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Das Problem mit dem fehlenden Abstand zum eigenen Werk

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25.09.2004
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Das Problem mit dem fehlenden Abstand zum eigenen Werk

Hallo “Schreibozoten“!

Hier mal was, womit ich mich gerade rumquäle. Erst mal aber etwas zur Einleitung:

Ich hab kürzlich einen trivialen Roman fertig gestellt (trivial, weil ich Freude an so was hab, nicht weil ich tiefstapeln will) und wollte anschließend dazu übergehen, das Manuskript ein paar Freunden zu zeigen. Also las ich noch einmal abschließend alles schön aufmerksam durch, besserte hie und da was aus (meine Fresse, ganz schön viel!!!) und bin dann stolz wie Goethe in den Copyshop, um zwei Exemplare mittels Spiralbindung herzustellen, damit die Probanten was schönes in der Hand haben. Am nächsten Morgen, die gebundenen Manuskripte (je 12 Euro fürs Kopieren und Binden) lagen neben dem Bett, konnte ich nicht anders, ich musste einfach noch mal ein wenig drin schmökern, weil macht ja schon was her, irgendwie. :read: Tja, das hat mir dann den Tag versaut, da ich kaum eine Seite fand, auf der nicht irgendwelche Pferdeärsche – “Füße“ wäre untertrieben – vorkamen. :dozey: Ich also sofort wieder an den PC, Datei an der Gurgel auf den Monitor gezerrt und in einem mehrstündigen Marathon abermals alles (116 Seiten) in einem Rutsch bis zum Abend durchgeackert. Gleichzeitig habe ich jede Seite selbstverständlich wieder neu ausgedruckt, weil die Regenwaldplage bedroht uns alle…! :hmm: Tags darauf freue ich mich schon, abermals zum Kopierladen zu dackeln, um mir endlich ein brauchbares Probanten-Manuskript zu zimmern, doch kaum werfe ich – bereits gehfertig im Jäckchen und in einen zwölf Meter langen Literatenschal gewickelt - auch nur einen Blick irgendwo in diesen Zettelhaufen, könnte ich es schon wieder an die Wand nageln, verkehrt herum!!! :jesus: Kaum eine Seite, auf der mich nicht mindestens eine Satzkonstruktion um den Gnadenschuss anwinselt! Jetzt hocke ich hier, wollte eigentlich morgen einer Bekannten das Manuskript geben, aber Pustekuchen! So einen Murks kann man niemandem zeigen, und das wo ich ihn eigentlich schon drei mal überarbeitet hab…!

So, nun zum Thema. Geht es Euch, die Ihr da schreibt, ebenfalls so? Ich habe das Gefühl, dass ich, solange ich vor dem Monitor pappe, irgendwie nicht zurechnungsfähig sein kann, denn da korrigiere ich und verändere ich mit großer Selbstsicherheit Sachen, die – einmal darüber geschlafen – zu einem gewissen Teil kaum besser sind, als es der ursprüngliche Text war. Ich wundere mich dann immer über so manches, das mir weder beim Schreiben oder beim Überarbeiten, blöde vorkommt. Bloß dann, wenn ich “nur mal so reingucke“, haut’s mich dann fast aus den Schlappen.
Jetzt bin ich verunsichert. Hört das unter Umständen nie auf??? Vielleicht drehe ich mich dabei ja endlos im Kreis, wie in einem Alptraum aus dem es kein Erwachen mehr gibt! Kann mir gar nicht vorstellen, dass das Prozedere jemals enden wird…
Möglicherweise hat das aber etwas mit dem fehlenden Abstand zum Werk zu tun, den man als “amateurender“ Autor kaum herzustellen vermag. Vielleicht ist es ja kein Wunder, dass man die Zeilen irgendwann nicht mehr sehen kann, wenn man sie wegen “Feilarbeiten“ schon tausend Mal lesen musste.

Ich komme mir momentan echt vor wie ein Maler, der sein Bild beurteilen will, aber mit dem Gesicht an der Leinwand steht, bzw. wie zwei Personen. Eine schreibt, die andere heißt Ranicki! :bonk:

 

Findest Du es speziell wichtig, die Sachen immer erst auszudrucken???

 

Maria123 schrieb:
und erst wieder anschauen wenn a) eine Absage vom Verlag kommt oder b) die Zusage
(sehr sehr wichtig)
Den Punkt verstehe ich auf Anhieb! :D In meinem Fall sicher überlebenswichtig!!!

 

Hallo Shemp

Mir geht es ähnlich, wie Dir. ;)
Vor kurzem hab ich zum Gebutstag ein Buch von meinem Mann bekommen. Irgendwo in den 1354 Seiten stand etwas von mir. Nachdem ich es endlich gefunden habe, dachte ich mir, was hab ich da verbrochen. Hoffentlich liest das keiner, was natürlich Quatsch ist, weil ich Monate vorher grinsenderweise meine Eltern angerufen hatte, um ihnen davon zu berichten.
Mir fehlt auch oft der nötige Abstand. Dann versuche ich, das Ding, an dem ich arbeite erstmal ein paar Tage zu vergessen. Krame ich es dann wieder hervor, fallen mir viele Dinge auf, die mich vorher nie gestört hatten, aber beim Nochmallesen nicht mal einen Sinn ergeben. Einen besseren Rat kann ich Dir leider nicht geben. :shy:

Liebe Grüße, Susie

 

Hi Shemp,

ich sehe mich als gewissenhaften Konstrukteur, der gerne einen ganzen Abend vor einer A4-Seite hängt. Fehler bessere ich sofort aus und stelle auch während des Schreibens Sätze um. Ich könnte nie wild drauflostippen und den ganzen Schwulst hinterher überarbeiten, bah!

Das Problem ist: wenn du den Text zu oft liest, verlierst du den Bezug dazu, man sieht es nicht mehr objektiv genug und vermutet überall Fehler und verbesserungswürdige Dinge.

Meist mache ich nach ein, zwei Absätzen erst mal was anderes bzw. überlege mir im Kopf schon den weiteren Verlauf. Komme ich dann an den Rechenknecht zurück, lese ich das Vorherige noch mal "laut" im Kopf, wobei mir womöglich neue Verbesserungen einfallen usw.

Wie gesagt, für mich ist Schreiben mehr wie Architektur: Baust du am Anfang Mist, stürzt die ganze Chose schnell ein.

 

Don't panic!

Überarbeiten ist ein ganz normaler Bestandteil des Schreibprozesses. Selbst bei KGs habe ich selbst i.d.R. drei bis vier Fassungen. Bei einem Roman wäre alles unter drei eine sträfliche Unterlassung! Und mindestens die erste sollte man alleine vornehmen. Dann Feedback. Dann nochmal überarbeiten. Etc. Wichtig sind die Pausen. Längere Geschichten lasse ich auch schon mal einen Monat (oder zwei oder drei - manchmal halt auch ungewollt wg. Zeitmangel) liegen.
Das Lektorieren während des Schreibens ist übrigens im Allgemeinen weniger empfehlenswert - man gerät dann leicht in einen Zustand des sich zu Tode korrigierens ohne mit der Story wirklich voran zu kommen. Deshalb nochmal betont: Das perfekte Manuskript im ersten Anlauf gehört eindeutig ins Reich der Mythen. Überarbeiten ist für Schreibende so normal wie Debugging für Programmierer.

Leider ebenso normal allerdings: Die ewige Unzufriedenheit des Autoren mit seinem Werk. Qualvoll. Aber nur schwer abzuschütteln Man muss halt lernen loszulassen.
Und kann man es endlich, kommt natürlich Murphys Gesetz ins Spiel. Ich hatte z.B. neulich erst den Fall, dass eine Story, die ich eigentlich nach etlichen Edits endlich für fertig erklärt hatte, jetzt wg. evtl. Veröffentlichung doch noch mal in die Überarbeitung muss. Sowas nervt auch. Das ist wie eine Tochter, die nach der Trennung vom Supermann plötzlich wieder bei den Eltern einzieht. Man fühlt sich gestört und überfordert... :D

 

Yo, danke für den regen Zuspruch! :D

Also ich habe ebenfalls schon festgestellt, dass wenn ich ganz alte Sachen zufällig herauskrame, dort, wo sich tote Asseln und Krümel auf die Schultern klopfen - gaaanz weit hinten in der Schublade -, ich diese oft auch gar nicht so schlecht finde. Und früher war ich noch nicht so der notorische Korrigier-Kasper wie jetzt, was den Verdacht nahe legt, dass man wohl doch zu einem gewissen Teil phantasiert, bei zu häufiger Konfrontation mit den "Eingeweiden" des Verfassten. Nur bin ich mir da eben nicht sicher. Aber es muss so sein! Ich schätze, es handelt sich bei mir um eine leichte Form von Wahnvorstellung. Man sieht Dinge, die nicht sind und traut weder der einen, noch der anderen Sichtweise.

Der CIA-Agent hinter der Heizung meinte übrigens gerade auch, dass das normal sei und ich mir keine Gedanken machen soll…! :thumbsup: :eek1: :sconf:

 

Was habt ihr denn? Zwei mal? Drei Mal?

Ich bin jetzt mit der 67. Fassung eines Texts fertig - nachdem er in einer Literaturzeitschrift erschien (das war die 66. Fassung, die ich unmöglich lassen konnte, kurz nachdem sie gedruckt war).

 

Uiuiui...! Und ich quäle mich schon mit einem Trivialroman rum! :D

 

Ich persönlich finde Fehler am Computer genauso leicht wie auf Ausdrucken, aber das ist wohl von Mensch zu Mensch verschieden. Bei mir gibt es eigentlich meist nicht mehrere "Fassungen", sondern nur die allererste Niederschrift, die sich am Computer allmählich und mühsam in die endgültige Version verwandelt. Würde ich jede Änderung als eigene Fassung betrachten, wären das sicher zig bis hunderte Fassungen.
Ausdrucke, die ich dazwischen mache, um sie jemandem zu lesen zu geben, sehe ich nur als Momentaufnahmen an. meistens kann ich mit dem weiteren Überarbeiten nicht abwarten, bis ich Feedback bekomme.

Ich denke, die Steigerung von Überarbeitungsqual ist Überarbeitung in Verbindung mit einem fixen Abgabetermin, der - natürlich - immer viel zu knapp ist. Das nimmt einem das Einzige, was das Überarbeiten überhaupt erträglich macht, nämlich die Möglichkeit, das Manuskript ein paar Wochen liegen zu lassen und es dann einigermaßen objektiv zu betrachten. Außerdem hat man dann nach der Abgabe ungefähr ein halbes Jahr lang das Gefühl, man hat aus Zeitmangel ganz bestimmt einen riesen Haufen dilettantischer Fehler übersehen. Der echte Horror. :sad:
Das könnte einem fast die Lust am Schreiben vermiesen. Aber zum Glück hält dieses Gefühl nie lange an.

Ich schätze, es handelt sich bei mir um eine leichte Form von Wahnvorstellung. Man sieht Dinge, die nicht sind und traut weder der einen, noch der anderen Sichtweise.
mMn ist jemand, der nicht hin und da Wahnvorstellugnen hat, als Schriftsteller ohnehin nicht zu gebrauchen. :D

 

Hemingway soll seine Texte 22mal überarbeitet haben. Und dann hat - ich glaube Stephan King - diese nette Geschichte von James Joyce, den ein Freund völlig verzweifelt auf dem Schreibtisch liegend fand. Auf die Frage, wieviel Wörter James denn an diesem Tag schon geschrieben hatte, antwortete er: Fünf! Der Freunde meinte: He, das ist doch schon gut für deine Verhältnisse! James jammerte: Aber ich weiß nicht, in welcher Reihenfolge! Soviel zu Genies!
Lasst euch nicht entmutigen!
tamara

 

Hallo,
Dieses Problem kenne ich zu genüge, das kannst du mir glauben... :( Ja, ich machs immer so, dass ich meine Romane zuerst von Hand auf Papier kritzle. Danach warte ich ein halbes Jahr. (wichtiger Abstand zum eigenen Werk, damit man es eher aus der Sicht des Lesers betrachtet...) Dann tippe ich das Ganze überarbeitend ins Reine. Folglich kann ich jedem Aussenstehendem, dessen Kritik mir wichtig ist, das Manuskript zum Lesen geben. Ich nehme mir zu Herzen, was diese Leute mir empfehlen, überarbeite das Ganze noch mal. Nun wäre es an der Zeit, einen Verlag anzuschreiben... Doch ich getraue mich nicht so ganz... :oP
PS: Warte nicht nur einen Tag, bis du eine Version überarbeitest... Ist ein wenig zu kurz...

 

Also ... schlagt mich, aber so krass kenne ich das Problem nicht. Oder vielmehr: Ich habe es so noch nicht kennen gelernt (?). Ich schreibe eine Geschichte meist - mehr oder weniger - flüssig runter (es gibt aber auch welche, die von herein in der Unglaubwürdigkeit und und damit in der Demotivation versinken) und veröffentliche sie dann. Bis jetzt ist diese Strategie ziemlich erfolgreich, denn "Verrisse" in dem Sinne hab ich noch nicht erfahren. Sie sind anscheinend nicht perfekt, aber ganz annehmbar, und das ist doch auch was. Die Sache ist einfach: Fühle ich einmal, dass eine Geschichte fertig ist, dann ist sie es auch. Würde ich, nach einem letzten Feinschliff, sie dann nicht die große weite Welt entlassen, steigerte sich meine Ungeduld ins Unermessliche und etwaige Konzentration für eine Überarbeitung wäre der reinste Wunschtraum.

Ich denke mal, dass hängt auch damit zusammen, dass ich mich auf Kurzgeschichten beschränke. Romane der gehobenen Unterhaltung traue ich mir nicht zu, und Trivialliteratur kann ich absolut nicht leiden, fällt als Zwischenstufe zum heiligen Gral der Epiker für mich also aus.

Übrigens gilt: Je länger die Erstellung einer Geschichte zurückliegt, desto unkritischer werde ich ihr gegenüber. Ich muss mich da schon immer zusammenreißen, nicht abzuheben in der Euphorie des unerkannten Genies :rolleyes:. Das ist sicherlich alles andere als födernd für meine schriftstellerische Karriere, aber ... ich kann einfach nicht anders.

Ich finde, das musste ich als orthogonales Gegenbeispiel mal in Raum werfen.


FLoH.

 

Das Gefühl "JA, das ist es!", wenn eine meiner Geschichten wirklich rund ist, kenne ich auch, aber ich muss trotzdem noch Überarbeiten, Kleinigkeiten ausbessern und ich traue dem nicht richtig, brauche Rückmeldungen und Abstand.
tamara

 

Ich habe aber auch manchmal das Gefühl, dass das außerdem stark von der Tagesform abhängt. Also was man gestern schlecht fand und korrigierte, findet man heute plötzlich ebenfalls schlecht. Zusätzlich beschleicht mich der Eindruck, dass das Korrigieren immer etwas außerhalb des "Zusammenhangs" geschieht. Man findet eine blöde Stelle und ersetzt sie durch etwas Neues, das noch gar nicht im "Kontext" des Lesegefühls stehen kann, weil dazu müsste man es mit Abstand sehen. Ergo bringt man wohl immer mehr Unordnung in den ursprünglichen Stil. Man verändert eine Stelle und macht damit unter Umständen eine andere, die man gerade nicht beachtet, unmöglich, was man aber erst beim nächsten Korrekturdurchlauf wieder merkt. Und dadurch kommt es einem wohl so endlos vor. Man findet immer was, bis zum jüngsten Tag, wenn's sein muss... *grein*

 

Es genügt, glaub ich, wenns ein paar Menschen gibt, die deine Zeichen verstehn. Und die dir etwas zurückgeben, dafür.

Ganz genau darauf kommts an; wie sagte neulich ein Kollege zu mir - ein Typ, den niemand scheiße findet, hat keinen eigenen Standpunkt.

Gruß vom Flic

 

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