Das perfekte Opfer
Liebes Tagebuch,
ich weiß nicht, ob Du Dir das vorstellen kannst, aber ich hasse einen Menschen, dem ich heute zum ersten Mal begegnet bin. Ich habe weder mit ihr gesprochen, noch hat sie mir ein Leid zugefügt. Aber alleine durch ihre Anwesenheit verspüre ich in einem unbekanntem Maße Wut in mir aufsteigen, dass ich das Gefühl habe, jeden Augenblick wie ein Luftballon zu zerplatzen.
Sie heißt Diana. Alleine wenn ich den Namen schon ausspreche oder ihn, wie in diesem Fall schreibe, graut es mir. Diana. Klingt der Name nicht schon nach Porzellan? Nach Reinheit? Nach Unschuld?
Ich denke, dass ich sie so sehr hasse, weil ihr alles zufällt. Ja, ich kenne sie zwar erst einen Tag, aber auf mich macht sie den Eindruck, als ob ihr alles in den Schoß fällt. Ich hingegen arbeite hart für meine Opferrolle. Ich warte nicht den lieben langen Tag darauf, dass mir diese Rolle zufällt. Da könnte ich wahrschein-lich meinen Lebtag drauf warten. Ich leite Maßnahmen ein, die es mir erleichtern bemitleidet zu werden.
Ich esse in letzter Zeit zum Beispiel kaum. Du solltest mich sehen, wie schmächtig ich mittlerweile aussehe. Ich bin schon fast so schlank, dass man mich wie eine Zeitung unter der Tür hindurch schieben könnte. Ist das nicht großartig? So erwecke ich den Eindruck der Verletzlichkeit. Mehrmals war ich zwar deswegen schon beim Arzt, der mir und meinen Eltern beginnende Magersucht diagnostizierte, aber das interessiert mich nicht.
Diana scheint diesen Trick auch anzuwenden. Sie versteht es meisterhaft, ihre Figur noch mehr in den Vordergrund zu rücken, indem sie entsprechende Kleidung trägt. Ihre Beine wirken in ihrer Leggins wie Streichhölzer, die im kleinsten Luftzug zu zerbrechen drohen. Ein sonst hautanliegendes Top, ich nehme an, dass sie es eine Nummer größer gekauft hat, schlackert ihr um die Brust, die nicht einmal den Ansatz eines Busens erkennen lässt. Lange hatte ich ja auch geglaubt, dass ich ein flaches Brett bleibe, doch Du weißt sicherlich noch, wie ich mich geärgert und gewehrt habe, als mit einem Mal meine Brüste rapide anfingen zu wachsen, dass selbst die Mullbinden, die ich verwandte, um meinen Busen schrumpfen zu lassen, nichts mehr halfen.
Auch hat Diana mit ihrer Größe Glück. Sie ist höchstens 1,65 Meter groß. Zehn Zentimeter kleiner als ich. Da nützt es dann auch nichts, wenn ich wie immer ein wenig gebeugt gehe, um mich kleiner zu machen, als ich eigentlich bin. Vorbei der An-schein, als habe ich vor etwas Angst. Oder als ob ich gerade bestraft worden wäre.
All diese Maßnahmen bedeuten eine große Selbstdisziplin, die mich auf einem schmalen Grat wandern lässt, den ich nie verlas-sen darf. Denn wenn ich dieses tun sollte, könnte ich anstatt des Mitleides dem Spott aller ausgesetzt sein.
Liebes Tagebuch,
heute war ich wieder bei Dr. Freud, wie ich ihn nenne. Ich habe Dir schon einmal nach meinem ersten Besuch bei ihm geschrieben.
Damals hatte er mich zu sich rufen lassen, als ich das zweite Mal die Treppe hinuntergestürzt war.
Ich glaube noch heute, dass er meine Masche nicht durchschaut hat, aber ich habe es dann lieber gelassen, bevor er mir auf die Schliche kommen konnte. Schade eigentlich. Denn es war eine herausragende Idee von mir, wenn ich mich einmal so loben darf. Wem würde ansonsten einfallen, sich während der Schulpause absichtlich die Treppe hinunter zu stürzen, nur um von einem größerem Publikum bemitleidet zu werden. Den empfundenen Schmerz bei der Aktion hatte ich gar nicht wahrgenommen. Okay. Kaum. Denn der Schmerz wurde von dem Gefühl der Aufmerksamkeit und des Mitleides unterdrückt. Gierig hatte ich damals die Aussprüche der Anwesenden wie eine Biene den Nektar in mich aufgesogen. "Hast Du Dir weh getan?" "Kann ich Dir helfen?" "Wie kann denn nur so etwas passieren?"
Diese erfahrene Aufmerksamkeit ließ es mich ein paar Wochen später noch einmal tun. Denn niemand würde größere Bedauerung erfahren, als derjenige, dem ein Unglück ein zweites Mal widerfährt.
Beim ersten Mal war ich noch von selbst gefallen, aber diesmal beschloss ich, mich von jemandem schubsen zu lassen. Ich wartete also wieder, bis eine große Traube von Mitschülern die Treppe zum Pausenhof hinunterschlenderte. Natürlich sollte es nur so aussehen, als ob Der- oder Diejenige es getan hätte.
Ich suchte mir einen vielversprechenden Kandidaten und drehte meinen Körper in ihn hinein, so wie die Stürmer beim Fußball, die ein Foul schinden wollen.
Mein Kopf traf seine Schulter, von der ich mit einem lauten Aufschrei abprallte. Sogleich geriet ich ins Straucheln. Um die Dramatik zu steigern, tat ich so, als ob ich noch irgendwo versuchte Halt zu finden. Wild mit den Armen umherrudernd, streckte ich auch meine Hand nach dem Jungen aus, der mein Opfer gewesen war. Entsetzt griff er nach meiner Hand, die ich natürlich immer aus seiner Reichweite hielt, so dass er gar keine Chance zur Hilfe hatte.
Ein Mobile aus Sternen hing im nächsten Augenblick über meinem Kopf. Fasziniert verfolgte ich dessen Bewegung und ließ mich von dem warmem Schmerz einlullen, der in seinem Gepäck das wunderbare Gefühl der Aufmerksamkeit und des Mitleides hatte.
Ich muss drei Meter die Treppe hinunter gerollt sein, bis ich am Fußende der Treppe auf dem Rücken zum Erliegen kam. Meine Sinne klärten sich wieder, als mehrere Stimmen wild durcheinander schrien.
Und mit Genugtuung stellte ich fest, dass es dieselben Ausrufe wie beim ersten Mal waren.
Als ich meine Augen aufschlug, hatte der Junge sich über mich gebeugt und betrachtete mich eingehend.
"Wo tut es Dir weh?" fragte er.
Da ich beim letzten Mal taube Beine geäußert hatte, mußte ich mir diesmal etwas Anderes einfallen lassen.
"Mein Rücken tut so weh. Ich befürchte, dass ich mir etwas an meinem Rückgrat getan habe."
"Holt eine Trage", rief er. Besorgt schweifte sein Blick immer wieder über meinem Oberkörper.
Ein paar Minuten später lag ich auf einer Trage und wurde in die Krankenstation gebracht. Erneut untersuchte mich Dr. Knars, während mein Opfer im Wartezimmer saß. Wieder stellte unser Schularzt fest, dass es sich nur um ein paar Schrammen und Abschürfungen handelte. Dr. Knars riet mir, doch in Zukunft den Schulaufzug zu nehmen.
Nach diesen Vorfällen erhielt ich überraschend die Einladung zu Dr. Freud, unserem Schulpsychologen.
Ich nehme an, dass er durch die beiden Unfälle auf mich aufmerksam wurde und sich auch bei meiner Klassenlehrerin, Frau Dierks, erkundigt hat. Und ich kann mir gut vorstellen, dass sie einen Besuch bei ihm befürwortet hat.
So saß ich nun heute das zweite Mal auf seiner Ledercouch. Er besitzt keine Liegecouch. Die findet er albern und klischeebehaftet, wie er mir verraten hat. Des Weiteren besitzt sein Büro ein riesiges Bücherregal mit etlichen Ausgaben von Freud bis zur Fachliteratur über Jugendpsychologie. An den Wänden hängen beruhigende Stillleben, und selbst die Fenster besitzen Doppelglas, damit man nicht durch Störgeräusche von außen gestört werden kann.
"Kannst Du Dir vorstellen, warum ich Dich zu mir gebeten habe?"
"Nein. Was habe ich falsch gemacht?" Ich gab meinem Tonfall etwas Verschüchtertes und drückte mich tiefer in die Couch hinein, als wollte ich mit ihr eins werden.
"Du hast nichts falsch gemacht. Davon solltest Du auch nicht immer ausgehen, wenn Dich jemand etwas fragt."
Ich spürte genau, wie mich seine Stimme versuchte mich zu hypnotisieren.
"Warum bin ich dann hier?"
"Nun, ich hatte letztens Besuch von einem anderen Mädchen Deines Alters. Ich darf ihren Namen zwar nicht nennen, aber ich kann mir vorstellen, wenn ich Dir sage, dass sie in Deine Klasse geht, Du Dir sicher denken kannst, um wen es sich handelt."
Sie war auf dem Vormarsch, schoss es mir durch den Kopf. Sie war in mein Territorium eingedrungen, ohne dass ich es gemerkt hatte. Sie würde mir nach und nach alles nehmen, was ich mir aufgebaut hatte. Sie. Diana.
"Ja, ich denke, ich weiß, wen Sie meinen."
"Nun, der Grund ist ganz einfach, warum ich Dir davon erzähle. Ich bin der Ansicht, dass ihr viele Gemeinsamkeiten habt, die ihr teilen könntet. Mit einer Freundin im Rücken ist man immer stärker. Man tauscht sich aus, geht vielleicht mal zusammen weg oder macht ganz einfach nur die Schulaufgaben zusammen."
So blöd ich die Idee im ersten Moment auch fand, sie hatte etwas für sich. Ich würde Diana aushorchen, und wenn ich erst einmal ihre Schwachstellen kannte, würde ich sie nutzen und sie bloßstellen können.
"Ich finde, dass ist eine gute Idee." Die Augen von Dr. Freud fingen augenblicklich an zu funkeln. "Ich werde sie gleich einmal ansprechen."
Zufrieden verabschiedete mich Dr. Freud.
Liebes Tagebuch,
heute ist mein Geburtstag. Happy Birthday to me! Ich gebe heu-te Abend eine kleine Party. Die habe ich in der Vergangenheit immer abgelehnt. Nicht weil meine Eltern es nicht wollten. Nein. Es passte einfach nicht zu meinem Image. Meinen Mitschüler habe ich natürlich dann immer im Glauben gelassen, dass meine Eltern nicht das Geld, den Platz oder mir die Erlaubnis erteilt hätten. Doch an diesem Namenstag mache ich eine bewusste Ausnahme, denn heute soll der große Auftritt von Diana stattfinden. Ich habe alles bis ins kleinste Detail geplant und keine Kosten und Mühen gescheut, damit auch alles nach Plan verläuft.
Ob ich mich mit ihr angefreundet habe, so wie es mir Dr. Freud empfohlen hat? Und wie! Wir stehen uns jetzt so nah wie siame-sische Zwillinge. Dabei habe ich anfangs nichts überstürzt. Ich habe mich ihr nur ganz, ganz langsam genähert. Bevor ich das erste Mal mit ihr Kontakt aufnahm, hatte ich schon eine zwanzig Seiten dicke Akte über sie angelegt, so dass ich sie auch ja nicht auf dem falschen Bein erwische und sie etwas ahnen und sich somit zurückziehen würde.
In einer Schulpause war es dann soweit. Sie war gerade im Begriff ihre Schulsachen in ihrem Spind zu verstauen, als ich an ihr vorbei ging und meine Schulsachen, die Hefte und Bücher, die ich im Arm hielt, fallen ließ. Erschrocken blickte sie sich zu mir um und half mir auch schon im nächsten Augenblick meine Sachen wieder einzusammeln.
"Oh, Du hast die Hausaufgaben in Physik schon gemacht?"
Sie hatte den Köder geschluckt und wusste nicht einmal, dass sie bereits am Haken hing und ich bereit war, die Schnur einzuholen.
"Ja. Ich darf den nächsten Test nicht auch noch in den Sand setzen."
Und Du auch nicht, dachte ich. Das hatte ich recherchiert. Hinter ihren scheuen Augen rotierten ihre Gedanken. Das konnte ich sehen. Doch schienen ihre Gedanken zu keinem Ergebnis zu kommen. Ich befürchtete schon, dass meine Angelschnur reißen und sie davonschwimmen würde, aber schließlich brach es doch aus ihr heraus.
"Was hältst Du davon, wenn wir zusammen lernen? Ich muss den nächsten Test nämlich auch unbedingt bestehen."
Ihre Stimme war getränkt mit gespielter Verlegenheit, und ich musste einen immens starken Brechreiz wegen ihrer Falschheit unterdrücken. Aber der Fisch schwamm in meinem Eimer, und ich konnte nun entscheiden, wann ich den Eimer umkippte und den Fisch auf dem Festland sterben ließ.
"Ja, das können wir gerne machen."
Von dem Tag an lernten wir mehrere Male bei ihr oder bei mir zusammen. Heute muss ich sagen, dass sie mich ein wenig beeindruckt hat in all dieser Zeit. Denn zu keinem Zeitpunkt hat sie sich irgendeine Blöße gegeben. Sie hat ihre Rolle stur durchgezogen und hat nicht einmal einen Ansatz hinter ihrer Fassade erkennen lassen.
Doch das war nicht schlimm. Ihr Zimmer verriet sie. So wie es eingerichtet war, sprach es Bände. Sie konnte kein Kind von Traurigkeit sein. Sie hatte alles, was sich ein Teenager wünschte. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, so wie ich das immer tue, wenn ich einmal Besuch bekomme, ihre wertvollen Sachen in Schränken zu verstecken. Nein. Die Zimmereinrichtung passte überhaupt nicht zu ihrem Kleidungsstil. Da traf reich auf arm, Geschmack auf Geschmacklosigkeit und Mauerblümchen auf Graffitiwand.
Ich hatte mir auch fest vorgenommen, einmal in ihre Schränke zu sehen, aber leider hatte sich nie die Gelegenheit ergeben. Nie ging sie aufs Klo, wenn wir bei ihr lernten oder wurde ans Telefon oder zu ihren Eltern gerufen. Nichts dergleichen. Egal! Ich weiß eh, was ich dort vorgefunden hätte. Nur gute Kleidungsstücke und irgendwo in einer hinteren Ecke des Kleiderschranks zwei, drei ramponierte Kleidungsstücke, die sie immer zur Schule trug.
Meine Akte besaß mittlerweile einen Umfang von fünfzig Seiten, und ein Ende war endlich mit dem heutigen Abend abzuse-hen. Dann würde ich die Akte Diana endlich schließen können.
Ich schreibe Dir morgen, wie es gelaufen ist.
Auszug aus dem Protokoll des Falls Melissa Meland. Den ehrenwerten Vorsitz hatte Richter Stumpf. Der Anwalt der Kläger Körber, der in diesem Verfahren die Familie Meland vertrat, hatte Diana Fasch in den Zeugenstand gerufen und nahm sie ins Verhör.
Anwalt: "Diana... Ich darf doch Diana sagen?"
Diana: "Ja, sie dürfen."
Anwalt: "Wie würdest Du Dein Verhältnis zu Melissa beschreiben?"
Diana: "Als gut. Wir haben uns erst vor ein paar Wochen kennen gelernt, aber in dieser Zeit haben wir viel zusammen gelernt und sind prima miteinander ausgekommen."
Anwalt: "Würdest Du sagen, dass ihr gute Freundinnen wart?"
Diana: "Ja, das würde ich sagen."
Anwalt: "Kannst du uns bitte in Deinen eigenen Worten schildern, was sich am Freitag, dem 23.02., im Haus der Melands ereignete?"
Diana: "Melissa Meland hatte mich zu ihrem Geburtstag eingeladen. Gegen 20 Uhr bin ich dann bei ihr aufgetaucht. Es waren auch schon andere Mitschüler von uns da."
Anwalt: "Melissas Eltern waren nicht da?"
Diana: "Nein. Ihre Eltern waren übers Wochenende zu Melissas Onkel gefahren und sollten erst am Sonntag wiederkommen."
Anwalt: "Was ist weiter an diesem Abend passiert?"
Diana: "Irgendwann kam Oliver auf mich zu und meinte, dass Melissa mich auf dem Dachboden sprechen wollte.
Anwalt: "Wann genau war das? Kannst Du Dich noch erinnern?"
Diana: "Das muß so gegen 23.30 Uhr gewesen sein. Soll ich fortfahren?"
Anwalt: "Ja, bitte."
Diana: "Als ich den Dachboden betrat,... oh mein Gott, es ist, als sehe ich sie direkt jetzt vor mir."
Anwalt: "Bitte beruhige Dich wieder Diana. Hier trink erst einmal einen Schluck Wasser."
Diana: "Dankeschön."
Anwalt: "Geht es wieder?"
Diana: "Ja, danke."
Anwalt: "Kannst Du noch einmal versuchen, uns zu beschrei-ben, was Du gesehen hast?"
Diana: "Sie hatte eine Schlinge um den Hals. Das Seil war am Dachbalken befestigt, und sie hatte auf einem Stuhl gestanden. Oh, Melissa!"
Richter: "Diana, möchtest Du, dass wir eine kurze Pause machen?"
Diana: "Nein, es geht schon wieder."
Anwalt: "Hat sie irgend etwas zu Dir gesagt?"
Diana: "Ja, hat sie."
Anwalt: "Was genau hat sie gesagt?"
Diana: "Das es mein großer Tag wäre."
Anwalt: "Kannst Du Dir vorstellen, was sie damit gemeint ha-ben könnte?"
Diana: "Nein, nicht im Geringsten."
Anwalt: "Was hat sie dann gemacht?"
Diana: "Sie hat den Stuhl mit ihren Füßen umgestoßen. Ich hatte erst gedacht, dass sie nur Spaß machen würde, aber als sie hing und nach Luft rang, wurde mir erst klar, dass sie es ernst meinte. Sofort bin ich zu ihr gerannt und habe versucht, den umgewor-fenen Stuhl wieder unter ihre Füße zu stellen. Doch sie hat ihn immer wieder weggetreten. Schließlich habe ich versucht, sie hochzuheben. Ich habe meine Arme um ihre Oberschenkel ge-klammert und sie mit aller Kraft nach oben gedrückt. Sie hat mir dann aber mit einem Knie ins Gesicht getreten, so dass ich hin-fiel und für einen Moment benommen liegen blieb. Und als ich wieder zu mir kam... Dieser Anblick. Ihr Gesicht. Es verfolgt mich seit Nächten in meinen Träumen. Ich kann es einfach nicht vergessen."
Anwalt: "Willst Du jetzt eine Pause machen, Diana?"
Diana: "Nein, ich will dieses Verhör jetzt endlich hinter mir haben."
Anwalt: "Gut. Was hast Du daraufhin getan?"
Diana: "Ich bin nach unten gelaufen, um Hilfe zu holen, weil ich ja gesehen hatte, dass ich es alleine nicht schaffe. Simon und Dennis waren als erstes zur Stelle, und die Beiden sind dann sofort auf den Dachboden gelaufen. Als ich wenig später eintraf, hatten sie Melissa schon abgeschnitten. Sie sagten, dass ich schnell einen Krankenwagen rufen sollte, und das habe ich getan, während Simon und Dennis versucht haben, Melissa durch erste Hilfe wieder zurück zu holen."
Anwalt: "Ich danke Dir jetzt schon einmal, Diana. Du warst sehr tapfer. Nun möchte ich dem Gericht Beweisstück B vorlegen. Eine Videokassette, die am besagten Abend den Vorfall auf-zeichnete.
Könnte bitte einer der Wachmänner den Videorekorder herein holen? Danke!
Melissa hatte eine Videokamera auf dem Dachboden aufgebaut, die ihre Eltern erst drei Tage nach dem tragischen Ereignis entdeckten.
Wenn Sie jetzt bitte das Band abfahren möchten."
Das Videoband zeigte, wie Melissa die Kamera einschaltet und sich von ihr entfernt. Sie geht zu dem Stuhl hinüber, der unter einem der Dachbalken steht, an dem ein Galgen befestigt ist. Sie steigt auf den Stuhl, legt sich die Schlinge um den Hals und zieht sie fest zu. Nun wartet sie einige Augenblicke, bis Diana auf dem Dachboden erscheint.
"Das wird ein großer Tag für Dich", sagt Melissa und kippt den Stuhl um.
Diana steht ihr in zwei Meter Entfernung gegenüber und beo-bachtet sie.
"Das glaube ich nicht."
Als Diana diese Worte ausspricht, werden Melissas Augen ganz groß. Sofort versucht sie mit ihren Fingern unter die Schlinge zu kommen, die ihr zunehmend die Luft abschneidet.
Diana schreitet gemächlich auf Melissa zu und anstatt, wie sie behauptet hatte, sie hochgehoben zu haben, umklammert sie Melissas Oberschenkel und hängt sich an sie. Melissa versucht, Diana weg zu treten und einen Schrei zu äußern, doch Diana hält sie unbeirrbar fest, und es kommt nur ein leises Röcheln aus ihrer zugeschnürten Kehle.
"Nun stirb schon. Das hast Du doch gewollt. Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, dass ich Dir helfe und meine Opferrolle aufgebe!? Oder sollte ich etwa die Heldin des Abends werden, damit Du wieder alleine das Opfer spielen kannst?“
Eine Antwort bleibt Melissa Diana schuldig. Als Diana sich davon überzeugt hat, dass Melissa tot ist, richtet sie ihre Klei-dung und geht nach unten, um Hilfe zu holen.