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Das Problem

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07.01.2012
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Das Problem

Es ist warm. Zu warm, sie schwitzt. Alles ist schrecklich feucht und warm. Druckwellen, dumpfe, immer stärker werdende Druckwellen. Von Innen, dieser furchtbare Druck, nach Aussen. Pochend und schwer. Bestrebt, zu entweichen, ohne es zu können. Gefangen. Schmerzhaft, unerträglich! Luft. Sie braucht Luft!

Tageslicht. Gnadenloses, unerwünschtes Tageslicht presst sich durch ein kleines vergittertes Fenster. Verschwommene Wahrnehmung einer weissen Decke und vier weissen Wänden. Ein Zimmer. Ein kokain-weisses, leeres Zimmer, sehr sparsam eingerichtet, bloss mit einem Waschbecken ohne Spiegel und einer Glühbirne an der Decke ausgestatet. Und noch ein Bett, indem sie liegt. Ein kleines, unbequemes, verschwitztes Bett. Ein Sumpf aus Schweiss.
Sie setzt sich auf die Bettkante, bleibt eine Weile sitzen. In den schwachen, aufgedunsenen Gliedern pulsiert das Blut. Die Beine sind schwer und träge. Das aufstehen gelingt ihr, ist jedoch sehr kräfteraubend und fühlt sich an, als würden sich ihre Beine in ihren Bauch rammen.
Nach und nach erwacht ihr Empfinden, sie spürt sich wider. Leider. Alles tut weh. Ihr Körper, so scheint es, ein Wrack. Am Boden ein Stück rechteckiges Plastik. Ein transparenter Plastikbeutel mit ihren Personalien beschriftet, scheint also ihr zu gehören. Sieht aus wie eines dieser luftdichten Plastiktütchen in denen man das Gras aufbewahrt, nur viel grösser. Darin Münzen. Genug Münzen um Zigaretten zu kaufen. Sie muss nach draussen, frische Luft schnappen, Energie tanken, eine rauchen. Weg hier!
Die Tür ist glücklicherweise nicht abgeschlossen und die Klinke lässt sich problemlos bedienen.
Es folgt ein langer, weisser Flur, auch leer und unbekannt. Links und rechts davon Türen, in gleichmässigem Abstand. Genau so kahl, wie alles Andere was sie bisher gesehen hat.
Während sie sich so den Gang entlang schleppt, mühsam und geplagt von den - verdammt noch mal! - bestialisch betäubenden Kopfschmerzen, fragt sie sich zum ersten mal, wo sie eigentlich ist. Wie bin ich hier hin gekommen und vor allem: wieso? Was ist geschehen? Wo sind meine Sachen? Vielleicht, denkt sie sich, vielleicht liegt es an den Kopfschmerzen oder ganz einfach daran, dass ich erst gerade aufgewacht bin, keine Ahnung. Totaler Filmriss. Black-Out. Warscheinlich wieder zu viel getrunken am Vorabend. Zu viele oder zu starke Drogen genommen. Das passiert.
Eine Frau! Da vorne sitzt eine Frau! Eine eine mittleren Alters. Reglos und allein sitzt sie in diesem Nebenraum. Ein Wartezimmer, wies ausschaut. Unscheinbar, ja fast so, als existiere sie nicht, sitzt da eine Frau in der Ecke. Vielleicht raucht sie.

„Guten Morgen, hallo! Ich möchte sie nicht stören, bin ein wenig verwirrt und finde mich hier nicht zurecht. Hätten Sie eine Zigarette für mich oder wissen Sie, wo ich welche kaufen kann?“

Nichts, nichts als Schweigen. Keine Antwort, keine Reaktion. Man will nicht unhöflich sein, es sich nicht verscherzen mit dieser Frau die da so sitzt und nichts tut, ausser den Kopf hängen lassen. Diese Frau sieht nicht glücklich aus aber auch nicht gerade traurig. Irgendwie komisch sieht sie aus, sehr komisch sogar. So, als hätte man ihr das Leben ausgehaucht und sie als zerrüttete, unscheinbare und blasse Hülle zurückgelassen. Sie trägt ihr Haar praktisch-kurz, eine Art Altweiberfrisur. Zeitlos, stillos und unvorteilhaft, aber eben praktisch.

Noch dazu sehr fettiges, strähniges Haar. Vereinzelt graue Haarpartien, hervorstechend im dunklen Schopf. Das aufgequollene Gesicht ist von einer Talgschicht überzogen. Kraterartige Vernarbungen auf den Wangen, Pickel auf der Stirn. Die Hände rissig und spröde, die Nägel kurz und ungepflegt. Sie trägt eine blaue Stoffhose im Hochwasser-Look und passend dazu ein ausgeleiertes, ausgewaschenes, oranges Kurzarmshirt und warschinlich keinen BH darunter. Alles fad und farblos, vernachlässigt und verbraucht. Eine Hülle an die niemand denkt, nicht einmal die Hülle selbst. Eine vergessene Hülle.
Plötzlich, ganz unerwartet und langsam, hebt sich ihr Kopf. Ihr Blick, so leer und sonderbar wie man es von so einer Gestalt eigentlich auch zu erwarten hat.

„Ich heisse Iris, und du?“ , antwortet sie unsicher und leise während sich ihre Stimmlage nicht verändert, und sich ihre spröden Lippen kaum bewegen. Keine Antwort, eine Gegenfrage. Und noch dazu eine sehr forsch formulierte (da ist man endlich volljährig, wird aber trozdem stinkfrech mit DU angesprochen!!!), viel zu persönliche Frage.

„Mein Name ist Dreher, Frau Anna Dreher.“, antwortet Frau Dreher und wiederholt ungeduldig die Zigaretten-Frage.

Iris raucht nicht. Iris hat nie geraucht, weil sie es einfach nie ausprobiert hat, wie Frau Dreher interessanterweise erfährt. Iris hat aber nichts gegen Raucher auszusetzen. Sie erzählt von einem Automaten am anderen Ende des Flurs, bietet sich als Wegbegleiterin an. Ok, das geht noch. Frau Dreher hat ihr verfügbares Guthaben an Geduld restlos ausgeschöpft und keine Lust, durch Herumirren in diesem Gebäude noch mehr davon zu verschwenden, und macht sich mit Iris auf den Weg.

„Du bist neu hier, stimmts?“ , fragt Iris, diesmal nicht mehr ganz so unsicher.

„Ja. Genauer gesagt: ich war noch nie hier und habe nicht die leiseste Ahnung wieso ich überhaupt da bin. Ich weiss nur, dass ich so schnell wie möglich wieder gehen werde! Aber zuerst brauche ich eine Zigarette. Gehen wir!“ , antwortet Frau Dreher etwas genervt.

Endlich, das Ende des Flurs ist in Sicht! Das Flurende, eine Glastür, ebenfalls mit klinischem Charme.

„Jetzt musst du alleine weiter, ich kann dich nicht begleiten, weil ich die Station nicht verlassen darf.“ , so Iris, vor der Glastür stehend. Die Iris hat offenbar ein Problem.

Aber noch bevor Frau Dreher etwas erwidern kann, was sie nämlich gerne tun würde, da sie das Wort “Station” einwenig beunruhigt, fragt Iris:

„Weißt du denn schon, wann du wieder gehen kannst?“

Gehen können? Können?! Man kann doch immer gehen, einen Ort verlassen, an dem man sich nicht wohl fühlt und sowieso gar nicht hinwollte. Das ist doch kein Problem! Außer: man sitzt gerade beim Infomorgen vom Arbeitslosenammt, steht im Weihnachtsausverkauf in Zürich hinter der Kasse einer Zara Filliale oder hört sich eine, vom kleinen Bruder selbstausgedachte Blockflötenkomposition an.

„Ich kann gehen wann und wohin ich will. Und das werde ich auch tun, sobald ich Zigaretten gelkauft habe. Aufwiedersehen und danke fürs Begleiten! “

Eine Glastür knallt zu.


Nachdem passieren der Glastür gelangt kommt in einen runden, geräumigen Saal. Eine Art Empfangsbereich, sehr hell und freundlich. Davon zweigen einige weitere Flure ab. Im vorderen Bereich, dem Himmel sei Dank, ein in Sonnenlicht getauchter Eingang mit elektronischer Schiebetür. Für Frau Dreher ein Ausgang, eine Möglichkeit frische Luft zu atmen, zu rauchen, sich zu erholen. Einfach weg zu können und dieses trostlose Gebäude hinter sich zu lassen. Frau Dreher entdeckt den Zigarettenautomaten im Eingangsbereich und schreitet hastig quer durch den Raum. Es stellt sich heraus, dass dieser Automat nur nach Einwurf eines Jetons funktioniert. Sie schaut sich um und entdeckt eine Person die Ihr entgegeneilt.

„ Anna! Ich habe dich gesucht! Komm mit, ich bringe dich auf deine Station. Patienten die mit einem FFE eingewiesen werden dürfen ihre Station in den ersten Wochen nicht verlassen. Doktor Zimmermann erwartet dich bereits zur Arztvisite. Er wird dir alles erklären. Danach schauen wir weiter. “

„ FFE?! “

„ Das ist ein fürsorglicher Freiheitsentzug und wird durch die Polizei bei Verdacht auf Selbst-oder Fremdgefährdung ausgehändigt. Darauf folgt eine sofortige Einweisung in eine psychiatrische Klinik durch. Du wurdest gestern abend eingewiesen. “

Anna schweigt.

 

Hallo Lisa

Vorab, ich habe deine Geschichte ganz gern gelesen.
Du erzählst da eine Episode aus dem Leben einer jungen Suchtkranken, die sich unverhofft in der Psychiatrie wiederfindet. Leider etwas, das sich immer wieder ergibt. Es ist denn auch das erste Zurechtfinden, das du abhandelst, ohne grosse dramatische Momente und eher noch mit dumpfen Gefühlen. Von dem her beinah etwas ereignislos, aber doch dem Leser einen Eindruck vermittelnd.

Etwas mir weniger glaubwürdig fand ich ihre körperlichen Empfindungen. Klar, sie steht noch unter der Wirkung von Drogen oder Medikamenten, die je nachdem verschiedene Nachwehen erzeugen können. Kopfschmerzen ja, aber Druckwellen nach aussen entweichend ist da schon überspitzt. Auch überzeichnest du ihre Wahrnehmung, die sicherlich sehr eigen ist, aber mit kokainweisses Zimmer, oder ein Sumpf aus Schweiss usw., macht es mir nicht sehr plausibel.

Ein weiterer Aspekt, der mir so nicht ganz realistisch klingt, ist, dass sie sich frei bis in den Eingangsbereich und der Tür ins Freie bewegen kann. Als Neuaufnahme wäre sie erstmals in einer geschlossenen Abteilung untergebracht.

„ FFE?! “

„ Das ist ein fürsorglicher Freiheitsentzug und wird durch die Polizei bei Verdacht auf Selbst-oder Fremdgefährdung ausgehändigt. Darauf folgt eine sofortige Einweisung in eine psychiatrische Klinik durch. Du wurdest gestern abend eingewiesen. “


FFE lautet korrekt Fürsorgerischer Freiheitsentzug [Zivilgesetzbuch, Sechster Abschnitt, Art. 397a & ff.]. Auch hat es mit einer Aushändigung nichts zu tun und liegt keineswegs in der Kompetenz der Polizei. Als Hinweis nachfolgend der entsprechende Artikel aus dem Schweizer Gesetz mit der entsprechenden Regulierung für die Einweisung:

ZGB, Art. 397b
1 Zuständig für den Entscheid ist eine vormundschaftliche Behörde am Wohnsitz oder, wenn Gefahr im Verzuge liegt, eine vormundschaftliche Behörde am Aufenthaltsort der betroffenen Person.

Zudem, nach Anführungs- resp. vor Schlusszeichen bei direkter Rede, keinen Leerschlag einfügen.

Den Text solltest du auch nochmal in Ruhe durchgehen, da mir beim Lesen einige Flüchtigkeitsfehler aufgefallen sind wie Gross- und Kleinschreibung, Kommas, oder einfach vertippe. Nachfolgend einige Hinweise, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Von Innen, dieser furchtbare Druck, nach Aussen.

aussen

bloss mit einem Waschbecken ohne Spiegel und einer Glühbirne an der Decke ausgestatet.

Ausgestattet

Das aufstehen gelingt ihr, ist jedoch sehr kräfteraubend und fühlt sich an,

Aufstehen

Warscheinlich wieder zu viel getrunken am Vorabend.

Wahrscheinlich

oranges Kurzarmshirt und warschinlich keinen BH darunter.

wahrscheinlich [auch wenn es ohne das e echt Züritüütsch ist :D]

da sie das Wort “Station” einwenig beunruhigt, fragt Iris:

ein wenig

Außer: man sitzt gerade beim Infomorgen vom Arbeitslosenammt,

Arbeitslosenamt
[Wobei, offiziell gibt es diese Bezeichnung nicht! Für Zürich gilt: RAV Regionale Arbeitsvermittlungszentren. Oder man kann auch kurz von Arbeitsamt sprechen, dem früheren Namen dafür.]

Und das werde ich auch tun, sobald ich Zigaretten gelkauft habe. Aufwiedersehen und danke fürs Begleiten!

gekauft … Auf Wiedersehen

Du wurdest gestern abend eingewiesen.

Abend

Dies alles klingt nun etwas arg nach Verriss, was es nicht sein will. Ich finde deine Geschichte nicht schlecht, auch wenn sie im Leben der Prot. nicht eigentlich in die Tiefe geht, aber doch ein einschneidendes Erlebnis aufzeichnet. Es wäre jedoch echter, wenn du die Überzeichnungen etwas zurücksetzen und statt dessen vielleicht etwas mehr Gefühle der Prot. einbringen könntest.

Das Ende, Anna schweigt, hat mir gut gefallen. Es ist wohl der Moment, in dem sich ihr eine Ernüchterung einstellt.

Viel Glück bei der Überarbeitung.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Lisa,
also ich finde die Beschreibung der Gefühle und Eindrücke der Anna vor allem zu Beginn der Geschichte ganz gut beschrieben. Der Dialog zwischen Anna und Iris wirkt mir ein bisschen zu künstlich. Ich glaube, die beiden würden anders miteinander sprechen. Interessant wäre es vielleicht, wenn Du die Geschichte fortsetzen und z. B. den Kontakt Annas mit Ärzten/Ärztinnen und Krankenpflegerinnen und -pflegern etc. beschreiben würdest.

 

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