oder den Wahnsinn oder eben der große Knall im 3. Bild der Trilogie.

Die Länge der Geschichte ist für mich kein Makel, was eine persönliche Vorliebe sein mag, denn Figuren und Ambiente einer Geschichte halte ich wie guten Wein für etwas, das Zeit und Raum braucht um sich zu entfalten. Wem soetwas zu lang ist und nicht hektisch genug seitens der Handlung, braucht es ja nicht zu lesen.

Was es dennoch anzumerken gibt, findet sich in den Vorkommentaren: Tina, deren Spur sich im Nichts verliert und die für mich nicht so recht als Wahnvorstellung rüberkommen will.

Auch Katla hat erfolgreich einige Unstimmigkeiten betreffend das Wesen oder sie Eigenschaften des Puzzles ausgegraben, ich persönlich hadere etwas an dem Punkt der Geräusche in Episode 1. Das wirkt so ein Bißchen wie pure Stimmungsmache.

Was ich toll finde, ist wie Du mit den Elementen der Schauergeschichte spielst, ohne dass sofort die Kettensäge aus dem Schrank hüpft. Die unaufdringliche Art, die das Gruseln im eigenen Kopf entstehen lässt, obwohl (oder weil) Du keine der Figuren mit einer äußerlichen Beschreibung bedacht hast, begeistert mich.

In Summe gerne gelesen und in Hoffnung auf weitere Geschichten von Dir,

AE

 

Hallo, Schwups.
Eine Hand wäscht die andere...:-)
Dein Text ist sauber und flüssig geschrieben, allerdings nicht wirklich eine Horrorgeschichte. Ich würde sie eher als einfache Gruselgeschichte bezeichnen.
Einigen meiner Vorredner kann ich mich anschließen. Zum Beispiel, dass das dreimalige Aufbauen des Puzzles eine immerwiederkehrende Handung ist und somit leicht ins Langweilige abdriftet. Auf der anderen Seite ist das Aufbauen des Puzzles natürlich notwendig, und du hälst dich auch nicht unnötig lange damit auf, kommst schnell zum Punkt, sprich zum fertigen Bild.
Dass du ein "Hatte-Problem" hast, konnte ich nicht feststellen. Zumindest bin ich beim Lesen nicht darüber gestolpert.
An was ich dagegen hängen geblieben bin, ist Tina. Als Jürgen den erhängten Kollegen im Traum fand und dieser nach Tina rief, dachte ich erst, dass die Ereignisse zusammenhängen, sprich, dass Matthias mit Tina verlobt oder so war und sie bei dem Unfall verloren hat. Dass Tina quasi gar nichts mit der Geschichte zu tun hat, stört mich etwas. Ich würde diesen Part vollkommen weglassen.
Das Ende der Story kam nicht wirklich überraschend, nachdem man das dritte Puzzle kannte.
Aber trotzdem ... die Gescichte hat mich unterhalten und ich hab sie in einem Zug gelesen, was am PC nicht oft vorkommt. (Viereckaugen)..:-)
Als ich den Titel und den Anfang las, dachte ich sofort an eine uralte Geschichte, die ich als Kind gelesen hatte, und die ebenfalls "Das Puzzle" hieß.
Darin bekam ein kleiner Junge ein Puzzle von seinen Eltern geschenkt. Und als er es zusammensetzte, kristallisierte sich mehr und mehr das Bild eines kleine Jungen heraus, der von seinem Vater mit der Axt erschlagen wird ... und so kam es dann auch.
Ach, noch was ... deine Einstellung zum Bösen in Horrorgeschichten gefällt mir. In Dark Fantasy und Horror muss meiner Meinung nach das Böse siegen. Happy Ends gehören in Liebesgeschichten. Aber wenn der wahnsinnige Killer oder der besessene Priester den Abschluss der Geschichte bildet, sieht man darin die Essenz des wahren Lebens. ... ist zumindest meine kranke Meinung.

Im großen und Ganzen eine tolle, runde Arbeit mit einigen Ecken...:-)

 

Hallo AlterEgo

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren der Geschichte.

denn Du schreibst ausgesprochen angenehm und man kann etwas von Dir lernen.

Vielen Dank, das freut mich. :)

ich persönlich hadere etwas an dem Punkt der Geräusche in Episode 1. Das wirkt so ein Bißchen wie pure Stimmungsmache.

Ja, wenn ich die Geschichte heute, nach über einem halben Jahr, nochmal lese, kommt es mir auch so vor. Da lässt sich noch einiges verbessern. Vieles ist nicht in sich schlüssig, und vieles wurde ja auch schon zu Recht kritisiert. Mit den Geräuschen ist das auch so ne Sache. Er hört sie auch beim 2. Puzzle noch, doch treten sie da - auch begründet durch das Motiv - sehr stark in den Hintergrund. Insgesamt wirken sie heute auch auf mich wie Effekthascherei, daher können sie wohl raus.


Hallo Onlyme

Auch dir Herzlichen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

An was ich dagegen hängen geblieben bin, ist Tina. Als Jürgen den erhängten Kollegen im Traum fand und dieser nach Tina rief, dachte ich erst, dass die Ereignisse zusammenhängen, sprich, dass Matthias mit Tina verlobt oder so war und sie bei dem Unfall verloren hat. Dass Tina quasi gar nichts mit der Geschichte zu tun hat, stört mich etwas. Ich würde diesen Part vollkommen weglassen.

Das geht auch in die Richtung von dem, was AlterEgo sagt (und viele andere auch). Vermutlich werde ich Tina tatsächlich noch rausnehmen. Sein Traum soll einfach beide Puzzle-Motive verbinden, aber das geht bestimmt auch anders, vielleicht auch weniger reißerisch.

Darin bekam ein kleiner Junge ein Puzzle von seinen Eltern geschenkt. Und als er es zusammensetzte, kristallisierte sich mehr und mehr das Bild eines kleine Jungen heraus, der von seinem Vater mit der Axt erschlagen wird ... und so kam es dann auch.

Klingt auch nach ner guten Geschichte :)

Ach, noch was ... deine Einstellung zum Bösen in Horrorgeschichten gefällt mir. In Dark Fantasy und Horror muss meiner Meinung nach das Böse siegen. Happy Ends gehören in Liebesgeschichten. Aber wenn der wahnsinnige Killer oder der besessene Priester den Abschluss der Geschichte bildet, sieht man darin die Essenz des wahren Lebens. ... ist zumindest meine kranke Meinung.

Ich persönlich stehe auch nicht unbedingt Open Ends. Aber es kommt immer auf die Geschichte an. Manchmal passen sie auch sehr gut.

Also vielen Dank nochmal euch beiden. Momentan schreibe ich an einer anderen Geschichte, die ich noch beenden will. Dann nehme ich mir nochmal "Das Puzzle" vor und überarbeite sie nochmal.

Viele Grüße.

 

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