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Das Portal

Nyx

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02.06.2003
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Das Portal

Bloß nicht auflegen. Meine Fingerkuppe streifte die tückische Taste rechts oben an meinem Mobiltelefon, als ich mich auf den Fahrersitz zwängte, den Mantel noch halb in der Tür, mit der freien Hand nach dem Gurt tastend. Mein Atem jagte die Kälte gegen die Windschutzscheibe. Sie beschlug sofort.

Ruhig, dachte ich, während mich die blinden Scheiben wie ein Kokon umschlossen. Bloß keine Hektik. Bloß nicht auflegen. Lieber die Fingerspitzen an der Außenseite des Telefons aufreihen, sorgsam platziert, als wollten sie einen komplizierten Griff auf der Gitarre üben. Bist du im Auto, fragte Helle, als ich den Motor anließ. Schon die ganze Zeit, log ich. Mein Ärmel hinterließ bogenförmige Schlieren und Fusseln auf der Frontscheibe.

Beim Abbiegen mit einer Hand am Steuer nahm ich den Bordstein mit. Kastanienschalen schmatzten unter den Reifen. Die Motorhaube war scheckig von fünffingrigem Laub. Ein einzelnes Blatt löste sich, flog auf mich zu und verfing sich im Scheibenwischer. Einen einzelnen Tag nur wollte ich herausgreifen aus Helles Erinnerungskompost, einen Tag, der es verdient hatte, nicht zu enden, nicht so.

Ein Tag wie der im Sommer 1999: Ein blauweißer Tag in der Ägäis. Helle, Spetz, Frann, Keule und ich treiben inmitten geschenkter Stunden. Stunden wie Inseln in unserem Leben, Stunden, die nicht dazugehören und von denen wir später träumen, sie wären das eigentliche Leben. Keule malt mit einer Muschel Cartoons in den Sand. Helle betrachtet zwischen seinen Zehen hindurch wie sich Frann mit der Abendsonne im Rücken die Haare flechtet. Sein Blick, sein Lächeln, das an niemand gerichtet ist, seine gespreizten Zehen alles ist Ausdruck seiner Überzeugung: Der Journalist beobachtet. Er ist nicht verantwortlich für das, was geschieht.

Später mischt sich der Duft von Sonne, der aus unserer Haut aufsteigt, mit der Würze von Oktopus auf glühender Holzkohle. Das letzte Funkeln der Sonne über der Bucht. Diese Stelle weit draußen, wo sich das Wasser kräuselt und Schatten zum Himmel wirft. Delfine! ruft Frann. Wir alle schauen mit zusammengekniffenen Augen aufs Meer, und Keule sagt, vielleicht sind es keine, aber Frann flüstert andächtig, ich habe noch nie Delfine gesehen, und Spetz greift seine Kamera und watet bis zu den Hüften ins Meer, um ein Foto mit dem Teleobjektiv zu machen.
Auf den Abzügen sehen wir später das dunkle Meer und hinten rechts drei Wellen wie umgekippte Fragezeichen, und wir erzählen allen in der Redaktion, wir haben Delfine gesehen.

Weißt du noch? Ich weiß, sagte Helle. Das Blatt löste sich von meinem Scheibenwischer und sauste am Beifahrerfenster vorbei. Was ich wohl der Polizei sagen sollte, falls sie mich anhielte: mit 140 Sachen auf der Landstraße, das Handy am Ohr, keine Freisprecheinrichtung. Wie denen erklären, dass ich nicht auflegen durfte? Reporter im Einsatz? Rostige Wälder links und rechts unter einem graphitfarbenen Himmel. Einen Bleistift anspitzen, die Holzspäne wegpusten und die grauen Krümel auf dem weißen Papier verreiben, solche Wolken, weißt du, Helle? Ich weiß, sagte Helle, bei mir auch, und ich atmete auf.

Vielleicht ist er gar nicht so weit weg. Vielleicht gibt es etwas, was uns verbindet. Etwas anderes als diesen Riegel voll Elektronik, der auf Knopfdruck eine Verbindung herstellt zu jemandem, der sagt, erzähl was. Der unsere Worte nimmt, und sie durch Straßen führt, scheckig vom Laub, vorbei an Laternen und Verkehrsschildern, Gartenpforten und Haustüren öffnet, Zimmer aufschließt, in denen sich Trauer versteckt oder Trotz und sie zum Ziel bringt, während wir uns in Einbahnstraßen und Sackgassen verlieren, verzweifelt auf der Suche nach dem Ende eines Fadens, dem wir folgen wollen.

Es fing an zu regnen. Ketten perfekter Tropfen glitzerten im Scheinwerferlicht, bevor sie auf dem Asphalt zersprangen. Manchmal war es kein Trost, Beobachter zu sein. Ich schaltete die Scheibenwischer auf Intervall. Am Stadtrand ließ mich eine rote Ampel bremsen. Ich wollte fluchen, aber das hätte Helle womöglich als Aufforderung verstanden, aufzulegen. Also redete ich weiter, erzählte Helle, was er längst wusste, als könnten meine Worte Ketten bilden und Helle an sein Handy fesseln bis ich ihn fand.

Das Jahr 2000, ein Ausnahmejahr. Überall entstehen Internetunternehmen, in der Branche auch Dotcoms genannt. Wir Journalisten staunen und schreiben und schreiben und staunen. Jeder will unsere Artikel: Tageszeitungen, Anlegermagazine, Fachzeitschriften. Wenn wir zu viel Arbeit haben, nennen wir uns Autoren und verlangen den doppelten Satz – und haben am Ende noch mehr Arbeit. Keule kriegt erstmals mehr Geld für einen Cartoon als eine CD kostet. Er kauft zwei.

Helle erscheint inzwischen mit Krawatte im Büro. Er macht Witze: Bloß weil wir wissen, was es mit der rechten Maustaste auf sich hat, nennen sie uns Experten. Wir vermieten das Haus auf Ios einer Gruppe von Künstlern und schreiben den ganzen Sommer. Über Online-Auktionen, die Macher der New Economy, die Zukunft der Bewegtbilder und die Chancen von Mobiltelefonen. Und Spetz tourt durch die Republik und fotografiert die Aufsteiger an der Börse, die Gewinner der Start-up-Wettbewerbe, die Lieblinge der Webgemeinde.

Weißt du noch, wie sie uns auf der Pressekonferenz in Spanien Palm Tops schenken wollten, sagte ich, als könnten sie uns damit bestechen. Ich weiß, sagte Helle, aber sein Ton verriet mir, dass er nicht an Spanien dachte, nicht an die Pressekonferenz, sondern an jenen Abend, an den auch ich dachte, weil meine Gedanken meinen Worten vorauseilten, so wie die Worte meinem Körper vorauseilten. Jener Abend, an dem der Beobachter zur Verantwortung gezogen wurde. Jener Abend, als Helle Pommes wollte statt Pizza.

Es ist der vierte oder fünfte Abend in Folge in der Redaktion. Auf den Schreibtischen schwimmen die Computertastaturen in einem Meer von Papier, Fotos, Zeitschriften, leeren Weingummitüten. Unsere fünf Monitore heizen stumm das schlecht gelüftete Büro, Helle tigert von einem zum nächsten, einen Kugelschreiber in der Hand, einen zwischen den Lippen. Alle paar Minuten lässt Frann ihr Kaugummi knallen, alle paar Minuten rutscht Keule mit dem Schuh vom Rand seines Papierkorbs ab. Die anderen Abende haben wir Pizza bestellt. Aber jetzt will Helle Pommes, dazu muss einer losfahren, der sie holt: Spetz. Schließlich braucht kein Mensch den Fotografen kurz vor Redaktionsschluss, sagt Helle, und Frann notiert schon mal unsere Bestellungen auf dem Probeausdruck eines Interviews.

Spetz bricht also auf. Und während wir an der Überschrift zu einem Artikel zum Start eines türkischen Webradios feilen und Apfelkorn aus Kaffeetassen trinken, rast er am unbeschrankten Bahnübergang in den Regionalexpress. Er hat wohl gerade mit einer Hand einen Hamburger ausgepackt und das rote Licht nicht gesehen. Wir anderen begreifen es erst, nachdem Helle das Auto gesehen und uns erzählt hat, dass da überall Pommes gelegen haben, die rot waren - vielleicht vom Ketchup.
Es hätte jemand mitfahren sollen, sagt Frann. Jemand hätte die Tüten festhalten und ihm den Hamburger auswickeln sollen. Helle wendet sich schroff ab: Das Bild der Welt hängt immer schief, betrachtet durch den Konjunktiv.

Das Beste, sagte ich, das Beste ist doch, dass er überlebt hat. Eigentlich ein Wunder. Ich weiß, sagte Helle. Diese beiden Worte begannen mich zu ärgern. Unwillkürlich gab ich mehr Gas. Wenn ich schon nicht wusste wohin, wollte ich mich wenigstens beeilen. Mein linkes Ohr wurde heiß, ebenso meine Hand. Wenn nur der Akku nicht schlapp machte. Wann hatte ich ihn zuletzt aufgeladen? Und wie lange seitdem telefoniert? Diese Fragen waren leichter zu beantworten als die andere: Warum ich mit Helle verbunden war und ihn dennoch nicht fand. Ich hörte ihn in meinem Ohr atmen, ohne den Hauch an meiner Wange zu spüren und versuchte mich auf die unbestimmten Geräusche um seinen Atem herum zu konzentrieren. Dabei redete ich davon, wie gut es Spetz inzwischen ging.

Das stimmte nicht ganz, aber so wie Helle nur noch antwortete, um mir zu sagen, dass ihn nichts mehr überraschte, so redete ich inzwischen nicht mehr wegen der Worte, sondern nur noch wegen der Satzzeichen. Komma, Gedankenstrich, Semikolon, Doppelpunkt. Bloß kein Punkt. Erst im letzten Moment merkte ich, dass ich geradewegs auf den Tunnel Richtung Innenstadt zuhielt. Ich legte eine Vollbremsung hin und riss das Lenkrad herum. Fast wäre das Gespräch unterbrochen.
Was ist los? fragte Helle. Manche Leute fahren wie Idioten, sagte ich.

Vielleicht war Helles Idee eine Reaktion auf Spetz‘ Unfall gewesen. Vielleicht hatte er sich aber auch nur anstecken lassen von dem ganzen Hypertext-Halleluja der Branche. Jedenfalls hatte er eines Nachmittags – wir besuchten gerade Spetz im Krankenhaus – verkündet, dass er aufhören würde zu schreiben. Nie, nie mehr würde er schreiben. Er würde Unternehmer werden. Ein Unternehmer, wie es ihn noch nie gegeben hatte. Du bist verrückt, sagt Spetz. Vollkommen bekloppt.

Ein Portal wollte er bauen, eine Website, die alle anderen überflüssig macht. Ein Tor, das sich zu jedem Weg öffnet. Unter dessen Bogen sich auf jede Frage eine Antwort findet – selbst auf die ungestellten. Ich stell dich ein als Webdesigner, sagt Helle zu Spetz. Wenn du schon keine Fotosafaris mehr machen kannst. Und Spetz sieht mich an, als hätte Helle einen Schuss. Das war vor einem Jahr.

Inzwischen wussten wir alle, dass Helle einen Schuss hatte. Deshalb kurvte ich mit achtzig durch die Stadt, mied panisch Tunnel und Bergstrecken und faselte Unwahrheiten in mein Handy. Zum Beispiel, wie sehr ich Menschen bewunderte, die andere mit ihrer Begeisterung ansteckten. Dabei war außer Helle niemand begeistert. Nicht einmal Spetz, der für ihn Websites baute. Wir bekamen Lust, uns ohne Helle zu treffen und gründeten den Stammtisch der Zeugen. Zeugen derer, die mit ansahen, wie aus einem hervorragenden Journalisten ein lausiger Unternehmer wurde. Der eine halbe Million für Internet-Adressen ausgab, weil er seiner Bank zeigen wollte, dass er ein großes Ding drehte.

Spetz hatte die besten Geschichten auf Lager. An Helles Geburtstag hatten alle Portal-Mitarbeiter im Chor frei nach Beethoven für ihn gesungen: Seid verschlungen, Millionen! Das fand Helle nicht witzig. Aber als Spetz sich “Helft mir, ich bin ein Dotcom” auf die Rücklehne seines Rollstuhls schrieb, wurde Helle richtig wütend. Schließlich habe ich es für dich getan, soll er Spetz angebrüllt haben, die Lippen blau von der Kugelschreibermiene, auf der er gekaut hatte, und Spetz hatte nur gelacht.

Die Dotcoms starben, und Helle legte Wert darauf, kein Internetunternehmer zu sein. Das Portal sollte eigentlich eine Zeitschrift werden oder eine Fernsehsendung – aber da waren die Millionen schon weg.

Die Fenster von Helles Wohnung waren alle dunkel, die Einfahrt leer. Auf dem Fensterbrett im Wohnzimmer stand etwas, das aussah wie ein Vogelkäfig. Mir fiel auf, dass ich ihn lange nicht mehr besucht hatte. Ich hatte nicht mal mitbekommen, dass er sich ein Haustier angeschafft hatte. Telefoniert hatten wir zuletzt am 11. September 2001.

Gerade ist das zweite Passagierflugzeug ins World Trade Center geflogen, und wir, die wir sonst jede Tragödie mit flapsigen Sprüchen kommentieren, versteinern vor dem Redaktions-Fernseher, auf dem sich die selben Bilder wiederholen. Mein Handy klingelt. Es ist Helle. Ich bin so froh zu hören, dass es ihm gut geht, als würde er zig tausend Kilometer entfernt in diesen Bürotürmen arbeiten und nicht hier, in der gleichen Stadt.

Du musst beobachten, wie sie berichten, sagt er, und ich höre das Klacken der unsichtbaren Kugelschreiberspitze an seinen Zähnen. Ich bin jetzt Unternehmer, aber du, du musst darüber schreiben. Ich finde keine Worte, hauche ich, während auf dem Bildschirm der erste Turm lautlos in sich zusammensackt und sich die Stimme des Moderators überschlägt, während die von Helle ganz ruhig bleibt.

Diese Stimme begleitet mich, während wir uns durchs Web klicken, die Nachrichtenseiten absurfen, nach Fotos suchen, nach Videos, nach Augenzeugenberichten. Helles Stimme aus dem Telefonhörer rieselt über das Entsetzen und verändert die Szenerie wie Schnee, der einen abgebrannten Wald in eine friedliche Lichtung verwandelt. Wir beobachten nicht mehr das Chaos in New York, sondern das Chaos der deutschen Medien. Und statt uns dem Schmerz unbeantworteter Fragen hinzugeben, beantworten wir Fragen, die sich noch niemand gestellt hat.

Warum kann ich das nicht, dachte ich, als ich mich bei Helle für diesen Artikel bedankte, mit dem ich so oft zitiert worden war. Warum konnte meine Stimme keine Lichtung schaffen, keiner abgebrannten Szenerie neuen Frieden verleihen?

Das Kunststoffgerippe in meinem Armaturenbrett blies mir heiße Luft ins Gesicht. Ein Schweißtropfen kitzelte mit falscher Zärtlichkeit mein Ohr, an das ich das Handy presste, ein anderer rann über meinen Bauch. Aus der Uferböschung schwappte Nebel auf die Straße. Dem Fluss schien sein Wasser zu schwer, er floss träge, seufzend. Ein Schwan flocht seinen Kurs in die grünschwarzen Wellen. Mein Akku piepte. Ich erschrak, suchte nach neuen Worten, die ich zwischen die Satzzeichen stellen konnte, stammelte.

Es war generell kein gutes Jahr, Talfahrt an der Börse, Krise der New Economy, Einbruch des Werbemarkts. Alles Floskeln, die ich in meinen Artikeln wiederkäute. Immer mehr Start-ups gehen pleite. Helle war nicht der einzige. Und er war nicht mal richtig pleite. Seine Investoren unterstützten ihn noch, er musste nur seine freien Mitarbeiter entlassen. Alle Freien. Auch Spetz.

Du könntest wieder als Journalist arbeiten. Ich muss Schluss machen, sagte Helle. Warte, rief ich und trat das Gaspedal bis zum Bodenblech, als ich dem östlichen Ortsausgang entgegenraste. Plötzlich hatte ich eine Ahnung von einem Ziel. Dein Portal, sagte ich, wir werden es bauen. Es wird vielleicht anders aussehen, aber wir werden es schaffen, Spetz wird uns helfen, weißt du? Nein, sagte Helle.

Ich konzentrierte mich auf etwas hinter seiner Stimme und bog rechts ab. Das Tor des Vorstadtbahnhofs wölbte sich wie eine Membran in die Nacht. Dunkelheit leckte seine Konturen. Vor dem menschenleeren Platz hielt ich an, sprang aus dem Wagen und hechtete zum Gleis. Eisiges Konfetti flirrte in meiner Kehle, während ich irgendwas von unzureichenden Gründen in mein Handy krächzte.

Vom Bahnsteig aus sah ich Helle. Er balancierte auf der Schiene, den Rücken zu mir, das Handy am Ohr, den Blick auf die Öffnung des Tunnels gerichtet. Ich hörte seinen Atem an meinem Ohr. Ein warmer, unaufgeregter Atem, und ich sah zu, wie er einen Fuß vor den anderen auf den silbernen Schienenstrang setzte. Dann fuhr der Regionalzug ein.

Fünf oder sechs Tauben stiegen auf und suchten jenseits des Platzes unter dem Bogen des Portals Zuflucht. Aus einem der ersten Waggons sah ein Schaffner den Bahnsteig hinunter. Weiter hinten stieg ein Mann mit Anzug und Aktentasche aus, und öffnete einen Bart-Simpson-Regenschirm. Ich rannte auf ihn zu, bückte mich, um unter den Waggon zu sehen, rannte weiter, rannte zurück, blieb stehen und starrte auf mein Handy. Verbindung getrennt, stand im Display. Der Schaffner pfiff, die Türen schlossen, der Zug fuhr ab.

Ich war allein auf dem Bahnsteig. Feiner Regen sprühte mir ins Gesicht. Die Schienen glänzten silbern. Das Handy klingelte. Es war Spetz. Alles gut? fragte er.
Ich weiß nicht, antwortete ich.

 

Liebe Nyx,

es steckt viel drin in deiner Kurzgeschichte, und du verstehst es hervorragend, persönliche Geschichten mit den Geschichten der Zeit zu verknüpfen, in denen sie spielen.
Man kann mitfühlen, mitleiden, mitbangen, mithoffen.
Und man fährt selbt mit 140 durch die Stadt beim Lesen dieser Geschichte, in der Hoffnung, Helle zu rechtzeitig zu erreichen.

Sie hinterließ mich ziehmlich atemlos, deine Geschichte.

Bei Schluss bin ich aber gespannt, ob es anderen geht, wie mir. Ich hätte fast überlesen, dass der Anrif nicht von Helle sondern von Spetz kommt. Erst als ich nach den Namen noch mal für die Rezension schaute, fiel es mir auf, dass ich doch nciht aufatmen hätte dürfen.

Lieben Gruß,sim

 

Hallo Nyx,

ich bin beeindruckt. Deine Geschichte hat mich sehr gefangen, mitgenommen - auch wenn gar nicht so sehr wie sim mit 140 sachen - sondern mehr mit dem traurigen unterton, der mich nichts gutes ahnen lies..

sehr schön wie du alles miteinander verbindest - die geschichte eurer redaktionsclique, die geschichte des hype, mit der hektischen autofahrt..wie man mehr erfahren und das ende erfahren will.. wer die zeit des hype kennt - und ich war auch mittendrin - dem gibt die geschichte wahrscheinlich noch etwas mehr.. (da kommt mir doch die idee einer geschichte..:D )

einziger kleiner kritikpunkt: die verantwortung, die helles für den unfall auf sich nimmt, erschließt sich mir nicht ganz.. da du auch das im stil deiner geschichte nur andeutest.. wäre mir klarer, wenn helles spetz mehr gedrängt hätte zu fahren..

vom stil her ebenfalls stark - da kommt schon ein gewaltiger wortschatz rüber - und da macht es mir einfach spaß zu lesen..

hier zum beispiel:

Beim Abbiegen mit einer Hand am Steuer nahm ich den Bordstein mit. Kastanienschalen schmatzten unter den Reifen. Die Motorhaube war scheckig von fünffingrigem Laub. Ein einzelnes Blatt löste sich, flog auf mich zu und verfing sich im Scheibenwischer.

oder hier:

Auf den Schreibtischen schwimmen die Computertastaturen in einem Meer von Papier, Fotos, Zeitschriften, leeren Weingummitüten. Unsere fünf Monitore heizen stumm das schlecht gelüftete Büro, Helle tigert von einem zum nächsten, einen Kugelschreiber in der Hand, einen zwischen den Lippen. Alle paar Minuten lässt Frann ihr Kaugummi knallen, alle paar Minuten rutscht Keule mit dem Schuh vom Rand seines Papierkorbs ab.

den "spetz" am schluß - weil sim danach fragt - habe ich direkt gelesen.. nur noch zweimal nachschauen, an welcher stelle, denn fest stand, das helle tot ist, musste ich.. aber das fand ich eher gut.. wenn man bei seinen gedanken während des lesens den selbstmord als schluss favorisiert.. dann passte das "nicht-beschreiben" zu meiner gefühlslage..

kompliment..

liebe grüße, streicher

 

Hallo Nyx!

Eine Geschichte, die mich gefangen hat, mitgerissen, die mich immer schneller lesen ließ.
Die Art, wie Du die Informationen über die ganze Clique bringst, zog sich nicht einen Moment in die Länge, Deinen Wortschatz brauche ich nicht mehr extra zu loben.

Möchte noch mehr lesen!

LG
Aragorn

 

hi Nyx

Auch mich hat die Geschichte immer wieder von Absatz zu Absatz geschubst, aber bei mir war es weniger die Spannung, sondern eher Sprache und Erzählweise, die mich gefesselt haben.

Deine Beschreibungen und Gedankenketten gehören zu dem besten, was ich hier in letzter Zeit gelesen habe. Unverbraucht und intelligent, ganz klasse.
Teilweise sind es gerade die kurzen Einschübe, die Wirkung zeigen. Das mit dem Ketchup z.B.

Wir anderen begreifen es erst, nachdem Helle das Auto gesehen und uns erzählt hat, das da überall Pommes gelegen haben, die rot waren - vielleicht vom Ketchup.
-> übrigens ein s zu wenig nach dem zweiten Komma

Wie oben schon gesagt, vermisse ich etwas die Spannung, die bei einer Geschichte mit solcher Länge einfach nötig ist, damit die Leute die Story zu Ende lesen.

Die Anekdoten sind meiner Meinung nach etwas zu zerpflückt, wenn auch sehr gut erzählt. Mir fehlt da der rote Faden. Es steckt einfach so viel drin: Der Journalismus inklusive Rückblick, der Urlaub am Meer, der Unfall des Freundes usw.
Ich habe beim Lesen das Gefühl, dass hier der Stoff und die Hintergrundinformationen überquillt. Man erfährt sehr viel über die Clique, das reicht für nen Roman. Wären die Personen etwas außergewöhnlicher, ausgeflippter hätten mich die Hintergründe wahrscheinlich mehr interessiert.
So bleibt in meinen Augen eine erstklassig erzählte Geschichte, die nicht mit hundertvierzig Sachen auf der Autobahn rast, sondern immer wieder Ausfahrten und Abzweigungen in Kauf nimmt.
Trotzdem auf alle Fälle lesenswert.

Liebe Grüße
wolkenkind

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo zusammen!
Vielen Dank für die Lektüre meiner Geschichte und die Niederschrift Eurer Gedanken! Es freut mich ganz besonders, dass die Kritik so wohlwollend ausfiel. :bounce:

@sim: Es freut mich, dass das Tempo der Geschichte dich mitgerissen hat. V.a., weil der von Streicher hervorgehobene "traurige Unterton" trotzdem erhalten bleibt. Es ist tröstlich zu wissen, dass sowohl Tempo als auch Tiefe der Geschichte rüberkommen.

@streicher: Na, da bin ich ja mal ganz besonders gespannt auf deine nächste Hype-Geschichte! :D

Die Sache mit der Verantwortung: Ich glaube, dass es nicht immer notwendig ist, eine einzige fatale Entscheidung getroffen zu haben, um die Konsequenzen als belastend zu empfinden. Wenn Helle Spetz mehr gedrängt hätte zu fahren, dann würde der Leser seine Suizidneigung allein als Folge des Unfalls sehen.

Tatsächlich ist es aber im echten Leben so, dass viele Begebenheiten nötig sind, um so eine Entscheidung reifen zu lassen. Im Fall von Helle wirkt auch mehr zusammen als der Unfall des Freundes: Die Idee mit dem Portal war beschissen und hat ihm - sogar seinen Freunden - nur Lacher eingebracht. Er hat das aufgegeben, was er am liebsten mochte (Journalismus) und findet nicht mehr zurück, weil er die Portal-Firma an der Backe hat. Er macht nicht nur sich selbst damit unglücklich, sondern muss schließlich auch noch Leute entlassen, was ihn womöglich mehr bedrückt als die Betroffenen (Spetz). Helle hat nach seinem Empfinden einfach versagt. Das wird ihm durch den Unfall von Spetz noch mehr bewusst, und er versucht die Symptome zu bekämpfen, indem er Spetz anstellt, statt die Ursache zu kurieren und ein gescheites Businessmodell für seine Firma zu finden.
Ich glaube, Helle ist nicht so ein zimperlicher Typ, der mit dem Lauf der Dinge hadert. Was gewesen wäre, wenn... das interessiert ihn eigentlich nicht. Er sieht sich in der Sackgasse und will sich umbringen.

Frage: Steht wirklich fest, dass Helle tot ist? :engel:
Ich meine: Die Geschichte steht immerhin in der Rubrik Seltsam. Und wenn tatsächlich ein Mensch auf den Gleisen steht, wenn ein Zug einfährt, dann versucht der doch immerhin zu bremsen, und ob er es nun schafft oder nicht, es gibt immer einen Riesenauflauf und Geschrei. Dass da völlig gelassen irgendwelche Leute aussteigen, der Schaffner pfeift und der Zug weiterfährt, ist vollkommen irreal. Außerdem würden die Schienen nach so einer Sache auch nicht "silbern glänzen", sondern es wäre da Matsch.
Oder nicht?

@Aragorn: Danke, danke! Freut mich sehr, dass dir diese Geschichte und "Der einundzwanzigste Tag" gefallen haben!

@wolkenkind: Freut mich, dass die Erzählweise dich gefesselt hat, auch wenn der rote Faden immer mal wieder unsichtbar wurde. Ehrlich gesagt gefällt es mir, den roten Faden einzuweben, so dass er inmitten eines Musters immer mal wieder auftaucht und dann wieder verschwindet. ;) Dass es viel Stoff und Hintergrundinfo ist, da stimme ich zu. aber besser, man hat viel zu sagen als nix, oder? :D

Danke für die Anmerkung mit dem kleinen s. Ich hab's eingefügt. :)

Und sonst - hat niemand was zu sagen?

 

Hallo Nyx!

Ein bisschen was hab ich schon zu sagen ...

Ich schließe mich den positiven Kommentaren an. Auch ich war ziemlich gefesselt von der Geschichte und die Spannung zog sich durch vom ersten bis zum letzten Satzzeichen. ;)

Besonders interessant war für mich die Aufarbeitung des Themas der New Economy. Mir ist damals die Hysterie rund um das Internet und die Börse ziemlich auf den Nerv gegangen. Ständig wurden neue Wörter erfunden, neue verheißungsvolle Phrasen gedroschen und irgendwelche ansteigenden Charts publiziert. Auch die letzten Skeptiker sollten ihr Geld noch in irgendwelche Aktien investieren. Und mit dem Börsenabsturz kam die Ernüchterung. Heute verwenden wir die Technologien einfach, haben uns daran gewöhnt und finden nichts besonderes mehr daran.

Diese Entwicklung beschreibst du total spannend aus dem Blickwinkel der direkt betroffenen. Die Schicksale der Prots sind direkt mit dem Aufstieg und "Fall" der New Economy verwoben. Der Rausch, der Unfall, die Ernüchterung der Personen spiegelt sich in der wirtschaftlichen Entwicklung oder umgekehrt. In diesem Sinn ist das für mich ein wirklich gelungener Text, der eine Stimmung und einen Eindruck der letzten Jahre wiedergibt.

Frage: Steht wirklich fest, dass Helle tot ist?
Naja. Ich war mir zwar nicht sicher, bin dann aber schon davon ausgegangen. Vor allem wegen des Hinweises auf die getrennte Verbindung, war aber dann wieder unsicher, wegen ihrer Antwort "Ich weiß nicht." ....
Vielleicht gibst du uns ja noch einen Tipp.

lg
klara

 

Hallo Nyx,
jetzt war ich natürlich auch mal neugierig, wie Du so schreibst, und ich bin echt beeindruckt. Mir gefällt sehr gut, wie detailliert Du manche Dinge beschreibst und ich konnte viele Formulierungen lesen, die ich bisher so noch nicht gehört hatte.
Auch fiel mir auf, dass Du das, was Dein(e) Prot gerade erlebt, nämlich das Telefongespräch mit Spetz in der Vergangenheitsform schreibst, und einige der Rückblenden, z.B. die in Griechenland im Präsens. Hat das eine besondere Bewandtnis?

Auf jeden Fall ein sehr schöner Text, der in meinem Gedächtnis haften bleiben wird.
Hat der Text eigentlich autobiografische Züge?

LG
Blanca

 

Hi Klara, hi Blanca!
Vielen Dank für eure freundlichen Anmerkungen!

@klara - Noch mal zum Schicksal von Helle: Ich habe das bewusst offen gehalten. Helle ist in einer sehr deprimierten Stimmung und will sich am liebsten umbringen. Als die Handy-Verbindung abreißt, kann es sein, dass er in diesem Moment die finale Entscheidung getroffen hat und zur Tat schreitet. Andererseits war der Handy-Akku schon ohnehin fast leer. Es kann also auch daran liegen, dass die Verbindung getrennt wird. Oder Helle hat einfach aufgelegt, weil er diese Geschichten mit dem Neubau des Portals nicht hören will - was aber nicht heißen muss, dass er sich sofort umbringt.
Ich glaube, dass Selbstmorde in der Realität nicht so oft vorkommen, wie in der Literatur. (Gab's da nicht mal so einen Selbstmod-Thread hier auf KG.de?) Über Selbstmord als Lösung wird von sehr vielen, ich wage zu behaupten, fast allen Menschen, mindestens einmal im Leben nachgedacht. Schwermütige oder depressive Menschen begleitet dieses Thema oft Jahre lang. Allerdings heißt das nicht, dass diese Menschen sich dann auch wirklich umbringen. Manchmal reicht es, wenn sie jemanden haben, mit dem sie reden können. Oder dem sie einfach zuhören können, wie im Fall von Helle. In der Geschichte ist ja auch absichtlich offen geblieben, wer da wen angerufen hat. Vielleicht wollte sich Helle verabschieden. Vielleicht hat der/die Protagonist/in zufällig angerufen und von seiner Stimmung erfahren.

Also, ich denke wirklich, das Ende in der Geschichte ist wirklich offen. Man kann es interpretieren wie man will. Für den Pessimist ist Helle tot, für den Optimist hat er es gerade noch mal geschafft und die schlimmsten Fantasien (der Tod auf den Schienen) bleiben eine Fantasie des Erzählers. ;)

@blanca - Danke, dass du den Zeitentausch bemerkt hast. Ja, das war Absicht. Ich benutze das manchmal, wenn ich nicht nur Erlebnisse aus der Vergangenheit in Form von Erinnerungen auf den Plan rufe, sondern gleichzeitig klar machen will, dass derjenige, der sich erinnert, diese Erinnerungen quasi als (bessere) Gegenwart lebt. Die Erinnerungen werden hier beschworen und als etwas Neues, etwas, das konkrete Auswirkungen auf das Hier und Jetzt haben soll, interpretiert. Die Erinnerung ist in diesem Moment näher als die tatsächliche Gegenwart.

Hat der Text eigentlich autobiografische Züge?
Hach ja... Wahrscheinlich schon. Wie jede Geschichte halt. Es gab einen guten Journalisten, der lausiger Unternehmer wurde und pleite ging. Es gab einen Freund, der sich mal umbringen wollte. Es gab einen Typ im Rollstuhl. An der Portal-Idee haben sich mehrere Firmen versucht, u.a. Bertelsmann, AOL und Burda. Ich habe mal einen Unfall an einem unbeschrankten Straßenbahnübergang gesehen. Ich habe am 11. September 2001 einen Artikel über die Berichterstattung im deutschsprachigen Internet geschrieben, der später im "Spiegel" abgedruckt wurde, weil ich "Spiegel Online" darin lobte. Bei Stress esse ich Weingummi. Ich war schon oft in Griechenland und mag Oktopus auf Holzkohle. Spetz ist der Spitzname einer Freundin von mir. Der Bahnhof ist der Karlstor-Bahnhof in Heidelberg. Ist diese Antwort zufriedenstellend?? ;) ;)

Jetzt habe ich noch eine Frage: Kann mir jemand sagen, ob es hier noch andere Geschichten zum Thema New Economy gibt? Würde mich interessieren, was zu dem Topos sonst so gesagt wurde. Vielleicht könnte man einen Sammelband bei BoD machen? :idee: Nur mal so dahingesponnen...

*Plötzlich wieder ganz inspiriert sei*
Nyx

 

Hi Nyx,

ich glaube, er ist deshalb tot, weil es einfach so gut zur geschichte passt - für mich jedenfalls..:) die trauer rundet die geschichte sehr gut ab...

und den sammelband aus der new economy-zeit würde ich unterstützen - ob allerdings jahre später noch soviele was dazu zu schreiben haben..!?

ich auf jeden fall..

:D

liebe grüße, streicher

 

Besser spät als nie: Diese Geschichte gehört auf die Empfehlungsliste, wohin ich sie nunmehr befördern werde :D

 

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