Das Parfüm
Das Parfüm
Die Sinne des Menschen sind unantastbar oder so ähnlich sollte es im Grundgesetz stehen, die Würde wird überbewertet, zumindest im Parfümerieladen deines Vertrauens. Muttertag, Geburtstage, Weihnachten, Ostern oder einfach nur ein schlechtes Gewissen veranlassen Männer dazu den Geruchstempel aufzusuchen. Kurz nach dem Überschreiten der Ladenschwelle tritt Schnappatmung ein, Orientierungslosigkeit macht sich breit untermalt von seichter Musik, die sonst nur im Fahrstuhl oder bei der Hotline der Telekom zu hören ist. Ich taste nach meinem Asthmainhalator, weil mir im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg bleibt. Hier gibt es keine Atemluft, hier ist das Testlabor sämtlicher in der Welt auftretenden Gerüche. Ein Konglomerat der Düfte die man einatmen kann und zwar gleichzeitig. Mitten in meiner Atemnot kommt ein grell angemaltes junges Wesen auf mich zugeschwebt. Sie bleibt in vornehmen Abstand vor mir stehen und schwebt auf der Stelle, um mich zu mustern. Mittlerweile treibt mir die Atemnot Tränen in die Augen und hinzukommt ein leichtes Ohrensausen. Sie mustert mich weiterhin, wahrscheinlich wartet sie auf mein Ableben um mich dann diskret aus der Parfümlounge zu entfernen. Meine Nase ist auch zu dem Entschluss gekommen etwas beizutragen und fängt an zu laufen. Wenn ich jetzt noch den Mund halb öffne und anfange meinen Speichel in die Freiheit zu entlassen, ruft sie den Notarzt, weil sie einen Schlaganfall meinerseits befürchtet. Bedingt durch meine eingeschränkten Körperfunktionen stehe ich vor ihr und mein debiles Grinsen veranlasst sie endlich mich anzusprechen.
„Kann ich ihnen helfen?“. Ich nicke und wische mir mit der linken Hand meine Nase und mit der rechten Hand die Augen frei. Beide Hände sind nun von meiner Körperflüssigkeit benetzt, was nicht gerade zu einem weiteren harmonischen Gesprächsverlauf zwischen mir und der parfümierten Elfe vor mir beiträgt. Angewidert mustert sie mich, während sie auf meine Antwort wartet und dabei abwechselnd meine beiden Hände schaut und sich leicht schüttelt, zumindest mental. Ich möchte die Kommunikation aufnehmen und atme tief ein um zu antworten, dass ich Parfüm für meine Frau käuflich erwerben möchte. Dies erweist sich als großer Fehler, das Einatmen, nicht meine Frau, denn meine Lungenflügel versagen den Dienst, sozusagen Notaus wurde gedrückt. Ich habe plötzlich das Gefühl, dass sich Klavierlack in meinem Brustkorb befindet, der aufgekocht wird, um damit meine Atmungsorgane auszupinseln. Ich bringe nur ein schwaches Winseln zustande. Die junge, wahrscheinlich wohlriechende Elfe vor mir verzieht überhaupt keine Mine und schaut mich weiterhin fragend an. Ich starte einen neuen Versuch und es kommt ein gepresstes: „Parfüm“ heraus. Meine Lunge schmerzt weiterhin, mein Kehlkopf gibt seine Funktion auch auf und ich stehe weiterhin vor der zu Mensch gewordenen Parfümprobe und versuche das Gleichgewicht zu halten. Mein Ohrsausen verschlimmert sich! „Für Sie?“ Ich schaue mich um ob sie mich meint. Anscheinend ja, denn die junge Frau starrt mich weiterhin professionell desinteressiert an. „Für meine Frau.“ Ich nicke schwach und gehe über zur Bauchatmung. „Wie alt?“ Ich schaue in das makellose Gesicht und ich frage mich, ob sie mein Alter meint oder das meiner Frau. Ein gewisses Alter bei Parfüm wie es bei erstklassigen Weinen oder Whiskey ist, um den Preis hochzutreiben, schließe ich aus. In Anbetracht der mangelhaften Sauerstoffzufuhr, bedingt durch die flache Bauchatmung entschließe ich mich nicht nachzufragen, sondern nehme das arithmetische Mittel der Lebensjahre meiner Gattin und mir und stoße ein: „Anfang 40“ hervor. Die wunderhübsche Elfe ist unerbittlich. „Welche Note denn?“ Kurz vor dem Delirium frage ich mich, ob ich mich nicht doch im Geschäft geirrt habe. Note, welche Note meint sie? Ich will kein Gesangsbuch kaufen oder mein Piano stimmen lassen, ich möchte endlich irgendeinen Duft kaufen, um meine Frau zu beglücken und lebend dieses Geschäft verlassen. „Ein hohes C?“. Die wohlriechende elfenhafte Göttin versteht anscheinend überhaupt keinen Spaß. Mit runzelnden Augenbrauen und fragendem Blick zählt sie gefühlt 10 Minuten sämtliche Geruchsnoten auf um mich nach jedem Wort, welches aus ihrem zauberhaften Mund entweicht strafend und fordernd anschaut. Bei „lebhaft“ dicht gefolgt von „vitalisierend“ nicke ich erneut. Ein scheues Lächeln ist ihr auf einmal ins Gesicht gemeißelt. Vielleicht ist es auch nur die Erleichterung jetzt endlich das Verkaufsgespräch fortzusetzen und mich loszuwerden. Sie dreht sich um und steuert auf einen Tisch zu, der geradezu überhäuft ist mit Fläschchen, Töpfen, Tiegeln, Spraydosen und allerhand Behältnisse. In der Hoffnung, dass sie mich an die Hand nimmt um mich mitzunehmen, was würde ich darum geben sie nur einmal anzufassen, bewege ich mich auf sie zu. Taumelnd komme ich vor dem Tisch und vor der Göttin des Duftes zum Stehen, leicht schwankend aber so sicher wie Eberhard Gingers Abgang nach seinem, nach ihm benannten Salto. Aus sicherer Entfernung hält sie mir ein in dezenten Farben lackiertes Kästchen mit Schleifchen und kleinen Aufklebern entgegen. Was drauf steht kann ich bedingt durch meine immer noch tränenden Augen nicht erkennen. Wahrscheinlich was Wunderschönes und Melodisches in goldenen Buchstaben in einer fremden Sprache. Mein Ohrensausen wird zu einem Orkan. Ich sehe, wie sich ihre formschönen Lippen bewegen und sie anscheinend mit mir spricht. Meine Vitalfunktionen neigen sich dem Standby- Modus und ich nicke nur noch in regelmäßigen Abständen. Sie schaut mich weiterhin leicht strafend an und schwebt währenddessen in Richtung Kasse, mich dabei im Blick habend. An der Kasse angekommen unterhält sich meine Göttin des edlen Duftes mit der Dame an der Kasse und gibt ihr Anweisungen. Diese schaut mich nun auch an und sagt was in einer mir unverständlichen Sprache. Ich verstehe nichts, höre nur meinen rasselnden Atem, gepaart mit meinem Ohrensausen. Ich schaue beide abwechselnd an. Was für gottgleiche Wesen. Die Venus von Milo ist ein billiger Abklatsch, hier sind die wahren Kunstwerke, die Gott erschuf. Die beiden Wesen schauen mich weiterhin, jetzt fragend ungeduldig an. Jetzt dämmert es mir, ich soll bezahlen und schaue auf das Display der Kasse. Mein Tränenfluss stoppt abprupt. 136 Euro für den lackierten Karton mit Schleife? Ich bin doch nicht der Chefeinkäufer der Nasa und bestelle Ersatzteile fürs Spacelab. Ich blicke wieder hoch, direkt in die Augen meiner beratenden wohlriechenden Elfe. Diese lächelt mich an, zumindest war das meine Wahrnehmung. Mit zittrigen Händen nehme ich meine Geldbörse aus der Hosentasche und zahle. Daraufhin wird mir eine wunderschöne hellblaue Papiertasche gereicht. Ich nehme sie entgegen und will noch mal in das zauberhafte Gesicht meiner beratenden Göttin schauen, als ich sie schon wieder mitten im Geschäft schwebend sehe. Neben ihr ein neuer Kunde. Niedergeschlagen setze ich meinen Weg in Richtung Ausgang fort. Kurz vor dem Ausgang wird die Luft wieder mit Sauerstoff angereichert und meine Augen und Nase erholten sich leicht. Beim Überschreiten der Schwelle schaue ich mich noch einmal um und sehe die schwebende Venus im Gespräch. Von hier aus sieht sie eigentlich ganz normal aus, vielleicht ein wenig zu klein, die Haare hätten ein wenig länger sein können und die Nase ist eine kleine Spur zu lang. Ich glaube auch, dass ich einen kleinen Sprachfehler gehört habe. Egal, nächstes Mal gehe ich in den Baumarkt und kaufe meiner Frau was zum Basteln. Da arbeitet ein übergewichtiger Glatzkopf und dem kann ich auch verbal folgen.