Das Parfüm 2.0
Summen. Dunkles Summen.
Ich schlage die Augen auf. Und sehe erst einmal gar nichts.
Kein Wunder, es ist mitten in der Nacht, und wäre da nicht dieses unglaubliche Dröhnen, könnte man diese laue Sommernacht sogar als beruhigend empfinden.
Ich wische mir mit meiner warmen Hand über die Stirn, von der bereits die Schweißperlen tropfen.
Es ist so unglaublich heiß und ich habe Durst. Zum glück habe ich mir eine Flasche Wasser ans Bett gestellt und die Balkontür ist bereits zur Kühlung geöffnet.
Ich schaue auf die Uhr.
4:13 uhr.
Wieso wache ich um diese ungewöhnliche Zeit auf?
Meine Gedanken schwelgen nun in der Erinnerung an gestern Abend...
Dieser warme Atem, dicht an meinem Hals und sachte Fingerspitzen, die meinen Arm entlang fahren; vermischt mit dem wohligen Duft nach Zedernholz und der Hitze des zurückliegenden Partyabends...mir entweicht ein leises Kichern. Eine Eigenart meinerseits, die ich für etwas zu kindisch halte, die er allerdings besonders an mir mag, wie er mir vor ein paar Stunden tausendfach ins Ohr geflüstert hat, damit ich seine wichtige Botschaft ja nicht vergesse.
Abwesend döse ich für eine kurze Zeit wieder ein.
Etwa 10 sekunden.
Bis sich wieder dieses unbeschreiblich durchdringende Dröhnen einmischt.
Irgendetwas stimmt nicht.
Ich mache das Licht an.
Schei*e.
Stromausfall, stimmt ja.
Der Grund, weshalb ich noch auf ein Glas Rotwein bei ihm geblieben bin und wir Kerzen angezündet haben.
Und der Grund, weshalb ich noch in seinem Bett liegen und seinen sanften Geruch einatmen kann.
Ich taste nach seiner Hand.
Leere.
Ich rolle einmal über das komplette Bett.
Nichts.
Doppel-schei*e.
Da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als aufzustehen und ihn zu suchen. Um vier Uhr morgens. Zum Schlafen bin ich jetzt sowieso zu aktiv.
Nachdem ich glatt noch über meine Monstersandalen gestolpert und in den Rest meiner Klamotten gefallen bin, habe ich mir schließlich einen Weg zur Tür gebahnt.
Bereits als ich sie einen Spalt breit öffne, bemerke ich den stechenden Geruch.
Die Wärme schießt sofort in meinen Kopf und schlagartig bin ich hellwach.
Mit dem Schärfen meiner Sinne hat sich auch das dunkle Wummern in ein knisterndes Zischeln verwandelt.
Nun bleibt keine Zeit mehr für Überlegungen. Ich muss handeln.
Wo verdammt nochmal ist er???
Das Feuer scheint sich von einem Raum am anderen Ende der Ein-Etagen-Wohnung langsam zu mir zu arbeiten.
Die Kerzen im Wohnzimmer!!
Wie konnten wir nur so fahrlässig sein?
Kein Wunder, dass es so heiß ist!
Wie ein Zeichen weht mir kühle Luft aus Richtung der offenen Balkontür entgegen.
Meine Rettung! Aber ohne ihn würde ich nirgendwohin!
Vielleicht ist er auf dem Klo eingeschlafen?
Wild entschlossen, ihn zu finden, kämpfe ich mich durchs dunkle Erdgeschoss, wo sich langsam die Rauchschwaden anzusiedeln scheinen.
Hat er in seiner Ferienwohnung denn keinen Rauchmelder, verdammt nochmal?
Der bereits zu Kopf gestiegene Alkohol gibt mir in dieser Situation den Rest.
Ich öffne eine Tür, die ich für das Badezimmer halte, doch meine Hoffnung schwindet, als es sich nur als Abstellkammer entpuppt.
Wieso musste ich ausgerechnet heute mein Handy vergessen?
Ich hätte schon längst die Feuerwehr alamieren müssen.
Schnell haste ich weiter zur nächsten Tür.
Als ich sie aufreiße, weht mir der intensive Geruch nach Rosen entgegen, Frauenparfüm, zweifellos!
Den Geruch kenne ich doch!
Ach du liebe Güte!
Seit wann ist sie denn hier?
Was zum Teufel hat sie hier zu suchen?
Ich taste mich durch die Dunkelheit, bis ich noch einen anderen Duft wahrnehme.
Das kann nicht sein.
Nein, das darf nicht sein!
Ich hätte niemals gedacht, dass der Geruch nach Zedernholz, ein Geruch, für den ich bis gestern Abend töten würde, mich trotz der unglaublichen Hitze zur Eissäule werden lässt!
Ich kann das nicht.
Mit diesem Gedanken stürme ich raus.
Ich renne und stolpere und haste so schnell ich kann und weiß selbst nicht einmal wohin.
In meinen Augen sammeln sich unbewusst Tränen und gleichzeitig verziehen sich meine Mundwinkel zu einem schmerzverzerrten Ausdruck; mein ganzes Gesicht spannt derartig viel Energie an, nur um sich dann Sekundenbruchteile später mit einem grässlichen erstickenden Lachen in einem Schluchzer zu entladen.
Na, findest du das immer noch so schön?
Fragen, die ich mir nicht beantworten kann, schießen durch meinen Kopf.
Wieso???
Ist es das, was du wolltest?
Meine Füße, die nun mein Gehirn in seiner Funktion abgelöst haben, tragen mich wie von selbst in die Rauchschwaden hinein.
Ich beginne zu husten.
Verdammt, ich krieg' keine Luft mehr.
Mein Atem geht immer rasselnder.
Ich krieche am Boden vorwärts den Flur entlang zur Balkontür.
Plötzlich höre ich ein gewaltiges Krachen.
Direkt gefolgt von Schreien.
Halt! Was tue ich hier?
Ich kann das nicht.
Ich kann sie nicht zurücklassen, egal, was sie mir angetan haben.
Ich werde von einem Hustenanfall unterbrochen.
Komm schon, du schaffst das, du musst einfach wieder zurück.
Noch einmal tief Luft holen und los.
Doch der Weg zurück stellt sich als schwieriger heraus als soeben.
Mit eisernem Willen kämpfe ich mich durch im Weg liegende Gegenstände und sich verdichtenden Rauch zurück zu der Tür.
Es ist so schrecklich heiß.
Mein pochender Kopf scheint sich einen unbewussten Kampf mit den stetig zu Boden krachenden Holzstücken zu liefern.
Nicht mehr lange und es wird nichts mehr von dem Ganzen übrig sein.
Meine Lungen lechzen und röcheln.
Ich brauche Luft!!!
Mit letzter Kraft stoße ich die Tür auf.
Doch die beiden sind nicht mehr da.
Ich breche zusammen. Ich kann nicht mehr. Ich versuche mich aufzurichten, das Fenster steht offen. Nur noch das Zimmer durchqueren und den beiden in die Freiheit folgen.
Aber ich kann nicht.
Er hat mich vergessen.
Und dann wird mir schwarz vor Augen.